Abgeordneter Dr. Nikolaus Scherak, MA (NEOS): Guten Morgen, Frau Bun­des­ministerin! Die österreichische Bundesregierung hat es ja mit dem nicht nachvollziehbaren Veto zum Schengenbeitritt von Rumänien und Bulgarien geschafft, sich auf europäischer Ebene ziemlich ins Abseits zu stellen. Beide Länder erfüllen die Voraussetzungen, aus offensichtlich innenpolitischen Grün­den hat die ÖVP aber beschlossen, da ein Veto einzulegen – insbesondere Innenminister Karner, der noch im November der Meinung war, dass natürlich beide Staaten der Schengenzone beitreten sollten. Deswegen lautet meine Frage:

224/M

„Ist damit zu rechnen, dass die österreichische Bundesregierung ihr Veto im Zusammenhang mit der Schengenerweiterung nach der Landtagswahl in Niederösterreich aufgeben wird?“

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Bitte, Frau Bundesministerin.

Bundesministerin für EU und Verfassung im Bundeskanzleramt Mag. Karoline Edtstadler: Herr Abgeordneter, ich darf Ihnen berichten: Ich war gestern im Rat für Allgemeine Angelegenheiten in Brüssel. Ich habe viele Gespräche geführt, unter anderen mit den Kolleg:innen aus Rumänien und Bulgarien. Ich möchte auch hinzufügen, dass seit einigen Wochen im Bereich der Migrationspolitik eine extreme Dynamik drinnen ist, unter anderem weil Österreich ja dieses Thema aufgebracht hat, und dass die Europäische Kommission schon Teile dieser fünf Punkte, die der Innenminister vorgelegt hat, aufgenommen hat, nämlich in den Aktionsplan betreffend den Westbalkan. (Abg. Stöger: Das hat mit Schengen nichts zu tun, gar nichts!) Wir wollen da auch gemeinsam tatsächlich für die betroffenen Länder Rumänien und Bulgarien eine Zeitschiene, einen Aktionsplan entwickeln, aber auch im Bereich der Migrationspolitik die jetzt notwendigen Schritte setzen, um da eine Lösung herbeizuführen.

Wir haben die österreichische Rechtslage dargelegt und sind auch gehört worden. Ich muss Ihnen sagen – um jetzt bei Ihrer doch ein bisschen polemi­schen Frage zu bleiben –, dass in den letzten Jahren in der Migrationspolitik nicht viel weitergegangen ist (Abg. Krisper: Danke, ÖVP!), dass, um ehrlich zu sein, die Asylpolitik gescheitert ist und ich nicht davon ausgehe, dass sich das Ganze in den nächsten Wochen, also vor der niederösterreichischen Landtagswahl, lösen wird. Ich hoffe aber doch, dass wir im nächsten Jahr eine wesentliche Ände­rung herbeiführen können, dass wir wichtige Schritte, Milestones setzen können.

Wenn ich auf das, was die Kommission schon aufgenommen hat, zurück­kommen darf, dann möchte ich auf ein Pilotprojekt verweisen, nämlich schnelle Verfahren an der Außengrenze, aber auch finanzielle Unterstützung von Mitgliedstaaten, die andere Länder an den Außengrenzen bei der Bewältigung dieser Anstürme und auch bei der Abarbeitung dieser hohen Zahl an Asylverfahren unterstützen.

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zusatzfrage, Herr Abgeordneter? – Bitte.

Abgeordneter Dr. Nikolaus Scherak, MA (NEOS): Wir sind uns ja einig, dass das Asylsystem gescheitert ist. Ich mag auch Ihre Selbsterkenntnis, weil, als in den letzten Jahren nichts weitergegangen ist, dafür ÖVP-Regierungsmit­glieder federführend zuständig waren und offensichtlich auf europäischer Ebene nichts weitergebracht haben.

Meine Frage wäre aber: Da für den Schengenbeitritt jetzt offensichtlich nicht mehr die Voraussetzungen gelten, die früher gegolten haben, und die Frage jetzt lautet, ob man Flüchtlinge auch entsprechend registrieren und darüber urteilen kann, ob sie Asyl bekommen oder ob man Flüchtlinge weiterleitet – das ist ja ein wesentlicher Grund im Zusammenhang mit dem Veto gegenüber Rumänien und Bulgarien –, müssten Sie da nicht dementsprechend auch der Meinung sein, dass Ungarn den Schengenraum verlassen soll, weil Ungarn großartig darin ist, Flücht­linge nicht zu registrieren, sondern nach Österreich weiter zu lassen?

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Bitte, Frau Bundesministerin.

Bundesministerin für EU und Verfassung im Bundeskanzleramt Mag. Karoline Edtstadler: Zum Ersten darf ich Ihnen sagen, dass ich niemanden aus der Pflicht lasse, also weder Ungarn noch sonstige Länder, die da vielleicht entgegen dem Rechtsbestand der Europäischen Union die Gesetze nicht einhalten, Flüchtende nicht registrieren. Das ist einmal der erste Punkte.

Der zweite Punkt ist, dass Migrationspolitik selbstverständlich auch etwas mit Außengrenzschutz zu tun hat.

Der dritte Punkt ist, dass die Evaluierung der Grenzen Rumäniens und Bulgariens aus dem Jahr 2011 stammt. Jetzt kann man natürlich beklagen, dass die beiden Länder über zehn Jahre warten müssen – und womöglich jetzt noch länger –, bis sie in den Schengenraum aufgenommen werden. Man könnte aber auch die Frage stellen: Warum referenziert man jetzt auf eine Evaluierung, die aus dem Jahr 2011 stammt und spätestens, aber allerspätestens seit dem 24.2. an jeder Aktualität verloren hat, und tritt nicht heran und stärkt auch das Vertrauen mit den anderen Mitgliedstaaten? Im Übrigen haben die Niederlande auch gegen den Beitritt Bulgariens gestimmt.

Wir sind jetzt aber auf einem konstruktiven Weg – und das ist mir wichtig, zu sagen –, mit den beiden Ländern und auch mit denen, die hier zu Recht kritisch sind, einen Zeitplan zu erarbeiten, um diesbezüglich das Vertrauen zu stärken und die richtigen Schritte auch in der Migrationspolitik zu setzen.

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Die nächste Zusatzfrage stellt Abgeordneter Berlakovich. – Bitte sehr.

Abgeordneter Dipl.-Ing. Nikolaus Berlakovich (ÖVP): Sehr geehrte Frau Bundesministerin! Das österreichische Veto betreffend die Schengenerweiterung wurde ja mit einem Versagen der Europäischen Union in der Beantwor­tung der Migrationsfrage begründet. Das Thema ist ja schon angesprochen worden.

Tatsächlich ist es ja so, dass eine der Hauptmigrationsrouten über Rumänien verläuft, aber gleichzeitig dort nur rund 130 Asylanträge gestellt werden. In Österreich gibt es ja eine Vervielfachung der Zahl der Asylanträge. Das Dublin­system der EU funktioniert offensichtlich nicht – auch betreffend Ungarn, das ist ja angesprochen worden.

Jetzt ist meine Frage: Was werden Sie in diesem Zusammenhang auf der europäischen Ebene unternehmen, dass es bei der Migration zu Weichenstel­lungen kommt?

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Bitte, Frau Bundesministerin.

Bundesministerin für EU und Verfassung im Bundeskanzleramt Mag. Karoline Edtstadler: Wir haben das Thema gestern beim Rat für Allgemeine Ange­legenheiten selbstverständlich auch besprochen. Es ist von uns und von einigen anderen Staaten gestern auch die Forderung gestellt worden, dass das auch die Staats- und Regierungschefs morgen beim Rat tun sollten.

Der Innenminister hat da insbesondere einen Fünfpunkteplan vorgelegt. Dieser enthält einige Ideen zu Dingen, die man jetzt machen müsste, damit diese Asylpolitik tatsächlich gemeinsam funktionieren kann. Manche Beispiele habe ich genannt, die schon aufgegriffen worden sind. Wir fordern aber auch eine Rückweisungsrichtlinie, dass man also Personen, die sicherlich keinen Grund für Asyl haben, schneller zurückweisen kann, um denen, die tatsächlich einen Grund für Asyl haben, eine echte Chance zu geben.

Tatsächlich verfolge ich das nicht erst in meiner Zeit als Ministerin oder vorher Staatssekretärin, sondern auch schon in meiner Zeit als Mitarbeiterin am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Das Dublin-III-System ist tot, es funktioniert nicht. Wir müssen schnellstmöglich etwas anderes einführen, damit wir wieder zu einem funktionierenden System und zu einem guten Mit­ei­nander kommen können.

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Die nächste Zusatzfrage stellt Abgeordneter Brandstätter. – Bitte.

Abgeordneter Dr. Helmut Brandstätter (NEOS): Frau Bundesministerin, aus Ihrer Beantwortung der Frage des Kollegen Scherak habe ich herausgehört, dass Sie selbst sehen, dass Ungarn das Asylrecht nicht einhält. Jetzt wollte ich Sie in diesem Zusammenhang persönlich fragen, wie es Ihnen so geht, wenn Sie Fotos sehen, auf denen der Bundeskanzler mit dem ungarischen Ministerpräsi­denten Händchen hält (Abg. Zarits: Das ist ja ein Wahnsinn! Das ist ja wirklich ein Wahnsinn!), und noch dazu auch mit dem serbischen Präsidenten Vučić, der ganz bewusst Europa topediert? (Zwischenruf des Abg. Sieber.)

Die konkrete Frage: Werden Sie ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn einleiten, weil es – wie ich es bei Ihnen ja verstanden habe – ganz offensichtlich eben nicht das europäische Asylrecht einhält?

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Bitte, Frau Bundesministerin.

Bundesministerin für EU und Verfassung im Bundeskanzleramt Mag. Karoline Edtstadler: Man muss nicht in allen Dingen zu 100 Prozent übereinstimmen, um Gott sei Dank trotzdem einen guten Umgang mit Kolleginnen und Kollegen aus Europa zu pflegen – im Gegenteil: ich glaube, es ist sehr wichtig. Ich habe mit der ungarischen Kollegin auf meiner Ebene, Judit Varga, ein ausgezeichnetes persönliches Verhältnis, aber ich sage ihr auch ganz deutlich, wenn ich mit etwas nicht einverstanden bin, so zum Beispiel auch gestern in einer Begegnung beim Rat für Allgemeine Angelegen­heiten.

Zu dem, was Sie ansprechen, nämlich das Treffen des Bundeskanzlers mit Präsident Vučić und Viktor Orbán: Es ist absolut richtig und wichtig gewesen, wenn die Europäische Union da keine Lösungen hat, auch sozusagen Selbsthilfe zu leisten und Rückübernahmeabkommen zu verhandeln beziehungs­weise mit Präsident Vučić ganz konkret darüber zu reden, was er ändern kann, damit die Situation in Österreich einfacher wird.

Wir haben gesehen, dass 40 Prozent derjenigen, die im Endeffekt nach Öster­reich kommen, über den Flugweg über Belgrad reinfliegen, weil es da Visaliberalisierungen gab. Das ist aus meiner Sicht ein ganz, ganz wesent­licher Punkt gewesen, und wir erwarten uns da auch einen deutlichen Rück­gang der Zahlen, insbesondere aus Indien, weil da mit Ende des Jahres die Visal­iberalisierung endet.

Also: Persönlich gut miteinander zu können ist das eine, inhaltlich vielleicht nicht übereinzustimmen das andere. Es braucht aber das Erste, damit man inhaltliche Lösungen finden kann. (Beifall bei der ÖVP. – Abg. Brandstätter: Und das Vertragsverletzungsverfahren? Die Frage wurde nicht beantwortet! Gibt es ein Vertragsverletzungsverfahren?)

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Herr Abgeordneter, wir haben nur die Möglichkeit, die Frage beantworten zu lassen. Wenn Sie nicht zufrieden sind, müssen wir das schriftlich organisieren.

Herr Kollege Gerstl stellt die nächste Frage. – Bitte.