9.07

Abgeordneter Ralph Schallmeiner (Grüne): Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Minister! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren auf der Galerie und zu Hause vor den Bildschirmen! Vorneweg: Lie­ber Philip, auch von meiner Seite herzliche Gratulation zu deiner neuen Funktion! Genauso euch, liebe Julia und liebe Evi, herzliche Gratulation zu euren neuen Funktionen! Philip, ich hoffe, du bleibst uns als Gesundheitssprecher erhalten, es wäre doch schade, wenn du dieses Thema abgeben würdest. (Abg. Belakowitsch: Na, na! – Abg. Wurm: Na ja, so gut war er nicht! – Heiterkeit bei Abgeordneten von ÖVP und FPÖ. – Heiterkeit des Redners. – Abg. Kickl: Es lebe die Zwangsimpfung!) Ich gratuliere auf jeden Fall! (Beifall bei Grünen und SPÖ.)

Ich finde es sehr schön und auch sehr passend, dass wir heute, am 14. Juni, über unser Gesundheitswesen reden. Der 14. Juni – viele von Ihnen wissen es vielleicht – ist der Weltblutspendetag. Für diejenigen, die es nicht wissen: In Ös­terreich wird alle 90 Sekunden eine Blutspende benötigt. Bei Notfällen, für Therapien, Behandlungen oder Operationen braucht man gespendetes Blut. Es gibt ja bekanntermaßen immer im Sommer ein Problem, da die Vorräte an Spenderblut da zur Neige gehen. Da gibt es Engpässe, und deshalb möchte ich den Beginn meiner Rede heute auch dazu nutzen, Sie alle miteinander aufzufordern, Sie darum zu bitten, Blut spenden zu gehen. (Beifall bei den Grünen sowie bei Abgeordneten von ÖVP, SPÖ und NEOS.) Es hilft, es ist ein Akt der Solidarität, und das Schöne daran ist, dass es seit 31. August 2022 diskriminie­rungsfrei möglich ist. Auch das ist eine gute Sache. (Beifall bei den Grünen sowie der Abgeordneten Kucharowits und Lindner.)

Wenn wir schon von Solidarität reden, dann müssen wir natürlich auch das österreichische Gesundheitswesen, das ja ein solidarisches System sein soll und ist, thematisieren. Jeder und jede trägt etwas bei, damit jede und jeder von uns entsprechende medizinische Behandlung und medizinische Versor­gung bekommt. Das Prinzip sollte an sich lauten: Die E-Card und nicht die Kre­ditkarte zählt. (Beifall bei den Grünen.)

Wir, so ehrlich müssen wir auch sein, bewegen uns momentan etwas weg von diesem Prinzip – „etwas“ ist vielleicht ein Euphemismus. Woran liegt das? – Schauen wir uns die aktuelle Ausgangslage an: Es gibt momentan in den Spitälern eine extrem schwierige Situation. Es lastet massiver Druck auf den Spitälern, es gehen immer mehr Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von den Spitälern weg, weil sie eben den Druck, diesen Frust, der sich da aufbaut, nicht mehr aushalten. Das liegt daran, dass sie ständig Überstunden machen müssen, ständig für andere einspringen müssen und keine Planbarkeit, keine Work-Life-Balance mehr haben. Das wird von den Mediziner:innen, aber natürlich auch – und das ganz besonders – vom Pflegepersonal an uns herangetragen.

Ein Beispiel – gleich vorneweg: es ist aus Wien; ich möchte aber hier kein Wien­bashing betreiben, ich weiß, dass diese Situation auch in den anderen Bundesländern in ähnlicher Form vorherrscht –: In Wien sind aktuell fast 700 Stel­len im medizinischen Bereich ausgeschrieben.

Letztes Jahr gab es 70 Gefährdungsanzeigen, 25 davon in einem einzigen Spital. Es gibt aktuell 800 gesperrte Betten in Wien, das entspricht in etwa einem ganzen Krankenhaus. Diese Situation herrscht, wie schon gesagt, auch in ande­ren Bundesländern, das ist nicht nur in Wien so, sondern auch in anderen Bundesländern. (Abg. Silvan: In Niederösterreich!)

Das ist, bitte schön, auch nur ein Aspekt der Thematik, bei der es einerseits um hausgemachte Probleme der Spitalsbetreiber, der Spitalserhalter geht. Auf diesen Aspekt weisen uns auch der ÖGKV – die Vertretung der Pflegekräfte in Österreich – und die Kurie der angestellten Ärztinnen und Ärzte in der Ärztekammer immer wieder zu Recht hin.

Was ich an dieser Stelle auch noch sagen möchte: Die Forderung der Ärzte­kammer nach Ambulanzgebühren lehnen wir natürlich kategorisch ab, weil das kein Problemlöser für die Situation in den Spitälern ist. Das sei an dieser Stelle ausdrücklich erwähnt. (Beifall bei den Grünen.)

Warum sind die Ambulanzen momentan derart massiv belastet? – Es liegt definitiv nicht daran, dass wir in Österreich nicht genügend Ärztinnen und Ärzte hätten: Wir haben aktuell über 48 000 Ärztinnen und Ärzte. Wir hatten noch nie so viele Medizinerinnen und Mediziner, die an sich berechtigt und be­fähigt wären, in Österreich zu ordinieren, aber wir haben viel zu wenige im niedergelassenen Bereich, viel zu wenige, die systemrelevant – auf Kassen­kosten – arbeiten. Das ist unsere Herausforderung, das ist unser Problem.

Damit ergibt sich für die Menschen draußen eine Problemstellung: Entweder man kann es sich leisten, zu einem Wahlarzt zu gehen, wenn man drin­gend etwas braucht und kein kassenfinanzierter Arzt in der Nähe ist, oder man muss sich in eine Ambulanz setzen und darauf warten, dass man irgendwann drankommt. Damit wird das Spitalspersonal entsprechend belastet.

Das sind wie gesagt nur zwei Aspekte dieser Herausforderung. Es gibt natürlich deutlich mehr Herausforderungen und deutlich mehr Aspekte in dem Ganzen – aber diese zwei Punkte möchten wir dezidiert hervorheben.

Kommen wir deshalb dazu, was wir aktuell machen, kommen wir zum Ausblick, kommen wir dazu, wie wir dieses Problem lösen möchten! Das eine ist: Wir haben aktuell eine historische Chance – ich gehe davon aus, dass der Bun­desminister das nachher auch noch einmal darlegen wird –, die historische Chance des Finanzausgleichs, mit dem die Finanzierung zwischen Bund, Ländern und Kommunen geregelt wird. Das ist deshalb eine historische Chance, weil endlich auch die Landesgesundheitsreferent:innen, die Bundesländer, er­kannt haben, dass uns nur ein Ausbau des niedergelassenen Bereichs wirklich helfen wird, den Spitälern diesen Druck langfristig zu nehmen und wieder patientenorientierte, wohnortnahe Versorgung sicherzustellen. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

Die Ziele dabei sind der Ausbau und die Stärkung des niedergelassenen Be­reichs – auch und speziell in ländlichen Regionen –, damit einherge­hend die Verbesserung der Situation in den Ambulanzen, das Bereitstellen von mehr kassenfinanzierten Facharztstellen – auch in den ländlichen Re­gionen – und das patientinnen- und patientenorientierte Einsetzen der Mittel – auch beispielsweise dadurch, dass die Tagesrandzeiten und die Wochenenden entsprechend stärker bespielt werden. – Das ist das eine.

Das andere ist: Wir müssen uns ansehen, wie wir es schaffen können, den so­genannten niedergelassenen Bereich zu stärken. Seit 2017 haben wir ein wichtiges und gutes Mittel an der Hand. 2017 wurde hier im Hohen Haus das sogenannte Primärversorgungsgesetz beschlossen. Primärversor­gungseinheiten sind der Zusammenschluss mehrerer Medizinerinnen und Medi­ziner, um wohnortnahe gute Versorgung gewährleisten zu können. Der Vorteil für die Patient:innen sind längere Öffnungszeiten. Der Vorteil für die Me­diziner:innen ist auf der einen Seite das auf mehrere Schultern verteilte wirtschaftliche Risiko und das interprofessionelle, interdisziplinäre, teamorien­tierte Arbeiten in diesen PVEs. Das ist natürlich wiederum auch ein Vor­teil für die Patientinnen und Patienten.

Nur: Statt der damals avisierten 79 PVEs, die wir bis heute in Österreich haben sollten, haben wir bisher nur 40. Es gibt sogar Bundesländer, wo es noch keine einzige PVE gibt – maximal ist dort eine geplant. Das heißt, wir müssen uns ansehen, woran das liegt.

Dementsprechend werden wir das Primärversorgungsgesetz adaptieren, novellieren, reformieren, wenn Sie so wollen. In Zukunft braucht man nur mehr zwei – statt bisher drei – Medizinerinnen und Mediziner zur Gründung einer PVE. Auch Gynäkologinnen und Gynäkologen oder Kinder- und Jugend­heilkundler können künftig eine PVE gründen. Wir ermöglichen damit auch die Gründung von eigenen, spezialisierten Kinder- und Jugendheilkunde­primärversorgungseinheiten. Es gibt in Zukunft kein Veto einer einzelnen Berufsgruppe bei der Ausschreibung dieser PVEs mehr. Damit sind in Zukunft kürzere Fristen und schnellere Ausschreibungen für PVEs möglich.

Was mir persönlich ein Herzensanliegen ist: Auch sogenanntes nichtärztliches Personal, also der gehobene Pflegebereich, MTD-Berufe, können in Zukunft an der Gründung von sogenannten Primärversorgungseinheiten mit­wirken. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

Ein Hinweis sei mir an dieser Stelle gestattet: Der letzte Aspekt, den ich gerade erwähnt habe, wurde auch von vielen jungen Medizinerinnen und Medi­zinern aktiv eingefordert. Sie sagen: Das ist Arbeiten auf Augenhöhe, teamorien­tiertes Arbeiten, interdisziplinäres, interprofessionelles Arbeiten. Das ist es, was wir wollen, so wollen wir Patientinnen- und Patientenversorgung in Ös­terreich sicherstellen.

Damit geben wir uns aber nicht mehr zufrieden. Wir sagen nicht: Schauen wir, dass wir so die 79 PVEs bekommen, die wir 2017 projektiert ha­ben! Stattdessen wollen wir – der Minister hat das ja vor wenigen Wochen auch bereits angekündigt – in Summe 120 PVEs oder mehr in Österreich haben. Dafür haben wir auch entsprechende EU-Mittel aus der RRF – der Recovery and Resilience Facility der EU – zur Verfügung. 100 Millionen Euro hat die EU uns zum Ausbau der PVEs gegeben. Ein Teil davon wurde bereits ver­wendet, aber es ist immer noch sehr, sehr viel Geld vorhanden. Dieses Geld wollen wir natürlich nutzen, um die wohnortnahe interdisziplinäre Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

Ist das der Weisheit letzter Schluss? – Nein, das ist nur ein Aspekt, es gibt aber noch viele mehr. Wie gesagt, man muss die Maßnahmen in ihrer Gesamt­heit betrachten. Man muss den Finanzausgleich, den ich eingangs erwähnt habe, miteinbeziehen, Maßnahmen, wie wir sie am Wochenende angekündigt haben. All das zusammen wird es ermöglichen, dass wir die Versäumnisse der letzten 15, 20, 30 Jahre in Österreich endlich beseitigen können, dass wir den Reformstau beseitigen, dass wir endlich weiterkommen und ein patien­tinnen- und patientenorientiertes Gesundheitswesen auf den Weg bringen.

Es gibt natürlich auch noch andere Bereiche, derer wir uns annehmen werden: die psychosoziale Versorgung; wir müssen uns das Sanitätergesetz an­schauen; wir müssen und werden uns die Medikamentenversorgung sowie eine Aufwertung der Pflege- und MTD-Berufe ansehen. Diese brauchen mehr Kompetenzen, sie müssen aufgewertet werden, müssen eine viel tragendere Rolle in diesem System spielen, als sie es bisher durften. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der ÖVP. – Abg. Belakowitsch: Dann macht es! Wieso macht ihr es nicht einfach? Machen, nicht fordern, Herr Kollege!)

Zum Schluss: Die heutige Situation ist nicht das Ergebnis von wenigen Monaten oder der Arbeit der letzten Jahre, sondern eine Verantwortung aus den letzten 15, 20, vielleicht sogar 30 Jahren – eine Verantwortung, die wir alle hier zu tragen haben, insbesondere auch jene Parteien, die in den letzten 15, 20, 30 Jahren im Haus die Gesundheitsminister gestellt haben. Ich würde darum bitten, dass wir es auch so betrachten: als gemeinsame Verant­wortung. Wir machen hier etwas, und ich würde Sie darum bitten: Machen wir es gemeinsam! (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

9.17

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesminister Rauch. – Bitte sehr.