Abgeordnete Dr. Susanne Fürst (FPÖ): Frau Minister, wir wissen, dass die Recht­sprechung der internationalen Gerichtshöfe – also EGMR und EuGH – für den derzeitigen und andauernden Asylwerber- und Einwandereransturm, den wir auf Europa und vor allen Dingen auch auf Deutschland und Österreich erleben, mitverantwortlich ist. Die Richter haben da in den vergangenen Jahren und Jahr­zehnten schon den Ermessensspielraum, den auch der Wortlaut der Euro­päischen Menschenrechtskonvention bietet, genutzt, um den Grund- und Men­schenrechten einen zum Teil absurden Inhalt zu unterstellen. Ich sage als Beispiel nur, dass Abschiebungen wegen angeblich fehlender Standards selbst in andere EU-Länder nicht mehr möglich sind. Da hat sich also ein Richterrecht verselbstständigt, das auch Gesetzgeber aushebelt.

Jetzt haben Sie selbst auch die Entscheidungen dieser Gerichtshöfe zumindest als häufig nicht realitätsnah, wenn ich Sie da richtig zitiere, bezeichnet. Wir wissen, die Rechtsprechung ist unabhängig, aber was machen Sie jetzt konkret auf politischer Ebene, um da eine Meinungsbildung oder einen Meinungs­umschwung bewirken zu können?

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Die schriftlich eingebrachte Anfrage, 215/M, hat folgenden Wortlaut:

Welche konkreten politischen Schritte setzten Sie angesichts Ihrer richtigen Fest­stellung, dass Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) und des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) häufig nicht „realitätsnah“ sind?

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Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Bitte, Frau Bundesministerin.

Bundesministerin für EU und Verfassung im Bundeskanzleramt Mag. Karoline Edtstadler: Wie Sie wissen, Frau Abgeordnete, war ich selbst fast zwei Jahre lang am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte als wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Registry tätig, und ich weiß daher aus eigenem Erleben, wie dieser Gerichtshof arbeitet und wie auch die Europäische Menschenrechts­konvention gesehen wird, nämlich als Living Instrument, das immer wieder ausgelegt werden muss.

Die Europäische Menschenrechtskonvention wurde am 4. November 1950 zur Unterschrift aufgelegt und ist zwei Jahre später in Kraft getreten, sie ist also über 70 Jahre in Kraft, und dennoch hat sie nichts an Aktualität eingebüßt, muss daher aber auch immer wieder neu vom Europäischen Gerichtshof für Men­schen­rechte ausgelegt werden. Insbesondere in der Judikatur im Bereich des Asylwesens schlägt sich das schon nieder, dass da auch immer wieder die aktuelle Situation geprüft wird und dass vor allem auch jeder Einzelfall geprüft wird. Also selbst wenn es institutionelle Probleme gibt im Bereich von Asyl­verfahren oder im Bereich der Unterbringung in Staaten – Sie haben Mitgliedstaaten der Europäischen Union angesprochen –, wird jeder Fall als Einzelfall geprüft.

Und da haben Sie mich nicht ganz richtig zitiert, ich habe gesagt: Damit die Anerkennung dieser Urteile in den Mitgliedstaaten – des Europarates in dem Fall – auch tatsächlich voll gegeben ist, braucht es Realitätsnähe, und da braucht es natürlich schon auch immer wieder den Dialog mit den Menschen vor Ort. Deshalb gibt es auch beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte die Einrichtung der Seconded Judges, das heißt also derjenigen, die dorthin entsandt werden, um auch die Ansicht der Mitgliedstaaten einzubringen, denn wenn man viele, viele Jahre weg ist von den einzelnen Mitgliedstaaten, dann hat man möglicherweise auch eine anderen Sicht auf die Dinge.

Deshalb halte ich das für gut und richtig, wie dieses System aufgestellt ist: dass man da auch immer wieder die Realitätsnähe hineinbringt und sich die Situation auch sozusagen am Boden anschaut, denn der Europäische Gerichtshof lebt natürlich davon, dass diese Urteile letztlich auch politisch umgesetzt werden. Teilweise sind es Systemänderungen, teilweise sind es nur Kleinigkeiten, die notwendig sind, manchmal ist es ein Verstoß in der Rechtsanwendung, was mit einer Geldstrafe geahndet wird.

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zusatzfrage, Frau Fürst? – Bitte.

Abgeordnete Dr. Susanne Fürst (FPÖ): Sie haben jetzt lange darauf geantwortet, aber ich habe da jetzt nichts auch von Kritik an dieser Rechtsprechung herausgehört.

Wir wissen das: Ja, die EMRK, das alles ist ein Living Instrument, das ist schon klar, auch die Rechtsprechung ändert sich, aber sie hat sich eben eigentlich angesichts dessen, dass wir ja einen Ansturm erleben, den es bei der Schaffung der EMRK in den Fünfziger-, Sechzigerjahren nicht gegeben hat, nicht angepasst. Wir wissen, da war alles völlig anders, da sind einzelne Leute gekommen, jetzt hat sich die Mobilität ganz anders entwickelt, die Rechtsprechung hat sich dem aber nicht angepasst, sondern ganz im Gegenteil das eigentlich noch befördert, und ich habe da jetzt überhaupt keine Kritik Ihrerseits an dieser Judikatur gehört.

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Bitte, Frau Bundesministerin.

Bundesministerin für EU und Verfassung im Bundeskanzleramt Mag. Karoline Edtstadler: Die Rechtsprechung hat sich sehr wohl angepasst, das kann man auch ganz genau insbesondere bei den Asylverfahren nachverfolgen. Ich nenne Ihnen nur ein Beispiel: innerstaatliche Fluchtvarianten. Das wird immer wieder geprüft betreffend die Länder, in die zurückgeschickt wird.

Um aber dann auch auf die Situation einzugehen, bringe ich das Beispiel Afghanistan: Es war früher ein Thema, dass dort innerstaatliche Fluchtvarianten geprüft werden; seit der Übernahme der Taliban ist das nicht mehr der Fall, weil man da natürlich auch immer den Realitätscheck vornehmen muss.

Eines möchte ich an dieser Stelle schon klar festhalten: Urteile von Höchst­ge­richten sind natürlich umzusetzen, und Österreich macht das auch. Es gibt andere Staaten, die das nicht so ernst nehmen – das muss man auch in aller Deutlichkeit sagen –, wo es Urteile gibt, die über Jahre hinweg nicht umgesetzt werden, aber Österreich macht das. Den Realitätscheck muss man aber immer wieder machen, deshalb halte ich den Dialog zwischen den Mitgliedstaaten und denen, die dort in Verantwortung stehen, für richtig und wichtig.

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Die nächste Frage stellt Frau Abgeordnete Sirkka Prammer. – Bitte sehr.