10.06

Abgeordnete Mag. Meri Disoski (Grüne): Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Minister! Werte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuseherinnen und Zuseher! Ich darf Sie aus der Putin-Propagandastunde des Kollegen Wurm wieder in die Realität des österreichischen Nationalrats zurückholen. (Beifall und Bravoruf bei den Grünen sowie Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der SPÖ.)

Ich finde es ja lustig, dass es der FPÖ nicht peinlich ist, sich hierherzustellen und zu sagen, es gäbe Pläne zur Kürzung von Sozialleistungen dieser Bundesre­gierung. (Abg. Rauch: Sinnerfassend zuhören! – Abg. Belakowitsch: Hat der Minister gesagt! – Abg. Wurm: Seid ihr nicht mehr zusammen?) Die Einzigen, die immer dann, wenn sie in Regierungsverantwortung sind, Sozialleistungen kürzen, seid ihr. (Beifall bei den Grünen. – Zwischenruf des Abg. Hafenecker.) Ich erinnere an Sozialministerin Hartinger-Klein, die gemeint hat, dass man von 150 Euro mo­natlich leben kann. Also bitte, das ist einfach peinlich, was ihr macht, hört auf damit! (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

Kommen wir tatsächlich zu dem, was die NEOS heute hier in der Sitzung bean­tragen, den sogenannten Vollzeitbonus. Geht es nach den NEOS, soll jeder, der Vollzeit arbeitet, jede Vollzeit tätige Arbeitnehmerin, jeder Vollzeit tätige Ar­beitnehmer monatlich eine Steuergutschrift in Höhe von 100 Euro erhal­ten – und das einkommensunabhängig. Klubobfrau Meinl-Reisinger hat die Kos­ten dafür mit 1,8 Milliarden Euro beziffert. Wir haben selber vorhin nachge­rechnet und sind auf circa 4 Milliarden Euro gekommen. Das ist eine gro­ße Summe, das ist Geld, das später, wenn man denn diese Maßnahme umsetzen würde, auch im Haushalt entsprechend fehlen würde.

Ich möchte in meiner Rede ausführen, weshalb wir aus frauenpolitischer und auch aus verteilungspolitischer Sicht diesem Vorschlag ganz klar eine Ab­sage erteilen müssen. (Zwischenruf des Abg. Rauch.) Ich möchte eingangs die Gelegenheit dazu nutzen, uns allen hier in Erinnerung zu rufen, dass heu­te Equal-Care-Day ist. Dieser internationale Aktionstag macht darauf aufmerk­sam, dass nach wie vor eine mangelnde Wertschätzung und auch eine un­gleiche Verteilung von Carearbeit, also von unbezahlter Sorge- und auch Für­sorgearbeit, in unserem Land Realität ist. Wir wissen, diese Carearbeit ist zwischen Frauen und Männern krass ungleich verteilt, circa im Verhältnis 4 : 1. Das bedeutet, Männer müssten vier Jahre lang Fürsorgearbeit leisten, um so viel zu machen wie Frauen in einem Jahr erledigen. Das heißt, Fürsorgearbeit, unbezahlte Arbeit ist noch immer eine Frage des Geschlechts. In den aller­meisten Fällen ist diese Arbeit unsichtbar und wird, weil sie im Privaten passiert, auch nicht bezahlt.

Wenn die NEOS heute, an diesem Equal-Care-Day, für ihre Aktuelle Stunde den Titel „Der Beitrag der arbeitenden Menschen in Österreich muss sich wie­der lohnen“ wählen, dann frage ich mich schon: Ja für wen denn, für wen soll sich das lohnen? (Abg. Loacker: Für die Arbeitenden! – Abg. Meinl-Reisinger: Für alle, die arbeiten!)

Deklinieren wir einmal diesen Vorschlag durch: Eine alleinerziehende Mutter (Abg. Meinl-Reisinger: Genau, deshalb Kinderbetreuung!), nennen wir sie Sophie, erhält in Teilzeitarbeit ein Bruttomonatseinkommen von 1 600 Euro – damit ist sie lohnsteuerpflichtig. Sophie hat eine siebenjährige Tochter, nennen wir sie Anna. Die beiden wohnen in Oberösterreich in einer kleinen Gemeinde: ganztägige Kinderbetreuung? – Totale Fehlanzeige. (Abg. Scherak: Das musst aber deinem Koalitionspartner sagen, Meri!) – Die letzte Ibiza­koalition im Bundesland hat dafür keine Sorge getragen. Sophie hat damit keine Chance auf eine bezahlte Vollzeittätigkeit, und was sonst in Kin­derbildungs-, in Kinderbetreuungseinrichtungen von bezahltem und dafür aus­gebildetem Personal übernommen werden würde, muss Sophie selber ma­chen. In Kombination mit dieser Teilzeitanstellung arbeitet sie wöchentlich viel mehr als Patrick, der Programmierer ist, Vollzeit tätig ist und keine Betreu­ungspflicht hat.

Wenn ich das, was die NEOS hier unter dem Titel Vollzeitbonus vorschlagen, durchdekliniere, wird das für Sophie bedeuten, dass sie von diesem Bonus nicht nur absolut nichts hat, es wird verteilungspolitisch bedeuten, dass die allein­erziehende Mutter Sophie, die lohnsteuerpflichtige Sophie – Alleinerzieherin! –, den Lohnsteuergutschriftbetrag in Höhe von 100 Euro für einen gut verdie­nenden alleinstehenden Mann mitfinanziert. (Beifall bei den Grünen. – Abg. Meinl-Reisinger: Deshalb Kinderbetreuung ausbauen! Habe Mut, Meri! Macht einmal was!)

Das beantragen Sie heute hier. Das ist zynisch. Das ist die pinke Gießkanne, die ihr hier auspackt, und das ist aus frauenpolitischer Sicht, aus verteilungspoli­tischer Sicht deshalb auch sehr klar abzulehnen.

Was diese heutige Debatte und die im Vorfeld in den vergangenen Tagen und Wochen auch medial und politisch geführte Diskussion rund um das Thema Teilzeit gezeigt hat, war ein Grundtenor, der mir gar nicht gefällt: Frauen arbeiten nicht genug; Frauen sollten mehr Vollzeit arbeiten; wer Teilzeit arbeitet, ist selber schuld oder faul. All diese Diskussionen haben einen Common Ground: Sie sehen den Mann quasi als Maßstab des arbeitenden Menschen, ei­nen Mann ohne Betreuungspflichten. Das ist so rückständig, dass ich mich wirklich fragen muss: Was außer Frauenshaming sollen denn bitte solche Diskus­sionen bewirken? (Beifall bei den Grünen sowie der Abgeordneten Pfurtscheller, Reiter und Tanda. – Abg. Wurm: Bei der ÖVP haben jetzt zwei geklatscht!)

Diese Diskussionen sagen auch sehr viel über die Wertigkeit von Arbeit in unse­rem Land aus. Sie zeigen, dass wir uns nach wie vor in einem sehr patriar­chalen Arbeits- und auch Wirtschaftssystem befinden, in dem die Arbeit von Frauen, egal ob es bezahlte oder unbezahlte ist, einfach weniger gesehen und weniger wertgeschätzt wird. Dafür wird dann tatsächlich auch weniger be­zahlt. Leider blockieren Ansichten von gestern die Lösungen von heute, die auf der Hand liegen.

Interessanterweise hat heute niemand angeführt, was wir als notwendig erachten, nämlich dass wir endlich zeitgemäße Karenzmodelle brauchen, mit de­nen diese Sorgepflicht, die Sorgearbeit zwischen den Partnern fair verteilt wird. Männer sollen nicht einfach mithelfen, sie sollen endlich einfach ihren Teil übernehmen. Ich bin es wirklich leid, dass diese Vereinbarkeitsfragen im­mer als Frauenthema genannt werden. (Abg. Meinl-Reisinger: Es wäre schön, wenn ihr in der Regierung wärt!) – Es wäre schön, wenn die NEOS in Wien in der Regierung wären, Kollegin Beate Meinl-Reisinger! Ich glaube, das werden wir an­derswo diskutieren.

Ich komme zum Schluss, Herr Präsident: Wir leben in einem Land, in dem Steuern primär über Arbeit und Konsum, aber kaum über Vermögen generiert werden. Wer Arbeit wirklich entlasten will, der darf bei der Gegenfinanzie­rung klarerweise auch nicht auf der Bremse stehen und muss auch über Vermögensteuern nachdenken. (Beifall bei den Grünen sowie der Abge­ordneten Pfurtscheller und Strasser.)

10.12

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Frau Abgeordnete Seidl. – Bitte sehr.