12.32

Abgeordnete Mag. Selma Yildirim (SPÖ): Frau Präsidentin! Werte Mitglieder der Bun­desregierung! Sehr geehrte Damen und Herren! Hohes Haus! Wir sind in Österreich mit einer Inflationsrate von fast 7 Prozent konfrontiert. Das ist der höchste Wert seit 40 Jah­ren. Leidtragende sind nicht nur die ärmeren Menschen, sondern mittlerweile auch die sogenannte Mittelschicht. Es wäre somit ganz dringend notwendig, dass die Regierung gerade diese Menschen mit wirksamen und treffsicheren Maßnahmen unterstützt.

Was macht die schwarz-grüne Bundesregierung? – Sie wirkt ein bisschen ideenlos und hilflos. Ich sage Ihnen auch gerne, wieso ich es ideen- und hilflos finde. Nicht, weil mein Vorredner das als Tropfen auf den heißen Stein oder Peanuts bezeichnet – ich sehe da sehr große Mengen an Geldern, die freigemacht werden, keine Frage, aber wohin fließen die Gelder? – Wohin sie definitiv nicht fließen, ist genau dorthin, wo es die Menschen brauchen würden, wo es die Pensionistinnen und Pensionisten brauchen würden, wo es die Familien, Männer und Frauen, die Kinder großzuziehen, zu erziehen haben, brauchen würden, dort kommen sie nicht an. Dort kommen sie nicht an mit Ihrem ersten Maß­nahmenpaket und dort kommen sie auch jetzt mit dem zweiten Maßnahmenpaket, das Sie heute beschließen wollen, nicht an.

Sie kolportieren jetzt das Pendlerpauschale und den Pendlereuro, aber sagen nicht dazu, dass von diesem Pauschale bestenfalls etwas mehr als 10 Prozent der nicht selbstständig Beschäftigten profitieren und von diesen 10 Prozent auch nicht alle dieses Pauschale im vollen Ausmaß ausschöpfen können. Sie erzählen immer wieder und stellen Rechnungen an, wie viel Sie Familien mit dem Familienbonus plus oder dem Kindermehrbetrag entgegenkommen.

Ein Berufskraftfahrer, der vielleicht drei oder vier Kinder hat und dessen Ehefrau zwei geringfügige Teilzeitjobs hat, und zwar deswegen, weil es keine geeigneten Kinderbe­treuungsplätze gibt, diese Familie bekommt höchstens 2 000 Euro durch diese Maß­nahmen, die Sie hier gerade kolportieren und so hoch loben. Diese Familie wird auch mit diesem zweiten Maßnahmenpaket nichts bekommen. Ich gönne es ja jedem in diesem Land, der ein gutes Einkommen hat, aber die oberen Besserverdiener würden – verglichen mit dem Beispiel des Berufskraftfahrers und seiner beschäftigten Ehefrau mit den vier Kindern – statt 2 000 Euro 8 000 Euro bekommen. Es ist unerhört, dass Sie diese Gelder nach oben verschieben! (Beifall bei der SPÖ.)

Sie verteilen öffentliches Geld von unten nach oben, Sie nehmen es denen weg, die es brauchen würden, und geben es denen, die es nicht vermissen würden.

Wir reden hier von Teuerungen, nicht nur von Spritpreisen. Ihre Wirtschaftsministerin könnte nach dem Preisgesetz – nicht nur könnte, müsste! – eine Preishöchstgrenze für Treibstoff setzen – macht sie nicht! Warum nicht? Warum agieren Sie nicht? (Beifall bei der SPÖ.)

Stattdessen sagt sie: Wir beobachten das! – Wie viel und wie lange wollen Sie denn noch beobachten? Die Menschen können sich ihr Leben wirklich nicht mehr leisten. Die Lebensmittelpreise sind so exorbitant hoch, dass sogar der Europäische Rat die Mehr­wertsteuerrichtlinie gelockert hat und sagt: Setzt die Mehrwertsteuer für Lebensmittel des täglichen Grundbedarfs herab! Ihr Koalitionspartner hat jetzt nach Widerständen begriffen, dass es eine direkte Hilfe wäre, und zwar für die, die es dringend notwendig hätten, die es dringend brauchen würden. Dort wäre die größte Entlastung bei solch einer Mehrwertsteuerherabsetzung – natürlich mit einer effektiven und strengen Preis­kontrolle, dass auch diese Herabsetzung weitergegeben wird. (Beifall bei der SPÖ.)

Daher, sehr geehrte Damen und Herren, möchte ich jetzt zum Schluss meiner Rede kommen und einen Entschließungsantrag einbringen:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Mag. Jörg Leichtfried, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Umsatz­steuer auf Lebensmittel aussetzen“

Der Nationalrat möge beschließen:

„Die Bundesregierung, insbesondere der Bundesminister für Finanzen, wird aufgefor­dert, dem Nationalrat umgehend eine Gesetzesvorlage zuzuleiten, mit der Lebensmittel für alle leistbar bleiben. Die exorbitanten Preissteigerungen im Supermarkt sollen durch eine befristete Aussetzung der Mehrwertsteuer auf Lebensmittel des alltäglichen Bedarfs abgefangen werden. Die preisgesetzlichen Vorschriften sind durch umfassendes Moni­toring und empfindliche Strafen für Unternehmen, bei Nichtweitergabe der Steuersen­kungen an die Konsumenten, durchzusetzen.“

*****

Wir brauchen endlich eine Politik für die Menschen in diesem Land. Die Profiteure der Krise und die Profiteure der Teuerung müssen ihren solidarischen Beitrag für dieses Land leisten! (Beifall bei der SPÖ.)

12.38

Der Antrag hat folgenden Gesamtwortlaut:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Mag. Jörg Leichtfried, Mag.a Selma Yildirim

Genossinnen und Genossen

eingebracht im Zuge der Debatte zu Top 1 Bericht des Finanzausschusses über den Antrag 2421/A der Abgeordneten August Wöginger, Sigrid Maurer, BA, Kolleginnen und Kollegen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Einkommensteuergesetz 1988, das Erdgasabgabegesetz, das Elektrizitätsabgabegesetz und das Mineralölsteuergesetz 2022 geändert werden (1439 d.B.)

betreffend Umsatzsteuer auf Lebensmittel aussetzen

Die Inflation in Österreich ist auf einem mehr als 40-jährigen Rekordhoch. Aktuell hat sich die Inflationsentwicklung noch einmal beschleunigt. Laut der Statistik Austria lag die Preissteigerung im März 2022 bei 6,8%, zuletzt war sie nur im November 1981 so hoch .1

Die dramatische Situation verschärft sich seit Wochen in den Bereichen Energie, Woh­nen und Nahrungsmittel. Die Konsequenz der Preissteigerung sind teilweise dramati­sche Einkommensverluste für die Menschen, denn die Entwicklung der Löhne und Gehälter hält mit diesen Preissteigerungen nicht mehr mit, Anfang April wurde bereits mit dem Sinken der Reallöhne im Jahr 2022 von -2,3% gerechnet, „das sei der stärkste bisher gemessene Rückgang der Pro-Kopf-Löhne, seit es dazu Statistiken gebe“ .2

Für viele junge Familien, die solche Teuerungen noch nie erlebt haben, und für viele Pen­sionist*innen werden die exorbitanten Preissteigerungen zum Beispiel beim Einkau­fen von Lebensmittel, Wohnen, Heizen, Strom oder Autofahren, kurzum in den wesentlichsten Bereichen des täglichen Lebens, existenzbedrohend. Die Zahl derer, die nur mehr in den Sozialmärkten ihre alltäglichen Einkäufe machen können, steigt.

Während die Menschen unter den steigenden Preisen leiden, verdient der Finanz­minister dieses Jahr bis zu 50% mehr aus Mehrwertsteuereinnahmen auf Strom und Gas - statt 800 Mio. Euro sind 1,2 Mrd. Euro prognostiziert. Insgesamt schätzen Expert*innen die Mehreinnahmen der Regierung auf rund 11 Mrd. Euro. Die Regierung „beobachtet nur“ – bestenfalls beobachtet sie „sehr genau“ - und verteilt Einmalgutscheine. Das zuletzt vorgestellte Paket der Bundesregierung gegen die Teuerung ist viel zu wenig und ungerecht, es ist nichts gegen die Preissteigerungen im Lebensmittelbereich vorge­sehen.

Auf der anderen Seite hat die Regierung kein Problem damit die Konzernsteuern für Unternehmen um fast 1 Mrd. € zu senken, auch für jene Konzerne, die gerade Rekord­gewinne durch die Teuerung machen. Gleichzeitig wälzt der Finanzminister Überlegun­gen zur Abschaffung der Wertpapierspekulationssteuer, belohnt also auch jene Men­schen, die auf steigende Energie- und Lebensmittelpreise wetten und damit die Preise weiter nach oben treiben. Allein diese beiden Maßnahmen kosten dem Staatshaushalt jährlich 1,5 Mrd. €. Wer 1,5 Mrd. € jedes Jahr an Konzerne und Spekulant*innen verschenken möchte, wird hoffentlich kein Problem damit haben einmalig 1,5 Mrd. € in die Aussetzung der Mehrwertsteuer für Lebensmittel des alltäglichen Bedarfs zu inves­tieren. Es wäre eine Investition, die sich lohnen würde – ein durchschnittlicher Haushalt könnte dadurch im Jahr bis zu 500 Euro beim Lebensmitteleinkauf sparen.

Österreich ist eines der reichsten Länder der Welt und kann Maßnahmen zur finanziellen Absicherung der Menschen umsetzen. Die ÖVP/Grüne Bundesregierung ist daher dringend gefordert, alle Möglichkeiten, die einer starken Preissteigerung entgegen­wirken, zu ergreifen. Die Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel und Lebensmittel des alltäglichen Bedarfs soll daher umgehend befristet ausgesetzt werden, damit Lebens­mittel für alle leistbar bleiben und es keinen Sturm auf die Sozialmärkte gibt. Mit einer aktuellen Änderung 2022/542 der Mehrwertsteuersystem-Richtlinie ist das EU-rechtlich möglich. Es gilt keine Zeit zu verlieren.

Aus diesem Grund stellen die unterfertigten Abgeordneten nachstehenden

Entschließungsantrag

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung, insbesondere der Bundesminister für Finanzen, wird aufgefor­dert, dem Nationalrat umgehend eine Gesetzesvorlage zuzuleiten, mit der Lebensmittel für alle leistbar bleiben. Die exorbitanten Preissteigerungen im Supermarkt sollen durch eine befristete Aussetzung der Mehrwertsteuer auf Lebensmittel des alltäglichen Bedarfs abgefangen werden. Die preisgesetzlichen Vorschriften sind durch umfassendes Moni­toring und empfindliche Strafen für Unternehmen, bei Nichtweitergabe der Steuer­senkun­gen an die Konsumenten, durchzusetzen.“

1https://www.statistik.at/web_de/presse/127934.html

2Felbermayer (Wifo) in https://kurierat/politik/inland/wifo-chef-bei-gas-oel-importstopp-waere-ganz-oesterreich-in-rezession/401951323

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Präsidentin Doris Bures: Der Entschließungsantrag ist ordnungsgemäß eingebracht und steht daher auch mit in Verhandlung.

Nächster Redner: Herr Abgeordneter Jakob Schwarz. – Bitte.