9.17

Abgeordneter Philip Kucher (SPÖ): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe gestern im Rahmen der Generaldebatte zum Budget von der ÖVP wieder etwas lernen können, nämlich eine gewisse Form von Populismus, die die ÖVP aber jetzt schon viele Jahre praktiziert hat. Das kann für kurze Zeit ja funktionieren, dass man Gschichterln erzählt, dass man marketingtechnisch mit ein paar Floskeln versucht, Politik zu machen. (Abg. Ottenschläger: Das Match mit dem Populismus ...! Da seid ihr schon viel besser!) Irgendwann glaubt man dann selber, dass Sebastian Kurz übers Wasser gehen kann. Irgendwann geht er dann unter. Aber das ist so der Mechanismus – und auch die Gefahr – in der Politik, dass man irgendwann einmal die eigenen Geschichten auch glaubt.

Ein Musterbeispiel dazu, das wir gestern erlebt haben, war Klubobmann August Wöginger, der sich hingestellt hat und uns allen erklärt hat, was für eine tolle Pflegereform die ÖVP nicht verhandelt hat. (Abg. Michael Hammer: Das ist ja richtig!) Ich habe ihm zugehört, und irgendwann bin ich draufgekommen: Das ist ja nicht nur eine Floskel, das ist ja nicht nur eine ÖVP-Geschichte, die er erzählt, sondern Wöginger glaubt das ja wirklich selber!

Deswegen ist es umso wichtiger, dass wir heute in der Budgetdebatte – der Herr Bundesminister ist ja anwesend – die Möglichkeit haben, über das Budget für die Pflege zu diskutieren. Dieser Bereich ist deshalb so wichtig, weil es da um Millionen von Menschenleben geht. Es geht um pflegende Angehörige, es geht um Menschen, die Pflege brauchen, und um die Pflegeberufe.

August Wöginger hat gesagt, das ist eine ganz, ganz tolle Pflegereform, aber was ist es denn wirklich? – Es gibt zwei Eckpunkte, die darin enthalten sind. Das eine ist: Es gibt ein Trostpflaster, und man sagt den Pflegeberufen jetzt, mit diesem Trostpflaster werdet ihr schon zufrieden sein. Da ist man ganz, ganz mutig vorgeprescht und hat gesagt, es wird mehr Geld für die Pflegeberufe geben – und auch das hat die Bundesregierung nicht zusammengebracht. (Abg. Michael Hammer: Das ist ja ein Blödsinn!) Panikartig hat man jetzt vor Weihnachten gesagt: Jetzt machen wir eine Einmalzahlung!, und im Unterschied zu den Kon­zernen, bei denen man die Steuern senkt, sagt man bei der Pflege: Da muss aber ordentlich besteuert werden, denn die Pflege verdient das nicht. – Da bleibt nur ein kleiner Teil übrig.

Das Zweite sind ein paar kosmetische Anpassungen, die die Regierung jetzt groß abfeiert. Aber glaubt ihr wirklich, dass das im Bereich der Pflege reichen wird? (Abg. Michael Hammer: Das haben wir eh nicht gesagt!) Diese kosme­tischen Maßnahmen, ein paar Pflasterchen, das ist doch hinten und vorne zu wenig im Bereich der Pflege. Da geht es um Menschenleben, um Menschen, die auf uns alle angewiesen sind (Abg. Michael Hammer: Auf euch nicht!), auf die richtigen Entscheidungen. (Beifall bei der SPÖ.)

Allein im Bereich der Langzeitpflege fehlen uns 1,8 Milliarden Euro – 1,8 Milliar­den Euro für die Versorgung älterer Menschen, die dringend Unterstützung brauchen. (Abg. Michael Hammer: Sagt wer?) Leider ist das durch die ÖVP nicht ermöglicht worden, weil die ÖVP sagt: Ein kleines Trostpflaster wird schon reichen, ihr kriegt einmal einen kleinen Bonus! – Dann soll man im Pflegeberuf den Mund halten, aber Respekt und Wertschätzung, all das, was wir den Menschen im Bereich der Pflege doch gerade während der Coronakrise erzählt haben, gibt es leider nicht. (Abg. Steinacker: Pflegestipendium gibt’s zum Beispiel!)

Symptomatisch erkennbar ist das anhand eines Beispiels, bei dem ich sagen muss, da nehme ich Herrn Bundesminister Rauch aus, das ist nicht seine Schuld, da dürfte sich irgendjemand im Klub der Grünen von Herrn Wöginger über den Tisch ziehen haben lassen. Der Herr Bundesminister weiß ja natürlich, dass das ein Topfen ist – konkret meine ich die Pflegelehre. Es gibt keine einzige Fachgesellschaft in Österreich, kein einziges Institut für Pflegewissen­schaft, das sagt, das Ganze ist sinnvoll. Niemand in Österreich, der sich ansatzweise mit Pflege auskennt, sagt, dass das Ganze sinnvoll ist. (Abg. Michael Hammer: Na, schauen wir es uns an! – Abg. Pfurtscheller: Das stimmt nicht! Das ist jetzt dermaßen ein Quatsch!) Der Herr Bundesminister macht es trotzdem. Bitte nennen Sie mir ein einziges Institut für Pflegewissenschaft, ein einziges Institut! (Neuerlicher Zwischenruf der Abg. Pfurtscheller. – Abg. Michael Hammer: ... Instituten brauchen wir es eh nicht hören! Vom Renner-Institut wollen wir es eh nicht hören!) – Herr Kollege, bitte! Bitte! Es gibt keine einzige Fachgesell­schaft, die das sagt, und ihr redet von Respekt. (Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten der NEOS.)

Würden Sie eine Operation in Österreich durchführen, wenn alle medizinischen Fachgesellschaften vor einer Operation warnen? Würden Sie politisch drüber­stehen und sagen: Das machen wir trotzdem!? – Bei der Pflege reden wir groß von Respekt, darüber, wie wichtig Anerkennung und Respekt für die Pflege sind, und dann fahrt man drüber. Weil wir einen Mangel haben, sollen 16-jährige Burschen und Mädels jetzt plötzlich am Krankenbett arbeiten, und das ist die Lösung für die Pflegemisere. Das ist ein Topfen! Alle Fachgesellschaften warnen davor (Abg. Steinacker: Also du kennst doch unser duales Pflege- und Lehrsystem! Unsere Lehre besteht immer noch aus einem dualen System!), aber die ÖVP redet von Wertschätzung und fährt dann einfach drüber. (Beifall bei der SPÖ.)

Was genauso fehlt: Wo ist die Unterstützung für pflegende Angehörige? Was tut sich denn da in dem Bereich? Ihr habt einen Pflege-daheim-Bonus versprochen. Darf ich fragen, Herr Kollege Hammer, weil Sie immer wieder rausrufen: Wo ist denn der Pflege-daheim-Bonus? (Abg. Michael Hammer – eine Broschüre in die Höhe haltend –: Da!) – Na, nicht im Zetterle von der ÖVP! Da ist nämlich genau der Unterschied. Draußen auf Zettel irgendetwas raufschreiben! Wären Sie so nett und würden nachher herauskommen und ganz genau sagen (Abg. Michael Hammer: Ja, ich komme eh dann raus!), wo im Budget der Pflege-daheim-Bonus ist und was sich für die pflegenden Angehörigen tut? Gar nichts ist darin enthalten! (Beifall bei der SPÖ.)

Weil wir gerade dabei sind: Was ist denn mit den Zuständen in der Pflege? Wir haben in Salzburg gerade dieses Desaster im Bereich der Pflegeheime erlebt. Wo sind denn die österreichweiten Rahmenbedingungen für die Pflege? Wo haben wir denn strukturell geschaut, dass es Mindeststandards gibt, dass der Bundes­gesetzgeber sagt: Vom Neusiedler See bis zum Bodensee, ältere Menschen, Menschen die Pflege brauchen, verdienen die bestmögliche Versorgung!? Wo ist denn das enthalten? Wo sind denn die Arbeitsbedingungen geregelt? Wo ist denn festgeschrieben, Herr Kollege Koza, wie viele Menschen in Pflegeheimen jedenfalls arbeiten müssen? (Abg. Koza: Landessache? Landessache?) Wo kämpfen Sie denn dafür, dass die Menschen, die Tag und Nacht am Krankenbett arbeiten, nicht ausbrennen und irgendwann selbst fertig sind? Was machen Sie denn in dem Bereich? (Abg. Koza: Kollektivverträge? Kollektivverträge? Sozialpartner­schaft?) – Ja, das ist wieder abschieben! Der eine hat das Zetterle von der ÖVP mit und glaubt seine eigenen Schmähs (Abg. Koza: Ich erkläre es dir gern, als Sozialdemokrat, was Kollektivverträge sind! Du kennst es nicht unbedingt!), und Sie sind der Bundesgesetzgeber und sitzen da und sagen: Eigentlich kann ich gar nichts tun! – Na wenn das die Pflegereform ist, bin ich froh, dass Kollege Wöginger das jetzt nicht hören muss! (Abg. Koza: Für Einkommensfragen: Kol­lek­tiv­verträge zuständig! Für Arbeitszeiten: Kollektivverträge zuständig! – Abg. Brandstätter: Redet hintereinander!)

Ich darf also noch einmal zusammenfassen (Abg. Michael Hammer: Du hast ja noch gar nichts gesagt, dann kannst du nichts zusammenfassen!): Ein kleines finanzielles Trostpflaster, viel Kosmetik, viel Blabla, aber es ist nichts passiert, um dieses wichtige Thema in Österreich nachhaltig zu verändern. Und was mir wirklich fehlt, ist die Wertschätzung für die Pflegeberufe. Es gibt leider eine Par­tei hier in diesem Haus – das muss ich sagen –, die jede Verbesserung und Kompetenzerweiterung, durch die man die Anerkennung und den Respekt für die Pflegeberufe wirklich auch in Gesetze gießen könnte, blockiert. Es ist die ÖVP, die in Wahrheit all das in Österreich blockiert. Da gibt es zig Anträge im Gesundheitsausschuss, aber es ist leider die ÖVP, die jeden Millimeter beinhart betoniert, keine Reform haben möchte, aber dann gibt es Zetterle! Bitte, Herr Kollege, wenn Sie die Broschüre der ÖVP noch einmal groß in die Kamera halten, dann haben wir alle zumindest gesehen, was die ÖVP verspricht. Was konkret umgesetzt wird, lesen wir heute im Budget. (Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten der NEOS. – Abg. Brandstätter: Bravo, Philip!)

9.23

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Abgeordneter Koza. – Bitte.