20.34

Abgeordnete Petra Steger (FPÖ): Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Präsidentin! Hohes Haus! Sehr geehrte Damen und Herren! Bei diesem Tagesordnungspunkt geht es um den Rechnungshofbericht über den EU-Finanzbericht und damit auch um Zahlungen Österreichs an die EU.

Seit über 20 Jahren besetzt die ÖVP das Finanzministerium und jedes Jahr zahlen wir trotz gegenteiliger Versprechungen und Ankündigungen immer mehr und mehr und noch mehr an die Europäische Union. Wir zahlen als einer der wenigen Nettozahler immer mehr, und das, obwohl unser Schuldenberg mittlerweile ins Unermessliche steigt und die Menschen nicht mehr wissen, wie sie sich ihr Leben noch leisten können, und wir wirklich absolut jeden Cent in Österreich brauchen würden.

Seit Jahren fährt die ÖVP in ihrer EU-Hörigkeit nach Brüssel und sagt dort zu allem Ja und Amen. Sie sagt Ja und Amen zu jeder Budgeterhöhung, zuletzt 2020 zu rund 800 Millionen Euro mehr an Zahlungen Österreichs nach Brüssel. Sie sagt auch Ja und Amen zum neuen EU-Schuldentopf, in den wir einzahlen oder für den wir haften müssen, und hat damit ermöglicht, dass sich die EU mittlerweile vertragswidrig zu einer Schulden- und Transferunion entwickelt hat; angefangen von den Griechenlandhilfen über den ESM bis zum Wiederauf­baufonds, der erst letztes Jahr beschlossen wurde. Kein halbes Jahr hat das damalige Versprechen der einmaligen Schuldenaufnahme beim Wieder­aufbaufonds gehalten und schon kamen die nächsten Vorschläge daher, warum es denn unbedingt notwendig sein soll, weitere Schulden aufzunehmen.

Ja, wenn es um die Aufnahme neuer Schulden in der Europäischen Union geht – sei es gegen die explodierenden Energiekosten, für ukrainische Flüchtlinge oder die Finanzierung einer europäischen Verteidigungsunion oder für Waffen für die Ukraine oder, natürlich nicht zu vergessen, Hunderte Milliarden Euro, um die Ukraine wieder aufzubauen –, dann ist die EU richtiggehend kreativ. Alle paar Monate lässt sich die Europäische Union neue Gründe einfallen, warum wir die Schuldenunion endlich dauerhaft etablieren müssen, und natürlich geht das immer zulasten der österreichischen Steuerzahler.

Die EU bricht auch ständig alle ihre Verträge – von den Fiskalregeln, den Maastrichtkriterien über das Verbot eines defizitären Haushalts, das wirtschaftliche Grundprinzip der gesunden öffentlichen Finanzen bis hin zu Artikel 125, No-Bail-out: keine Haftung für Schulden anderer Staaten, und vielem mehr.

Sehr geehrte Damen und Herren, wir erleben mittlerweile eine EU, die seit Jahren die EZB-Geldmenge immer weiter erhöht, um marode Staaten vertragswidrig zu finanzieren, und damit auch die Inflation antreibt. Wir erleben eine EU, die sich in Kriegsrhetorik verrennt, die die Eskalationsspirale immer weiter anzieht und volle Kraft voraus Richtung Abgrund steuert. Wir erleben eine EU, die nicht EU-konforme Staaten wie Ungarn mit Rechtsstaatlichkeits­verfahren verfolgt und gleichzeitig selbst EU-Recht am laufenden Band bricht. Und wir erleben eine EU, die zuerst die Coronakrise und jetzt auch die Ukrainekrise dafür missbrauchen möchte, um immer mehr Macht und Kompe­tenzen an sich zu ziehen.

Genau deswegen, weil die EU immer mehr Macht möchte, um endlich das große Ziel eines europäischen Staates zu verwirklichen, weil es unangenehme Staaten gibt, die es wagen, zum Beispiel den Sanktionswahnsinn zu hinterfragen, die es wagen, bei Budgetverhandlungen für die eigene Bevölkerung einzustehen, genau deswegen soll es jetzt dem Vetorecht an den Kragen gehen, dem sogenannten Einstimmigkeitsprinzip. Die EU sagt also: Wir müssen in Zukunft mit einer Stimme sprechen, deswegen streichen wir die Einstimmigkeit! – Das muss man auch einmal gedanklich zustande bringen!

Wer ist wieder einmal vorne mit dabei? – Natürlich der EU-Anbetungsverein ÖVP. Werte Kollegen von der ÖVP, ich frage mich schon: Wissen Sie überhaupt, was das bedeuten würde, was das für Konsequenzen für Österreich hätte, wenn man dieses Einstimmigkeitsprinzip aufheben würde? Das Einstimmigkeitsprinzip ist der letzte Schutzanker Österreichs vor einem Drüberfahren der Europäischen Union. Wenn das fällt, sehr geehrte Damen und Herren, dann sage ich nur noch: Gute Nacht österreichische Budgethoheit und Steuerhoheit, gute Nacht Neutralität und vor allem auch gute Nacht Österreich als unabhängiger Staat! Das wäre nichts anderes als eine Aufgabe der nationalstaatlichen Souveränität.

Das ist mir absolut unverständlich. Ich habe Sie schon öfter gefragt, wie sich ein österreichischer Politiker ernsthaft dafür einsetzen kann, dass Österreich immer weniger mitzureden hat. Doch genau das haben sowohl Ihre Bundesministerin Edtstadler als auch Ihr Bundesminister Schallenberg in der letzten Woche getan. Bundesminister Schallenberg möchte gleich die Einstimmigkeit bei der Steuerpolitik abschaffen und Bundesministerin Edtstadler geht sogar so weit, dass man Staaten, welche nicht dem EU-Mainstream entsprechen, gleich des Tisches verweisen soll. – Na, ich gratuliere zu diesem Demokratieverständnis!

Ich gratuliere, werte ÖVP, Sie haben damit wieder einmal bewiesen, dass Sie absolut EU-hörig sind und dass man Ihnen kein einziges Wort glauben kann, denn nicht nur einmal haben sowohl Bundeskanzler Nehammer – zuletzt im Hauptausschuss im Mai – als auch Bundesministerin Edtstadler bestätigt, dass am Einstimmigkeitsprinzip nicht gerüttelt werden soll. Wie gesagt, man kann Ihnen kein Wort glauben.

Aus diesem Grund bringe ich folgenden Entschließungsantrag ein:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Petra Steger, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Aufrecht­erhaltung des Einstimmigkeitsprinzips“

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung wird aufgefordert, sich auf europäischer Ebene vorbe­haltlos für den Erhalt des Einstimmigkeitsprinzips und der Souveränität der Mitgliedstaaten einzusetzen.“

*****

Sehr geehrte Damen und Herren, es ist Zeit, endlich Klarheit zu schaffen und Farbe zu bekennen. Ich sage nur: Hören Sie endlich auf mit diesem Ausverkauf Österreichs nach Brüssel! Erhalten Sie das Einstimmigkeitsprinzip und beweisen Sie mit der Zustimmung zu diesem Antrag, dass Ihnen die österreichische Bevölkerung doch nicht vollkommen egal ist! (Beifall bei der FPÖ.)

20.40

Der Antrag hat folgenden Gesamtwortlaut:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Petra Steger

und weiterer Abgeordneter

betreffend Aufrechterhaltung des Einstimmigkeitsprinzips

eingebracht in der 171. Sitzung des Nationalrates, XXVII. GP, am 21. September 2022 im Zuge der Debatte zu TOP 22, Bericht des Rechnungshofausschusses über den Bericht des Rechnungshofes betreffend EU-Finanzbericht 2017 und 2018 – Reihe BUND 2020/42 (III-197/1556 d.B.)

Der Bericht des Rechnungshofes betreffend EU-Finanzbericht 2017 und 2018 zeigt deutlich auf, wie wesentlich der Erhalt des Einstimmigkeitsprinzips in entscheidenden Politikbereichen der Europäischen Union ist. Denn sowohl der Eigenmittelbeschluss zum Haushalt der Europäischen Union als auch der Mehrjährige Finanzrahmen benötigen einen einstimmigen Beschluss im Rat der EU. Die Zustimmung jedes ein­zelnen Mitgliedstaates ist demnach von essenzieller Bedeutung für die Entscheidungsfindung auf europäischer Ebene. Der Bericht hält in diesem Sinne fest:

„Der Eigenmittelbeschluss erfordert Einstimmigkeit im Rat der Europäischen Union, die nationalen Parlamente müssen den Beschluss ratifizieren. Den Mitgliedstaaten kommt daher bei der Festlegung der Eigenmittel eine tragende Rolle zu.“ (S. 15)

Doch eben gegen diese tragende Rolle der Mitgliedstaaten laufen EU-Zentralisten seit geraumer Zeit Sturm. Bereits die Konferenz zur Zukunft Europas wurde als schein-partizipatives Instrument der Europäischen Kommission dazu missbraucht, den Nationalstaaten immer mehr Kompetenzen entziehen und deren Vetorechte beschneiden zu wollen – bislang zum Glück ohne Erfolg. Wortwörtlich forderte der Abschlussbericht der Konferenz:

„Alle Angelegenheiten, die bislang einstimmig beschlossen werden müssen, sollten künftig mit qualifizierter Mehrheit beschlossen werden. Die einzigen Ausnahmen sollten die Aufnahme neuer Mitglieder in die EU und Änderungen an den Grundprinzipien der EU sein“ (Konferenz zur Zukunft Europas. Bericht über das endgültige Ergebnis 2022: S. 90).

Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, dass trotz gegenteiliger Versprechungen des ÖVP-Kanzlers Karl Nehammer immer mehr führende ÖVP-Minister das Einstimmigkeitsprinzip in der EU demolieren wollen. Nehammer selbst betonte noch am 30. Mai 2022 vor dem EU-Hauptausschuss:

„Wir müssen diesen letzten Rest an Einstimmigkeit bewahren, vor allem als kleines Land. […] Ja, es braucht die Einstimmigkeit.“

Aus seiner Sicht könne deswegen die Einstimmigkeit nicht aufgehoben werden. Seine ÖVP-Minister sehen dies offensichtlich ganz anders. So sprachen sich unlängst sowohl EU-Ministerin Mag. Karoline Edtstadler als auch Außenminister Mag. Alexan­der Schallenberg offen für eine Reform und Abschwächung des Einstimmigkeitsprinzips aus.

Wortwörtlich sagte Edtstadler gegenüber der Tiroler Tageszeitung:

„Ich glaube, dass man die Einstimmigkeit in manchen Bereichen der Außen- und Sicherheitspolitik überdenken muss. In anderen braucht es Einstimmigkeit, um zu zeigen, dass Europa geeint und gestärkt ist. […] Es gibt dazwischen aber viele Bereiche, wo es mehrheitliche Beschlüsse braucht. […] Ich denke, die Zukunft ist, dass sich Staaten zusammentun, die einer Meinung sind. Dann hat man nicht 27 Meinungen am Tisch, sondern akkordierte, die man dann mit den anderen rascher zusammenführen könnte“ (Tiroler Tageszeitung 08.09.2022: Abstriche bei der Einstimmigkeit).

Nur wenige Tage später führte Schallenberg in einem Interview mit dem Profil aus:

„Ich glaube, dass man sich überlegen kann, auf welche Bereiche man die Abstimmung mit qualifizierter Mehrheit ausdehnen kann. […] Bei der Steuerpolitik hingegen könnte man vielleicht mit qualifizierter Mehrheit Beschlüsse fassen“ (Profil 11.09.2022: „Ich sehe bei den Sanktionen keinen Grund für Zweifel“).

Zu diesen flapsig formulierten, aber im Kern brandgefährlichen Ansichten führender ÖVP-Minister ist zuallererst anzuführen, dass weitere Kompetenzverschiebungen hin zu den Institutionen der Europäischen Union abzulehnen und keinesfalls zu forcieren sind. Völlig unannehmbar ist jedoch die dahinterliegende Forderung, den Mitglied­staaten der Europäischen Union ihre Vetorechte in entscheidenden Politikbereichen und damit den letzten Rest ihrer Souveränität zu rauben. Edtstadler geht sogar so weit anzukündigen, dass man jene Meinungen von Mitgliedstaaten, welche nicht dem EU-Mainstream entsprechen, gleich des Tisches – und folgerichtig aus der Diskussion und Debatte – verweisen sollte. Es wäre dann einfacher, andersdenkende Regie­rungen zu umgehen. Um ganz im Sinne der EU-Hörigkeit der schwarz-grünen Bundesregierung zu handeln, schreckt Edtstadler demnach nicht einmal davor zurück, demokratisch gewählte Regierungen und ihre Bevölkerungen aus Entscheidungen auszuschließen, welche das Leben von hunderten Millionen Menschen betreffen.

Schallenberg ist es offensichtlich ein Anliegen, Österreich und den weiteren Mitgliedstaaten Kompetenzen in steuerpolitischen Angelegenheiten zu entziehen. Beide bleiben äußerst vage dahingehend, in welchen konkreten Bereichen und in welchem Ausmaß sie Abstimmungsverfahren reformieren möchten. Durch diese Unüberlegtheit und Planlosigkeit werden diese Forderungen allerdings umso gefährlicher. Es ist erschreckend, dass die ÖVP selbst bei einer so wichtigen und für die Zukunft unseres Landes entscheidenden Frage dem Pfad der EU-Hörigkeit folgt und sich nicht für unsere Heimat Österreich positionieren kann. Darüber hinaus stellt sich die Frage, welchen Wert die Versprechungen des Kanzlers haben, wenn zeitgleich seine führenden Minister das Gegenteil fordern.

Eine Abschaffung bzw. Schwächung des Einstimmigkeitsprinzips hätte zur Folge, dass kein einzelner Mitgliedstaat in Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik, sowie in Angelegenheiten der Sozial-, Steuer- und Haushaltspolitik, nationalstaatliche Inter­es­sen vor Schnellschüssen der Europäischen Union bewahren könnte. Der Wegfall des Einstimmigkeitsprinzips würde die tatsächlich demokratisch legitimierten Entscheidungsträger in Europa – nämlich die Regierungen der Nationalstaaten – in unverantwortlichem Ausmaß schwächen. Denn die Wahrung der Demokratie in Europa obliegt den Nationalstaaten, deren gewählte Repräsentanten sich vor ihrem Wahlvolk für ihre Entscheidungen – auch im Rahmen der Institutionen der Europäischen Union – zu rechtfertigen haben. Demokratische Wahlen in den Mit­gliedstaaten würden vor diesem Hintergrund ebenfalls entwertet werden. Ein Gas-Embargo gegen die Russische Föderation wäre unter diesen Voraussetzungen wohl schon längst beschlossene Sache, auch wenn aufgrund dieser Sanktionierung der österreichischen Industrie die Lichter ausgehen würden und hierzulande Massenarbeitslosigkeit eine weitere Folge wäre. Eine noch weitergehende Aus­höhlung der nationalstaatlichen Souveränität muss folgerichtig unterbunden werden.

Das Ende des Einstimmigkeitsprinzips würde der Demokratie in Europa einen herben Schlag versetzen. Jede demokratisch legitimierte Regierung eines EU-Mitgliedstaats muss primär den Anliegen und Sorgen ihrer Bürger entsprechen und gegebenenfalls dieser Verpflichtung mittels der Nutzung ihres nationalen Vetos auf europäischer Ebene gerecht werden können. Vor allem kleine Mitgliedstaaten wie Österreich wären ohne das Einstimmigkeitsprinzip jedweder Möglichkeit beraubt, in entscheidenden Politikbereichen im Interesse der eigenen Bevölkerung einen Einspruch zu erheben. Wer ein Ende der Einstimmigkeit fordert, kann nicht die Interessen der Österreicher und Österreicherinnen vertreten, sondern nur jene der EU-Zentralisten.

In diesem Zusammenhang stellen die unterfertigten Abgeordneten nachstehenden

Entschließungsantrag

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung wird aufgefordert, sich auf europäischer Ebene vorbehaltlos für den Erhalt des Einstimmigkeitsprinzips und der Souveränität der Mitgliedstaaten einzusetzen.“

*****

Präsident Ing. Norbert Hofer: Der Entschließungsantrag ist ordnungsgemäß eingebracht und steht somit auch in Verhandlung.

Zu Wort gelangt nun Mag. Dr. Jakob Schwarz. – Bitte, Herr Abgeordneter.