15.20

Bundesminister für Arbeit und Wirtschaft Mag. Dr. Martin Kocher: Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Abgeordnete! Hohes Haus! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich bedanke mich für die Gelegenheit, auch einige Dinge zu diesem Thema sagen zu können, das tatsächlich – ich glaube, da sind wir einer Meinung – ein sehr entscheidendes Thema für die wirtschaftliche Entwicklung, aber auch für den Wohlstand in Österreich in den nächsten zehn bis 20 Jahren sein wird.

Es ist klar, dass ich in einigen Punkten durchaus die Problematiken, die angesprochen wurden, teile, dass ich aber nicht sehe, wo (Abg. Leichtfried: Die Lösung ist!) da die großen Versäumnisse der Bundesregierung sind. Ich sage auch gleich genauer dazu, warum das so ist.

Bevor ich dazu komme, ist es, glaube ich, wichtig, zwischen zwei Dingen zu differenzieren: den konjunkturellen Aspekten am Arbeitsmarkt und den strukturellen Aspekten. Konjunkturell ist es so, dass wir im Moment eine relativ schwache wirtschaftliche Entwicklung haben. Der Arbeitskräfte- und Fach­kräftemangel ist trotzdem relativ hoch. Er ist im Vergleich zum Vorjahr zurückge­gangen. Die Zahl der offenen Stellen ist jetzt, Ende März 2023, um ungefähr 10 Prozent geringer als Ende März 2022.

Man muss sehr vorsichtig sein – im Antrag ist ein Vergleich in der OECD angesprochen –: Natürlich werden offene Stellen in unterschiedlichen Ländern unterschiedlich gemeldet. Auch in Österreich werden ja nur ungefähr 40 bis 50 Prozent der offenen Stellen wirklich offiziell an die Arbeitsmarktverwaltung, an die Arbeitsmarktbehörden – bei uns ans AMS – gemeldet. Es hat sich dieser ganz, ganz akute Mangel also etwas entschärft, aber das heißt natürlich auch: In der nächsten Hochkonjunktur werden dieser Mangel, dieser Bedarf und die Personalnot noch stärker.

Deswegen ist es so wichtig, Maßnahmen zu treffen und strukturell darauf zu reagieren, weil es strukturell mehrere Trends gibt, die entscheidend sind: erstens demografisch – Alterung und Pensionierungen, die anstehen –, zweitens einen Trend zur Teilzeit und dann auch viele Verschiebungen zwischen den Branchen, gerade in Bereichen, in denen die Knappheit jetzt am höchsten ist. Im Bereich Pflege und Gesundheit beispielsweise, im Bereich Gastronomie und Tourismus ist es so, dass das zum Beispiel auch oft mit unregelmäßigen Arbeitszeiten – Wochenendarbeit, Nachtarbeit und so weiter – verbunden ist. Das zeigt natür­lich, dass viele Menschen die Wahl haben, in Bereiche zu gehen, wo sie flexiblere Arbeitszeiten haben, wo sie auch gewisse fixe Arbeitszeiten haben und nicht an Wochenenden arbeiten müssen. Die Bereiche, in denen das nicht der Fall ist – wo die Arbeiten schwerer sind und wo unregelmäßige Arbeitszeiten Teil des Jobs sind –, verlieren Arbeitskräfte.

Im Antrag sind vier Phänomene genannt. Ich möchte jetzt tatsächlich auf alle vier Punkte eingehen und auch dazu Stellung nehmen. (Abg. Leichtfried – erheitert –: Tatsächlich!)

Der erste Punkt sind die Anreize. Ja, es stimmt: Arbeit ist in Österreich hoch mit Abgaben und Steuern belastet, allerdings sehr stark mit Abgaben und gar nicht so sehr mit Steuern. Auch da möchte ich ganz explizit auf einige Maßnahmen der Regierung hinweisen. Die ökosoziale Steuerreform hat die Steuersätze gerade im unteren Bereich sehr stark nach unten gebracht, die Abschaffung der kalten Progression dieses Jahr noch einmal stärker auch im unteren Bereich, und auch die Lohnnebenkostensenkungen von insgesamt 0,4 Prozentpunkten in den letzten eineinhalb Jahren haben eine leichte Entlastung gebracht. (Abg. Meinl-Reisinger: Aber die Steuerquote ist deshalb nicht ...!)

Natürlich ist die Besteuerung weiter hoch. Dafür ist die Leistung, die man in Österreich im Sozialsystem dafür bekommt, auch sehr hoch: Man hat im inter­nationalen Vergleich hohe Pensionsansprüche, das Gesundheitssystem ist aufgrund der Personalnot unter Druck, ist aber weiterhin gut, und so weiter und so weiter.

Ich glaube, es ist wichtig, darauf hinzuweisen, dass es in den letzten Jahrzehnten keine Regierung gegeben hat, die mit der ökosozialen Steuerreform, mit der Abschaffung der kalten Progression, die seit Jahrzehnten gefordert wurde, und auch mit den relativ umfangreichen Lohnnebenkostensenkungen im Vergleich über die letzten zehn, 15 Jahre insgesamt so viel getan hat, um das zu verbes­sern. (Abg. Meinl-Reisinger: Stimmt nicht! Steuerquote ist höher als ...!) Geschenkt: Wir brauchen aus meiner Sicht natürlich auch in dem Bereich weitere Maßnah­men.

Fachkräfte: Das ist einmal besonders wichtig, weil zum Beispiel die Lehre angesprochen wurde. In der Lehre ist es so, dass wir im Vergleich zum Vorjahr glücklicherweise einen Anstieg bei den betrieblichen Lehrlingen haben. Wir haben einen Anstieg im Vergleich zur Zeit vor Corona, aber es stimmt: Dieser Anstieg ist gering. Das liegt natürlich daran, dass diese Kohorten, die jetzt in dieses Alter kommen, einfach kleiner werden.

Es gibt einen Wettbewerb zwischen den Schulen und den Lehrbetrieben um die jungen Menschen, aber wir haben über 100 000 Lehrlinge. Es gibt seit ungefähr zehn, 15 Jahren eine relativ konstante Quote zwischen 40 und 45 Prozent – in Wien ist es eher weniger, in Vorarlberg sind es über 45 Prozent – an jungen Menschen, die sich für die Lehre entscheiden. Das ist der zweitgrößte Anteil in der gesamten Welt. Nur die Schweiz hat einen höheren Lehrlingsanteil als Österreich.

Wir versuchen alle fünf Jahre, in allen Lehrberufen die Inhalte zu aktualisieren. Vor Kurzem haben wir zum Beispiel einen Lehrberuf für Abwassertechnik eingeführt. Es gibt einen neuen Lehrberuf, den wir gestern im Ministerrat beschlossen haben: die Pflegeassistenz und die Pflegefachassistenz. Da hat mich ein bissel gewundert, dass es Kritik von den NEOS gab, weil ich glaube, es ist auch ein wichtiger Beitrag – nicht der einzige –, um mittelfristig eben in der Pflege die Personalnot etwas zu lindern und jungen Menschen die Chance zu geben, sich im Rahmen eines Lehrberufs auch verantwortungsvoll für den Pflegebereich zu entscheiden, wobei sie ab dem ersten Tag eine Lehrlingsent­schädigung bekommen und die Betriebe eine betriebliche Lehrstellenför­derung bekommen, die wir übrigens dieses Jahr um ungefähr 40 Millionen Euro erhöht haben. Die Summe, die dafür ausgegeben wird, ist von ungefähr 230 Millionen auf 270 Millionen Euro  erhöht worden. (Beifall bei der ÖVP sowie des Abg. Lukas Hammer.)

Es gibt eine Reihe von anderen Maßnahmen – ich könnte das durchgehen –, von der Umweltstiftung, den Lehrberufen im Bereich Umwelt, der Corona-Joboffen­sive, dem Bildungsbonus bis zur Ausweitung des Fachkräftestipendiums. Wir haben im Bereich der Pflege zusätzlich das Pflegestipendium beschlossen – eine Untergrenze von 1 400 Euro für alle, die sich in einer Ausbildung im zweiten Bildungsweg für die Pflege entscheiden. Das Programm Sprungbrett hat die Lang­zeitarbeitslosigkeit im Vergleich zum April 2021 halbiert und so weiter und so weiter.

Das geht so weit, dass wir uns natürlich auch im Bereich der ganz Jungen engagieren. Wir haben heute noch die Preisverleihung im Rahmen der Mint-Girls Challenge. Das ist ein Wettbewerb für junge Mädchen, der vor allem junge Mädchen in den Bereich der Mint-Fächer und der Mint-Ausbildungen – Mathe­matik, Informatik, Naturwissenschaft, Technik – bringen soll, wo die Chancen am besten sind. (Beifall bei der ÖVP sowie der Abgeordneten Neßler und Ribo.)

Zur qualifizierten Zuwanderung, die angesprochen wurde, zur Rot-Weiß-Rot-Karte: Da geht es um Drittstaaten. Ich glaube, es ist wichtig zu sagen: Die meisten Menschen, die am österreichischen Arbeitsmarkt tätig sind und nicht in Österreich geboren oder ausgebildet sind, kommen aus anderen europäischen Staaten. Also es geht insgesamt um Attraktivität, aber die Drittstaaten spielen natürlich auch eine gewisse Rolle. Wenn wir über die Rot-Weiß-Rot-Karte und über ein OECD-Ranking sprechen, auf das im Antrag Bezug genommen wird, dann muss man darauf hinweisen, dass eben diese Neuerung, diese Reform, die mit 1.10. in Kraft getreten ist, da noch nicht berücksichtigt wurde.

Ja, die Rot-Weiß-Rot-Karte ist schneller geworden, sie ist einfacher geworden, sie ist praktikabler geworden. Das heißt nicht, dass nach sechs Monaten schon alles überall funktioniert. Wir reden von Ausländerbehörden, wir reden von AMS-Regionalstellen, wir reden von teilweise komplizierten Verfahren bei der Anerkennung – auch in Bereichen, wo das notwendig ist, um Qualitätssicherung herzustellen. Wir haben aber bei den Bewilligungen dieser Karten einen Anstieg um 50 Prozent. Wir haben letztes Jahr insgesamt 6 000 Karten gut bewilligt. Wenn dieser Anstieg über das gesamte Jahr anhält, dann kommen wir in Richtung 10 000 Personen. Das sind im Vergleich zu den vielen offenen Stellen natürlich nur 10 000, aber es sind genau die, die gesucht werden: Fachkräfte im IT-Bereich, im Pflegebereich, im Bereich, wo besonders große Knappheit herrscht. (Abg. Wurm: ...arbeiter!)

Auch für den chinesischen Studenten, der angesprochen wurde, gibt es eine Ver­besserung: Alle Drittstaatsangehörigen, die in Österreich ein Studium abschließen und einen aufrechten Aufenthaltsstatus haben, bekommen nämlich jetzt, wenn sie den Antrag stellen, sofort eine Rot-Weiß-Rot-Karte und können in Österreich bleiben. Das war bisher nicht der Fall. Bisher, vor dieser Reform, musste eine gewisse Einkommensgrenze überschritten werden. Jetzt geht es einfach nur darum, dass man einen Job hat und laut Kollektivvertrag bezahlt bekommt.

Auch da gibt es also Verbesserungen, die vielleicht noch nicht überall ange­kom­men sind – deshalb auch das Memorandum of Understanding mit der Wirt­schaftskammer, um diese Dinge nicht nur in Österreich, sondern auch dort, wo diese Fachkräfte herkommen, bekannter zu machen. Es gibt da eine enge Zusammenarbeit mit den Sozialpartnern, mit den verschiedenen Organisationen, die sich da engagieren, und natürlich auch mit allen Betrieben, die jetzt einen großen Bedarf haben, um eben offene Stellen mit Fachkräften aus dem Ausland zu besetzen.

Eine Sache möchte ich noch ergänzen, weil immer wieder gesagt wird, die Rot-Weiß-Rot-Karte sei schlechter als die Systeme in anderen Staaten: Die Rot-Weiß-Rot-Karte hat praktisch dieselben Voraussetzungen und auch eine sehr ähnliche Punktesystematik, wie es sie in Kanada gibt. Kanada wird oft als Vorbild für ein qualifiziertes Zuwanderungssystem gesehen. Und wir sind um einiges weiter als Deutschland, wo gerade noch über eine Reform bei der qualifizierten Zuwanderung diskutiert wird. Selbst wenn diese Reform beschlossen wird, gibt es zwischen Deutschland und Österreich wenig Unterschiede.

Das heißt nicht, dass wir nicht die Aufgabe haben, das, wie gesagt, auch tatsächlich in die Fläche zu bringen. Ich glaube aber, dass da einiges passiert ist und dass wir auf dem richtigen Weg sind, um gemeinsam mit allen die Möglichkeit, nach Österreich auf den Arbeitsmarkt zu kommen, zu schaffen und einfacher zu machen. (Beifall bei Abgeordneten der ÖVP sowie der Abgeordneten Neßler, Prammer und Ribo.)

Der vierte Punkt: Kinderbetreuung und die Wahlmöglichkeit für alle Eltern. Es geht ja nicht nur um Kinderbetreuung, sondern auch um Pflege, aber eben vor allem um Kinderbetreuung für alle Eltern – in der Praxis sehr oft Mütter, das ist richtig. Ich stehe nicht an, ganz klar zu sagen: Ein Ausbau der Kinderbetreuung ist unabdingbar. Ich sage das immer.

Es ist ein entscheidender Faktor für den Arbeitsmarkt, flächendeckend qualitativ hochwertige Kinderbetreuung und auch Kinderbildungseinrichtungen zu haben. (Abg. Meinl-Reisinger: Ja, aber in Niederösterreich gibt’s jetzt die Herdprämie!) Wir sprechen immer von Betreuung, es geht aber um Einrichtungen der Kinder­bildung – wir sprechen da ja von den Ein- bis Dreijährigen, da geht es mehr um Betreuung, aber auch schon um Bildung –, und wir sprechen natürlich auch von Nachmittagsbetreuung, um eben allen die Wahlmöglichkeit zu geben. (Abg. Scherak: Das müssen Sie den ganzen ÖVP-Bürgermeistern sagen, nicht uns!)

Ich wollte es gerade sagen: Das ist eine gemeinsame Aufgabe der Gebietskör­perschaften, es betrifft den Bund, die Länder und die Gemeinden, aber nicht nur. Es betrifft natürlich auch die Sozialpartner (Abg. Künsberg Sarre: Die wollen das ja! – weiterer Zwischenruf bei den NEOS), und – das sage ich jetzt ganz klar – auch die Betriebe haben natürlich eine Verantwortung (Ruf bei den NEOS: Und wer bremst?), gerade größere Betriebe, die die Möglichkeit haben, Kinderbetreuungs­einrichtungen bereitzustellen. (Abg. Meinl-Reisinger: Die machen das ja eh schon längst, weil sie von der Politik alleingelassen werden! Die tun das ja schon längst!) – Ganz richtig: Die tun das zum Teil und sie bauen das glücklicherweise auch aus. Ganz richtig, ja.

Das bringt mich zum Ende: Es ist eine gemeinsame Aufgabe der Sozialpartner, der Politik, der verschiedenen Gebietskörperschaften, und es wird entscheidend sein, ob es uns jetzt, in dieser Phase, die demografisch durchaus etwas heraus­fordernder wird, gelingt, genug Arbeits- und Fachkräfte für die Entwicklung zu haben, die wir brauchen. Ja, das ist eine Frage des Wohlstandes, eine Frage der Aufrechterhaltung unseres guten Sozialsystems. Wenn es uns nicht gelingt, dann werden wir dieses Sozialsystem und diesen Wohlstand nicht aufrechterhalten können.

In den letzten zwei Jahren ist in dem Bereich, für den ich verantwortlich bin, aber so viel passiert wie noch nie zuvor. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Grünen. – Abg. Scherak: Das heißt ja vor allem, dass in den 30 Jahren davor von der ÖVP nichts gekommen ist! Das stimmt! – Ruf bei der ÖVP: Aufpassen, aufpas­sen!) – Die ÖVP war auch nicht immer für das Arbeitsressort zuständig, aber das wollen wir jetzt nicht im Detail besprechen. (Beifall bei der ÖVP. – Abg. Meinl-Reisinger: Für die Wirtschaft schon, oder? Für Steuern leider auch! – Zwischenruf des Abg. Michael Hammer.)

Ich bin weiterhin – das ist für mich am Schluss wichtig – fest davon überzeugt: Obwohl es eine große Herausforderung ist, wird diese zu meistern sein, wenn wir auf allen Ebenen ansetzen und das gemeinsam tun. – Vielen Dank dafür. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Grünen.)

15.33

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Abgeordneter Loacker. – Bitte.