10.30

Bundesministerin für Justiz Dr. Alma Zadić, LL.M.: Herr Präsident! Geschätzte Abgeordnete! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Zuseherinnen und Zuseher! In der heutigen Aktuellen Europastunde geht es um ein Thema, das nicht nur wichtig ist, sondern bei dem auch die Zeit drängt und wir endlich entschlossen handeln müssen.

Wir beschäftigen uns heute mit den Fragen, wie Produkte, die wir alle jeden Tag ver­wenden, hergestellt werden, was unser Kaffee, unsere Jeans und unsere Laptops für unsere Umwelt und für die Menschen, die den Kaffee anbauen, die die Jeans nähen und die Laptops herstellen, bedeuten. Wir alle wissen, die Gegenstände und die Produkte, die wir alle tagtäglich verwenden, haben oftmals einen sehr langen Weg hinter sich. Der Kaffee wird nicht nur angebaut, er wird auch geröstet, gemahlen, verpackt und abge­fertigt. Oft passieren diese Schritte in verschiedenen Ländern durch unterschiedliche Subunternehmen. Erst am Schluss dieses Prozesses, der sogenannten Lieferkette, kommt der Kaffee zu uns nach Österreich, in den Supermarkt in Bregenz, Klagenfurt oder Wien, wo wir ihn – die Marke unseres Vertrauens – kaufen können.

Genau darum geht es im Kern: Welche Verantwortung tragen denn diese Unternehmen? Welche Verantwortung tragen diese Unternehmen, denen wir unser Vertrauen schen­ken, die wir alle kennen und von denen wir unseren Kaffee, unsere Jeans, unsere Lap­tops kaufen? Welche Verantwortung tragen sie für ihre Produkte bei den vielen Schritten der Herstellung, der Verpackung, der Verschiffung, also entlang der Lieferkette? Sie tragen selbstverständlich auch eine Verantwortung dafür, dabei nicht unsere Umwelt zu zerstören und dabei nicht Menschen auszubeuten. (Beifall bei den Grünen sowie des Abg. Smolle.)

Meine Damen und Herren! Wir stellen uns diese Frage schon sehr lange. Es ist auch kein Geheimnis, dass die Herstellung von Waren, die wir bei uns im Supermarkt oder im Elektromarkt kaufen können, zum Teil auch die Ausbeutung von Menschen und Umwelt, also die Verletzung von Menschenrechten und die massive Zerstörung unseres Plane­ten, zur Folge haben. Lange haben wir versucht, den Weg der Freiwilligkeit zu gehen. Es gibt Unternehmen, die sich freiwillig Regeln unterwerfen, um eben genau diese Zerstörung und Ausbeutung von Menschen und Natur zu verhindern. Es gibt zahlreiche Regelwerke, etwa die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte, die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen oder sogenannte Selbstverpflichtungen von Unternehmen oder gewissen Branchen.

Wir müssen aber leider sagen, dass diese auf Freiwilligkeit beruhenden Versuche nicht zum gewünschten Erfolg geführt haben. Noch immer landen in unseren Geschäften Kaffee, der auf Brandrodungen beruht, Jeans, die unter menschenunwürdigen Bedin­gungen hergestellt werden, und Laptops, für deren Bauteile ganze Landstriche durch ungehemmten Raubbau zerstört werden.

Diese unwürdigen Produktionsbedingungen führen immer wieder zu menschlichen, aber auch ökologischen Katastrophen. Wir erinnern uns an den Brand des Rana-Plaza-Gebäudes (Zwischenruf des Abg. Hauser) im April 2013 in Bangladesch, bei dem 1 100 Textilarbeiterinnen und Textilarbeiter starben. Für dieses schier unfassbare Ausmaß an Zerstörung und an Leid konnten die Opfer und die Hinterbliebenen kaum irgendeine Entschädigung erstreiten; ganz zu schweigen davon, dass die dort her­gestellten T-Shirts und Textilien sehr wohl auch in Europa angeboten wurden. Wir ken­nen Berichte aus Mexiko, in denen großen französischen Energieunternehmen vorge­worfen wird, zur Enteignung der indigenen Bevölkerung beigetragen zu haben, und auch Berichte aus Uganda, laut denen die Tätigkeit eines anderen Energieunternehmens zu massiven Umweltzerstörungen und Enteignungen geführt hat.

Diese Liste ließe sich beliebig fortsetzen und zeigt uns genau eines: Wir brauchen strenge, verbindliche und wirksame Regeln gegen die Ausbeutung von Natur und Mensch entlang der Lieferkette. (Beifall bei den Grünen sowie der Abgeordneten Prinz und Schmuckenschlager.) Wir brauchen unabhängige Kontrollen. Wir brauchen auch effektive Sanktionen und selbstverständlich auch entsprechende Haftungen. Wir brauchen aber eben Regelungen, die für ganz Europa gelten, denn nur gemeinsam, als Europa, sind wir groß genug, damit diese Regeln auch tatsächlich wirksam sind und auch tat­sächlich greifen können. (Beifall bei den Grünen sowie des Abg. Schmuckenschlager.)

Meine Damen und Herren! Wenn wir das schaffen, wenn wir das auf europäischer Ebene schaffen, dann kann es uns gelingen, für menschenwürdige Bedingungen entlang der Lieferkette zu sorgen und die massenhafte Zerstörung unseres Planeten und unserer Umwelt zu verhindern. Gemeinsam als Europa haben wir die Verantwortung, endlich dafür zu sorgen, dass auch die Unternehmen die Verantwortung für die Art und Weise, wie sie ihre Produkte herstellen, übernehmen. Und wir haben nicht nur die Verant­wortung, wir haben jetzt endlich auch die Möglichkeit, das zu erreichen. Wir können dafür sorgen, dass die Unternehmen, die sich jetzt schon vorbildlich an freiwillige inter­na­tionale Standards halten – und davon, meine Damen und Herren, gibt es genug in Österreich –, nicht auch noch Wettbewerbsnachteile haben, weil sie eben nicht zu Billigstlöhnen produzieren oder Rohstoffe, für die ganze Landstriche zerstört wurden, verwenden. Diese Unternehmen sollten wir fördern und sollten wir auch unterstützen – und dafür sollen die europäischen Regeln sorgen. (Beifall bei den Grünen.)

Es gilt, einen fairen Wettbewerb in Europa zu garantieren, damit sich Unternehmen eben nicht auf Kosten von Menschen oder Umwelt einen Vorteil verschaffen oder sich be­reichern. Es gibt – das ist vor Kurzem, im Februar, bekannt geworden – um die 100 Unternehmen, die bereits von der Europäischen Kommission gefordert haben, end­lich ein effektives Lieferkettengesetz auf den Weg zu bringen, zu verabschieden. Das ist ein wichtiges Signal. Das ist deswegen ein wichtiges Signal, weil ohne das Mitwirken der Privatwirtschaft weder die Ziele des Europäischen Green Deals noch die Pariser Klima­ziele noch die SDGs, also die nachhaltigen Entwicklungsziele der UNO, erreicht werden können. Wir müssen alle gemeinsam an einem Strang ziehen.

Man darf nicht vergessen: Vorreiter, Vordenker, die treibende Kraft bei diesem Thema seit vielen, vielen Jahrzehnten ist die Zivilgesellschaft, sind die zahlreichen NGOs, die Aktivistinnen und Aktivisten, die engagierten Bürgerinnen und Bürger, die mit ihrem unermüdlichen Engagement dazu beigetragen haben, uns für dieses Thema zu sen­sibilisieren. Ihnen möchte ich für ihren Mut danken, dafür danken, dass sie Durchhalte­vermögen bewiesen haben, dass sie da mit Kraft und Mut vorangegangen sind, damit wir hier endlich vor ihnen stehen und sagen können: Ja, wir setzen genau das heute um! (Beifall bei den Grünen.)

Warum sage ich „heute“? – Ich sage „heute“, weil eben die Europäische Kommission endlich – und ich bin wirklich sehr froh, dass das heute passiert – ihr Paket für eine gerechte und nachhaltige Wirtschaft vorstellen wird und damit auch den Entwurf zum europäischen Lieferkettengesetz. Dabei geht es der Europäischen Kommission im Rahmen des Green Deals erstens um ein umwelt- und klimaschonendes Wirtschaften und zweitens um die Wahrung der Menschen- und der Arbeitnehmerinnen- und Arbeit­nehmerrechte entlang der gesamten Lieferkette.

Dieser Entwurf ist unsere Chance, den Problemen und Missständen entlang der Liefer­ketten endlich wirksam entgegentreten zu können. Deshalb muss dieser Entwurf meines Erachtens folgende Punkte umfassen: Wir müssen ordentliche Sorgfaltspflichten für die gesamte Wertschöpfungskette vereinbaren, eine entsprechende Haftung für Unterneh­merinnen und Unternehmer. Wir brauchen für Opfer von Menschenrechtsverletzungen einen verbesserten Zugang zu Gerichten, und wir brauchen auch besondere Regeln für Risikosektoren wie eben die Bekleidungs- und die Textilbranche, Fischerei, Forst- und auch Landwirtschaft. Da müssen wir Regeln schaffen, die menschenwürdige Arbeit in einer gesunden und sicheren Umwelt sicherstellen – und das Ganze, ohne die Klein- und Mittelbetriebe unnötig und überbordend zu belasten.

Ich habe bereits zahlreiche Gespräche mit Justizkommissar Reynders und meinen Amts­kollegInnen aus den anderen Mitgliedstaaten geführt und kann Ihnen versprechen, dass ich mich mit all meiner Kraft und mit Nachdruck dafür einsetzen werde, dass es eine gesamteuropäische und effektive Lösung gibt. (Beifall bei den Grünen und bei Abge­ordneten der ÖVP.)

Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, wir haben die Verantwortung, wir haben die Verantwortung für Menschen, für unser Klima, für die Natur und wir haben die Ver­antwortung, auf allen Ebenen konsequent gegen Menschenrechtsverletzungen und Um­weltzerstörung einzutreten. Ich hoffe dabei auch auf Ihre Unterstützung. Vielen Dank. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

10.40

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Abgeordneter Schmuckenschlager ist zu Wort ge­meldet. Sie wissen, dass die Redezeit 5 Minuten beträgt. – Bitte sehr, Herr Abgeord­neter.