10.55

Abgeordneter Mag. Jörg Leichtfried (SPÖ): Herr Präsident! Damen und Herren von der Bundesregierung! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Wenn man sich diese netten Geschichten, die uns jetzt erzählt wurden, nicht anhört, sondern einmal schaut, was tatsächlich passiert, was getan wird, dann möchte ich Ihnen, Herr Bundeskanzler, Herr Vizekanzler, drei Fragen stellen (Zwischenruf des Abg. Zarits): Ist Ihnen eigentlich schon aufgefallen, dass eine wirtschaftliche und soziale Katastrophe über dieses Land hereingebrochen ist? Ist Ihnen aufgefallen, dass die größte Teuerungswelle seit 40 Jahren Österreich derzeit erfasst hat? Ist Ihnen aufgefal­len, dass die Pandemie nicht vorbei ist?

Die Antwort darauf ist relativ klar: Wenn man Sie an Ihren Taten misst, muss man fest­stellen, dass Ihnen das alles nicht aufgefallen ist, weil Sie damit beschäftigt sind, alle zwei Monate Minister zu tauschen, weil Sie damit beschäftigt sind, alle zwei Monate neue Minister zu suchen, und weil Sie damit beschäftigt sind, Ihren Laden auch nur irgendwie zusammenzuhalten. Deshalb kümmern Sie sich nicht um die Menschen in Österreich, geschätzter Herr Bundeskanzler! (Beifall bei der SPÖ.)

Es ist ja unglaublich: Seit dem Amtsantritt dieser Bundesregierung gab es drei Bundes­kanzler, drei Gesundheitsminister (Zwischenruf des Abg. Zarits), und es waren insge­samt 14 Ministerinnen- oder Ministerwechsel; das ist im Schnitt alle zwei Monate. Stellen Sie sich ein Unternehmen vor, in dem alle zwei Monate der Vorstand gewechselt wird: Dieses Unternehmen wäre schon lange in Konkurs – und was Sie hier betreiben, ist vor­sätzlicher, absichtlicher politischer Konkurs, Herr Bundeskanzler. Das ist Ihre Verant­wortung. (Beifall bei der SPÖ.)

Dabei geht es jetzt darum, wirklich wichtige Dinge zu tun: nicht ständig nachzubesetzen, nicht ständig Neue zu suchen, sondern die Bekämpfung der Teuerung, die Energie­sicherheit, die Gesundheit, die Pflege und andere Dinge endlich anzugreifen, anzu­gehen. Die Inflation liegt derzeit bei über 7 Prozent. Herr Vizekanzler, für Sie ist das scheinbar kein großes Problem. Sie sagen, das ist so und da kann man derzeit nicht viel machen. (Vizekanzler Kogler: Das ist falsch!) Was bedeutet das aber in der Praxis? 1 Kilogramm Mehl ist zwischen Juni 2021 und März 2022 um 65 Prozent teurer geworden. – Ja, man kann sagen, man kann nichts dagegen machen. 1 Kilo Reis ist um 40 Prozent teurer geworden. – Ja, da kann man auch sagen, man kann nichts machen. Ein Drittel der Bevölkerung muss sich jetzt schon beim Einkaufen einschränken und am Ende des Monats überlegen: Kaufe ich etwas zum Essen oder gehe ich tanken? – Ja, da kann man auch sagen, da kann man nichts machen.

Ich habe das Gefühl, es ist Ihnen einfach egal. Ich habe das Gefühl, es ist Ihnen wirklich egal. Sie führen das Land nicht durch die Krise, sie holen die Krise in dieses Land, geschätzte Damen und Herren, und das ist politische Verantwortungslosigkeit. (Beifall bei der SPÖ.)

Dabei wäre es eigentlich relativ einfach, zu helfen, und zwar rasch zu helfen und so zu helfen, dass man es auch merkt, also nicht Gutscheine zu versenden, von denen die Hälfte nicht ankommt, ein Drittel falsch ankommt und sich beim restlichen Teil die Menschen nicht auskennen, ob sie die Gutscheine eintauschen dürfen oder nicht. Man kann ganz einfach rasch und befristet die Mehrwertsteuer auf verschiedene Produkte senken (Abg. Schallmeiner: Was ja nichts bringt!): Auf Benzin kann man sie senken, auf Lebensmittel kann man sie senken, auf Gas kann man sie senken, auf Energie kann man sie senken. Und man kann auch kontrollieren, ob diese Preissenkung weiter­gege­ben wird. Kommen Sie mir bitte nicht mit sozial treffsicher! Als Sie die Körperschaftsteuer für die Millionärinnen und Millionäre gesenkt haben, war keine Rede von sozial treff­sicher. Da haben Sie genau dorthin getroffen, wo Sie hintreffen wollten. (Beifall bei der SPÖ.)

Herr Bundeskanzler, was mich wirklich geschreckt hat (Ruf bei der ÖVP: Deine Rede? Die Sozialdemokratie? – weiterer Ruf bei der ÖVP: Nein, die schreckt uns!) – „Rede“ ist ein guter Punkt –, war Ihre Parteitagsrede. (Abg. Lopatka: Das Ergebnis hat Sie ge­schreckt! – Abg. Wöginger: 100 Prozent hat er gekriegt, nicht 75!) Die war ja in mehreren Punkten relativ originell, aber eines, was Sie gesagt haben, war wirklich er­schreckend: Sie haben gesagt, man muss dafür sorgen, dass die Armen nicht ärmer werden.

Wie zynisch kann man sein, Herr Bundeskanzler? – Sie sind also damit zufrieden, dass die Menschen, die jetzt schon arm sind, nicht ärmer werden. Das Gegenteil sollte der Fall sein: Man muss dafür sorgen, dass es ihnen in Zukunft besser geht, und nicht dafür, dass es für sie so bleibt, wie es ist, Herr Bundeskanzler. Das ist Sozialpolitik der Sozialdemokratie im Unterschied zu dem, was die ÖVP betreibt. (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Wöginger: Wo ist überhaupt die Rendi-Wagner? – Ruf bei der ÖVP: Im Burgen­land! – Zwischenruf des Abg. Hörl.)

Noch ein Punkt zur Pandemie: Wir sind jetzt im dritten Jahr dieser Pandemie, und es gibt schon wieder keinen Plan für den Sommer, es gibt keinen Plan für den Herbst. Sie, Herr Bundeskanzler, erklären am ÖVP-Parteitag, dass Ihnen das Virus wurscht ist. Wenn Ihnen dieses Virus wurscht ist, Herr Bundeskanzler: Was heißt das dann für die Leute, die sich täglich an die Regeln halten? (Ruf bei der ÖVP: Wie war das in Wien?) – Sie sollten in Zukunft überdenken, ob Sie solche Dinge von sich geben! (Präsidentin Bures übernimmt den Vorsitz.)

Was ist mit der Umstellung auf erneuerbare Energien? (Abg. Wöginger: Haben wir schon getan!) Jeder redet darüber, manche sagen, es wäre super, wenn die Grünen in der Regierung wären, da ginge es schneller. – Hoppla, sie sind ja in der Regierung! Trotzdem ist seit genau 500 Tagen nichts passiert. Die österreichische Bundesregierung hat es nicht geschafft, ein gesetzliches Klimaschutzziel zu verankern. Wo ist es?

Was ist mit dem Energieeffizienzgesetz? Was ist mit dem Erneuerbare-Wärme-Gesetz? (Abg. Wöginger: Ist ja schon fertig!) Was ist mit einem konkreten Plan für Gassicherheit und Energiewende? – Überschriften! Überschriften und Show sind zu wenig, wenn die Taten fehlen, geschätzte Damen und Herren! (Beifall bei der SPÖ.)

Wenn wir schon beim Thema Show sind, noch ein Wort zu Ihrer Pflegereform: Wir haben 7 Prozent Inflation. Warum wird das Pflegegeld nur um 1,8 Prozent erhöht? Wer zahlt den Rest, frage ich Sie? Wer soll die Pflegekosten übernehmen? Was ist mit dem Pflege­stipendium, warum erst ab 2023? Warum geht das nicht schon 2022? Warum haben Sie für das alles, was Sie heute erzählt haben, nichts im Budget vorgesehen? (Abg. Wöginger: Das beschließen wir erst, das 23er! Hallo?!) – Das, was Sie betreiben, ist wieder einmal reine Showpolitik! Sie haben aus der Ära Kurz überhaupt nichts gelernt! (Beifall bei der SPÖ. – Zwischenruf des Abg. Zarits. – Abg. Wöginger: Furchtbar ist das!)

Und eines, Kollege Wöginger: Als Bundesregierung die Sozialpartner zu beauftragen, wie Sie das in Ihrer Rede zum Thema Pflege gesagt haben, diese Zeiten sind zum Glück in Österreich vorbei. (Beifall bei der SPÖ. – Heiterkeit bei der ÖVP. – Abg. Wöginger: Ihr habt nichts anderes getan! – Abg. Haubner: Da werden die Eigenen nicht sehr be­geistert sein! – Abg. Zarits: Gratuliere!)

Diese Regierung ist nicht mehr handlungsfähig. Diese Regierung scheitert kläglich, wenn es um die Teuerung, um die Energieversorgung oder die soziale Sicherheit geht. Diese Regierung verschiebt wichtige Reformen, ist mit sich selbst beschäftigt und bringt nichts mehr zustande. (Abg. Wöginger: Haben wir die falsche Rede eingepackt? – Zwischenruf des Abg. Hofinger.) Deshalb bringen wir heute einen Neuwahlantrag ein. Sie können jetzt entscheiden, ob Sie weiter aufeinander kleben bleiben, ob Sie weiter an der Macht kleben bleiben oder ob Sie Ihre Verantwortung für die Republik wahrnehmen. Das ist Ihre Entscheidung. – Danke schön. (Beifall bei der SPÖ. – Ruf bei der ÖVP: Schlechte Rede! – Abg. Zarits: Gegen die Gewerkschaft!)

11.03

Präsidentin Doris Bures: Nächster Redner ist Herr Klubobmann Herbert Kickl. – Bitte.