10.39

Abgeordneter Rudolf Silvan (SPÖ): Herr Präsident! Hohes Haus! Sehr geehrte Damen und Herren hier auf der Galerie und zu Hause! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Eingangs möchte ich sagen, wir stimmen natürlich der Änderung des Primärversorgungsgesetzes zu.

Das Gesetz stammt ja aus der Zeit von Christian Kern und Gesundheitsministerin Pamela Rendi-Wagner. Ich sage das deshalb, weil von den Grünen immer ein bisschen die Kritik kommt, was die SPÖ alles nicht gemacht hat und dass die Grünen jetzt so viel durchbringen. Wir hatten immer sehr gute Gesund­heitsministerinnen und Gesundheitsminister, ob das Sabine Oberhauser, Alois Stöger oder auch Pamela Rendi-Wagner war.  Aus diesem Grund auch herzlichen Dank für diese Leistungen. (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Zarits: Was war die Leistung? „Wo woa mei Leistung?“)

Wir brauchen aber auch für das Primärversorgungsgesetz das entsprechende Personal beziehungsweise die dafür notwendigen Ärztinnen und Ärzte. Obwohl die Bevölkerung wächst, ist die Zahl der Kassenpraxen in Österreich seit 2010 um fast 400 Praxen geschrumpft, während die Zahl der Wahlärzte im selben Zeitraum um über 40 Prozent gestiegen ist. Wir brauchen pro Jahr 1 450 neue Ärzte, um das System zu erhalten, wir bekommen aber zurzeit nur 840 Ärztinnen und Ärzte ins Gesundheitssystem.

Weil es gerade dazupasst, Herr Bundesminister, möchte ich ein persönliches Erlebnis schildern: Vorige Woche hat mich ein Betriebsrat eines großen Sägewerkes angerufen und gefragt, ob er eine Wahlarztrechnung über den Betriebsratsfonds bezahlen kann. Ich habe natürlich verneint und gesagt, dass das nicht geht. Was war passiert? – Ein Arbeiter dieses Sägewerkes war bei einer Vorsorgeuntersuchung und die niedergelassene Ärztin hat ein verdächtiges Muttermal auf seinem Rücken entdeckt und ihm geraten, dieses Muttermal bei einer Fachärztin, einer Dermatologin ansehen zu lassen.

Er hat daraufhin versucht, einen Termin zu bekommen – frühestens in neun Monaten. Daraufhin hat er gesagt, es besteht der Verdacht, dass er ein bösartiges Muttermal auf seinem Rücken hat. Dann hat es geheißen: frühestens in sechs Monaten. Das hat ihm natürlich keine Ruhe gelassen und er hat sich an einen Wahlarzt gewandt, dort ist er in 14 Tagen drangekommen. Ergebnis: Es war ein bösartiges Muttermal. Ergebnis auch: 480 Euro für den betroffenen Arbeitnehmer.

Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bezahlen monatlich Krankenver­siche­rungs­beiträge, bezahlen jeden Monat Lohnsteuer, sie sind im Gesundheitssystem keine Bittsteller, sie haben ein Recht auf eine ordentliche Gesundheits­versor­gung, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der SPÖ.)

Deshalb bringe ich folgenden Antrag ein:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Philip Kucher, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Maßnahmen gegen den Ärzt:innenmangel“

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung wird aufgefordert, endlich Maßnahmen gegen den Ärzt:innenmangel umzusetzen. Insbesondere sollen

- die Aufnahmekriterien zum Medizinstudium verändert werden,

- eine Verpflichtung, nach der Ausbildung im öffentlichen Gesundheitswesen für einige Jahre tätig zu sein, muss zu einer Bevorzugung für die Erlangung eines Studienplatzes führen,

- das ‚Modell Landarztquote‘ aus Deutschland soll für Österreich adaptiert und eingeführt werden

und zusätzlich sollen die Medizinstudienplätze verdoppelt und den Universitäten das entsprechende Budget zur Verfügung gestellt werden.“

*****

Da ich noch ein paar Sekunden Zeit habe, möchte ich noch eines erwähnen, weil Kollege Kickl – er ist heute nicht da – gestern gesagt hat, wenn er Kanzler wird, wird alles besser: Ich möchte nur darauf hinweisen, dass die FPÖ wesentlich dazu beigetragen hat, dass das Gesundheitssystem heute so schlecht dasteht – ich erinnere nur an Ministerin Hartinger-Klein, die die Dienstgeberbeiträge zur Unfallversicherung gesenkt hat und so dem Gesundheitssystem insgesamt mittlerweile schon über 500 Millionen Euro entzogen hat. (Abg. Wurm: Geh, geh!) – Das ist eure Leistung zum Gesundheitssystem, liebe Kollegen von der FPÖ. Danke schön. (Beifall bei der SPÖ sowie bei Abgeordneten von ÖVP und Grünen. – Abg. Wurm: Ja, ja, ja!)

10.43

Der Antrag hat folgenden Gesamtwortlaut:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Philip Kucher, Rudolf Silvan,

Genossinnen und Genossen

betreffend Maßnahmen gegen den Ärzt:innenmangel

eingebracht im Zuge der Debatte über ein Bundesgesetz, mit dem das Primär­versorgungsgesetz und das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz geändert werden (2087 d.B.) TOP 1

Obwohl die Bevölkerung wächst, ist die Zahl der Kassenpraxen in Österreich seit 2010 um fast 400 Praxen, von 8.501 auf 8.132 (Quelle ÖÄK), zurückgegangen. Die Zahl der Wahlärzt:innen ist im selben Zeitraum um über 40 Prozent, von 7.403 auf 10.578 gestiegen.

Laut „Gesundheit Österreich“ fehlen bis 2030 alleine in den Krankenhäusern 6.000 Ärzt:innen um Pensionierungen und den steigenden Bedarf in der Gesundheits­versorgung decken zu können. Eine Umfrage der Wiener Ärztekammer unter Spitals­ärzt:innen zeigt dramatische Ergebnisse. 52 Prozent der Spitalsärzt:innen haben demnach bereits überlegt, den Job zu wechseln bzw. zu kündigen, knapp ein Fünftel denkt darüber sogar oft oder sehr oft nach.

Pro Jahr brauchen wir mindestens 1.450 zusätzliche Ärzt:innen um den Status quo zu erhalten, es kommen aber jährlich nur 840 hinzu.

Wer die ärztliche Versorgung der Bevölkerung in Österreich daher sichern will, muss dies an der Wurzel tun. Es gibt genug junge Menschen, die Ärzt:innen werden würden, wenn man sie bloß ließe. Zehntausende junge Menschen bewerben sich Jahr für Jahr für ein Medizinstudium. Darauf bereiten sie sich oftmals über Wochen und Monate vor. Das alles, um am Ende eine Chance von rund 1:10 zu haben, dass sie ihrer Berufung tatsächlich auch nachgehen können. Wir brauchen daher eine deutliche Erhöhung der Studienplätze und eine Bevorzugung jener, die sich bereit erklären, dem öffentlichen österreichischen Gesundheitssystem für eine gewisse Dauer, etwa als Kassenärzt:innen am Land, zur Verfügung zu stehen.

Vor allem im Bereich der Allgemeinmedizin öffnet sich eine extreme Lücke. Die hausärztliche Versorgung steht vor großen Herausforderungen:

•          Arztlastigkeit des Systems,

•          Nachwuchsmangel bzw. schwindende Menge an Bewerber*innen für Kassenstellen,

•          hohe Anzahl an Pensionierungen, damit verbunden unbesetzte Stellen,

•          teilweise überlastete Ärzt:innen,

•          ungenügende Versorgung für Patient:innen,

•          Abwanderung von Ärzt:innen in den Wahlarztbereich.

Die Gründe dafür sind vielfältig und brauchen ein Maßnahmenbündel, um den Herausforderungen gerecht zu werden. Im niedergelassenen Bereich wurde in den letzten Jahrzehnten ein Fokus auf den Ausbau der fachärztlichen Versorgung gelegt,

jetzt ist es wieder an der Zeit, den Fokus auf die Weiterentwicklung der Allgemein­medizin zu lenken. Davon profitieren alle Versicherten, besonders jene in den ländlichen Regionen.

Die Primärversorgung umfasst die Allgemeinmedizin gemeinsam mit den therapeutischen Gesundheitsberufen, der Pflege, der Sozialarbeit und sorgt dafür, dass zwischen Gesundheits- und Sozialbereich keine Lücken entstehen. Der Fortschritt in der hausärztlichen Versorgung für die Versicherten wird durch verschiedene Zusammenarbeitsformen getragen, weil sie eine Rundum-Versorgung verbunden mit langen Öffnungszeiten auch an den Tagesrandzeiten gewährleisten. In diesem Bereich können 70 Prozent der Patient*innen abschließend behandelt werden.

Eine gute regionale hausärztliche Versorgung ist das Rückgrat unserer Gesund­heitslandschaft. In den letzten Jahren gab es für freie Hausarztstellen immer weniger Bewerber*innen, für manche Stellen, besonders in ländlichen Gegenden, ist es besonders schwer, geeignete Kandidat*innen zu finden.

Auch hier sind die Gründe dafür vielfältig. Der Nachwuchsmangel bei den Haus­ärzt:innen fängt in der Ausbildung an: Von der rigiden und wenig hausarzt­freund­lichen Zulassung zum Medizinstudium, über die fehlende praktische Ausbildung direkt im niedergelassenen Bereich, bis zu früh einsetzenden Spezialisierungen, die die Wahl einer fachärztlichen Ausbildung fördern. Der Hausärzt:innen-Nachwuchs muss allerdings gesichert werden und es sollte daher für jene Bewerber*innen, die zu Beginn des Studiums schon wissen, dass sie Allgemeinmediziner*innen werden wollen, eigene, vorrangige Medizinstudienplätze mit Auflagen geben. Insbesondere soll mit einem eigenen Aufnahmetest inkl. Test für soziale Kompetenzen, Einbeziehung von Vorerfahrungen, z.B. pflegerische Ausbildung/Tätigkeit oder ehrenamtliche Tätigkeit im Gesundheitsbereich, die beste Auswahl getroffen werden.

Die Student:innen verpflichten sich dafür, nach dem abgeschlossenen Studium für einen bestimmten Zeitraum im öffentlichen Gesundheitssystem, vorrangig als Hausärzt:innen in unterversorgten Regionen, zu arbeiten. In Deutschland ist dieses Modell schon als „Landarztquote“ erfolgreich im Laufen und der Andrang seitens der Student*innen groß. Für die Student:innen muss eine ausreichende Zahl an Ausbildungsplätzen in den Krankenanstalten bzw. bei Allgemeinmediziner*innen gewährleistet und angeboten werden.

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgenden

Entschließungsantrag

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung wird aufgefordert, endlich Maßnahmen gegen den Ärzt:innenmangel umzusetzen. Insbesondere sollen

•          die Aufnahmekriterien zum Medizinstudium verändert werden

•          eine Verpflichtung, nach der Ausbildung im öffentlichen Gesundheitswesen für einige Jahre tätig zu sein, muss zu einer Bevorzugung für die Erlangung eines Studienplatzes führen

•          das „Modell Landarztquote“ aus Deutschland soll für Österreich adaptiert und eingeführt werden

•          und zusätzlich sollen die Medizinstudienplätze verdoppelt und den Universitäten das entsprechende Budget zur Verfügung gestellt werden.““

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Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Der Antrag ist ordnungsgemäß eingebracht, ausreichend unterstützt und steht mit in Verhandlung. 

Zu Wort gemeldet ist Abgeordneter Schallmeiner. – Bitte.