15.46

Abgeordneter Mag. Jörg Leichtfried (SPÖ): Herr Präsident! Sehr geehrte Regie­rungsmitglieder! Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich bin froh über diese Debatte, weil sie mehrere Dinge aufzeigt, die nicht uninteressant sind. Sie zeigt einmal auf, was mit der FPÖ so ist: Herr Abgeordneter Hafenecker hat sich hierhergestellt und gesagt – ich habe das mitgeschrieben –: Wir wollen, dass der ORF „der Politik entrissen wird“!

Das ist das, was Sie so spielen, wenn man Sie hört. Wenn man Sie nicht hört oder wenn Sie glauben, dass man Sie nicht hört, ist das etwas ganz anderes. Es gibt ja die Chats von Herrn Strache zum Beispiel – dem ehemaligen Partei­vorsitzenden; den kennt ihr schon noch, nehme ich an (Abg. Belakowitsch: Die Gattin sitzt bei euch!); das ist nicht wie bei der ÖVP der Herr Schmid, den kei­ner mehr kennt. Herr Strache also: „Deshalb braucht es ein ORF-Gesetz, wo totale Personalrochaden, Neubesetzungen möglich werden!“ – Ihr wolltet da die totale blaue Einfärbung, liebe Freundinnen und Freunde von der FPÖ. (Beifall bei der SPÖ sowie der Abgeordneten Maurer und Weratschnig.)

Oder er schreibt: „Brauchen Vorschläge für loyalen top ORF-Direktor.“ – Aha, den Direktor wollen wir auch blau haben. Ja, das ist Entpolitisierung. Ich gratuliere Ihnen zu Ihrer Doppelmoral, geschätzte Kolleginnen und Kollegen. (Zwischenruf der Abg. Steger.)

Dann schreibt er: „Bei ORF-Struktur“ – in Zukunft – „bitte darauf achten:

1. Vorstand: Fernsehen

2. Vorstand: Digital und Radio

3. Finanzen/Personal

4. Zentrale Dienste [...]

Wir“ wollen unbedingt „auf 2 und 3 bestehen!“

Ja, das ist Entpolitisierung für die FPÖ. – Doppelmoral ist das, nichts anderes ist das, was ihr da von euch gebt! (Beifall bei der SPÖ, bei Abgeordneten der Grü­nen sowie des Abg. Schmidhofer.)

Ich bin aber ein zweites Mal froh, dass wir das heute diskutieren, weil der ORF schon auch ein Beispiel für das zentrale Versagen der Bundesregierung in diesem Bereich ist – das muss man auch ganz offen sagen.

Fakt ist: Mit 1.1.2024 braucht der ORF eine neue Finanzierung, und Sie haben sich jetzt einmal oder mehrmals in Richtung Haushaltsabgabe geäußert. Heute stellen Sie sich wieder hierher und sagen: Haushaltsabgabe oder irgend­etwas anderes; mit dem Koalitionspartner ist auch nichts ausgemacht. – Ich meine, so kann man es auch nicht machen. Sie müssen doch hierherkommen und einmal etwas Konkretes vorschlagen, Frau Bundesministerin, und nicht mit vagen Begriffen um sich werfen, die am Ende nichts heißen und nichts bedeuten und an denen auch nichts dran ist. So kann man nicht Politik machen und so kann man auch nicht Politik für den ORF machen! (Beifall bei der SPÖ sowie der Abg. Brandstötter.)

Wenn Sie auf dieser Haushaltsabgabe bestehen, dann würde mich interessieren: Wie schaut denn so etwas eigentlich aus? Wie ist Haushalt genau definiert? Zahlt die Villenbesitzerin gleich viel wie die Pensionistin in der Zimmer-Küche-Wohnung? (Abg. Michael Hammer: Der Haushaltsvorsitzende, wenn man weiß, wer das ist, aber bei euch ist das ja nicht so! – Zwischenruf des Abg. Wöginger.) Ist das Ihre Absicht? Ich traue Ihnen das zu, deshalb frage ich Sie ja.

Sie zäumen vor allem das Pferd ja von hinten auf. Bevor man über die Finanzierung sinnvoll diskutiert, muss man ja einmal diskutieren: Was soll der ORF eigentlich können? Was ist die Aufgabe des öffentlichen Rund­funks? – Dazu habe ich von Ihnen überhaupt noch nichts gehört, außer, dass jetzt alles Mögliche eingespart werden soll, dass ORF Sport plus einge­spart werden soll, dass das Orchester eingespart werden soll. (Zwischenruf der Abg. Belakowitsch.) Ist es das, was wir vom ORF wollen, dass alles, was interessant ist und einen gewissen öffentlich-rechtlichen Sinn macht, eingespart wird? Ist es das, was Sie wollen, Frau Bundesministerin?

Was ist mit dem Bildungs- und Kulturauftrag? Was ist mit der Strukturierung? Also meines Erachtens ist Medienpolitik viel mehr, als zu sagen: Ihr müsst 300 Millionen Euro einsparen, und wir machen irgendeine Abgabe, von der ich noch nicht weiß, was es ist. Das ist nicht Medienpolitik, Frau Bundesminis­terin, das ist Pfusch! Das sage ich Ihnen ganz offen. Das ist Pfusch in der Medienpolitik, und das ist das, was ich wirklich kritisiere. (Beifall bei der SPÖ.)

Sie haben es angesprochen, Sie haben selber gesagt, der ORF braucht mehr digitale Möglichkeiten. Da finden wir uns. Wir sind auch der Auffassung, dass öffentlicher Rundfunk, wenn er öffentlicher Rundfunk bleiben will und eine gewisse Größe und Verbreitung hat, natürlich auch die neuen Medien und vor allem die Menschen, die neue Medien benutzen, mitumfassen muss. Nur, wo ist Ihr Konzept dafür? Wie soll das gehen? Auch dazu haben Sie meines Erachtens kein Konzept. Ich habe das Gefühl, dass Sie eigentlich, ich weiß nicht, diese 300 Millionen Euro irgendwie in der Nacht gewürfelt haben und jetzt behaupten, das muss genau so sein. – Nein, das ist es nicht.

Es geht darum: Was muss er können? Meines Erachtens braucht es ein Finan­zierungsmodell, das die Unabhängigkeit des ORF sichert – das ist Punkt eins –, das sozial verträglich ist – das ist Punkt zwei –, das den ORF auch zur Sparsamkeit verpflichtet – das ist Punkt drei –, das dem Verfassungsge­richtshofurteil entspricht – das ist Punkt vier – und das es dem ORF ermöglicht, seinen öffentlich-rechtlichen Auftrag wahrzunehmen, geschätzte Damen und Herren. Das wäre Medienpolitik, wie ich sie mir von der Bundesregierung erwarten würde. (Beifall bei der SPÖ.)

Ich möchte aber auch noch zum Dringlichen Antrag der FPÖ kommen. Ich habe das Gefühl, ihr habt euch beim Verfassen dieses Antrages ein bisschen von der Aschermittwochrede des Herrn Kickl inspirieren lassen. Ich habe noch nie eine derartige unterirdische, wirre, unsachliche und – Kollegin Neßler wird wahrscheinlich sagen – grindige Begründung eines Antrages erlebt wie bei die­sem Antrag. Bei so etwas geht die Sozialdemokratie sicher nicht mit, sehr geehrte Damen und Herren! (Beifall bei der SPÖ sowie bei Abgeordneten von ÖVP und Grünen. – Abg. Wurm: ... ihr geht immer mit der Regierung mit, Kollege Leichtfried!)

Wenn Sie den ORF zerschlagen wollen, und das scheint offensichtlich Ihr Plan zu sein, sage ich Ihnen eines: Oligarchen-TV brauchen wir in Österreich nicht, auch wenn das anscheinend Ihr Traum in der Medienpolitik ist. (Beifall bei der SPÖ sowie bei Abgeordneten von ÖVP und Grünen.)

Deshalb bringen wir folgenden Antrag ein:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Mag. Jörg Leichtfried, Kolleginnen und Kollegen betreffend „ein faires Finanzierungsmodell für den ORF“

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung und insbesondere die Bundesministerin für Frauen, Familie, Integration und Medien werden aufgefordert, von den bisher bekannten Plänen für eine Haushaltsabgabe abzusehen und dem Nationalrat ein Finan­zierungsmodell des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Österreich vorzulegen, das die Unabhängigkeit des ORF sichert, das fair nach den jeweiligen wirt­schaftlichen Möglichkeiten der Haushalte und Unternehmen gestaltet ist und es dem ORF ermöglicht, seinen öffentlich-rechtlichen Auftrag zu erfüllen.“

*****

Frau Bundesministerin, ich habe noch einen persönlichen Appell an Sie. Sie werden wahrscheinlich in die österreichische Mediengeschichte als die Ministerin eingehen, die dafür verantwortlich ist, dass es die älteste Ta­geszeitung der Welt nicht mehr geben wird. (Abg. Loacker: ... Abo von der „Wiener Zeitung“?) Ich würde Sie schon auffordern, darüber nachzudenken, ob Sie auch als die Ministerin in die Geschichte eingehen wollen, die den öffentlichen Rundfunk in Österreich auf dem Gewissen hat. – Danke schön. (Beifall bei der SPÖ.)

15.53

Der Antrag hat folgenden Gesamtwortlaut:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Jörg Leichtfried,

Genossinnen und Genossen

betreffend ein faires Finanzierungsmodell für den ORF

eingebracht im Zuge der Debatte über den Dringlichen Antrag betreffend „Nein zur ORF-Steuer!" in der 202. Sitzung des Nationalrates, XXVII. GP, am 01.03.2023.

Dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk kommt als rot-weiß-rotem Leitmedium und Quelle hochwertiger Information im Internetzeitalter mit all seinen medienpolitischen Umbrüchen und Verwerfungen eine besondere Rolle zu. Die Unabhängigkeit und stabile Finanzierung des ORF ist daher die Fahnenfrage für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Denn davon hängt ab, ob der ORF auch in Zukunft als journalistisches Leitmedium in Österreich anerkannt wird. Der ORF lebt durch seine Mitarbei­ter*innen. Diese bilden das Herz des Unternehmens und müssen optimale Rahmenbedingungen für ihre kritische und engagierte Arbeit vorfinden. Aufgabe der Politik ist es sicherzustellen, dass der ORF und seine Journalist*innen unab­hängig arbeiten können. Aufgabe der Politik ist es nicht, sich in die journalistische Arbeit einzumischen, politischen Druck auszuüben oder Finanzierungsspiel­chen mit diesem wichtigen Unternehmen zu spielen.

Die Medienpolitik der Bundesregierung in Sachen ORF beschränkt sich bisher auf vage Ankündigungen. Die Medienministerin lässt lediglich das Stichwort „Haushaltsabgabe" fallen, mit dem Koalitionspartner scheinen vor allem wichtige Details noch nicht abgesprochen zu sein. Wie hoch soll die Haushaltsabgabe sein? Wie und von wem soll sie eingehoben werden? Wer soll sie zahlen - gibt es wei­terhin eine Gebührenbefreiung, gibt es eine soziale Staffelung, wie werden auch Unternehmen miteinbezogen? Soll der Villenbesitzer die gleiche Haushaltsabgabe zahlen wie die Mindestpensionistin in einer Zimmer-Küche-Kabinett-Wohnung? All das ist unklar. Diese Vorgangsweise bietet den Gegner*innen des öffentlich-recht­lichen Rundfunks großes Angriffspotential, ist doch unabhängiger Journalismus immer noch kein Ziel, das alle Parteien gleichermaßen eint. Vielmehr scheinen einige nach wie vor von einer Vereinnahmung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks à la Orban zu träumen.

Unverständlich ist auch, dass gemeinsam mit den Finanzierungsfragen nicht der öffentlich-rechtliche Auftrag mitdiskutiert wird. Was ist die Aufgabe des öffentlich-rechtlichen Rundfunks? Wo muss man den Auftrag an das 21. Jahrhundert an­passen? Hier bestehen vor allem im Digitalbereich große Lücken. So soll durch eine Haushaltsabgabe die Zahl der Einzahler*innen vergrößert und gleichzeitig – bei­spielsweise durch Einschränkungen der blauen Seite orf at - das Angebot des ORF im Internet reduziert werden. Das ist der falsche Weg. Will man auch jenen Öster­reicher* innen, die den ORF bisher über das Internet konsumiert haben, ein Angebot machen, braucht es endlich eine Novelle des ORF-Gesetzes, die den Bewegungs­spielraum des ORF im Internet erweitert.

Will der ORF relevant bleiben und eine Zukunftsperspektive haben, muss er sich an die neuen Nutzungsgewohnheiten des Publikums anpassen können, Anschluss an die Bedürfnisse junger Menschen finden und ORF-Inhalte verstärkt auch online, zeitunabhängig und mobil zur Verfügung stellen. Geschieht dies nicht, wird die Zukunft des ORF in Frage gestellt. Auch eine undifferenzierte Kürzungspolitik, die wichtige Angebote wie das ORF-Radio Symphonieorchester (RSO), Öl , FM4 oder ORF Sport + in Frage stellt, ohne ihre Bedeutung für das Kulturland Österreich und den Kreativwirtschaftsstandort in die Überlegungen einzubeziehen, unter­gräbt die Zukunftsperspektive des wichtigsten österreichischen Medienunterneh­mens. Wenn jetzt durch Kürzungen viele attraktive Angebote des ORF wegfallen und gleichzeitig keine Investitionen in Zukunftsbereiche getätigt werden können, stellt man den ORF als Ganzes in Frage. Wir müssen daher jetzt entscheiden, ob wir in Zukunft noch einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk haben wollen, oder ob wir Fernsehen und mediale Angebote im Internet ausschließlich in die Hände von Sil­vio Berlusconi, Mark Zuckerberg oder Dosen-Milliardären legen wollen. Der ORF braucht ein Finanzierungsmodell, das die Unabhängigkeit des ORF sichert, das sozial verträglich ist, das den ORF zur Sparsamkeit verpflichtet, dem VfGH-Urteil ent­spricht und mit dem der ORF seinen öffentlich-rechtlichen Auftrag erfüllen kann. Es muss fair nach den jeweiligen wirtschaftlichen Möglichkeiten der Haushalte und Unternehmen gestaltet, also sozial gestaffelt werden. Die bisher bekannten Pläne der Bundesregierung erfüllen diese Bedingungen nicht.

Daher stellen die unterfertigten Abgeordneten folgenden

Entschließungsantrag

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung und insbesondere die Bundesministerin für Frauen, Familie, Integration und Medien werden aufgefordert, von den bisher bekannten Plä­nen für eine Haushaltsabgabe abzusehen und dem Nationalrat ein Finanzierungsmo­dell des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Österreich vorzulegen, das die Un­abhängigkeit des ORF sichert, das fair nach den jeweiligen wirtschaftlichen Möglich­keiten der Haushalte und Unternehmen gestaltet ist und es dem ORF ermöglicht, seinen öffentlich-rechtlichen Auftrag zu erfüllen.“

*****

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Der Entschließungsantrag ist ordnungsge­mäß eingebracht, ausreichend unterstützt und steht somit in Verhandlung.

Zu Wort gemeldet ist Frau Abgeordnete Klubobfrau Maurer. – Bitte. (Abg. Mau­rer übernimmt – auf dem Weg zum Redner:innenpult – einen Zettel von Abg. Leichtfried. – Abg. Belakowitsch: Wie weinerlich ist das denn? Rot-grüner ORF, da seids euch wieder einig! – Der Präsident gibt das Glockenzeichen.)