9.16

Bundesminister für Arbeit und Wirtschaft Mag. Dr. Martin Kocher: Sehr geehr­ter Herr Präsident! Hohes Haus! Werte Abgeordnete! Vielen Dank für diese Gelegenheit, über ein Thema sprechen zu können, das aus meiner Sicht für die Zukunft Österreichs tatsächlich sehr entscheidend ist.

Wir konnten in den letzten 20 Jahren jedes Jahr etwa 50 000 zusätzliche Beschäftigte, unselbstständig Beschäftigte, am österreichischen Arbeitsmarkt verzeichnen. Das waren zum Großteil auch Teilzeitbeschäftigte. Das war ein Erfolgsmodell. Es hat Menschen auf den Arbeitsmarkt gebracht, es hat Wohlstand gebracht und es hat dazu geführt, dass wir ein Sozialsystem absichern konnten, das in der Welt seinesgleichen sucht. – Das ist also die Aus­gangslage.

Teilzeit ist tatsächlich, auch das ist wichtig – aufgrund der medialen Verkürzung kommt das oft nicht vor –, sehr vielfältig. Es gibt natürlich viele Teilzeitbe­schäftigte, die Betreuungspflichten haben, zum Beispiel Kinderbetreuungspflich­ten, die auch keine Möglichkeit haben, eine Vollzeitbeschäftigung aufzuneh­men. Es gibt Teilzeitbeschäftigte, die immer noch kein Angebot bekommen, eine Vollzeitbeschäftigung aufzunehmen – und das in verschiedenen Branchen. Es gibt also Teilzeitbeschäftigte – und von denen habe ich nie gesprochen –, für die es gar nicht die Möglichkeit gibt, mehr Stunden zu arbeiten. Es gibt Teilzeit­beschäftigte, die zum Beispiel aus gesundheitlichen Gründen oder weil sie nebenbei eine Ausbildung absolvieren in Teilzeit beschäftigt sind.

Dann gibt es ungefähr ein Drittel der Teilzeitbeschäftigten, die das aus nicht klar nachvollziehbaren Gründen machen, freiwillig, weil sie nicht Vollzeit arbei­ten müssen, weil sie vielleicht auch im Moment nicht anders wollen, die sich also weitgehend freiwillig für Teilzeit entschieden haben – auch das ist nichts Schlechtes. Wie gesagt, in den letzten Jahrzehnten hat das dazu geführt, dass in Österreich Wohlstand entstanden ist.

Warum ist die Diskussion jetzt entscheidend und wichtig für die Zukunft? – Wir werden in den nächsten 20 Jahren weniger Erwerbstätige in Österreich haben oder zumindest ein konstantes Niveau an Erwerbstätigen. Die demografi­sche Entwicklung bringt uns in den nächsten Jahren eine Pensionierungs­welle, und dadurch wird der Zuwachs an Beschäftigten entweder zurückgehen oder konstant bleiben, vielleicht leicht steigen, aber sicher nicht mehr so dynamisch wie in den letzten zehn bis 20 Jahren sein.

Ich möchte jetzt nicht die Kassandra spielen, aber wie gesagt, dieser Zuwachs an Beschäftigten hat Österreich Wohlstand gebracht und hat vor allem unsere sozialen Systeme gesichert. Wenn wir das weiter wollen, dann müssen wir uns überlegen, wie wir es in den verschiedenen Bereichen schaffen, Menschen die Möglichkeit zu geben und es für sie attraktiv zu machen, dass sie mehr ar­beiten, dass sie überhaupt arbeiten können, dass sie länger im Berufs­leben stehen und so weiter.

Es geht darum, dass wir mit den Maßnahmen, die wir in Zukunft setzen – seien es steuerliche Maßnahmen, Maßnahmen im Bereich Leistungen oder Maß­nahmen in den Bereichen Infrastruktur, Kinderbetreuung –, in Bezug auf den Ar­beitsmarkt möglichst viele Potenziale heben und auch schaffen.

Da geht es mir jetzt gar nicht so sehr um die Wirtschaft, das Wirtschaftswachs­tum und die Unternehmen; es geht um den Wohlstand, den wir gemeinsam in Österreich haben, und es geht um die sozialen Systeme, die in Österreich vor allem auf Beitragseinnahmen und eben nicht auf Steuern beruhen. Die Bei­tragseinnahmen hängen von den Beschäftigten ab, und wenn wir das weiter wol­len, dann ist es wichtig, dass es attraktiv ist, zu arbeiten, und dass es vor allem möglich ist, zu arbeiten. Die Frau Klubobfrau hat auch das Leistungsversprechen, das es gibt, angesprochen: Wenn man arbeitet, kann man sich etwas leisten. – Es ist wichtig, dass das aufrecht bleibt. Das ist keine alleinige Aufgabe des Arbeits- und Wirtschaftsministers, es ist auch eine Aufgabe der Gesund­heitspolitik und der Bildungspolitik. Es bedarf vieler Maßnahmen, damit wir dieses Ziel erreichen können.

Ich möchte noch einmal etwas zu meiner Aussage sagen und möchte widerspre­chen: Ich habe nie von Bestrafung gesprochen, es wurde auch medial sehr verkürzt dargestellt. Es geht nicht darum, jemandem etwas wegzunehmen. Es geht darum, dass wir es schaffen, Arbeit möglich und attraktiv zu ma­chen, und zwar für alle, die das wollen. Ich hoffe sehr, dass es uns gelingt, in der nächsten Zeit eine faktenorientierte Diskussion über diesen Themenkomplex zu führen.

Warum ist das wichtig? – Vielleicht ganz kurz eine aktuelle Zahl, die das bestätigt: Wir haben jetzt, Ende Februar – das sind die ganz aktuellen Zahlen –, 3,923 Millionen Beschäftigte in Österreich. Das ist ein Rekordwert für Ende Februar. Gleichzeitig ist die Zahl der offenen Stellen von Ende Jänner bis Ende Februar von 107 000 auf gut 111 000 gestiegen – in einer Zeit, in der die Wirtschaft lahmt, in der die Konjunktur nicht gut ist. Das ist ein Vorbote dessen, was wir aufgrund einer demografischen Entwicklung, die auch nicht mehr so rasch umgedreht werden kann, in den nächsten Jahren erleben werden.

Auch die Unternehmen müssen ihren Beitrag leisten. Nicht nur die Politik ist ge­fordert, sondern auch die Unternehmen. Es gibt Unternehmen, die keine Vollzeitstellen anbieten. Manchmal machen sie das, weil sie bei Teilzeitausschrei­bungen mehr Bewerbungen bekommen, aber es gibt sicher auch noch Unter­nehmen, die nur Teilzeitstellen anbieten. Das muss sich ändern. Die Sozialpart­ner müssen über Kollektivvertragslösungen auch Beiträge leisten. Ich bin über jeden Beitrag froh, und ich denke, es ist wichtig, über diese Beiträge zu dis­kutieren.

Ich muss ganz ehrlich sagen, ich finde auch die Idee, dass jemand mehr be­kommt, wenn er mehr arbeitet, gut. Vom Vollzeitbonus bin ich jetzt noch nicht ganz überzeugt. Überschlagen wir es kurz: Die 100 Euro pro Monat würden Kosten von 4 Milliarden Euro ergeben. (Abg. Meinl-Reisinger: 1,8!) Wenn man dann gleichzeitig auch die Steuern senken möchte, weiß ich nicht, wie man das zustande bringen kann, aber ich bin bereit, über alles zu diskutieren. Ich glaube, es ist unser gemeinsames Ziel und Anliegen, dass wir es schaffen, Österreich als Land mit hohem Wohlstand und hohem sozialen Standard aufrechtzuerhalten. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Grünen.)

Dafür ist die Arbeitsmarktpolitik aufgrund der demografischen Entwicklung ein zentraler Schlüssel – aber eben nicht nur, es geht wie gesagt zum Beispiel auch um Gesundheitspolitik und Bildungspolitik. – Vielen Dank. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Grünen.)

9.23

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Herr Klubobmann Wöginger. – Bitte sehr.