10.45

Abgeordnete Julia Elisabeth Herr (SPÖ): Herr Präsident! Sehr geehrtes Hohes Haus! Ich freue mich sehr, dass wir heute über Industriepolitik sprechen, denn wir müssen uns die Frage stellen: Welche Güter erzeugen wir überhaupt?, und vor allem: Wie? – Lange Zeit hat man sich ja politisch diese Frage gar nicht mehr gestellt. Man ist da dem Dogma des freien Marktes aufgesessen, und es wurde dort produziert, wo die Produktionskosten eben niedrig waren und die Gewinnspanne sozusagen am größten war.

Das hat oftmals bedeutet, dass dort produziert wurde, wo die Löhne am nied­rigsten waren, wo die Ausbeutung der Menschen am höchsten war, wo ge­ringe Sicherheitsstandards geherrscht haben oder Umweltschutzauflagen inexistent waren – viele Gründe also, die wir ja gar nicht gutheißen können.

Diese Auslagerung der Produktionskapazitäten hat uns abhängig gemacht – abhängig von China, abhängig von Taiwan, abhängig teilweise von Indien. In guten Zeiten fällt einem das vielleicht sogar gar nicht auf, aber in schlechten Zeiten, wenn die Lieferketten einbrechen und die Waren plötzlich ausge­hen, dann spüren wir es.

Nehmen wir nur das Beispiel Medikamente her: In Österreich waren zu Beginn des heurigen Jahres – heuer, im Jänner 2023 – mehr als 500 Medikamente nicht mehr oder nur mehr eingeschränkt verfügbar, weil sie nicht mehr geliefert wurden. Da geht es bitte um Medikamente, da dürfen wir nicht abhängig sein, da müssen wir uns selbst versorgen können! (Beifall bei der SPÖ. – Zwischenruf des Abg. Kaniak.)

Die Europäische Union muss sich schlicht die Frage stellen: Welche Produktion ist notwendig?, und diese auch selbstbewusst zurückholen, einfach nur um auch Versorgungssicherheit garantieren zu können. Es braucht eine selbstbe­wusste Politik, die nicht zulässt, dass all diese Fragen einfach an den freien Markt delegiert werden.

Wenn wir heute über Klimaschutzpolitik sprechen, dann gilt dasselbe: Woher kommen die Solarpaneele, die wir auf unsere Dächer montieren? (Abg. Kassegger: Genau!) – Hauptsächlich aus China. Woher kommen die Rohstoffe, die wir dafür brauchen? – Aus der ganzen Welt. Deshalb gilt auch, Frau Ministerin: Wenn wir über erneuerbare Energie sprechen, dann müssen wir sa­gen, es gibt Rohstoffe, die dafür unabdingbar sind – Lithium, Kobalt, Man­gan, Nickel (Abg. Kassegger: Wo kommt das her?), seltene Erden und so weiter und so fort (Abg. Kassegger: Wo kommt das her?) –, und da besteht jetzt schon eine hohe Abhängigkeit von bestimmten Rohstoffen (Abg. Kassegger – nickend –: Richtig!), nach denen der Bedarf mit zunehmender Elektrifi­zierung ja noch zunehmen wird. (Abg. Kassegger: Richtig!) Wir müssen jetzt über strategische Rohstoffreserven sprechen – jetzt, bevor es zu spät ist – und dürfen nicht wieder auf die nächste Krise warten. (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Kassegger: ... eine neue Abhängigkeit!)

Wenn wir das tun, dann brauchen wir endlich faire Lieferketten. Es muss die Einhaltung der Menschenrechte, es muss die Einhaltung der Umweltrechte entlang der gesamten Lieferkette endlich garantiert werden! (Beifall bei der SPÖ.)

Wir brauchen ein Lieferkettengesetz, das Unternehmen dazu zwingt, dass ent­lang der gesamten Lieferkette – vom Abbau der Rohstoffe bis hin zum Recycling – die gesamte Lieferkette in Ordnung sein muss. Es hat nämlich gar nichts mit Umweltschutz zu tun, wenn für den Abbau von seltenen Erden, die wir dann in unseren Batterien, in unseren Akkus verwenden, ganze Landstri­che in Afrika verwüstet werden. Es hat überhaupt nichts mit Klimaschutz zu tun, wenn für den Abbau von Lithium in Südamerika ganze Regionen aus­trocknen und vor Ort dann an Wasserknappheit gelitten wird. Wir können keine bessere Industrie aufbauen, wenn sie auf der Ausbeutung von Mensch und Natur in anderen Regionen dieser Welt basiert. (Beifall bei der SPÖ.)

Dass sich zuletzt die österreichische Bundesregierung, vertreten durch Arbeitsminister Kocher, erneut wieder aufseiten der Zauderer und Zögerer auf EU-Ebene positioniert hat und nicht für ein weitreichendes Lieferkettenge­setz gestimmt hat, das ist abzulehnen. Das ist ganz klar zu verurteilen. Wir brauchen endlich faire Lieferketten.

Frau Ministerin – ich habe Ihnen aufmerksam zugehört –, wenn wir diese modernen Technologien schaffen wollen, dann muss uns natürlich auch klar sein, dass die nicht länger auf fossiler Energie beruhen dürfen. Wir müssen uns so schnell wie möglich aus der Abhängigkeit von Gas, von Öl und von Kohle befreien. Aber dafür muss auch Österreich seine Hausaufgaben machen. Das Energieeffizienzgesetz: 800 Tage ausständig! Das Klimaschutzgesetz: 800 Tage ausständig! Wir warten immer noch auf Verordnungen zum Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz. (Zwischenbemerkung von Bundesministerin Gewessler.) Das haben wir vor eineinhalb Jahren beschlossen und die Verordnungen sind immer noch nicht da! (Zwischenruf bei den Grünen.) Es braucht endlich einen wirklichen Turbo, was den Ausbau der erneuerbaren Energien betrifft. (Beifall bei der SPÖ.)

Für all diese Maßnahmen, auf die wir jetzt schon so lange warten, braucht es auch die Arbeiter und Arbeiterinnen, die diese Energiewende tatsächlich auf den Boden bringen können. Wir sprechen immer von mutigen Zielen: Welche Fachkräfte sollen denn all das umsetzen? Wer soll denn die Fotovoltaikanlage aufs Dach bringen? (Beifall bei der SPÖ.)

Die Arbeitskräfte fehlen derzeit. Wir als SPÖ haben einen Plan für 20 000 Kli­maarbeitsplätze, den wir sofort angehen könnten, vorgelegt. Bitte setzen Sie ihn endlich um! Wir brauchen die Fachkräfte, die die Energiewende tatsäch­lich auf den Boden bringen. – Vielen Dank. (Beifall bei der SPÖ.)

10.51

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist der Abgeordnete zum Europäischen Parlament Roman Haider. – Bitte sehr, Herr Abgeordneter.