16.51

Abgeordneter Dr. Helmut Brandstätter (NEOS): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Bundeskanzler! Mitglieder der Bundesregierung! Zunächst: Herr Bundes­kanzler, ja, Sie haben recht. Bei so komplexen Themen gibt es keine einfachen Antwor­ten, deswegen müssen wir gemeinsam die richtigen finden. Aber eines möchte ich Ihnen schon sagen: Was ich nicht verstehe, ist, in einer solchen Situation mit einer derartigen Aggressivität auf die Opposition loszugehen, in dem Fall auf die SPÖ. (Ruf bei der ÖVP: Einen Teil davon!) Das habe ich jetzt wirklich nicht verstanden. (Beifall bei NEOS und SPÖ.)

Und ich muss Ihnen sagen: Ich habe Verständnis für die Sensibilität groß gewachsener Männer, manchmal sind wir vielleicht auch ein bisschen dünnhäutig, aber in einer Situa­tion, in der die Lage in Österreich und in Europa noch schwieriger werden wird – und darüber waren wir uns gestern einig –, wird es sozialen Zusammenhalt brauchen, wird es gesellschaftlichen Zusammenhalt brauchen und wird es einen Bundeskanzler brau­chen, der das anführt und nicht auf die Opposition losgeht. (Beifall bei NEOS und SPÖ.)

Ob der eine Vorschlag richtig oder falsch ist, darüber diskutieren wir, aber machen wir es bitte ohne Aggression, machen wir es so, dass die Menschen merken, wir haben ein gemeinsames Anliegen. Denn die Strategie, wenn schon die eigene Partei schlecht da­steht, auf die anderen loszugehen, ist schon oft nach hinten losgegangen. Das funktio­niert nicht.

Zu einem zweiten Punkt möchte ich auch etwas anmerken, da geht es um die Gasliefe­rungen. Ich habe im EU-Ausschuss im Dezember, also lange vor dem Krieg, gesagt: Man muss Putin klar sagen, dass es, sollte er aggressiv werden, dann natürlich kein Nord Stream 2 geben darf. Sie haben das damals abgelehnt und viele andere auch. Auch Bundeskanzler Scholz hat das abgelehnt. Jetzt muss ich Ihnen sagen: Das ist ein schweres Versagen nicht nur der österreichischen Bundesregierung, sondern vieler an­derer europäischer Regierungen und auch Dienste. Was man sich jetzt ansehen kann und was ich schon vor einiger Zeit gesehen habe: Im Oktober 2021 hat eine dieser famo­sen russischen TV-Moderatorinnen bereits gesagt: In dem Moment, in dem wir Nord Stream 2 eröffnet haben, werden wir die Ukraine vernichten! Das ist damals gesagt wor­den. Den Plan, die Ukraine zu vernichten, den gibt es schon lange.

In diesem Zusammenhang ein dritter Punkt: Wir werden – und auch darüber sind wir uns hoffentlich einig – diesen Krieg, der ein Wirtschaftskrieg gegen ganz Europa ist und noch – noch! – ein Schießkrieg nur gegen die Ukraine, der sich aber ausweiten kann, weil Putin keine Grenzen kennt, wie wir das gerade in Kasachstan sehen, und diese Herausforderung nur überstehen können, wenn wir als EU uns in Solidarität üben.

Noch etwas: Wir müssen natürlich der Ukraine Solidarität zeigen. Als Obmann der Freundschaftsgruppe war ich in der letzten Woche in der Ukraine. Herzlichen Dank an den Präsidenten, der das möglich gemacht hat. Leider haben alle anderen Parteien ab­gesagt. Ich bin froh, dass wenigstens Beate Meinl-Reisinger mit war.

Ich möchte Ihnen nur ein paar Schlaglichter berichten. Hören Sie zu! Erstens: Das ukrai­nische Parlament arbeitet mindestens so ernsthaft wie wir hier. Da geht es um Gesetze zur Bekämpfung von Korruption, da geht es um Maßnahmen, damit man in die Europäi­sche Union aufgenommen werden kann. Jede und jeder Einzelne hat gesagt: Wir wis­sen, dass das keine Frage von wenigen Jahren ist! Wir wissen, es ist ein mühsamer Weg, aber wir bemühen uns! Wir werden uns bemühen und wir wollen den Kontakt mit euch und sind dankbar für jeden, der da ist!

Punkt zwei: Wir haben einige Gespräche mit Vertretern der Regierung gehabt, unter anderem mit dem Regionalminister, der auch für Wiederaufbau zuständig ist, Tscherny­schow. Er hat gesagt, es gibt schon unterschiedliche Hilfe, die bereits geleistet wird, auch von der österreichischen Bundesregierung. (Zwischenruf des Abg. Matznetter.) – Matznetter, hör zu, es ist auch für dich wichtig! Ich möchte den Dank aus der Ukraine hierher mitbringen, gerade auch an die Bundesregierung, für alles, was geleistet wird. Aber: Das muss noch besser koordiniert werden. Man wünscht sich hier eine Stelle, wo das koordiniert wird, und in der Ukraine wird es die auch geben. Das hat mit der Minister zugesagt.

Das Nächste ist: Ich habe einen Arzt von der Wiener Ärztekammer mitgehabt – vielen Dank, Herr Dr. Pelanek –, der sich genau angesehen hat, was die Spitäler dort brau­chen, und sie brauchen alles. Wir müssen da noch sehr, sehr viel Hilfe leisten, und ich halte das für ganz wesentlich.

Wir haben natürlich auch die Zerstörung gesehen, und ich möchte Ihnen das zeigen. Da (eine Broschüre in die Höhe haltend) steht: „Destroyed but unconquered“. Da geht es nur um die Stadt Irpin, eine kleine Stadt im Norden von Kiew. Dort ist alles zerstört. Das ist ein dickes Hefterl, in dem es schon Vorschläge gibt: Das ist zerstört, und so wollen wir es wieder aufbauen! – Diesen Spirit gibt es in diesem Land, und diesen Spirit möchte ich hierherbringen, damit wir das verstehen und entsprechend helfen.

Das ist das andere, und das möchte ich auch noch ganz ernsthaft sagen, und deswegen müssen wir auch zusammenhalten: Dieser Krieg ist noch lange nicht zu Ende. Es ist kein Krieg, in dem Herr Putin einfach zwei Oblaste – unter Anführungszeichen – „befreien“, also in Wirklichkeit übernehmen will, um dort den Menschen das Leben noch schlechter zu machen. Das ist ein Krieg, der weit darüber hinausgeht.

Um zu erfahren, welch ein Kriegsverbrecher Putin ist, lesen Sie bitte dieses ganz neue Buch. (Der Redner hält das Buch „Wagner – Putins geheime Armee: Ein Insiderbericht“ von Marat Gabidullin in die Höhe.) Es geht da um die Söldnertruppe Wagner. Warum heißt die Wagner? Das bezieht sich offensichtlich nicht auf Wagner, denn der war zwar Antisemit, aber natürlich kein Nazi, denn die hat es damals noch nicht gegeben. Der Wagner jedoch, der diese Söldnertruppe gegründet hat, ist ein Nazi, ist ein Kriegsverbre­cher. Über Russland steht da nur wenig drin, es geht vor allem um den Syrienkrieg und darum, mit welch unfassbaren Kriegsverbrechen Putin vorgeht. Und er kennt keine Gren­zen, das müssen wir hier bitte schön verstehen! Er kennt keine Grenzen, er kennt auch unsere Grenze nicht. Auch das möchte ich deutlich sagen. All diese russischen Fernseh­berichte machen auch keinen Unterschied mehr zwischen EU und Nato, sie wollen uns zerstören, auch unser Leben in Österreich.

Und damit komme ich zurück zum Anfang, nämlich zu den Fragen der Teuerung. Wir werden uns darauf einstellen müssen, dass Putin beim Gas Schwierigkeiten macht, beim Öl Schwierigkeiten macht, und er wird vor allem versuchen, die Europäische Union zu spalten. Da müssen wir zusammenhalten und da müssen wir Programme entwickeln, wie wir den Schwächsten helfen können und wie wir auch längerfristig mit dieser Lage zurechtkommen. Und noch einmal: Das werden wir nur gemeinsam schaffen.

Daher möchte ich wirklich noch einmal appellieren: Wenn es einen Vorschlag der SPÖ gibt, zu dem man anderer Meinung ist, dann soll man anderer Meinung sein – auch bei einem Vorschlag der ÖVP. Niemand weiß alles und wie es genau geht. Und darüber sind wir uns auch einig: Wir werden flexibel bleiben müssen, weil die Situation eine sehr schwierige und unvorhersehbare bleiben wird.

Wir haben uns einige Projekte angeschaut und haben versprochen, dass wir helfen wer­den. Und mit Ihrer Hilfe, Herr Präsident, werden wir im Herbst wieder in die Ukraine fahren. Vielen Dank für die Zusage. Ich ersuche alle, dass wir dann wirklich alle dorthin fahren. Sie brauchen uns im Moment.

Das habe ich übrigens auch gesagt – wir werden später heute noch über den Marshall­plan reden –: Wir stünden nicht so da, wenn uns nach dem Krieg nicht die Amerikaner mit dem Marshallplan geholfen hätten. Auch wir haben früher einmal Hilfe gebraucht. Jetzt brauchen sie andere, und wenn wir denen helfen, helfen wir auch uns. Wenn wir der Ukraine klarmachen, dass wir Putin nicht weitermarschieren lassen, dann helfen wir auch uns. Dann wird es möglicherweise schneller wieder ein Stück Normalität geben. Und bis dahin: Halten wir zusammen! – Danke schön. (Beifall bei den NEOS.)

16.58

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu einer tatsächlichen Berichtigung ist Frau Abgeordnete Oberrauner gemeldet.