12.48

Abgeordnete Heike Grebien (Grüne): Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Volksan­walt! Sehr geehrte KollegInnen und wertgeschätzte ZuseherInnen hier auf der Galerie, aber auch zu Hause! Die Berichte der Volksanwälte sind wie immer sehr umfangreich und zeigen auf, dass es im Bereich der Menschen mit Behinderungen nach wie vor einiges zu tun gibt.

Sie haben jetzt schon gehört: Was macht die Institution Volksanwaltschaft? – Sie besucht einerseits Einrichtungen, in denen Menschen mit Behinderungen arbeiten, wohnen, leben, und prüft andererseits Beschwerden von BürgerInnen mit Behinde­run­gen, zum Beispiel wenn Behördenvorgänge ungerecht sind beziehungsweise Behörden­vorgänge Menschen mit Behinderungen besonders betreffen.

In beiden Fällen sehen wir immer wieder, dass Menschen mit Behinderungen erweiterte Unterstützungsmaßnahmen oder andere Angebote bräuchten. Oft weiß man aber nicht genau: Sind das Einzelfälle? Sind das ein paar wenige? Oder haben wir es wirklich mit strukturellen Problemen zu tun?

Fakt ist, genau das wissen wir oftmals nicht, da uns die Daten nicht umfassend, nämlich im Sinne eines Gesamtüberblicks, einer Gesamtschau über Österreich, vorliegen, weil zum Teil die Daten zur Lebenssituation, zur Wohnsituation oder auch zur Arbeitsmarkt­situation von Menschen mit Behinderungen in unterschiedlichsten Quellen liegen.

Auch im Bereich des Katastrophenschutzes fehlt eine zentrale Übersicht, ebenso zu geschlechtsspezifischen Aspekten.

Hier ein paar Beispiele, um ein bisschen verständlicher zu machen, was ich meine: Wir können also zum Beispiel derzeit nicht sagen, wie viele Menschen mit Behinderungen gerne am Ersten Arbeitsmarkt arbeiten würden, weil wir nicht genau wissen, wie viele Menschen mit Behinderungen in den Werkstätten sind, die zum Beispiel gar keine Arbeit suchen würden oder die sich eine Arbeit zutrauen.

Die Caritas hat dazu eine Umfrage gemacht: Über 60 Prozent ihrer zu betreuenden KundIn­nen in den Werkstätten würden sich eine Arbeit am Ersten Arbeitsmarkt zutrauen, aller­dings – und das macht mich als Mitmensch, als Politikerin schon betroffen – haben diese Menschen Angst, dass sie den Ansprüchen der ArbeitgeberInnen, also den An­sprüchen der Wirtschaft, nicht gewachsen sind. Das möchte ich hier ganz klar sagen, weil mich das eben betroffen macht: Natürlich sind Menschen mit Behinderung dem Arbeitsmarkt gewach­sen! Das ist ein Stereotyp, das ist ein Mythos, der sich da negativ auf die betroffene Person, auf ihr Selbstwertgefühl, aber natürlich auch auf unsere Wirtschaft auswirkt.

Aber zurück zu den Daten, die eigentlich der Inhalt meiner Rede sein sollten. Es fehlt also der Überblick darüber, wie viele Menschen mit Behinderung insgesamt Werkstätten besuchen, über die Wohnsituation, aber auch darüber, welche Arbeitsmarktchancen und Potenziale es da noch gibt. Natürlich ist es aber zentral, einen Überblick zu haben, um zum Beispiel die Unterstützungsleistungen wirklich effizient und passgenau ausbauen zu können, um es zum Beispiel auch ermöglichen zu können, in den eigenen Wohnungen zu leben oder in Wohngemeinschaften zu sein, in die eigene Wohnung zu ziehen, entsprechende Unterstützungsmaßnahmen dafür zu setzen, wie auf dem Weg in den Ersten Arbeitsmarkt, oder auch auf Krisen- und Katastrophensituationen wirklich vorbereitet zu sein. Ich möchte da nur das Beispiel aus Deutschland erwähnen – falls Sie das kennen –, wo aufgrund der Überschwemmung einige Menschen mit Behin­derungen leider verstorben sind, weil der Katastrophenschutz nicht zeitgerecht bei den Menschen war, weil er die Daten nicht hatte. Ich glaube, niemand von uns möchte so etwas in Österreich erleben.

Ohne diese Daten und Informationen wird es auch bei Finanzverhandlungen immer schwierig bleiben, ein Budget zum Beispiel für die Deinstitutionalisierung zur Verfügung zu stellen. Das, glaube ich, sagen mir alle Finanzler: Daumen-mal-Pi-Schätzungen ha­ben sie nicht so gerne.

Auch die Volksanwaltschaft hat in ihrem Bericht kritisiert, dass die Statistik Austria zwar über die Befugnis verfügt, die Daten von Lebensfeldern von Menschen mit Behinderung zusammenzutragen, aber der politische Auftrag fehlt. Deshalb freue ich mich, dass ich heute den schon von Kollegin Martina Diesner-Wais angekündigten Entschließungs­antrag einbringen darf:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Martina Diesner-Wais, Heike Grebien, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Datenerhebung im Bereich Menschen mit Behinderungen“

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz wird ersucht, die Erhebung und das Zusammentragen bereits vorhandener Daten in Auftrag zu geben, um die statistischen Datengrundlagen zu Planungszwecken im Bereich Men­schen mit Behinderungen zu verbessern. Dies betrifft insbesondere die Bereiche Arbeitsmarkt, Deinstitutionalisierung – Aufbau gemeindenaher Unterstützungsleis­tun­gen und Katastrophenschutz. Geschlechts- und genderspezifische Auswertungen sollen berücksichtigt werden.“

*****

Zum Schluss möchte ich mich bei der Volksanwaltschaft aufrichtig bedanken für ihre Berichte, für ihre Hinweise, ihre Besuche in den Einrichtungen, das Ernstnehmen von Belangen der BürgerInnen mit Behinderungen und besonders – als kleiner Hinweis, Sie (in Richtung Volksanwalt Achitz) haben ja heuer einen Schwerpunkt gesetzt – zur sexu­ellen Selbstbestimmung in Institutionen, wozu wir im Hohen Haus hoffentlich auch noch sprechen dürfen, sobald weitere Ergebnisse vorliegen. – Ich danke für Ihre Aufmerk­samkeit. (Beifall bei Grünen und ÖVP.)

12.53

Der Antrag hat folgenden Gesamtwortlaut:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Martina Diesner-Wais, Heike Grebien, Kira Grünberg, David Stögmüller

Kolleginnen und Kollegen

betreffend „Datenerhebung im Bereich Menschen mit Behinderungen“

Eingebracht im Zuge der Debatte über den Tagesordnungspunkt 3. 45. Bericht der Volksanwaltschaft (01. Jänner bis 31. Dezember 2021) (III-531/1516 d.B.)

Begründung

Mit dem OPCAT-Durchführungsgesetz wurde die Volksanwaltschaft zum Schutz und der Förderung der Menschrechte mit den Aufgaben als Nationaler Präventionsmechanismus entsprechend betraut. Zusätzlich wurde das Mandat der Volksanwaltschaft in Ent­sprechung der UN-Behindertenrechtskonvention um die Prüfung der Einrichtungen und Programme für Menschen mit Behinderungen und der Beobachtung und begleitenden Überprüfung verwaltungsbehördlicher Zwangsakte erweitert.

Die Volksanwaltschaft weist in ihrem aktuellen Bericht „Präventive Menschenrechts­kon­trolle“1 auf das Problem hin, dass aussagekräftige Daten und Statistiken zu vielen Lebensbereichen von Menschen mit Behinderungen in Österreich fehlen. So stellt das Volksanwaltschaftskollegium fest, dass die Statistik Austria zwar über die Befugnis verfüge, Daten zu Lebensfeldern von Menschen mit Behinderungen zusammen­zutra­gen, ein diesbezüglicher Auftrag jedoch fehle.

Die Volksanwaltschaft ist einerseits beauftragt, in Umsetzung von Art. 16 der UN-Behin­dertenrechtskonvention durch die Prüfung von Einrichtungen und Programmen präventiv gegen Ausbeutung, Gewalt und Missbrauch von Menschen mit Behinderungen vorzu­gehen. Andererseits stellen Beschwerden von Menschen mit Behinderungen einen we­sentlichen Teil ihrer Kontrolltätigkeit der Verwaltung dar. In beiden Arbeitsfeldern zeigt sich, dass fehlende Daten ein wesentliches Hindernis sind, um die Lebenssituation von Menschen mit Behinderungen zu verbessern – eine Beobachtung, die auch der öster­reichische Monitoringausschuss immer wieder geteilt hat.2 Aus diesem Grund sollte die wichtige Anregung der Volksanwaltschaft aufgegriffen und eine Verbesserung der Datenlage angestrebt werden.

Um wirksame Unterstützungsleistungen für Menschen mit Behinderungen in den ver­schiedenen Lebensbereichen anbieten zu können, sind im ersten Schritt eine gute Bedarfserhebung und Angebotsplanung erforderlich. Dafür braucht es umfassende statistische Daten über die Lebenssituation von Menschen mit Behinderungen in Österreich. Darauf verweist auch Art. 31 der UN-Behindertenrechtskonvention3, weshalb die Vertragsstaaten aufgefordert werden, geeignete statistische Daten zu erheben, um Konzepte zur Umsetzung der Behindertenrechtskonvention zu erarbeiten.

In Österreich fehlen diese statistische Daten häufig in der erforderlichen Quantität und Qualität. Auf diesen Umstand wird (mit Fokus auf Frauen und Mädchen mit Behin­derungen) bereits in den „Abschließenden Bemerkungen“ (Concluding Observations)4 des UN Ausschusses über die Rechte von Menschen mit Behinderungen nach der letzten Staatenprüfung Österreichs zur Umsetzung der UN-Behindertenrechts­konven­tion hingewiesen.

Um diesem Defizit Rechnung zu tragen, sollte die Empfehlung der Volksanwaltschaft umgesetzt werden.

Aus diesem Grund stellen die unterfertigten Abgeordneten nachstehenden

Entschließungsantrag

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz wird ersucht, die Erhebung und das Zusammentragen bereits vorhandener Daten in Auftrag zu geben, um die statistischen Datengrundlagen zu Planungszwecken im Bereich Men­schen mit Behinderungen zu verbessern. Dies betrifft insbesondere die Bereiche Arbeitsmarkt, Deinstitutionalisierung – Aufbau gemeindenaher Unterstützungsleis­tun­gen und Katastrophenschutz. Geschlechts- und genderspezifische Auswertungen sollen berücksichtigt werden.“

1 https://volksanwaltschaft.gv.at/downloads/32cb0/pb-45-praeventiv_2021_bf-1.pdf.

2 Monitoringausschuss (2016): Stellungnahme De-Institutionalisierung, Wien S. 9f (https://www.monitoringausschuss.at/download/stellungnahmen/de-institutionalisierung/MA_SN_DeInstitutionalisierung_final.pdf).

3 BMSGPK (2016): UN-Behindertenrechtskonvention. Deutsche Übersetzung der Kon­vention und des Fakultativprotokolls, Wien.

4 BMASGK (2013): Abschließende Bemerkungen zum ersten Bericht Österreichs des Ausschusses der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderun­gen.

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Präsidentin Doris Bures: Der Entschließungsantrag ist ordnungsgemäß eingebracht und steht mit in Verhandlung.

Nächster Redner: Herr Abgeordneter Johannes Margreiter. – Ich erteile Ihnen das Wort.