9.17

Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz Johannes Rauch: Herr Präsident! Hohes Haus! Diese Aktuelle Stunde gibt mir die Gelegenheit, auf einige Aspekte einzugehen. Unser Gesundheitssystem steht unzweifelhaft, und das ist feststellbar, vor großen Herausforderungen. Ich möchte mit einer beginnen, die ich immer wieder versuche darzulegen.

Die Situation in Österreich ist, dass wir im System sehr viele Player haben: die Bundesländer in ihrer Unterschiedlichkeit – ein föderaler Staat –, die Selbstverwaltung – die ÖGK – und selbstverständlich den Bund. Die Situation ist auch, dass wir aufgrund der Komplexität auch entlang der Finanzierungs­ströme im Grunde nur zwei Aggregatzustände kennen: gesund oder krank. Wir nehmen viel zu wenig darauf Bedacht, dass es die Vorsorge und die Nach­sorge und die Rehabilitation braucht und dass diese gemeinsam betrachtet wer­den müssen. Es ist mein Bemühen, diese vier zentralen Bestandteile der Gesundheitspolitik wieder zusammenzubringen. Das fehlt bislang deutlich. (Bei­fall bei den Grünen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

Was heißt das nun? – Im europäischen Vergleich, auch im OECD-Schnitt, wenden wir viel Geld für unser Gesundheitswesen auf. Wir sind – das möchte ich betonen – im Vergleich der europäischen Staaten mit einer guten Gesundheitsversorgung, einer Gesundheitsversorgung von hoher Qualität aus­gestattet, die jetzt aber mitunter daran leidet, dass wir beispielsweise im niedergelassenen Bereich einfach zu wenige Ärztinnen und Ärzte mit Kassenver­trägen haben. Die Tendenz der letzten Jahre war dahin gehend, dass die Anzahl der Wahlärztinnen und Wahlärzte deutlich gestiegen ist und die Anzahl der Kassenärztinnen und Kassenärzte gleich geblieben ist. Das ist ein Problem.

Das ist vor allem für jene Menschen ein Problem, die darauf angewiesen sind, einen raschen und niederschwelligen Zugang zu medizinischer Versorgung zu bekommen, und die nicht in der Lage sind, an der Kasse mit der Kredit­karte zu bezahlen, sondern die Versorgungsleistung mit der E-Card haben möch­ten. Deshalb braucht es das Drehen an Stellschrauben, um die Voraus­setzungen  zu verändern. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

Es braucht – und das ist Teil dieser Reform – eine deutliche Stärkung des niedergelassenen Bereichs, denn nur so wird es gelingen, den Zug in die Spitalsambulanzen einzubremsen. Es macht keinen Sinn, wenn Menschen aufgrund dessen, dass eine Mangelerscheinung im niedergelassenen Bereich vorhanden ist, automatisch immer sofort ins teuerste aller Systeme gehen, nämlich ins Spital und in die Spitalsambulanz. Und da die Rah­menbedingungen zu verbessern, Verträge besser zu dotieren, einen Gesamt­vertrag zu haben, von dem in Österreich schon so lange gespro­chen wird, das ist eine der Voraussetzungen, um in die Gänge zu kommen.

Was ich nach einem Jahr erkannt habe – so lange bin ich ja noch nicht in diesem Job –, ist, dass es genau zwei Möglichkeiten gibt, in Österreich derart grundlegende Reformen in einem Gesundheitssystem zustande zu bekommen: Entweder gibt es eine Bundesstaatsreform, in der Kompetenzen und Einnahmen-, Ausgabenverantwortlichkeiten neu geregelt werden – die sehe ich ehrlich gesagt nicht am Horizont (Abg. Meinl-Reisinger: Warum?) –, oder es gibt den Finanzausgleich. (Abg. Meinl-Reisinger: Warum?) – Warum ich sie nicht sehe? (Abg. Meinl-Reisinger: Man kann es mal versuchen! Man muss es versuchen!) – Weil es schon einmal einen Versuch gegeben hat. Ich bin bei einer Bundesstaatsreform gerne mit dabei, ich würde sie begrüßen (Abg. Meinl-Reisinger: Nehmen Sie einmal einen Anlauf!), aber das ist, Frau Klubvor­sitzende, in der Zeit, die ich jetzt habe, nicht zu leisten.

Ich habe aber jetzt den Finanzausgleich. Das ist das Einfallstor, wenn Sie so wollen, um bei der Verteilung der Mittel zwischen Bund, Ländern und Gemeinden darauf zu achten, wie dieses Instrument genützt werden kann, um zu Reformen zu kommen. Das haben die Bundesländer nämlich selbst erkannt, sie haben einen Beschluss gefasst, gemeinschaftlich – die roten und die schwar­zen Bundesländer –, zu sagen, ja, wir sind bereit für Reformen. Und dann braucht es frisches Geld im System – und genau diese Mechanik wird im Finanz­ausgleich jetzt zum Tragen kommen. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeord­neten der ÖVP.)

Das ist auch deshalb wichtig, weil die Verantwortlichkeiten auf Landesebene ja bei den Spitälern liegen und über die Regionalen Strukturpläne Gesundheit mehr Verbindlichkeit hineinkommen muss, dass dort Sicherheit besteht. Das kann nur gelingen, wenn da alle gemeinsam an einem Strang ziehen. Das ist ja mein Bemühen sozusagen, die Sozialversicherung in ihrer Vielfältigkeit, die Bundesländer in ihrer Vielfältigkeit und alle, die damit zu tun haben, an einen Tisch zu bekommen und darauf zu verständigen: Okay, wir haben eine Mangelerscheinung im niedergelassenen Bereich, wir stärken dort die Arbeits­bedingungen, wir setzen auf die Primärversorgung.

Einen Satz noch zum Thema Primärversorgung: Das Gesetz, das heute im Na­tionalrat behandelt wird, dieses Primärversorgungsgesetz, ist deshalb so wichtig, weil damit die Voraussetzung dafür geschaffen wird, dass es künftig viel einfacher und unbürokratischer möglich sein wird, Primärversorgungs­einrichtungen zu schaffen. Diese haben einfach Zukunftsmodellcharakter, weil sie ein Angebot bieten, das tageszeitlich ausgeweitet ist, wesentlich brei­ter aufgestellt ist. Die Urlaubsvertretung ist geklärt, die Zugänglich­keit ist leichter. Es ist auch das Angebot an Berufsgruppen, die dort Platz finden, ein breiteres.

Wir haben jetzt 40 Primärversorgungseinrichtungen in Österreich, 30 sind heuer in Vorbereitung, fünf davon sind Kinder-PVEs – das wird eine massive Ver­besserung bringen.

Dieses Zukunftsmodell dockt auch dort an, wo sich Lebensbedingungen und Arbeitsbedingungen von Menschen verändern. Medizin ist – unter An­führungszeichen – zunehmend „weiblich“, und Frauen wollen nicht, wie früher eine Landärztin, ein Landarzt, 120 Patienten pro Tag in alleiniger Verant­wortung abarbeiten. Die wollen im Team arbeiten, die wollen auf Augenhöhe arbeiten, die wollen alle Berufsgruppen mit dabei haben. Das wird damit geschaffen. (Beifall bei Grünen und ÖVP.)

Zur Anzahl der Ärztinnen und Ärzte: Es wird oft beklagt, wir würden in Öster­reich viel zu wenige Ärztinnen und Ärzte ausbilden. Das stimmt nicht. Wir bilden über die letzten 15 Jahre in etwa immer gleich viele Medizinerinnen und Mediziner aus. Wir sind in Österreich im OECD-Schnitt an dritter Stelle, was die Anzahl der Ärztinnen und Ärzte pro 100 000 Einwohner:innen angeht; das ist ausreichend, das ist gut. Was nicht stattfindet, ist eine ausreichende Dotierung der Kassenarztstellen, und was wir erleben, ist, wie ich dargestellt habe, der Zug in das Wahlarztsystem hinein. Das heißt: Auch der Facharzt für Allgemeinmedizin, den wir schaffen, ist die geforderte Attrakti­vierung des Berufes des niedergelassenen Arztes, der niedergelassenen Ärztin.

Wichtig sind die Primärversorgungseinrichtungen, die vertragliche Ausgestaltung und eine notwendige Diagnosecodierung, damit wir es endlich schaffen, in der Digitalisierung in Österreich so weit zu kommen, dass Patientendaten ver­fügbar sind, wo immer man sich als Patientin, als Patient befindet. Es ist ein Unding, dass man von A nach B nach C laufen muss, um alle seine Patien­tendaten zu bekommen. Das geht, das ist machbar, das ist möglich, und das wird jetzt über die Elga in Angriff genommen. (Beifall bei den Grünen sowie der Abgeordneten Hörl und Smolle.)

Der Dreischritt – zuerst digital, dann ambulant und dann stationär – hat Potenzial, weil wir der Auffassung und der Überzeugung sind, dass wir mit der Nummer 1450 ein bestehendes System haben, das während der Corona­pandemie bewiesen hat, was es kann. Wir müssen das als Abklärungseinheit ausbauen, die in der Lage ist, im Vorfeld Einschätzungen auf einer guten, auf einer hohen Fachlichkeit zu treffen, um dann Anweisungen oder Ratschläge geben zu können, was der nächste Schritt ist. Und der nächste Schritt kann, muss aber nicht in jedem Fall sein, in die Spitalsambulanz zu gehen, son­dern er kann – ganz anders – auch sein, im niedergelassenen Bereich seine Versorgung zu bekommen.

Wie wird der Zeitablauf sein? Heute wurde das Primärversorgungsgesetz jedenfalls durch den Ministerrat dem Parlament zugeleitet. Es wird eine ganze Reihe von Begleitmaßnahmen geben müssen. Es ist auch klare Forde­rung der Bundesländer – und die teile ich –, die Beschlussfassung des Finanz­ausgleichs mit den Begleitgesetzen zu verknüpfen. Es wird das ASVG, es wird  das GuKG, es werden andere Gesetze damit angepasst und beschlossen werden müssen. Nur wenn das im Herbst, im September gelingt und das vorliegt – Finanzrahmen, 15a-Legistik, Begleitgesetze –, wir es schaffen, das ge­meinsam zu beschließen, dann ist das geschafft, wovon alle reden, wovon ich rede, nämlich Reformschritte – ich rede jetzt einmal von Reformschritten –, die notwendig sind, zustande zu bekommen.

Ich habe mir das auf die Fahnen geheftet, ich will das deshalb unbedingt, weil meine Überzeugung ist: Wenn jetzt der Finanzausgleich nicht genützt wird und fünf Jahre alles so bleibt, wie es ist, dann wird das im Gesundheits­system zu Schwierigkeiten führen, die sich gewaschen haben. Das will ich nicht, das will ich nicht im Sinne der Patientinnen und Patienten. Deshalb: Diesen Kraftakt jetzt zu leisten – auch wenn viele sagen, du wirst dir eine blutige Nase holen, du wirst scheitern wie alle vor dir –, das ist mir Ver­pflichtung, weil ich mir ewig vorwerfen würde, es nicht versucht zu haben. Wir sind – das kann ich sagen – mit allen Playern so weit gediehen - - (Heiterkeit der Abg. Belakowitsch.) – Ich finde das nicht lustig, Frau Ab­geordnete, weil das ein sehr ernstes Thema ist. (Beifall bei Grünen und ÖVP.)

Das ist auch ein Kraftakt, der notwendig ist. Sie können mich dann daran messen, ob es gelungen ist oder nicht. Es kann schon sein, dass ich, wie viele vor mir, scheitern werde, aber es ist meine Absicht, das gemeinsam mit den Bundesländern, gemeinsam mit der Sozialversicherung, gemeinsam mit den Playern im System hinzubekommen, weil ich nicht will, dass in Österreich in fünf Jahren eine Situation vorherrscht, in der die Zweiklassenmedizin weiterge­diehen ist und die Leistungen für ärztliche Versorgung nicht in Anspruch genom­men werden. (Beifall bei den Grünen sowie des Abg. Smolle.)

Deshalb gibt es diese Bemühungen, deshalb ergeht auch die Einladung an Sie alle, sich, wo auch immer Sie können, daran konstruktiv zu beteiligen. Meine Arbeitsintensität in dieser Frage ist eine hohe, meine Zuversicht allerdings auch, da etwas zustande zu bekommen. – Vielen Dank. (Beifall bei den Grü­nen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

9.28

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Herr Abgeordneter Smolle. Ab nun beträgt die Redezeit, wie Sie wissen, 5 Minuten. – Bitte sehr.