15.10

Abgeordneter Dr. Helmut Brandstätter (NEOS): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuseherinnen und Zuseher! Ich beginne mit einem Zitat aus diesem Buch „Himmel über Charkiw“ von Serhij Zhadan (das genannte Buch in die Höhe haltend). Er schreibt: „2. April“ – 2022. – „Das sind Kyrylo und Tymofij, Brüder. Kyrylo ist 12, Tymofij 9. In zwei Metrostationen sind sie für die jüngeren Kinder verantwortlich, nennen sie die Kleinen))))

Gestern frage ich Tymofij: Was soll ich euch mitbringen? Nichts, sagt er. Überlegt dann. Bring, sagt er, Webteppiche, damit die Kleinen nicht über den kalten Boden kriechen“ müssen. Kinder im Krieg. Inzwischen hören wir aus Cherson, dass es dort gegenwärtig, 2022, Folterkammern für Kinder gibt.

Ein weiteres, ganz anderes Zitat stammt von Andrej Kurkow (das Buch „Tagebuch einer Invasion“ in die Höhe haltend) – er ist übrigens ein russischer Schrift­steller, der in der Ukraine aufgewachsen ist. Er schreibt: „Sogar die Häuser toter Schriftsteller wurden ins Visier genommen. Das Museum und Wohnhaus meines ukrainischen Lieblingsschriftstellers und philosophen Hryhorij Skoworo­da […] wurde durch einen einzigen Bombeneinschlag zerstört.“

Meine Damen und Herren, gerade jetzt in diesem Moment, in dem wir hier zusammen sind, sollen die Menschen in der Ukraine ermordet werden, aber auch die ukrainische Kultur soll ausgelöscht werden. Kollegin Ernst-Dziedzic hat es bereits gesagt: Wir waren gerade als parlamentarische Freundschaftsgruppe in der Ukraine. Wir waren in Kiew, wir waren auch die erste Delegation in Charkiw. Kollege Gerstl und Kollege Troch waren auch mit in Kiew. Wir haben erlebt, was die Menschen uns erzählt haben; sie haben uns vom Krieg, aber auch von diesem unglaublichen Widerstandswillen erzählt. Sie haben uns erklärt, dass sie wissen, wenn sie diesen Krieg nicht gewinnen, dann leben sie in einer Putin-Diktatur.

Wir haben vom Holodomor gehört, das ist 90 Jahre her. Das Ziel war Tod durch Hunger – Holodomor. Heute sprechen die Menschen in der Ukraine von Cholodomor – Ziel: Tod durch Erfrieren. Das, was Diktator Stalin begonnen hat, will Diktator Putin nun in der Ukraine vollenden. Mein Kollege Niki Sche­rak wird über den Cholodomor noch Genaueres sagen.

Ich will aber noch etwas über die Ukraine erzählen, was wir dort gesehen haben. Am 24. Februar dieses Jahres bin ich hier gestanden und konnte erzählen, was mir meine Kollegin aus dem ukrainischen Parlament Inna Sovsun erzählt hat. Sie hat mir auch die Geräusche von sich zu Hause von den Bombenangriffen auf Kiew vorgespielt. Im Juni haben wir uns gesehen, und da hat sie mir gesagt: Sie hat das Selbstbewusstsein, dass Putin sein Ziel nicht erreichen wird. Nun sagt sie: Wir müssen diesen Krieg gewinnen, sonst werden wir alle vernichtet. Das darf sich aber nicht wiederholen, 90 Jahre danach.

Wir haben in Kiew mit Vertretern der NGO Civil Liberties gesprochen. Es sind inzwischen 24 000 Kriegsverbrechen detailliert registriert. Das heißt, diese Organisation und andere wissen inzwischen von 24 000 Fällen, in denen genau aufgeschrieben ist, was passiert ist, zum Teil die Täter, zum Teil die Opfer. Der Generalstaatsanwalt der Ukraine spricht von 44 000 Kriegsverbrechen, aber diese 24 000 sind jedenfalls nachgewiesen.

Es ist nachgewiesen, dass russische Soldaten angewiesen wurden, möglichst viele Frauen in der Ukraine zu vergewaltigen, nach dem Motto: Die sollen nie wieder einen Mann anschauen, es sollen keine ukrainischen Kinder mehr geboren werden. Das ist nachgewiesen.

Es ist ebenfalls nachgewiesen, dass russische Soldaten angewiesen wurden, auf Ukrainer zu schießen, dass sie auch alles, was Zivilbevölkerung bedeutet, einfach vernichten.

Dieser Krieg hat noch eine Auswirkung. Ich habe es bereits gesagt: Andrej Kurkow ist Russe – und er beschreibt, wie sein Großvater von den Deutschen ermordet wurde und er als Kind nicht Deutsch lernen konnte und wollte. Was er nun beschreibt, ist, dass es für diese junge Generation von Ukrainern heißt, sie wollen – obwohl viele von ihnen russischsprachig sind – mit der russischen Kultur, dieser großartigen russischen Kultur, nichts mehr zu tun haben. Er schreibt auch über eine Opernsängerin, die sagt: Es kann doch nicht sein, dass ich nie wieder in „Eugen Onegin“ mitsingen kann – und auch ich kann mir nicht vorstellen, dass ich das nicht wieder höre. Ein Teil des Zerstörungswerks von Putin ist es aber, uns auch dahin zu kriegen, dass wir die russische Kul­tur nicht mehr schätzen. Auch das, liebe Kolleginnen und Kollegen, darf nicht sein.

Wir haben beim Bürgermeister von Charkiw auch gehört, wie viele Schulen, Spitäler und zivile Einrichtungen ganz bewusst zerstört wurden. Noch etwas: Wir waren beim Gouverneur von Charkiw, und ich habe ihn gefragt, wie viele Menschen eigentlich die Oblast, also das Bundesland, verlassen haben, und er hat gesagt: Fragen Sie lieber, wie viele zurückgekommen sind! – Er sagt, sehr viele seien zurückgekommen, weil sie in ihrer Heimat leben wollen, und da, glaube ich, kommen wir ins Spiel: Wir müssen Hilfe organisieren – und ich bedanke mich bei allen, die schon so viel Hilfe geleistet haben: Bund, Ländern, Gemeinden, NGOs. Im Außenministerium wird das ja auch zusammengefasst.

Ich bedanke mich bei den Apothekern ohne Grenzen, die das achte Mal dort waren, sehr viele Medikamente hingebracht haben und wirklich einen wun­derbaren Job machen. Ich bedanke mich bei den vielen Einzelpersonen, die hel­fen, und vor allem auch bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Außenministeriums. Arad Benkö und seine Leute machen wirklich einen super Job, sie sind Tag und Nacht unterwegs, sie begleiten alle Delegationen, die kommen, und das ist sehr wichtig.

Ein Wort zur Zukunft möchte ich auch noch sagen. Wir waren auch bei der stellvertretenden Ministerpräsidentin Olha Stefanischyna. Sie ist für die Gespräche mit der Europäischen Union zuständig. Sie hat uns gesagt, sie seien – in Abstimmung mit dem Parlament, das übrigens sehr, sehr aktiv ist, muss ich euch sagen – dabei, die Gespräche zum Beitritt zur Europäischen Union vor­zubereiten. Da werden nun extra einzelne Gesetze vorbereitet und im Par­lament diskutiert, und da geht es auch um Korruption. Sie sprechen selbst an, in welchen Bereichen sie ein Problem haben. Sie sagen: Das müssen wir gemeinsam lösen!, und das finde ich auch ganz großartig.

Herr Bundesminister, ich bitte wirklich, dass wir bei diesen Gesprächen auch sehr konstruktiv mitmachen, genau zuhören, sagen, was die dort brauchen, in welchen Bereichen sie uns brauchen, und mithelfen, weil das ein Stück Europa ist, das zerstört werden soll und nicht zerstört werden darf.

Zum Schluss möchte ich sagen: Ich habe mich gefreut – das letzte Mal war ich mit Kollegin Meinl-Reisinger allein –, dass dieses Mal eben vier Parteien dort waren, und ich würde mich wirklich freuen, wenn wir das nächste Mal zu fünft fahren.

Nach allem, was ich gesagt habe, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FPÖ, müssen Sie verstehen: Dort ist etwas im Gange. Da soll ein Land ausge­löscht werden, da sollen Menschen systematisch ermordet werden. Kollegen Schnedlitz, mit dem ich gerne über Bücher rede, habe ich gestern gesagt: Das Buch schenke ich dir morgen! – Jetzt ist er leider nicht da, aber ich werde es ihm nachher schenken. Ich weiß, er ist ein Leser, er wird es lesen, und viel­leicht kommen wir dann zusammen. Ich glaube, wir brauchen da mehr Einigkeit.

Ich bedanke mich wie gesagt bei allen im Außenministerium und bei allen anderen Kolleginnen und Kollegen, und ich sage: Machen wir das gemeinsam! Die brauchen uns, aber wir brauchen sie auch, wenn wir ein friedliches ver­eintes Europa haben wollen. – Danke schön. (Beifall bei den NEOS, bei Abgeordne­ten der ÖVP sowie der Abg. Ernst-Dziedzic.)

15.17

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Ich darf die Schülerinnen und Schüler des Francisco Josephinums aus Wieselburg recht herzlich bei uns im Hohen Haus begrüßen! (Allgemeiner Beifall.)

Zu Wort gemeldet ist Abgeordneter Engelberg. – Bitte.