17.23

Abgeordnete Barbara Neßler (Grüne): Herr Präsident! Geschätzter Herr Minister! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Liebe Zuseher und Zuseherinnen! Neben den Aspekten gesunde Ernährung, Lebensmittel, Bewegung, Adipositas, psychische Erkrankungen haben wir generell über einen Aspekt noch zu wenig gesprochen, und das ist das Thema Essstörungen.

Ich könnte euch jetzt Zahlen nennen, Zahlen zum Anstieg von Essstörungen, Bulimie, Anorexie, etwa auch, dass 75 Prozent aller Betroffenen noch nie einen Arzt, eine Ärztin, einen Therapeut, eine Therapeutin aufgesucht haben, oder etwa, dass sich die Zahlen von Essstörungspatienten und -patientinnen beispielsweise an der Klinik in Innsbruck verdoppelt haben. Ich könnte euch viele Zahlen, Vergleiche, Versorgungsstatus et ce­tera aufzählen. – Das werde ich aber nicht, denn hinter den Zahlen steckt viel mehr: Personen, Schicksale, Geschichten.

Beim Redeschreiben ist mir eine spannende Szene aus dem Film „The Virgin Suicides“ – falls ihn jemand kennt – eingefallen. Da fragt ein Arzt eine junge Frau, die auf der psy­chiatrischen Station ist: „Was machst du hier“, Honey? „Du bist doch noch viel zu jung, um zu wissen, wie hart das Leben ist.“ Ich habe ganz spannend gefunden, was sie ant­wortet. Sinngemäß sagt sie: Sie waren offensichtlich noch nie eine 13-jährige junge Frau, sonst würden Sie das nicht fragen.

Liebe Kollegen und Kolleginnen – das ist jetzt eher eine rhetorische Frage, die jeder für sich beantworten kann –: Wären Sie tatsächlich gerne noch einmal jung? (Rufe: Ja!) Ist es die schönste Zeit im Leben?  Alle, die jetzt jugendlich sind, werden vielleicht ein bisschen zynisch lachen, gerade im Kontext der aktuellen Situation; wir haben die Pan­demie, die Klimakrise und die Ukrainekrise. Ich muss ehrlich sagen, ich selber bin froh, dass ich jetzt nicht viel, aber ein bisschen über 30 Jahre bin, denn es ist nicht immer easy, jung zu sein.

In der Schule müssen die Noten stimmen, es geht ja schließlich um nichts Geringeres als um die Zukunft, später im Studium detto, daneben müssen noch einige Praktika ab­solviert werden, denn es heißt ja schließlich Kontakte knüpfen. Dazu kommt Liebeskum­mer, Unsicherheit mit sich selber, mit dem eigenen Körper und der finanzielle Druck. Wer weiß schon, was er oder sie später einmal werden will – die berühmte Frage: Was will ich werden?, statt: Wer will ich werden? (Abg. Belakowitsch: Ist das eine Selbstthe­rapie, was Sie da treiben?)

Nicht, dass es in der echten Welt nicht schon schwer genug wäre, in der virtuellen Welt ist es auch nicht besser. Spannend, interessant muss das eigene Leben präsentiert wer­den, regelmäßig müssen schöne Fotos gepostet werden, und das ist nur das Startpro­gramm von dem Ganzen. Vor allem junge Frauen erfüllen filterüberzogene Illusionen: Perfekt muss alles für die vermeintliche Gesellschaft sein, so, wie sie es gerne hat. Nor­mal will schließlich niemand sein, denn nur Durchschnitt ist zu wenig.

Leistungsdruck kommt von allen Seiten und auf allen Ebenen. Wir können jungen Men­schen die Last nicht nehmen, auch wenn wir es gerne täten, aber das können wir nicht. Wir können aber dort unterstützen, wo es notwendig ist und wo es möglich ist, vom Paket Hass im Netz über die 13 Millionen Euro für Gesund aus der Krise. Dass das Thema, dass jeder unabhängig vom Geldbörsel  Therapie bekommt, noch nicht zu Ende ist, das wissen wir, der Herr Minister hat es schon angesprochen. Wir können Essstörungen enttabuisieren, unter anderem mit dem Nationalen Aktionsplan gegen Übergewicht, Adi­positas und Essstörungen, den wir heute beschließen, denn hinter jeder Zahl steckt eine Geschichte, und diese Geschichten sehen wir.

Erlauben Sie mir zum Schluss noch eine schnelle Anmerkung zum Kollegen Shetty: Wir als Parlamentarier, Parlamentarierinnen können natürlich Anträge an die Regierung stel­len und sollen das auch. Wir sind das Parlament und nicht die Regierung. (Abg. Shetty: Da gibt es gar keinen Unterschied!)

Noch kurz zur FPÖ: Bezüglich Ängste schüren sollten, glaube ich, genau Sie gar nichts sagen. Danke schön. (Beifall bei Grünen und ÖVP. Abg. Belakowitsch: Sie sehen das Parlament zur Selbsttherapie!)

17.28

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Abgeordnete Totter. – Bitte.