15.34

Abgeordneter Mag. Gerald Loacker (NEOS): Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Frau Staatssekretärin! Ich habe mir gerade gedacht: Ich bin ja schon deshalb nicht zum Minister geeignet, weil ich nie diesen Ruhepuls hätte, wenn die Hütte derart brennt. (Heiterkeit und Beifall bei den NEOS. – Abg. Rainer Wimmer: Wirst es eh nie! – Abg. Stögmüller: Wirtschaftsminister! – Ruf bei der ÖVP: Wir sind auch froh!) Das muss man ja alles einmal wegstecken.

Der Herr Bundesminister repliziert auf Klubobfrau Meinl-Reisinger und sagt: Ja, die offenen Stellen werden überall anders gezählt. Bei uns sind ja gar nicht alle beim AMS gemeldet. – Ja, es ist nämlich noch schlimmer, als es all die Statistiken ausweisen. Das ist ja das Problem. (Beifall bei den NEOS.)

Man kann es nicht schönreden. Die Menschen in Österreich spüren ja mehr und mehr, dass sie betroffen sind. Sie wollen eine Fotovoltaikanlage auf ihrem Dach haben, und die Wartezeit beträgt 16 Monate – aber gar nicht, weil es die Anlage nicht gibt, sondern weil es den Elektriker, der das Ding dort montiert, nicht gibt. Sie wollen ihr Auto in die Werkstatt bringen und haben ein paar Wochen Wartezeit – weil es keine Kfz-Mechaniker gibt. Von den Pflegekräften haben wir heute schon gehört. Letzte Woche hat mich eine Bekannte angerufen, deren Mama in Pflegestufe 6 eingestuft ist, die aber keinen Heimplatz für die Mama kriegt, weil das Pflegepersonal fehlt. Da schauen Sie sich einmal an, wie Sie das zu Hause managen. Jeder von uns kennt in seiner Heimatgemeinde eine Bäckerei, die am Nachmittag nicht mehr geöffnet hat, weil sie das Verkaufs­personal dafür nicht mehr findet.

Wir sind also alle vom Arbeitskräftemangel betroffen, und das sollte man nicht mit einer derartigen Lockerheit angehen, vor allem deshalb, weil es nicht mehr, wie vielleicht vor zehn Jahren noch, darum geht, Spitzenkräfte nach Österreich zu bringen, sondern weil wir in allen Qualifikationsstufen gefordert sind. Man findet heute auch offene Stellen, für die man nur einen Pflichtschulabschluss braucht. Es werden überall Verkäuferinnen und Verkäufer gesucht, beispiels­weise in Tankstellen oder in jeder Bäckerei.

Wir haben in Österreich – auch das ist in unserem Dringlichen Antrag detailliert ausgeführt – eine ganze Reihe von Anreizen, in Teilzeit zu arbeiten. Da geht es um Leute, die super Jobs machen, die 30 Stunden pro Woche beschäftigt sind. Wenn der Chef fragt: Würden Sie auch 35 Stunden in der Woche kommen, denn wir haben wirklich viel Arbeit für Sie?, rechnet der Mitarbeiter oder die Mitarbei­terin nach und kommt zum Schluss: Nein, denn dann müsste ich für meine Kinderbetreuung mehr bezahlen, weil ich mehr verdiene, und dann falle ich vielleicht um steuerliche Vorteile um.

Es kann nämlich beispielsweise folgender Fall eintreten: Wenn jemand statt 1 185 Euro brutto um 1 Euro mehr, also 1 186 Euro verdient, dann hat diese Person 206 Euro netto weniger im Jahr, weil wir den Teilzeitanreiz im System haben, dass die Arbeitslosenversicherung auf eine technisch ganz schlechte Art einschleift. Jetzt haben wir die Teilzeitkräfte von der Beitragsleistung zur Arbeitslosenversicherung quasi freigestellt, die Vollzeitkräfte müssen sie bezahlen. Die Teilzeitkräfte sind auch voll versichert, aber sie zahlen keine Beiträge. Das ist ein Anreiz, in Teilzeit zu arbeiten.

Solche Anreize haben wir auch im Pensionssystem. Man kann 30 Jahre lang für 600 Euro brutto arbeiten gehen und bekommt dann eine Pension von 1 208 Euro im Monat, also doppelt so viel wie man überhaupt jemals verdient hat. Das ist ein Anreiz, in Teilzeit zu arbeiten, denn wenn man aus eigenen Beiträgen zu so einer Pension kommen will, dann muss man 1 500 Euro verdienen, aber nicht 30 Jahre lang, sondern 45 Jahre lang. Teilzeit wird bei uns also belohnt. (Beifall bei den NEOS.)

Das Nächste: Damit das Arbeitsmarktservice gezielter mit den Teilzeitkräften arbeiten und gezielter schauen könnte, in welchen Qualifikationsbereichen, in welchen Bundesländern, in welchen Regionen wer gebraucht wird, müsste man dem AMS auch die Daten zur Verfügung stellen, die es heute nicht hat. Wir wissen nämlich gar nicht exakt, wer wo wie viele Stunden arbeitet. Johannes Kopf hat eingefordert, dass die Betriebe das einmelden sollen. Die Betriebe melden nämlich aktuell sowieso Vollzeit oder Teilzeit ein, und wenn sie statt Ja oder Nein einfach nur die Wochenstundenanzahl an die Sozialversicherung melden würden, hätte das AMS eine bessere Datengrundlage, mit der es arbei­ten könnte.

Ich bringe daher folgenden Entschließungsantrag ein:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Mag. Gerald Loacker, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Wochenarbeitszeitmeldung, um gezieltere Maßnahmen gegen den Arbeits­kräftemangel und gegen den Teilzeitboom setzen zu können“

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung, insbesondere der Bundesminister für Finanzen und der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege & Konsumentenschutz, wird aufgefordert, eine Regierungsvorlage vorzulegen, die vorsieht, dass im Zuge der monatlichen Abgabenmeldungen der Unternehmen auch die vereinbarte Wochenarbeitszeit ihrer Beschäftigten automatisch übermittelt wird.“

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So, und jetzt zur Rot-Weiß-Rot-Karte, die der Herr Minister angesprochen hat: 6 000 Rot-Weiß-Rot-Karten im Jahr bei 200 000 offenen Stellen, das ist nett, aber es ist der sprichwörtliche Tropfen auf den heißen Stein. Und ja, es hat Reformen der Rot-Weiß-Rot-Karte gegeben, nämlich in den letzten zehn Jahren 17 an der Zahl, allein die derzeitige Bundesregierung hat sieben Reformen der Rot-Weiß-Rot-Karte vorgenommen. Wenn sich die betroffenen Unternehmen und die betroffenen Arbeitsuchenden da nicht mehr auskennen, kann ich es ihnen nicht übel nehmen. (Beifall bei den NEOS.)

Sie müssen sich vorstellen: Eine IT-Kraft in Indien überlegt sich, woanders zu arbeiten. Das österreichische Rot-Weiß-Rot-Karte-Verfahren kann diese IT-Kraft nicht meistern, weil es von zwei Behörden geführt wird, nämlich von der Bezirksverwaltungsbehörde auf der einen Seite und vom AMS auf der anderen Seite. Und: Digitalisierung ist ja auch ein großes Schlagwort der Bundesregie­rung, aber die Akten werden nach wie vor in Papierform zwischen den beiden Behörden hin- und hergeschoben. Die durchschnittliche Verfahrensdauer beträgt 15 Wochen, in manchen Bundesländern deutlich länger. In dieser Zeit arbeitet die IT-Kraft längst in Schweden, Kanada, Australien oder sonst wo, aber sicher nicht in Österreich. (Beifall bei den NEOS.)

Weil das Verfahren so kompliziert ist, hat diese Bundesregierung Folgendes entschieden: Wenn Sie, geschätzte Zuschauerinnen und Zuschauer, ein Unternehmen haben, Sie so einen Drittstaatsangehörigen nach Österreich holen möchten, aber das Verfahren mit der Bezirksverwaltungsbehörde und mit dem AMS ein bisschen kompliziert ist und Sie nicht genau wissen, wie Sie vorgehen sollen, dann gibt es eine dritte Behörde, an die Sie sich wenden können, an die Austrian Business Agency. (Heiterkeit der Abg. Meinl-Reisinger.) Ich habe das am Montag bei einer Arbeitsmarkttagung im Deutschen Bundestag erzählt. Die Deutschen sind mir fast unter den Tisch gefallen, weil sie geglaubt haben, sie wären bürokratisch. Dann habe ich Ihnen aber das mit dieser Austrian Business Agency erzählt, und wir Österreicher haben den Bürokratiewettbewerb eindeutig gewonnen. (Beifall bei den NEOS.)

Die Abgabenquote steigt, und der Herr Minister hat gesagt: Ja, die Abgaben in Österreich sind hoch, aber man bekommt auch viel dafür. – Na, das müsste man sich ein bisschen genauer anschauen. Bleiben wir beim Beispiel Deutschland, das ja auch ein gut ausgebauter Sozialstaat ist: Die Arbeitslosenversicherung kostet dort nicht einmal die Hälfte. Dort kostet sie 2,6 Prozent vom Brutto und bei uns 6,0 Prozent vom Brutto.

Jetzt frage ich mich: Wo geht das Geld hin? Für die Menschen ist es jedenfalls nicht gedacht, es versickert im System. Wir haben die niedrigste Arbeitslosigkeit seit 15 Jahren, und das AMS hat ein Drittel mehr Mitarbeiter als vor 15 Jahren. Man würde meinen, in der Zwischenzeit sind Digitalisierungsschritte gemacht worden, Dinge automatisiert worden und die Mitarbeiter des AMS können sich, weil alles besser strukturiert ist, auch besser um die Arbeitsuchenden küm­mern. – Nein, es sind jetzt mehr Mitarbeiter und es ist mehr Bürokratie. Für die Arbeitsuchenden bringt das gar nichts und für die Betriebe, die Mitarbeiter suchen, bringt das auch nichts, abgesehen von den hohen Lohnabgaben, wenn wir Wirtschaftskammerbeiträge und Arbeiterkammerbeiträge drin haben.

Was haben die Menschen für einen Nutzen davon, wenn Sie mit dem Wirt­schaftskammerpräsidenten ein Memorandum of Understanding machen? – Gar keinen! Einen schönen Medienbericht haben Sie gehabt, nicht die Mitarbeiter oder die Firmen, die einen Mitarbeiter suchen. (Beifall bei den NEOS.)

15.42

Der Antrag hat folgenden Gesamtwortlaut:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Mag. Gerald Loacker, Kolleginnen und Kollegen

betreffend Wochenarbeitszeitmeldung, um gezieltere Maßnahmen gegen den Arbeitskräftemangel und gegen den Teilzeitboom setzen zu können

eingebracht im Zuge der Debatte in der 209. Sitzung des Nationalrats über den Dringlichen Antrag zum Thema Personalnot

Die vereinbarten Wochenarbeitszeiten der Beschäftigten werden derzeit nicht in den Bundesstatistiken erfasst, sondern lediglich über den Mikrozensus erfragt. Deshalb twitterte der AMS-Chef Johannes Kopf zuletzt: "Ich versteh schon, dass Betriebe keine zusätzliche Bürokratie brauchen können, halte es aber trotzdem für sinnvoll, künftig auch das konkrete Arbeitszeitausmaß jedes/r Beschäftigten zu melden. Wir brauchen hier Daten" (1). Dabei wäre es relativ einfach, die im Arbeitsvertrag vereinbarte Wochenarbeitszeit im Rahmen der monatlichen Beitragsnachweise zu übermitteln. Der bürokratische Mehraufwand wäre verschwindend klein, da die Arbeitszeit in der Lohnverrechnungssoftware erfasst ist und nur bei Veränderungen der vereinbarten Wochenarbeitszeit angepasst werden muss. Im Wesentlichen müssen nur im "Lohnzettel und Beitragsgrundlagennachweis - L16"-Formular (2) die Felder Vollzeit und Teilzeit durch die vereinbarte Wochenarbeitszeit ergänzt werden. Jedenfalls wäre durch die geänderte Meldelogik die Bundesstatistiken zur Wochen­arbeitszeit genauer, was vor allem bei Maßnahmen gegen den Arbeitskräftemangel helfen würde - siehe Tweet Johannes Kopf. Durch die Erfassung dieser Daten könnten in einem weiteren Schritt auch gezieltere steuerliche Maßnahmen getroffen werden. So könnten beispielsweise Absatzbeträge nach der Wochenarbeitszeit aliquotiert werden. Außerdem könnte die (ohnehin systemwidrige) Staffelung der SV-Beiträge treffsicherer nach der Wochenarbeitszeit erfolgen, nicht nach dem Einkommen. Schließlich sollen nur jene entlastet werden, die tatsächlich trotz großer Anstrengung wenig verdienen und nicht jene, die sich selbst für die Teilzeit entschieden haben - 2000 Euro bei Vollzeit vs. 2000 Euro bei 50-Prozent-Teilzeit.

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Quellen:

(1)   www.twitter.com/JohannesKopf/status/1568924841499152384

(2) https://www.help.gv.at/at.gv.brz.linkaufloesung/help/applikation-flow?execution=e1s1

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgenden

Entschließungsantrag

Der Nationalrat wolle beschließen:

"Die Bundesregierung, insbesondere der Bundesminister für Finanzen und der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege & Konsumentenschutz, wird aufgefordert, eine Regierungsvorlage vorzulegen, die vorsieht, dass im Zuge der monatlichen Abgabenmeldungen der Unternehmen auch die vereinbarte Wochen­arbeitszeit ihrer Beschäftigten automatisch übermittelt wird."

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Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Der Entschließungsantrag ist ordnungs­gemäß eingebracht, ausreichend unterstützt und steht somit mit in Verhandlung.

Zu Wort gemeldet ist Abgeordneter Hammer. – Bitte, bei Ihnen steht das Wort.