11.54

Abgeordneter Dr. Nikolaus Scherak, MA (NEOS): Frau Präsidentin! Frau Bundesmi­nisterin Gewessler! Frau Bundesministerin Edtstadler! Sowohl die EU-Zukunftskonfe­renz als auch die Debatte, die wir hier jetzt führen, zeigen, dass es sehr viele unter­schiedliche Zugänge zu Europa gibt. Viele unterschiedliche Vorschläge wurden während der Zukunftskonferenz gemacht – und auch jetzt hier –, die ich persönlich wahrscheinlich nicht alle teile.

Es zeigt auch – und ich halte es auch für essenziell, dass man das anspricht –, dass die große Vision, die die Zukunftskonferenz eigentlich bringen sollte, wahrscheinlich nicht so funktioniert hat. Das hat viel mit Corona zu tun, glaube ich, es hat wahrscheinlich auch viel damit zu tun, wie der Prozess aufgesetzt war. Nichtsdestotrotz ist es sinnvoll, dass man über die Ergebnisse ernsthaft diskutiert.

Frau Kollegin Steger, bei all der Unterschiedlichkeit, die ja in der Herangehensweise auch zwischen den anderen Fraktionen besteht, muss man sich doch Ihre populistische Argumentation einmal vor Augen führen und sie auch gewissermaßen entlarven. Was Sie hier gesagt haben, widerspricht sich in Wirklichkeit nämlich die ganze Zeit selbst. Sie stellen sich ans Rednerpult und sagen, die Zukunftskonferenz sei quasi ein Fail, weil nur 53 000 Leute mitgemacht hätten, und das, was herausgekommen ist, entspreche nicht dem, was Sie sich wünschen. (Zwischenruf der Abg. Steger.)

Frau Kollegin Steger, es wäre Ihnen doch ein Leichtes gewesen, dass Sie, wenn nur 53 000 Leute mitmachen, ein paar Tausend Ihrer Anhänger dazu motivieren, dort mitzu­machen – dann wäre das herausgekommen, was Sie gewollt hätten, und nicht das, was die wollen, die mitgemacht haben! (Beifall bei den NEOS sowie bei Abgeordneten von ÖVP und Grünen.)

Das Argument, das Sie gebracht haben, Frau Kollegin Steger, ist in etwa so wie in folgen­dem theoretischen Beispiel: Wir stimmen hier dann über einen Antrag ab, die FPÖ verlässt geschlossen den Raum – und beschwert sich danach darüber, dass er einstim­mig angenommen wurde! (Zwischenruf des Abg. Kassegger.)

Demokratie lebt auch davon, dass man teilnimmt, dass man Partizipation lebt, dass man, wie Kollege Reimon gesagt hat, mit Bürgerinnen und Bürgern diskutiert. Wenn Sie nicht in der Lage sind, Ihre Ideen zu vermitteln und die Bürgerinnen und Bürger, die Ihre Ideen unterstützen, zum Mitmachen zu motivieren, dann müssen Sie sich selbst an der Nase nehmen und das nicht denen vorwerfen, die mitgemacht haben! (Beifall bei NEOS, ÖVP und Grünen. – Abg. Steger: ... wurden ja nicht einmal zugelassen!)

Genauso widersprechen Sie sich selbst, Frau Kollegin Steger, wenn Sie – wie das bei der FPÖ immer der Fall ist – sich hier ans Rednerpult stellen und sagen, Sie repräsen­tierten das Volk und die Meinung des Volkes, und dann bedanken Sie sich gleichzeitig dafür, dass die Regierungen von 13 Mitgliedstaaten gesagt haben, dass sie diesen Pro­zess nicht weitertragen wollen und diese Forderungen ablehnen! (Abg. Steger: Fragen Sie einmal die Bevölkerung!)

Wenn Sie es ernst meinen: Holen Sie die Menschen ins Boot, diskutieren Sie mit ihnen! Versuchen Sie, dass mehr Menschen teilnehmen, und wenn die sich dann mehrheitlich für Ihre Vision von Europa aussprechen, dann ist das ja auch legitim – aber Sie schaffen es ja noch nicht einmal, dass Ihre Anhänger irgendwo mitdiskutieren, weil Sie kein In­teresse an einer konstruktiven Diskussion haben! (Zwischenrufe der Abgeordneten Kas­segger und Steger.) Das ist der Fehler an Ihrer Argumentation. (Beifall bei den NEOS sowie bei Abgeordneten von ÖVP und Grünen.)

Ich möchte mich demgegenüber gerne bei den Menschen bedanken, die an der Zu­kunftskonferenz teilgenommen haben. (Abg. Steger: ... Volksabstimmung!) Ich hätte mir gewünscht, dass es mehr sind, ich hätte mir das selbstverständlich gewünscht – es gibt aber vielerlei Gründe, wieso das so war. Ich glaube, trotzdem ist das, was herausge­kommen ist, etwas, das positiv ist.

Das heißt nicht, dass ich alle Vorschläge teile, aber wobei sich die Bürgerinnen und Bürger und die teilnehmenden Parlamentarierinnen und Parlamentarier im Wesentlichen einig waren, ist, dass wir vor unfassbaren Herausforderungen stehen und wir diese nicht nationalstaatlich lösen werden können.

Deswegen ist ein wesentlicher Punkt, den wir mitnehmen - - (Abg. Steger: Aber man kann auch nicht alles auf EU-Ebene lösen!) – Ich weiß, Frau Kollegin Steger, Sie stellen sich das immer so einfach vor. Sie waren die Partei, die in der Flüchtlingskrise gesagt hat, wir bauen am besten einen Zaun um Österreich herum, dann gibt es keine Flücht­linge mehr. (Zwischenruf der Abgeordneten Deimek und Steger.) Das ist in Ihrer Schre­bergartenmentalität vielleicht etwas, das möglich ist – es ist nur vollkommen illusorisch, weil sich Flüchtlinge beispielsweise nicht von einem Zaun abhalten lassen, sondern an­dere Wege finden! (Zwischenruf des Abg. Deimek.)

Sie können das immer weiter spielen, Sie glauben ja auch, dass im Rahmen eines Kon­flikts wie jetzt in der Ukraine Österreich ganz allein irgendeine Chance hat, irgendetwas beizutragen – das ist ja absurd, was Sie sich da vorstellen! Man muss in Europa gemein­sam versuchen, die großen Herausforderungen zu meistern, allein werden wir es jeden­falls nicht schaffen. (Beifall bei den NEOS. – Abg. Deimek: ... Haselsteiner ... ukraini­schen Oligarchen!)

Einer der wesentlichen Punkte, die wir daher mitnehmen können, ist, dass es ein Ende des Einstimmigkeitsprinzips braucht. Wir sehen jetzt bei den großen Herausforderun­gen – bei der Diskussion um die Sanktionen, aber auch bei Fragen der Klimakrise, bei Fragen der Energieunabhängigkeit (Abg. Deimek: Themen, wo Sie sich überhaupt nicht auskennen!) –, dass wir, wenn wir weiterhin mit dieser Einstimmigkeit arbeiten, wie es momentan in der Europäischen Union der Fall ist, leider nicht weiterkommen werden.

Das, was ich daher mitnehme, neben vielen Inputs, die gekommen sind: Wir müssen Europa weiterentwickeln. Wir müssen Europa weiterentwickeln, um handlungsfähiger zu sein, um verteidigungsfähiger zu sein, damit wir nicht am Schluss – und das ist sicher auch nicht in Ihrem Interesse – von den aufstrebenden Ländern der Welt überholt wer­den und wir als Europa gar nichts mehr mitzureden haben. (Zwischenruf der Abg. Steger.)

Wir müssen mit dem Einstimmigkeitsprinzip aufhören, damit Europa weiterhin ganz vorne und nicht irgendwo das Schlusslicht ist. (Beifall bei NEOS und Grünen sowie der Abg. Jeitler-Cincelli.)

11.59

Präsidentin Doris Bures: Nun hat sich Frau Bundesministerin Karoline Edtstadler zu Wort gemeldet. – Bitte, Frau Ministerin.