9.23.18

Bundeskanzler Karl Nehammer, MSc: Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte Abgeordnete! Wir haben erst vor Kurzem hier im Hohen Haus das tatsächlich wichtige Thema Teuerung und Inflation diskutiert, die Argumente dazu ausgetauscht. Es ist eigentlich erst wenig Zeit vergangen, das heißt, die Argumente ähneln einander ein wenig, auch jene, die ich jetzt gerade gehört habe – sie werden aber nicht dadurch wahrer, dass man sie ständig wiederholt. (Rufe bei der FPÖ: Ja! – Abg. Wurm: 10 Prozent!)

Sehr geehrte Frau Abgeordnete, gleich zu Beginn: Österreich hat nicht die höchste Inflation innerhalb der Eurozone. (Abg. Loacker: Mama, die anderen haben auch ...!) Das ist inhaltlich falsch, und es ist auch ein Stück weit ein Zeichen dafür, dass es sich immer wieder lohnt, doch Zahlen, Daten, Fakten in einer Diskussion und in einer Frage zu checken, die tatsächlich sehr emotional sind. (Beifall bei ÖVP und Grünen.)

Sie haben recht, wenn Sie sagen, dass Inflation und Teuerung die Menschen sehr belasten, auch die Wirtschaft, die Bäuerinnen und Bauern, die Pensionistinnen und Pensionisten, die Familien. Und ja, es ist Aufgabe der politisch Verantwortlichen, Maßnahmen dagegen zu setzen und zu handeln. Auch da lohnt sich einfach ein Faktencheck – keine Behauptung des Bundeskanzlers, sondern der Statistik Austria. All das, was ich Ihnen jetzt sage, ist nachzulesen – weil ich glaube, dass es wichtig ist, in einer emotionalen Frage eben auch die Wirklichkeit darzustellen, um dann daraus wieder die nächsten Ableitungen zu treffen. (Abg. Kassegger: Jetzt bin ich gespannt!)

Ein messbares Thema ist, dass wir die Kaufkraft in Österreich nicht gesenkt, sondern gestärkt haben. Sie haben vorhin gesagt, es gibt weniger Kaufkraft in Österreich. – Das ist nicht wahr. (Abg. Belakowitsch: Das habe ich noch nicht einmal gesagt! Sie haben nicht einmal zugehört!) Es ist bei der Statistik Austria nachzulesen: Die Kaufkraft ist um 3,1 Prozent gestiegen. (Beifall bei ÖVP und Grünen.)

Was bedeutet der Begriff Kaufkraft an sich? – Das ist ein technischer Begriff (Zwischenruf des Abg. Schnedlitz – Präsident Sobotka gibt das Glockenzeichen), er heißt nichts anderes, als dass die Menschen ausreichend Einkommen zur Verfügung haben, um eben auch eine schwierige Situation wie die Teuerung zu bestehen. Und die - - (Abg. Schnedlitz: Wiederholen Sie das noch einmal für die Zuseher zu Hause, die sich nichts mehr leisten können!) – Ich habe gerade einen Zwischenruf des Generalsekretärs der FPÖ bekommen, der die Statistik Austria in Zweifel zieht und sagt, die Zahlen seien falsch. (Abg. Belakowitsch: Das hat er nicht gesagt! Ich glaube, Sie brauchen einen Ohrenarzt!) Man kann es gerne nachlesen, es nützt einfach, sich damit auseinanderzusetzen. (Abg. Schnedlitz: Wiederholen Sie das noch einmal für die Zuseher zu Hause!) Was Sie verwechseln, Herr Generalsekretär von der Freiheitlichen Partei, ist, dass das eine das Faktische ist, das andere ist das Erlebte. (Abg. Kassegger: Das stimmt ja nicht!) Und die erlebte Teuerung ist überall sichtbar und spürbar.

Die Frage ist – und der wollen wir uns heute inhaltlich stellen –: Können die Menschen dennoch ihr Leben bestreiten? Das ist unsere wichtigste Aufgabe, genauso wie unsere wichtige Aufgabe in der Politik folgende ist: Schaffen wir Rahmenbedingungen dafür, dass Wirtschaften möglich ist! Wir hatten die letzten zwei Jahre trotz Pandemie und trotz Kriegs in der Ukraine ein Wirtschaftswachstum von 10 Prozent, wenn man beide Jahre zusammenzählt. (Zwischenruf der Abg. Belakowitsch.) Wir hatten ein höheres Wirtschaftswachstum als die Bundesrepublik Deutschland. (Neuerlicher Zwischenruf der Abg. Belakowitsch.)

Woran kann man auch das wieder messen? Auch das sind keine Bundeskanzlerzahlen, sondern sie sind einfach nur nachzulesen. – Die freiheitliche Fraktion ist hier sehr aufgeregt und schreit immer wieder heraus (Abg. Belakowitsch: Gar nicht aufgeregt!), aber das ist aus meiner Sicht eigentlich gar nicht notwendig, denn wir sind in einer schwierigen Phase, und es lohnt sich einfach in einer Demokratie (Abg. Schnedlitz: War das jetzt ... oder Psychopharmaka?! – Präsident Sobotka gibt das Glockenzeichen), den Argumenten auch zuzuhören, sie auszutauschen, anstatt die Menschen dadurch zu verunsichern, dass man den Streit prolongiert. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Grünen.)

Bleiben wir aber dabei, auch da wieder der Faktencheck: Wir haben uns in Österreich vorgenommen, diese Bundesregierung hat sich vorgenommen, die Kaufkraft und die Wirtschaft und den Wirtschaftsstandort zu stärken. Es gibt 200 000 offene Stellen. Die größte Angst war, dass wir das Thema Arbeitslosigkeit als Bedrohung bekommen; das wurde vermieden. Ganz im Gegenteil, wir, die Wirtschaft, die Industrie, die Unternehmerinnen und Unternehmer bis hin zu den Kleinstbetrieben, suchen händeringend nach Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.

Und ja, weil das heute auch angesprochen worden ist – auch da können Sie Zahlen, Daten, Fakten checken –: Es ist tatsächlich wertvoll und sinnvoll, alles zu unternehmen, um in den Arbeitsprozess zu kommen, denn der Arbeitsprozess schützt auf jeden Fall besser vor Armut, als wenn man nicht arbeiten geht. (Beifall bei der ÖVP.)

Frau Abgeordnete Belakowitsch hat aber auch ein Themenfeld angesprochen, das wir sehr ernst nehmen, nämlich dort, wo Betroffenheitslagen sind, trotz eines engmaschigen sozialen Netzes, das es in Österreich gibt – ja, darauf können wir in dieser Republik tatsächlich stolz sein. Es gibt aber Maschen, die zu groß sind: in schwierigen Situationen, bei Alleinerzieher:innen, eben gedrückt durch Teuerung und Inflation. Da müssen wir helfen und müssen auch etwas tun, und das haben wir getan, indem wir das Paket gegen Kinderarmut beschlossen haben. (Beifall bei ÖVP und Grünen.)

Das ist eine wichtige Maßnahme – eine Maßnahme, die unmittelbare finanzielle Hilfe darstellt. Auch da lohnt es sich wieder, einfach nur hinzuschauen, was passiert: Das sind 60 Euro im Monat mehr für Kinder. Ich sage auch gleich dazu, es ist jetzt auch die Verantwortung der Eltern dieser Kinder, darauf zu achten, dass dieses Geld auch entsprechend eingesetzt wird und tatsächlich auch den Kindern zugutekommt. (Abg. Hafenecker: Ja, für die CO2-Steuer zum Beispiel! ...! Ist ja mit den Grünen beschlossen worden! – Abg. Erasim: Machen Sie eine gescheite Politik!)

Dieses Thema ist aus meiner Sicht ganz wesentlich. Die Eigenverantwortung ist immer ein wesentlicher Bestandteil einer funktionierenden Demokratie. Es ist eben wichtig, beide Parameter zu nennen. Es muss auf der einen Seite dort geholfen werden, wo Hilfe notwendig ist, und auf der anderen Seite müssen wir auch weiterhin alles daran setzen, Arbeit zu entlasten, und auch daran, dass sich mehr zu arbeiten lohnt, und vor allem daran, dass sich länger zu arbeiten, über das Pensionsantrittsalter hinaus, lohnt. Auch das sind Ziele von mir als Bundeskanzler, die weiter verfolgt werden müssen. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Grünen.)

Die Teuerung ist tatsächlich ein strukturelles Thema. Es ist etwas passiert, angesichts dessen wir in der Bundesregierung gemeinsam beschlossen haben, da nicht länger zuzusehen. Letztes Jahr war es tatsächlich so, dass die Strompreise sich völlig verrückt entwickelt haben, dass für die Megawattstunde 500 Euro und mehr verlangt worden sind. Sie können sich alle noch erinnern, welche Verwerfungen das sogar in Österreich mit sich gebracht hat – denken wir an das Thema Wien Energie. Das war also eine bedrohliche Situation in der Frage der Energieversorgungssicherheit.

Faktum ist aber jetzt genauso, dass nun – Monate später – die Lage eine völlig andere ist. Die Strompreise sind am Großhandelsplatz zurückgegangen, und zwar deutlich zurückgegangen, und die Produzenten geben das nicht an die Kundinnen und Kunden weiter – ganz egal ob an die Haushalte, an die Wirtschaft oder an landwirtschaftliche Betriebe. (Abg. Wurm: So wie die Tiwag!) Wir haben zwei verschiedene Maßnahmen gesetzt, um dem entgegenzuwirken:

Zum einen ist das eine Maßnahme für Mehrpersonenhaushalte, die jetzt schon länger gilt, nämlich die Stromkostenbremse. Die Stromkostenbremse soll dazu führen, dass die Menschen nicht durch zu hohe Energiepreise belastet sind. Das hat auch gegriffen und funktioniert. Einzelne Bundesländer haben sogar noch zusätzliche Leistungen dazugelegt, damit die Haushalte tatsächlich unterstützt werden.

Das entlastet aber zum Beispiel die Unternehmerinnen und Unternehmer nicht. In diesem Zusammenhang ist jetzt die nächste Maßnahme, die wir als Bundesregierung setzen, zu sehen. Wir erhöhen die Übergewinnbesteuerung drastisch, genau mit dem Ziel, den Energiekonzernen eines klarzumachen: Wir nehmen nicht zur Kenntnis, dass Gewinne privatisiert und Risiken verstaatlicht werden! (Beifall bei ÖVP und Grünen. – Ruf bei der FPÖ: ... schlagen sie aber drauf, die Steuer!)

Wir werden im Sinne der Österreicherinnen und Österreicher und der Menschen, die in Österreich leben, jetzt so handeln, dass, wenn die Konzerne nicht bereit sind, die Preissenkungen weiterzugeben, diese Übergewinnsteuer voll wirkt.

Ja, Inflation und Teuerung sind strukturelle Themen, das ist auch von der Abgeordneten angesprochen worden, da geht es eben auch um systemische Erhöhungen wie Gebührenerhöhungen, die stattfinden. Genau deshalb müssen wir auch bei den Gebührenerhöhungen einen Stopp einziehen. Der Bund macht das, aber er hat damit noch keinen Einfluss auf die Gemeindegebühren. (Abg. Leichtfried: Mit der CO2-Steuer?!)

Die Gemeinden führen die Gebührenerhöhungen nicht einfach aus Jux und Tollerei durch, sondern weil Wasser, Kanal und andere Infrastruktureinrichtungen tatsächlich auch kostendeckend geführt werden müssen. Gleichzeitig ist jede Erhöhung aber auch toxisch für das Thema Steigen der Inflationsrate. Das heißt: Wir machen den Gemeinden das Angebot, mit den Einnahmen aus dieser Übergewinnsteuer zu arbeiten, um die Gebühren nicht zu erhöhen, und dadurch nicht inflationstreibend zu wirken. (Abg. Hafenecker: In zwei Jahren!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, der Kampf gegen die Inflation und die Teuerung ist einer, der ein Stück weit auch sichtbar macht, was es heißt, verantwortungsvoll politisch zu handeln. Es ist kein Thema, das sich für polemische Diskussionen eignet. Warum nicht? – Weil einfache Lösungen bei komplexen Herausforderungen nicht greifen. Das wissen alle, die hier im Raum sind und sich redlich mit der Thematik auseinandersetzen. (Beifall bei ÖVP und Grünen.)

Ich sage auch dazu: Es macht auch wenig Sinn, die Menschen in einer Zeit, in der sie schon mehr als verunsichert sind, weiter zu verunsichern. Frau Abgeordnete Belakowitsch, es ist nicht das erste Mal, dass wir uns inhaltlich mit diesem Themenkomplex auseinandersetzen. (Zwischenruf des Abg. Hafenecker.) Ich ersuche die freiheitliche Fraktion hier in diesem Hohen Haus dringend, den Menschen nicht immer vorzumachen, dass es unerheblich ist, Ursache und Wirkung voneinander zu unterscheiden. (Abg. Wurm: Die Ursachen haben wir schon erklärt! Abg. Belakowitsch: Ich hab’ Ihnen ja die Ursachen eh erklärt!) Auch heute wurden wieder die Sanktionen wegen des russischen Angriffskriegs (Abg. Belakowitsch: Die sind die Ursache, ja! – Abg. Wurm: Hast ja selber gesagt!) in der Ukraine als Kostentreiber und als Verursacher von Inflation und Teuerung angeführt. (Abg. Wurm: Ja! – Abg. Belakowitsch: Ja, Kostentreiber! Nicht Verursacher, aber Treiber!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich weiß, es ist aufgrund der Dauer des Krieges leider auch schon in den Hintergrund getreten, aber es lohnt sich, sich die Tatsachen anzusehen: Gas wurde niemals sanktioniert. Gas wurde als Druckmittel eingesetzt, auch vonseiten der Russischen Föderation, auch gegenüber Österreich (Abg. Belakowitsch: Herr Bundeskanzler, das ist sogar Ihrer nicht würdig!), nämlich als Gazprom im letzten Jahr einige Monate entgegen der Zusagen statt 100 Prozent nur 30 Prozent geliefert hat. Ziel war es, uns dahin gehend unter Druck zu setzen, dass wir nicht in der Lage sind, die Speicher in Österreich zu füllen. All das hat keine Bedeutung erlangt, weil wir in der Lage waren, zu diversifizieren, das heißt, anderes Gas zu beschaffen. Die Speicher sind gefüllt. Auch wenn es heute keine große Sorge mehr ist, weil der Zustand in den Gasspeichern ein anderer ist, darf ich jetzt und heute sagen: Unsere Gasspeicher sind jetzt schon zu 75 Prozent gefüllt. Das heißt, auch für den nächsten Winter wird bereits vorgesorgt. (Beifall bei ÖVP und Grünen.)

Eines, glaube ich, muss unser gemeinsames Ziel sein, hier im Hohen Haus und darüber hinaus: Wir alle wollen das Gleiche, nämlich dass der Krieg aufhört, dass das Leid in der Ukraine beendet wird. (Abg. Hafenecker: Deswegen liefern wir Waffen! Super!) Auch das ist aus meiner Sicht kein wirklich gut geeignetes Thema, um zu polemisieren. (Abg. Belakowitsch: Das war Corona ja auch nicht! – Zwischenruf des Abg. Deimek.) Die Menschen sind tatsächlich in großer Not, sie sehen das an den Zehntausenden Vertriebenen, auch an jenen, die Österreich aufgenommen hat. Es ist unsere gemeinsame Verpflichtung – und Österreich leistet da global gesehen einen erheblichen Anteil, wir sind unter den top drei bei der Unterstützung, bei der humanitären Hilfe –, der Ukraine in dieser schweren Zeit beizustehen.

Und noch einmal für die Kolleginnen und Kollegen von der freiheitlichen Fraktion: Wenn ein Land ein anderes überfällt, die Grenze mit Kampfpanzern und Soldaten überschreitet, dann ist das eine Invasion. Dann gibt es einen Aggressor und ein Opfer. (Abg. Belakowitsch: Ja, ja, und dann gibt es eine Neutralität!) An diesen Tatsachen sollte man nicht rütteln, denn das wäre eine Verdrehung der Tatsachen und würde den Kriegstreibern nutzen. (Beifall bei ÖVP und Grünen sowie bei Abgeordneten der NEOS.)

Es geht aber auch grundsätzlich um das Thema redliche Politik. Meine sehr geehrten Damen und Herren, mit meinem Schlusswort möchte ich Sie zu gemeinsamem Handeln und Vorgehen einladen. Es gibt viele Gesetze, die aus gutem Grund in unserer Verfassung als sogenannte Zweidrittelmaterien vorgesehen sind. Das heißt, diese Gesetzesvorlagen erlangen erst Bedeutung für die Bürgerinnen und Bürger, wenn zwei Drittel der Abgeordneten zustimmen. Blockaden in dieser Frage bedeuten, dass wichtige Gesetzesmaterien gar nicht erst zum Tragen kommen.

Ich als Bundeskanzler und als Vertreter der Exekutive ersuche Sie in aller Demut vor der Legislative dringend, Ihre politische Verantwortung wahrzunehmen und wichtige Gesetzesvorhaben nicht aus parteitaktischen Gründen zu blockieren – zum Wohle unseres Landes. (Beifall bei ÖVP und Grünen.)

9.37

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Abgeordneter Stocker. Die Redezeit beträgt ab nun 5 Minuten. – Bitte.