9.55
Abgeordneter Josef Muchitsch (SPÖ): Herr Präsident! Herr Bundesminister! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Vorweg: Danke an die NEOS für diese Aktuelle Stunde! Ja, es gibt ein immer größer werdendes Problem. Dieses Nichthandeln der Bundesregierung bei der Bekämpfung der Inflation bringt immer mehr Menschen in eine finanzielle Notsituation. Menschen, die Vollzeit arbeiten, können mit ihrem Einkommen ihre Rechnungen nicht mehr bezahlen, bisher Erspartes wird aufgebraucht, die Sparquote bei den betroffenen Gruppen sinkt, die Armutsquote steigt.
Diese Rekordteuerung in Österreich schränkt auch den Konsum ein und bremst somit den größten Motor des Wirtschaftswachstums. Expertinnen und Experten prognostizieren ein Wirtschaftswachstum von knapp über 0 Prozent.
Während andere Regierungen, wie jene in Spanien – sozialdemokratisch geführt –, die Inflation bekämpft haben und eine Inflationsrate von 6,5 Prozent haben, haben wir eine Rekordinflation von 11,2 Prozent. Und genau in dieser Zeit, in einer Zeit, in der immer mehr Menschen größere Probleme haben, kommt dieser Vorstoß, bei Beschäftigten in Teilzeit Sozialleistungen zu kürzen.
Herr Bundesminister, Sie haben das heute zurückgenommen. (Zwischenruf des Abg. Wöginger.) Das ist gut, aber dann lassen wir uns doch auf eine sehr fachliche Debatte ein und schauen uns die verschiedenen Gruppen der Teilzeitbeschäftigten etwas näher an.
Die Gruppe eins, ja, Herr Klubobmann Wöginger, das sind Teilzeitbeschäftigte, die Teilzeit arbeiten wollen, und dort soll man die Wahlfreiheit auch unbedingt so belassen.
Dann gibt es die Gruppe zwei: Das sind Teilzeitbeschäftigte, die mehr arbeiten wollen, aber nicht dürfen, weil es auch ein Geschäft mit Teilzeitbeschäftigten gibt, weil Firmen bewusst Teilzeitbeschäftigte bevorzugen, um einen wirtschaftlichen Vorteil zu haben – ob das im Handel ist, ob das in der Pflege ist oder ob das bei anderen Dienstleistungen wie beim Friseur ist. Warum ist das ein Vorteil für die Unternehmen? – Erstens: Überstundenzuschläge gebühren nicht in vollem Ausmaß; zweitens: sie können sie in geteilte Dienste einteilen; und drittens: sie sind auf Abruf bereit, auch einzuspringen, wenn jemand ausfällt.
Genau diese Gruppe müssen wir schützen, und ich bringe Ihnen ein Beispiel: 2018 waren in Österreich 9 000 Bauarbeiter teilzeitbeschäftigt. Kann sich irgendjemand einen teilzeitbeschäftigten Bauarbeiter auf der Baustelle vorstellen, der um 12 Uhr nach Hause geht? Kann sich irgendjemand einen teilzeitbeschäftigten Bauarbeiter vorstellen, der sagt – bei Häupl war es Dienstagmittag –, am Mittwochmittag ist es aus? Was haben wir hier in diesem Hohen Haus gemacht, Herr Bundesminister? – Wir haben gemeinsam eine Lösung gefunden. Alle teilzeitbeschäftigten Bauarbeiter sind seit 2018 meldepflichtig: über das Ausmaß der Arbeitszeit, über den Arbeitsort, und jede Veränderung muss gemeldet werden. – So wird Politik gemacht, wenn wir verhindern wollen, dass Teilzeit missbraucht wird. (Beifall bei der SPÖ.)
Dann kommen wir zur dritten und zur größten Gruppe. Das ist jene Gruppe unter den 1,3 Millionen Teilzeitbeschäftigten in Österreich – es sind überwiegend Frauen, 80 Prozent –, die in Teilzeit arbeiten müssen – in Teilzeit arbeiten müssen! Warum? – Weil sie Betreuungsaufgaben haben, weil sie in der Familie Verantwortung übernehmen. Es gibt 400 000 Beschäftigte in Österreich, die neben ihrem Job zu Hause zu pflegende Angehörige pflegen – 400 000 Beschäftigte, wieder überwiegend Frauen, die neben ihrem Job jeden Tag zu pflegende Angehörige zu Hause pflegen. Diese können gar nicht mehr Stunden arbeiten. Es gibt eine Million Haushalte mit Kindern in Österreich – eine Million Haushalte! –, und da sagen die Frauen – das sind wieder überwiegend Frauen –: Ich muss meine Kinder betreuen. Ich lebe am Land, wo ich keine Ganztagesbetreuungseinrichtungen habe, ich muss meine Kinder betreuen! – Sie wollen zwar mehr arbeiten, können aber gar nicht mehr arbeiten.
Genau dort müssen wir ansetzen, meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir brauchen da, gerade für die Frauen, auch ein klares gesellschaftspolitisches Zeichen. (Beifall bei der SPÖ sowie der Abg. Meinl-Reisinger.)
Wir müssen darauf schauen, dass die Frauen nicht wieder zu den Verlierern zählen – wie wegen der Abschaffung der Blockzeiten bei der Altersteilzeit, bei der Anhebung der Alterspension, mit Nichtwertschätzung von Kinder- und Betreuungszeiten; das haben sich Frauen nicht verdient. Deswegen brauchen wir diese Ganztagskinderbetreuungsplätze. Das, was 2017 nicht die ÖVP, aber Bundeskanzler Kurz verhindert hat, das hätten wir jetzt schon erledigt gehabt. Wir brauchen unbedingt diese Maßnahmen, um auch dieses Problem zu lösen. (Beifall bei der SPÖ sowie der Abg. Meinl-Reisinger.)
Herr Bundesminister, unsere Vorschläge liegen auf dem Tisch. Besprechen wir diese offen, fachlich und auf Augenhöhe, dann können wir auch da ein Stück weiterkommen! – Danke schön. (Beifall bei der SPÖ.)
10.00
Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Abgeordneter Wurm. – Bitte sehr.