10.27

Abgeordnete Eva Maria Holzleitner, BSc (SPÖ): Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Ministerin! Herr Minister! Werte Kolleginnen und Kollegen! Die Zahlen, Daten und Fakten zur Armut in Österreich sind (Abg. Michael Hammer: Erschreckend! Erschreckend!), obwohl wir in einem der reichsten Länder der Welt leben, jedes Mal aufs Neue extrem erschreckend und schockierend. Erst gestern hat die FH für Gesundheitsberufe in Oberösterreich eine neue Zahl herausgegeben: Rund 200 000 Personen sind von erheblicher Armut und Benachteiligung betroffen. Zukunftsängste, nicht genug zu essen zu haben, den Alltag bewältigen zu können, sind ständige Begleiter dieser Personengruppe, und rund die Hälfte davon sind Frauen über 18 Jahre. Insbesondere diese Frauen leiden extrem unter den Folgen von Armut, gerade wenn sie sich in einer Schwangerschaft befinden.

Die FH hat herausgefunden, dass Diabetes, chronische Krankheiten und Bluthochdruck gerade in Armutssituationen besonders oft auftreten, sich auch auf die Kinder auswirken und Armut eine Spirale ist, die von Eltern auf Kinder übertragen wird, insbesondere auch, was die Gesundheit betrifft. Darüber hinaus sind 17,5 Prozent der Menschen in Österreich – das sind 1,5 Millionen Menschen – von Armut betroffen oder ausgrenzungsgefährdet. Das ist keine kleine Teilgruppe, das ist ein großer Teil unserer Bevölkerung in Österreich, keine Minderheit – keine Zielgruppen-, Nischenpolitik; das ist Politik für einen großen, breiten Teil der Bevölkerung, den wir hier wirklich in Angriff nehmen müssen. (Beifall bei der SPÖ.)

Gerade in den letzten Krisenjahren wurden Millionen und Milliarden für Freunderl ausgegeben – ohne große Kontrolle, einfach so, schön verteilt –, es wurde aber jede Chance vertan, Österreich krisenfester zu machen, armutssicherer zu machen, auch den viel beschworenen Mittelstand abzusichern. Es gab keine Reformen, nur Einmalzahlungen, Befristungen – wie im Übrigen auch bei diesem Paket: Befristungen –, keinen Umbau zu einem krisenfesten Staat. – Und nein, es geht nicht um die despektierliche Formulierung der Vollkaskomentalität, die ich auf das Schärfste zurückweisen möchte (Beifall bei der SPÖ), es geht um einen guten Wohlfahrtsstaat, der krisenfest ist.

Es geht um Chancengleichheit für Kinder, um Sicherung für Alleinerzieherinnen, für Frauen, und notwendig wäre diese gute Absicherung insbesondere für Menschen, die in Not geraten sind, insbesondere für Alleinerzieherinnen und deren Kinder. Es geht um ein gutes Unterstützungsnetz, um eine Unterhaltsgarantie, um eine Kindergrundsicherung, um eine Finanzierung auf breiter Basis, insbesondere dahin gehend, dass auch Millionäre und Milliardäre, die wir heute in der Debatte über den Dringlichen Antrag noch thematisieren werden, zur Kasse gebeten werden und nicht Personen und Mitarbeiter:innen geschröpft werden.

Wenn jetzt heute hier Maßnahmen gegen die Kinderarmut ausgerufen werden, dann kann man dazu nur sagen: Den Menschen dürfen nicht mehr weiter Sandkörner in die Augen gestreut werden. Es braucht die Absicherung, die Sicherheit, die Rechtsansprüche, gesetzliche Änderungen, um auch zu wissen, dass man sich verlassen kann und nicht bei jeder Semmel, bei jedem Apfel, den man sich noch leisten können möchte, 5 Cent umdrehen muss, weil man hart kalkulieren muss, ob sich Heizen im Winter noch ausgeht. Sichern wir Kinder und Frauen endlich grundlegend ab, mit festen Ansprüchen (Beifall bei der SPÖ), mit einem guten warmen Mittagessen, mit einem Rechtsanspruch auf einen Bildungsplatz, um Chancengleichheit auch möglich zu machen, und nicht mit unfairen Familienbonuserhöhungen wie in den letzten Jahren oder eben auch irgendwelchen Einmalzahlungen, die stigmatisieren und aufgrund Ihrer bürokratischen Hürden, des Anspruchs durch Berichtslegungen, aufgrund vielfacher bürokratischer Hürden den Menschen auch nicht direkt zugutekommen, sondern der Zugang extrem erschwert wird.

Armutssicherung heißt, Politik für einen großen Teil der österreichischen Bevölkerung zu machen. Armutsfeste Politik wäre hier gefragt – nicht erst seit jetzt, nicht erst seit der Teuerung, sondern schon seit Jahren. (Abg. Maurer: Warum hat es die SPÖ nicht gemacht?) Die Rückschritte, die wir in den letzten Jahren zu verzeichnen hatten, Stichwort türkis-blaue Kürzungen bei der Mindestsicherung, wären wieder zurückzunehmen und die Menschen auch an der Hand zu nehmen, um Armut in Österreich auch tatsächlich abzuschaffen. (Beifall bei der SPÖ.)

60 Euro mehr im Monat werden kein einziges Kind aus der Armut retten. Ja, das ist Fakt, weil das Leben in Österreich, was Wohnen, was Essen, was ein gutes warmes Mittagessen betrifft, viel zu teuer geworden ist. Da braucht es den wirklichen Umbau und gesetzliche Regelungen, es braucht eine Unterhaltsgarantie, es braucht eine Kindergrundsicherung, es braucht die Erhöhung des Arbeitslosengeldes und es braucht niedrigere Preise, um sich das Leben leisten zu können, und deshalb darf ich folgenden Antrag einbringen:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Eva-Maria Holzleitner, BSc, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Preise senken, Leistungen anpassen, Armut bekämpfen“

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung wird aufgefordert ihre Blockadehaltung zu beenden und dem Nationalrat ein umfassendes Inflationsdämpfungsgesetz (u.a. Einführung einer Mietpreisbremse, sofortiges, temporäres Aussetzen der Mehrwertsteuer auf Lebensmittel des täglichen Bedarfs, Einsetzung einer schlagkräftigen Anti-Teuerungskommission) vorzulegen, das das Ziel verfolgt, die Inflationsrate in Österreich um mindestens zwei bis drei Prozentpunkte zu drücken.

Darüber hinaus wird die Bundesregierung aufgefordert umgehend ein nachhaltiges Paket zur Armutsbekämpfung dem Nationalrat zu übermitteln, mit dem armutsvermeidende Mindestleistungen in der Sozialhilfe festgelegt werden, das Arbeitslosengeld auf 70 Prozent des letzten Einkommens erhöht und damit einhergehend auch die Notstandshilfe erhöht wird, der Kinderzuschlag zum Arbeitslosengeld verdreifacht wird und die Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung jährlich valorisiert werden sowie eine Kindergrundsicherung und ein Rechtsanspruch auf einen Kinderbildungsplatz eingeführt und die Finanzierung eines warmen Essens pro Tag für jedes Kind in allen Bildungseinrichtungen sichergestellt wird.“

*****

Das wäre das Mindeste, um Armut in Österreich zu verhindern. (Beifall bei der SPÖ.)

10.34

Der Antrag hat folgenden Gesamtwortlaut:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Eva-Maria Holzleitner, BSc,

Genossinnen und Genossen

betreffend Preise senken, Leistungen anpassen, Armut bekämpfen

eingebracht im Zuge der Debatte zum Bericht des Ausschusses für Familie und Jugend über den Antrag 3430/A der Abgeordneten Norbert Sieber, Mag. Markus Koza, Kolleginnen und Kollegen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Bundesgesetz über einen Ausgleich inflationsbedingt hoher Lebenshaltungs- und Wohnkosten (Lebenshaltungs- und Wohnkosten-Ausgleichs-Gesetz-LWA-G) geändert wird (2062 dB)

Die Teuerung in Österreich ist so hoch wie seit 70 Jahren nicht mehr. Die Preise explodieren nach wie vor. Mit zuletzt 8,8 Prozent ist die Inflation hierzulande um fast 3 Prozentpunkte höher als in Deutschland, der Abstand hat sich gegenüber April sogar vergrößert. Spanien hatte im Mai sogar nur mehr 3,2 Prozent. Österreich bleibt weiter das Land mit einer der höchsten Inflationsraten in der Euro-Zone. Die Preise steigen seit Monaten rasant an, von Mai 2021 bis Mai 2023 um 17 Prozent. Die Folge: Millionen Menschen in Österreich haben Probleme, ihre täglichen Ausgaben bei Mieten, Energie und beim Einkauf zu bestreiten. Immer mehr Familien können sich aufgrund der Teuerung kein warmes Essen mehr leisten, ihre Kinder nicht mehr gut versorgen und müssen an der Supermarktkasse feststellen, dass sie sich mit ihrem Geld immer weniger leisten können. Es wäre die Aufgabe dieser Bundesregierung, die steigende Armut zu verhindern und die ausufernde Geldentwertung strukturell zu bekämpfen. Es geht nicht nur darum, einzelnen Gruppen Almosen zukommen zu lassen, sondern die Preise strukturell zu senken. Familien dürfen nicht Bittsteller:innen von der Bundesregierung sein. Niemand soll sich an der Supermarktkasse arm fühlen. Die Regierung hat im Koalitionsabkommen versprochen, die Armut in Österreich zu halbieren – sie ist aber gestiegen! Und zwar seit Antritt von Sebastian Kurz im Jahr 2019 um mehr als 30%!

Wer Politik für die Menschen macht, schaut genau hin, wo der Schuh drückt – also wo die Teuerung am stärksten zuschlägt. Die größten Treiber der Teuerung sind: Energie, Lebensmittel und Wohnen. Es wäre verantwortungsvolle Politik und ökonomisch schlüssig, sich im Sinne der Menschen zu überlegen, welche Maßnahmen gesetzt werden müssen, um bei den größten Treibern der Teuerung den Preisaufschwung zu stoppen bzw. zumindest zu dämpfen. WIFO-Chef Gabriel Felbermayr hat sich unter anderem für einen Mietpreis-Stopp ausgesprochen und Eingriffe in den Markt von der Regierung eingemahnt: „ […] die Mietpreisbremse muss überlegt werden, ich war ehrlich gesagt enttäuscht, dass sie nicht gekommen ist.“ 1 Dank des Nicht Handelns der Bundesregierung galoppieren die Mieten in Österreich weiterhin den Löhnen davon.

So steigen die gesetzlichen Kategoriemieten laut Berechnung der Arbeiterkammer im Juli um 5,5 Prozent. Das macht in Summe vier Erhöhungen in 15 Monaten von rund 24 Prozent.

Auch in Sachen Kampf gegen die hohen Lebensmittelpreise findet WIFO-Chef Felbermayr, dass die Regierung die Lebensmittelkonzerne stärker in die Pflicht hätte nehmen müssen: „Eine Transparenzinitiative, die sich auf wenige Produkte erstreckt, ist recht zahnlos. Der Staat muss ein bisschen mehr Muskeln zeigen!“ 2 So lange sichergestellt ist, dass diese weiter gegeben wird, kann sich mittlerweile auch er - wie von der SPÖ vorgeschlagen – eine Mehrwertsteuersenkung auf Lebensmittel vorstellen. Im Interview mit der Krone vom 14. Mai 2023 plädiert auch Felbermayr dafür endlich stärker die Inflation selbst zu bekämpfen und nicht nur ihre Effekte.

Und auch im Sozialbereich müsse noch mehr passieren. Als Beispiel nannte Felbermayr die unterjährige Anpassung von Arbeitslosengeld oder die Inflationsindizierung von Einkommensgrenzen, ab denen ein Anspruch besteht. 3

Was macht die Regierung?

Die Regierung senkt keinen einzigen Preis, sie stoppt nicht den Mietpreiswahnsinn, hofft auf die Vernunft der Energiekonzerne und im Kampf gegen die Armut, macht sie Betroffene wieder zu Bittsteller:innen!

Die Regierung kündigt ein Paket gegen Familienarmut an. Dieses Paket ist aber weder nachhaltig, weil mit 2024 befristet, noch werden 60 Euro pro Monat weder eine einzige Familie oder eine einziges Kind wirklich aus der Armut holen. 60 Euro pro Kind sind gerade einmal 2 Euro am Tag. Damit kann man auch mit billigen Lebensmitteln kein warmes Essen zubereiten, geschweige denn mit diesen enorm verteuerten Lebensmitteln.

Um der Armut in unserem Land wirklich nachhaltig den Kampf anzusagen braucht es neben preissenkenden Maßnahmen auch Leistungsverbesserungen: Eine Reform der Sozialhilfe mit armutsvermeidenden Mindestleistungen, eine Erhöhung von Arbeitslosengeld, Notstandshilfe und Kinderzuschlag sowie die jährliche Valorisierung dieser Leistungen und eine Kindergrundsicherung, einen Rechtsanspruch auf einen Kinderbildungsplatz sowie ein gesundes, warmes Essen pro Tag für jedes Kind in allen Bildungseinrichtungen.

Mit einem derartigen Maßnahmenpaket kann die Armut in Österreich nachhaltig bekämpft werden.

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher nachstehenden

Entschließungsantrag

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung wird aufgefordert ihre Blockadehaltung zu beenden und dem Nationalrat ein umfassendes Inflationsdämpfungsgesetz (u.a. Einführung einer Mietpreisbremse, sofortiges, temporäres Aussetzen der Mehrwertsteuer auf Lebensmittel des täglichen Bedarfs, Einsetzung einer schlagkräftigen Anti Teuerungskommission) vorzulegen, das das Ziel verfolgt, die Inflationsrate in Österreich um mindestens zwei bis drei Prozentpunkte zu drücken.

Darüber hinaus wird die Bundesregierung aufgefordert umgehend ein nachhaltiges Paket zur Armutsbekämpfung dem Nationalrat zu übermitteln, mit dem armutsvermeidende Mindestleistungen in der Sozialhilfe festgelegt werden, das Arbeitslosengeld auf 70 Prozent des letzten Einkommens erhöht und damit einhergehend auch die Notstandshilfe erhöht wird, der Kinderzuschlag zum Arbeitslosengeld verdreifacht wird und die Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung jährlich valorisiert werden sowie eine Kindergrundsicherung und ein Rechtsanspruch auf einen Kinderbildungsplatz eingeführt und die Finanzierung eines warmen Essens pro Tag für jedes Kind in allen Bildungseinrichtungen sichergestellt wird.“

1 Kronen Zeitung, Sonntag 14.Mai 2023

2 Kronen Zeitung, Sonntag 14.Mai 2023

3 APA0270/10.05   Mi, 10.Mai 2023

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Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Der Antrag ist ordnungsgemäß eingebracht, ausreichend unterstützt und steht somit in Verhandlung.

Zu Wort gemeldet ist Abgeordneter Sieber. – Bitte.