Abgeordneter Mag. Wolfgang Gerstl (ÖVP): Sehr geehrte Frau Bundes­ministerin! Sie waren vor Kurzem mit Ihren Amtskolleginnen aus der Europäischen Union in der Ukraine. Mich interessiert, welche Eindrücke Sie dort vor Ort wahrgenommen haben.

Sie wissen ja, dass letzte Woche auch eine Parlamentarierdelegation in der Ukraine war, nicht nur in Kiew, sondern auch in Charkiw, schon 30 bis 40 Kilometer vor der russischen Grenze, wo wir von diesem Terrorangriff Putins gegenüber der Zivilbevölkerung desaströse Eindrücke gewinnen konnten. Wir waren von der mangelnden Elektrizität, von den mangelnden Heizungsmöglichkeiten, von mangelnden Lebensmitteln, die es teilweise, da und dort gibt, tief betroffen, und auch davon, wie die Menschen dort trotz­dem für ihre Freiheit und gegen die Versklavung kämpfen.

Was waren Ihre Eindrücke vor Ort?

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Die schriftlich eingebrachte Anfrage, 212/M, hat folgenden Wortlaut:

„Was sind Ihre Eindrücke von der aktuellen Situation in der Ukraine, die Sie kürzlich mit acht europäischen Amtskolleginnen besucht haben?“

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Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Frau Bundesministerin, bitte.

Bundesministerin für EU und Verfassung im Bundeskanzleramt Mag. Karoline Edtstadler: Herr Abgeordneter! Sie wissen, dass ich als Europaministerin viel reise, aber diese Reise war eine besondere, die mir immer in Erinnerung bleiben wird. Sie war tief beeindruckend, im negativen, aber auch im positiven Sinn, weil die Menschen dort kämpferisch sind, weil sie nicht aufgeben wollen und weil sie trotz widriger Umstände – keine Elektrizität, damit einhergehend keine Möglichkeit, so banal es klingt, die Toiletten zu spülen – einfach kämpfen und auch junge Frauen mir auf der Universität gegenübergesessen sind und gesagt haben, sie wollen Juristinnen werden, sie wollen Journalistinnen werden, aber jetzt verteidigen sie ihr Land. Ob Sie mir es glauben oder nicht, ich bekomme Gänsehaut, wenn ich das hier sage.

Es war aus meiner Sicht die wichtigste Reise, die ich bisher in meiner Funktion als Europaministerin gemacht habe, um einen direkten Eindruck zu bekom­men. Ich werde mein ganzes Leben lang Kriegsberichterstattung, ganz egal ob im Fernsehen oder in Zeitungen, nicht mehr so anschauen können wie bisher, sondern ich werde immer den Geruch von Brand in der Nase haben. Ich werde immer die Bilder vor mir sehen, wo Feuerwehrleute mit Jacken dort gestanden sind, auf denen Berufsfeuerwehr Graz draufstand, weil Hilfslieferungen von Österreich direkt dort angekommen sind und weil man gemeinsam gegen den wenige Stunden vorher stattgefundenen Raketenangriff angekämpft hat. Vor allem werde ich eines nicht mehr aus den Kopf bekommen: die Bilder der drei an diesem Ort getöteten Personen, die in einem nur geringen Abstand von uns, leicht zudeckt, aber so, dass man es erkannte, vor uns gelegen sind. Als wir zurück­gekommen sind, war dort eine Blutlache.

Das sind Eindrücke, die für mich als Europapolitikerin wichtig sind, wenn es auch darum geht, Hilfe für die Ukraine zur Verfügung zu stellen. Es sind Gespräche wie jene mit Vizepremierministerin Stefanischyna oder auch der First Lady Selenska, die mich antreiben, alles zu tun, dass man die Menschen unterstützt. Ich kann es nur noch einmal betonen: Da wird alles gebraucht, die Ausrüstung für den Feuerwehrmann genauso wie Heizkanonen und Generatoren, damit ein Mini­mum an Lebensqualität, ein Minimum an hygienischen Maßnahmen auf­rechterhalten werden kann. Denken Sie an die Spitäler, wo Ärzte mit Stirn­lam­pen operieren und das Wasser in Kanistern danebensteht – nicht das, was man als Standard hygienischer Natur in einem Krankenhaus bezeichnen kann! Ich bin froh, dass wir dort waren.

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zusatzfrage, Herr Abgeordneter? – Bitte.

Abgeordneter Mag. Wolfgang Gerstl (ÖVP): Mich hat besonders beeindruckt, dass die Menschen im Osten des Landes, obwohl 90 Prozent von ihnen vorher Russisch gesprochen haben, nicht mehr Russisch sprechen, weil sie nicht mehr mit Russland in Verbindung gebracht werden wollen. Besonders berührend war die Geschichte einer Menschenrechtsorganisationshelferin, die gesagt hat, dass ihre Tochter plötzlich begonnen hat, auf Ukrainisch zu beten, obwohl sie Russisch als Muttersprache hat. Das verändert die Situation dort total.

Wenn man auch gesehen oder mitbekommen hat, dass eine Rakete, vom Schwarzen Meer abgeschossen, vielleicht die EUAM, die European Union Advisory Mission, hätte treffen sollen, dann weiß man, wie gefährlich die gesamte Situation für ganz Europa ist.

Daher: Planen Sie ein Follow-up zu Ihrer Reise?

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Frau Bundesministerin, bitte.

Bundesministerin für EU und Verfassung im Bundeskanzleramt Mag. Karoline Edtstadler: Ja, die Idee zu dieser gemeinsamen Reise mit insgesamt acht Delegationsteilnehmerinnen ist ja bei einer Konferenz in Salzburg mit dem Titel „The Next Generation is Female“, die ich selbst ins Leben gerufen habe, entstanden. Was unser Ziel war: Wir wollten das Spotlight auf die Needs, auf die Bedürfnisse der Frauen und Kinder insbesondere im Krieg werfen – das geht von Soldatenmüttern über Opfer von Kriegsverbrechen, von Vergewaltigung über Menschen, die vertrieben worden sind, bis hin zu Kindern, die einfach keinen Zugang zu Bildung haben, weil die Schule weggebombt wurde.

Wir haben schon darüber gesprochen, unter anderem erst gestern wieder beim Rat Allgemeine Angelegenheiten, dass wir auf alle Fälle ein Follow-up machen wollen. Ich darf auch dazusagen, dass diese Gruppe aus Europa­ministe­rinnen in der Zwischenzeit größer geworden ist, weil wir zwei weibliche Kolleginnen dazubekommen haben, nämlich aus Frankreich und Schweden, die auch Inter­esse angemeldet haben, bei weiteren Aktivitäten dabei zu sein. Wir werden also auch da dranbleiben.

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Die nächste Zusatzfrage stellt Abgeordnete Ernst-Dziedzic. – Bitte.

Abgeordnete Dr. Ewa Ernst-Dziedzic (Grüne): Frau Ministerin! Auch die Freund­schaftsgruppe plant eine Follow-up Reise, weil wir nicht nur gesehen haben, wie groß das Leid ist, sondern auch, dass die Bevölkerung dort nicht verges­sen werden möchte. Genau diese Reisen tragen dazu bei, dass wir der ukra­inischen Bevölkerung zeigen: Wir stehen hinter euch und wir tun auf europäi­scher Ebene alles, damit ihr gut über den Winter kommt.

Soeben ist die Meldung hereingekommen, dass weitere 13 im Iran hergestellte Drohnen über der Hauptstadt Kiew abgeschossen worden sind, auf Wohnhäuser abgeschossen worden sind.

Meine Frage an Sie – weil ja vor allem die zivile Infrastruktur leidet und die Men­schen ohne Wasser, ohne Strom, wie Sie selbst gesehen haben, leben und aus­harren müssen – ist: Welche konkreten weiteren Maßnahmen können wir auf europäischer Ebene setzen, um in dieser schwierigen Zeit vor allem eben die Zivilbevölkerung in der Ukraine zu schützen und zu unterstützen?

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Frau Bundesministerin, bitte.

Bundesministerin für EU und Verfassung im Bundeskanzleramt Mag. Karoline Edtstadler: Schauen Sie, Frau Abgeordnete, Sie waren ja selbst auch vor Ort! Ich könnte mich jetzt hierherstellen und Ihnen die ganzen Zahlen an Geldern in Milliardenhöhe runterbeten, die aus der Europäischen Union und auch aus den EU-Mitgliedstaaten schon an die Ukraine gegangen sind, unter anderem für humanitäre und für makrofinanzielle Unterstützung. Wir reden da, seit Beginn des Krieges, seitens der EU von einer Summe von 12,4 Milliarden Euro und von rund 7,3 Milliarden Euro – die Zahl ist sicher nicht vollständig, weil ja Gott sei Dank auch immer wieder etwas dazukommt – seitens der EU-Mitgliedstaaten. Auch Österreich hat mittlerweile einen zweistelligen, knapp unter dreistelligen Millionenbetrag geleistet.

Seit ich aber dort war, weiß ich, dass das alles nicht genug ist und dass jeder Cent dort gebraucht wird, dass vor allem jeder Generator gebraucht wird und dass teilweise auch – das war damals ein Thema, als es diese großflächigen Bombardements auf Infrastruktur gab – ganz kleine Halbleiter fehlen, um die Stromversorgung wiederherzustellen.

Um nur ein Beispiel zu geben: Wir sind natürlich mit dem Zug dorthin gefahren, und beim Zurückfahren gab es großflächige Stromausfälle. Dann ist auf eine Diesellok umgerüstet worden. Also ich war noch nie so froh, wieder auf polni­schem Boden zu sein! Vier Mal haben sie die Lok in der Nacht umgehängt, um mit dieser Diesellok herauszukommen. – Da wird einem die ganze Dimension bewusst.

Das heißt, ich glaube, es wird von der Europäischen Union wirklich viel unter­stützt, aber es wäre eine Hybris zu sagen, das sei viel, weil es immer noch zu wenig ist. (Abg. Ernst-Dziedzic: Vielen Dank!)

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Die nächste Zusatzfrage stellt Abgeordneter Troch. – Bitte.

Abgeordneter Dr. Harald Troch (SPÖ): Guten Morgen, Frau Bundesministerin! Zum Ukrainekrieg: Der dürfte ja leider im Jahr 2023 weitergehen. Die huma­nitäre Hilfe, bei der sich Österreich durchaus großzügig und effizient zeigt, wäre sowieso auch nach dem Krieg noch eine Zeit lang notwendig.

Frau Bundesministerin, wie schaut das 2023 finanziell aus? Was plant Öster­reich, wie sind die Dimensionen und wie sehen Sie die humanitäre Hilfe im Rahmen unserer österreichischen Neutralität?

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Frau Bundesministerin, bitte.

Bundesministerin für EU und Verfassung im Bundeskanzleramt Mag. Karoline Edtstadler: Humanitäre Hilfe ist notwendig, richtig und wichtig, und neutral zu sein heißt nicht, neutral gegenüber Krieg und Kriegsverbrechen zu sein.

Ich bin froh und dankbar, dass nicht nur Gelder gespendet werden, Sachspenden geleistet werden, sondern dass die österreichische Bevölkerung auch extrem aufnehmend und wohlwollend gegenüber denen ist, die flüchten mussten. Es wurden teilweise Zimmer, Privatzimmer, zur Verfügung gestellt, es gibt eine ganze Flut an Privatunterkünften, in denen Flüchtlinge auch unterkommen, und das jetzt teilweise schon sehr lange. Da möchte ich an dieser Stelle auch einmal einen großen Dank an die Riesenhilfsbereitschaft der Österreicherinnen und Österreicher aussprechen.

Ich kann Ihnen hier und heute keine Zahlen nennen, was da sozusagen an weiteren Unterstützungen im nächsten Jahr geleistet werden wird, aber ich kann Ihnen berichten, dass wir erst heute darüber gesprochen haben, auch sammeln zu wollen, was die einzelnen Institutionen machen. Der Gemeindebund macht irrsinnig viel, die Städte machen teilweise viel, in den Ländern passiert viel und natürlich auch auf Bundesebene durch die einzelnen Ressorts, und das sollte man auch, um es darstellen zu können, sammeln. Wir sind jetzt dabei und dann kann ich Ihnen beim nächsten Mal diese Frage vielleicht konkreter beantworten. (Abg. Troch: Danke!)

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Sie stellen gleich die nächste Hauptfrage, Herr Abgeordneter Troch. – Bitte.