16.44

Abgeordnete Petra Bayr, MA MLS (SPÖ): Herr Präsident! Sehr geehrte Da­men und Herren! Herr Außenminister! Die Politik der Türkischen Republik macht uns in vielerlei Hinsicht Sorgen, große Sorgen. Ich denke jetzt nur zum Bei­spiel an die nach wie vor sehr massive Gewalt gegen Frauen, die sym­bolisch dann noch darin gegipfelt hat, dass die Türkei oder – genau genommen – der Präsident der Türkei die Istanbulkonvention verlassen hat. Ich denke daran, dass die Türkei sich nach wie vor konsequent weigert, wirklich wichti­ge Urteile des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte umzusetzen. Ich denke daran, dass das türkische Parlament jetzt vor Kurzem, im Oktober, ein Falschnachrichtengesetz beschlossen hat, das befürchten lässt, dass noch mehr Leute aufgrund ihrer Gesinnung, aufgrund dessen, was sie sagen oder schrei­ben, verhaftet und eingesperrt werden sollen.

Gestern gab es wieder einen ganz speziellen Anlass, der Sorge bereitet, nämlich die Verhaftung – ein willkürlich motiviertes Vorgehen! – des Istanbuler Bür­germeisters Ekrem İmamoğlu. Er ist nicht der Einzige, dem das passiert ist. Etwa 50 Bürgermeisterinnen und Bürgermeister vor allem im Osten der Türkei sind abgesetzt und durch Regierungskommissäre, die AKP-nahe sind, ersetzt worden, teilweise sind sie inhaftiert. Es ist ganz klar, dass da rechtsstaatli­che Grenzen überschritten worden sind und hinter all diesen Fällen wirklich ein politisch motiviertes Vorgehen steckt.

Der amtierende Istanbuler Oberbürgermeister ist zu einer Haftstrafe von zwei Jahren und sieben Monaten verurteilt, weil er die Wahlkommission im Jahr 2019 beleidigt haben soll. Es liegt natürlich auf der Hand, dass er als potenzieller Gegenkandidat zu Erdoğan bei den Präsidentschaftswahlen im nächsten Jahr ei­ner ist, der da politisch verräumt werden soll, der auch mit einem Politikver­bot belegt werden soll.

Ich stelle gemeinsam mit Herrn Kollegen Brandstätter daher folgenden Entschließungsantrag:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Petra Bayr, MA MLS, Dr. Helmut Brandstätter, Kolleginnen und Kollegen betreffend „politisch willkürlich motiviertes Vorgehen ge­gen den Istanbuler Bürgermeister Imamoglu“

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung, insbesondere der Bundesminister für europäische und internationale Angelegenheiten wird aufgefordert, sich umgehend auf bilateraler Ebene gegen das politisch willkürliche Vorgehen gegen den demokratisch gewählten Istanbuler Oberbürgermeister Imamoglu und dessen drohende Ver­haftung auszusprechen und sich nachdrücklich für die Einhaltung der Men­schenrechte, der Meinungsfreiheit und rechtsstaatlicher Prinzipien in der Türkei einzusetzen. Darüber hinaus wird die Bundesregierung, insbesondere der Bundesminister für europäische und internationale Angelegenheiten aufgefor­dert, alle Fälle von willkürlich inhaftierten Menschenrechtsverteidiger*in­nen, Anwält*innen, Journalist*innen, Politiker*innen und Akademiker*innen wei­terhin gegenüber der Türkei zur Sprache zu bringen und sich für deren Frei­lassung und Rehabilitation einzusetzen.“

*****

(Beifall bei der SPÖ sowie des Abg. Brandstätter.)

Ich finde es – was ich aus den Vorgesprächen weiß – bedauerlich, dass die Regierungsparteien diesem Antrag nicht zustimmen, weil das Außenministerium die Politik verfolgt, dass man über Einzelfälle nicht sprechen mag.

Ich glaube, es ist wichtig, über Einzelfälle zu sprechen, abgesehen davon, dass der Antrag ja alle inhaftierten Menschenrechtsverteidiger:innen, Anwält:in­nen, Politiker:innen et cetera mitmeint. Ich hoffe sehr, dass auch das Außenministerium dann, wenn es um den Einsatz für die Rechte, die Grund­rechte von Menschen anderswo geht – es kann nicht ausschlaggebend sein, ob die vielleicht für die richtige oder für die falsche Partei tätig sind, wie im Falle von İmamoğlu die CHP –, eine entsprechende Haltung zum Ausdruck bringt.

Ich glaube, unser Einsatz muss wirklich für alle gleichermaßen gelten und bemerkbar sein. Vielleicht überlegen Sie es sich in diesem Sinn ja noch anders und können diesem, glaube ich, wichtigen und relevanten Antrag doch zustimmen. – Danke sehr. (Beifall bei der SPÖ sowie des Abg. Brandstätter.)

16.48

Der Antrag hat folgenden Gesamtwortlaut:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Petra Bayr, MA MLS, Dr. Helmut Brandstätter,

Kolleginnen und Kollegen

betreffend politisch willkürlich motiviertes Vorgehen gegen den Istanbuler Bürger­meister Imamoglu

eingebracht im Zuge der Debatte zu Top 15 / Bericht des Außenpolitischen Aus­schusses über den Außen- und Europapolitischen Bericht 2021 der Bundesregierung (III-770/1766 d.B.)

In der Türkei wurden von Präsident Erdogan in den letzten Jahren rund 50 de­mokratisch gewählte Bürgermeister von ihren Ämtern abgesetzt und teil­weise verhaftet. Dieser Verstoß gegen rechtsstaatliche Grundsätze wurde u.a. von der Venedig Kommission des Europarates, dem Europäischen Parlament und internationalen Menschenrechtsorganisationen scharf kritisiert.

Gestern wurde der amtierende Istanbuler Oberbürgermeister Ekrem Imamoglu von einem Strafgericht zu einer Haftstrafe und einem Politikverbot verurteilt. Ein Istanbuler Gericht verhängte über ihn wegen der angeblichen Beleidigung der Wahl­kommission im Jahr 2019 eine Haftstrafe von zwei Jahren und sieben Monaten. Imamoglus Anwalt hat gegen das Urteil Berufung angekündigt.

Türkische Oppositionelle bezeichnen den Prozess als politisch motiviert. Imamoglu gilt als möglicher Gegenkandidat von Präsident Erdogan bei der Präsidentschaftswahl im nächsten Jahr.

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgenden

Entschließungsantrag

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung, insbesondere der Bundesminister für europäische und internationale Angelegenheiten wird aufgefordert, sich umgehend auf bilateraler Ebe­ne gegen das politisch willkürliche Vorgehen gegen den demokratisch gewählten Istanbuler Oberbürgermeister Imamoglu und dessen drohende Verhaftung auszuspre­chen und sich nachdrücklich für die Einhaltung der Menschenrechte, der Mei­nungsfreiheit und rechtsstaatlicher Prinzipien in der Türkei einzusetzen. Darüber hi­naus wird die Bundesregierung, insbesondere der Bundesminister für europäi­sche und internationale Angelegenheiten aufgefordert, alle Fälle von willkürlich inhaf­tierten Menschenrechtsverteidiger*innen, Anwält*innen, Journalist*innen, Poli­tiker*innen und Akademiker*innen weiterhin gegenüber der Türkei zur Sprache zu bringen und sich für deren Freilassung und Rehabilitation einzusetzen.“

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Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Der Entschließungsantrag ist ordnungsge­mäß eingebracht, ausreichend unterstützt, steht somit in Verhandlung.

Die nächste Rednerin ist Frau Abgeordnete Ernst-Dziedzic. – Bitte sehr.