11.38

Abgeordnete Julia Elisabeth Herr (SPÖ): Frau Präsidentin! Hohes Haus! Wir beschließen heute, dass Verhandlungen im Zivilprozess künftig auch per Video stattfinden können. Das wurde während Corona ausgetestet und soll jetzt eingeschränkt beibehalten werden. Es soll auch für Verfahren nach der Exeku­tionsordnung oder nach der Insolvenzordnung diese Möglichkeit der Video­verhandlung geben. Wir stehen dem grundsätzlich offen gegenüber und werden heute auch zustimmen.

Wenn wir aber schon bei der Insolvenzordnung sind, muss ich andere Punkte ansprechen, die wir sehr wohl für dringend reformbedürftig halten. Aktuell wird ja die größte Insolvenz der letzten zehn Jahre abgewickelt: Kika/Leiner, und diese Insolvenz dürfte jetzt noch größer ausfallen als anfangs gedacht.

Im Juni hat der Insolvenzverwalter noch erklärt, dass zumindest die Mitarbei­ter:innen der Gastrogesellschaften, der Restaurants, die bei Kika/Leiner angeschlossen sind, nicht betroffen sein werden. Jetzt ist es erneut anders gekommen. Gestern wurden wieder Hunderte Mitarbeiter:innen gekündigt, diese haben ihren Job verloren. Laut Gewerkschaft ist nicht einmal klar, ob diese Kündigungen rechtmäßig sind. Das ist ja gleich die nächste Frechheit in dieser Causa.

Es läuft einfach so weiter, wie es begonnen hat: Unternehmen sanieren sich auf Kosten der Mitarbeiter:innen, die nichts zu dieser Misere beigetragen haben. Das ist ungerecht, das geht uns nahe. Ich sage es noch einmal: Die SPÖ steht da ganz klar aufseiten der Beschäftigten. (Beifall bei der SPÖ.)

Es sind mittlerweile Tausende, die ihren Job verloren haben, und das muss man einfach gegeneinanderstellen: Während die einen ihren Job verlieren, um ihre Zukunft bangen müssen, weil Kika/Leiner krachen geht, ist René Benko mit seiner Signa, die das Unternehmen übernommen hat, der große Profiteur. Diese Übernahme ist damals mit dem Versprechen geschehen, Tausende Arbeitsplätze zu retten, unterstützt von ÖVP und FPÖ, die sich für diese Übernahme abge­feiert haben. Aus diesem Versprechen ist leider nichts geworden, übrig geblie­ben ist davon nichts. Dieser René Benko ist jetzt fein raus, der hat mit dieser ganzen Geschichte vermutlich 300 Millionen Euro Gewinn gemacht – und die Beschäf­tigten stehen jetzt auf der Straße.

Der Punkt ist: Wir haben versprochen, dem nicht tatenlos zuzuschauen, und deshalb bringe ich heute auch einen Antrag ein, den Antrag der Abgeordneten Julia Elisabeth Herr, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Dringende Reform des Insolvenzrechts“, denn so etwas darf nicht mehr passieren! (Beifall bei der SPÖ.)

Da wurde ein Unternehmen in zwei Teile geteilt: auf der einen Seite die gewinnbringenden Immobilien der Kika/Leiner-Filialen, die ja jetzt verscherbelt wurden – davon ist ja fast alles weg. Auch René Benko hat selbst zugegriffen, wahrscheinlich bei diesen Deals auch gut abgecasht. Diese Seite des Geschäfts wurde gewinnbringend verkauft, und der andere Teil, der operative Teil, der Möbelverkauf mitsamt den Beschäftigten, soll jetzt in die Insolvenz geschickt werden. Die profitablen Teile des Unternehmens hat man also herausgelöst, und um den Rest soll sich die öffentliche Hand kümmern. Das finden wir ganz einfach nicht akzeptabel. Das geht nicht! (Beifall bei der SPÖ.)

Dazu muss man noch sagen, wie viel Steuergeld da an Kika/Leiner geflossen ist. Der größte Gläubiger bei der Kika/Leiner-Insolvenz ist ja die Republik, sind ja bitte wir alle. Alle Steuerzahler und alle Steuerzahlerinnen in Österreich müssen für diesen Unfug jetzt herhalten, weil man einem maroden Unternehmen, von dem jeder gewusst hat, dem geht es gerade schlecht, Millionen an Steuerstun­dun­gen gewährt hat – ganz ohne Sicherungen. Cofag-Gelder sind geflossen, alles ist da geflossen, und jetzt haben wir den Schmarrn.

Deshalb fordern wir fünf Punkte:

Erstens, Frau Ministerin: Steuergeld muss Vorrang haben. Steuerschulden müssen in Zukunft bei einer Insolvenz natürlich als Erstes bezahlt werden. Es dürfen nicht die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler draufzahlen. (Beifall bei der SPÖ.)

Zweitens, Frau Ministerin: Wir fordern die Einrichtung einer Behörde für solche Großinsolvenzen. Es braucht da wirklich Ressourcen, es braucht das not­wendige Personal, um solche möglichen, potenziellen Insolvenzverschlep­pun­gen, die auch im Raum stehen, aufzuklären und aufzuarbeiten.

Drittens: Dieses Filetieren von Unternehmen, dass man sich die guten Stücke rausholt und beim Rest dann schaut, wo die Beschäftigten bleiben, muss in Zukunft ganz einfach verboten sein.

Viertens: Wir wollen die Haftungen bei Unternehmensspaltungen ausweiten. Das heißt, in Zukunft sollen auch die abgespalteten Unternehmen für einen durch die Spaltung entstandenen Schaden haften müssen. – Das brauchen wir.

Und fünftens: Nach dem Vorbild Deutschlands und der USA sollen Ansprüche von Gläubigern in Zukunft in Unternehmensanteile umgewandelt werden. So kann sichergestellt werden, dass die auch ein langfristiges Interesse daran haben, dass das Unternehmen überleben kann. (Beifall bei der SPÖ.)

*****

Das sind fünf ganz konkrete Punkte. Wir haben den Beschäftigten versprochen, wir bleiben bei diesem Thema dran, dass so etwas nicht mehr passieren kann. Ich bitte Sie heute alle inständig, diesem Vorschlag zuzustimmen.

Für René Benko, einen der reichsten Menschen dieser Welt, wurden ja auch Steuerdeals eingehängt. Da hat man sich ja extra im ÖVP-Finanzministerium bemüht, dass der seine Steuern ja nicht zahlen muss. Setzen Sie sich einmal auch so vehement für die Beschäftigten in Österreich ein, dass so etwas nicht mehr passieren kann! (Beifall bei der SPÖ.)

In diesem Sinne: Beschließen wir heute diesen Antrag, stimmen wir ihm gemein­sam zu, damit so ein Skandal nicht mehr stattfinden kann, damit es eine Lex René Benko nicht mehr geben kann! Heute können wir alles, was wir sozusagen rechtlich beschließen können, in die Wege leiten. Politisch müssen wir dann sowieso bei der nächsten Wahl schauen, dass so eine Politik, bei der es nur um die befreundeten Milliardäre geht, die bevorzugt werden, endlich abgewählt wird. – Vielen Dank. (Beifall bei der SPÖ.)

11.44

Der Antrag hat folgenden Wortlaut:

Antrag

der Abgeordneten Julia Herr, Genossinnen und Genossen

betreffend Dringende Reform des Insolvenzrechts

eingebracht im Zuge der Debatte zum Bericht des Justizausschusses über die Regierungsvorlage (2093 d.B.): Bundesgesetz, mit dem die Zivilprozessordnung, das Außerstreitgesetz, das Unterbringungsgesetz, das Heimaufenthaltsgesetz, die Insolvenzordnung, die Exekutionsordnung, das Gerichtsorganisationsgesetz und das Bundesverwaltungsgerichtsgesetz geändert werden (Zivilverfahrens-Novelle 2023 – ZVN 2023) (2155 d.B.)

Begründung

Die aktuellen zivilverfahrensrechtlichen Vorschriften eröffnen den zuständigen Behörden sowie den Gerichten zu wenig Möglichkeiten, darauf zu reagieren, dass sich einzelne Spekulanten auf Kosten der Allgemeinheit bereichern. Die Machenschaften von René Benko rund um kika/Leiner zeigen dies eindrücklich. Sie offenbaren wesentliche Lücken im Insolvenzrecht. Benko soll mit dem kika/Leiner-Deal unterm Strich einen satten Gewinn von 300 Mio. Euro eingestrichen haben, während tausende Mitarbeiter:innen ihren Job verloren haben. Die Arbeitnehmer:innen und die Steuerzahler:innen sind bei diesen Deals die Dummen.

Auch bei anderen Konzernen wird vermutet, dass die Sanierung auf Kosten der Allgemeinheit durch Abspaltung von Unternehmensteilen oder Verlustverschiebung zu Tochter-/Schwesterunternehmen sogar systematisch betrieben wird und somit Teil eines Geschäftsmodells ist. So werden aber die Bestimmungen des Insol­venz­rechts, die darauf abzielen, Arbeitsplätze zu sichern und ehrliches Unterneh­mertum zu fördern, missbraucht.

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher den

Antrag

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung wird aufgefordert, dem Nationalrat ehestmöglich eine Regie­rungsvorlage zuzuleiten, die folgende Punkte enthält, bzw. – sofern dies im Rahmen der bestehenden Gesetze möglich ist – die entsprechenden Maßnahmen zu setzen:

1.         Neues Konzerninsolvenzrecht

Bislang herrscht im Insolvenzrecht das ‚Trennungsgebot‘: Jedes Unternehmen wird für sich allein betrachtet, auch wenn es Teil eines Konzerns ist. Dadurch wird es erst ermöglicht, die Schulden bei einem einzigen Unternehmen anzuhäufen, während die anderen Unternehmen des Konzerns fette Gewinne schreiben. In Zukunft sollen Unternehmen desselben Konzerns daher vom Insolvenzgericht gemeinsam betrachtet werden können, wenn Grund zur Annahme besteht, dass es zu Vermögensverschie­bungen zu Lasten der Gläubiger gekommen ist.

Diese Konzernbetrachtung kann auf zwei Arten gelingen: Entweder wird es bei einer Insolvenz ermöglicht, Vermögensverschiebungen zwischen den Konzernunternehmen rückabzuwickeln (vergleichbar mit den bestehenden Anfechtungstatbeständen der Insolvenzordnung), wobei eine Beweiserleichterung eintritt (‚familia suspecta‘ iSd § 32 IO). Oder es werden Vermögen der verschiedenen Konzernunternehmen generell als eine Einheit betrachtet. Für letzteres spricht v.a., dass damit der Verantwortung der Eigentümer am besten entsprochen wird. In diesem Zusammenhang sollen die von UNCITRAL empfohlenen Grundsätze für Konzerninsolvenzen berücksichtigt werden.

2.         Eigentümer:innen in die Verantwortung nehmen

Bei Insolvenzen kommt es bislang zu keinen Änderungen an den Eigentumsver­hältnissen der beteiligten Unternehmen: Die bisherigen Eigentümer bleiben – sofern sie nicht verkaufen – auch weiterhin Eigentümer. In den USA geht man schon seit Jahrzehnten und in Deutschland seit einigen Jahren einen anderen Weg: Um funktionierende Unternehmen am Leben zu erhalten, werden die Ansprüche der Gläubiger in Unternehmensanteile umgewandelt (sogenannter Debt-Equity-Swap).

Dies hat den Vorteil, dass einerseits auch die bisherigen Eigentümer zur Sanierung beitragen, aber auch die Gläubiger ein Eigeninteresse am Fortbestehen des Unternehmens entwickeln. Österreich hat bei der Umsetzung der EU-Restrukturie­rungs- und Insolvenz-Richtlinie darauf verzichtet, eine solche Regelung zu erlassen, was nunmehr behoben werden soll.

3.         Vorrangige Befriedigung öffentlicher Abgaben

Bei einer Insolvenz werden gewisse Schulden vorrangig, andere nachrangig bedient. Gerade bei Überschuldung bedeutet dies, dass etwa nachrangige Schulden ein höheres Ausfallsrisiko tragen. Aber gerade dann, wenn der Staat schon eingesprungen ist – etwa durch Kurzarbeitshilfen oder Krisen-Förderungen (Covid-19-Steuerstun­dun­gen oder COFAG-Hilfen) –, ist nicht einzusehen, dass diese Beträge nicht vorrangig befriedigt werden. So werden etwa in den Niederlanden bereits jetzt Steuer­schulden bei einer Insolvenz als erstes bezahlt. In Österreich werden bisher nur Abga­ben von Grundstücken (wie die Grundsteuer) bevorrechtet – das soll auf öffentliche Krisenhilfen ausgeweitet werden.

4.         Stärkung der Kompetenzen bei der Justiz

Die zentrale Rolle im Insolvenzverfahren hat bislang der Insolvenzverwalter. Dies ist meistens eine vom Gericht bestellte Anwaltskanzlei. Diesen fehlen aber immer wieder die notwendigen Ressourcen, da auch die Entschädigung begrenzt ist. In Österreich gibt es keine spezialisierte Behörde, die sich mit Großinsolvenzen befasst und etwa mögliche Insolvenzverschleppung oder Krida-Handlungen mit entsprechenden forensischen Methoden aufarbeiten kann. Die Finanzprokuratur beschränkt sich auf die gerichtliche Geltendmachung von Ansprüchen, wird aber nicht selbst als Insolvenzverwalterin tätig.

Vergleichbar mit der WKStA soll daher eine eigene staatliche Insolvenzbehörde geschaffen werden, die mit dem entsprechenden Know-how und Ressourcen die Interessen der Allgemeinheit in großen Insolvenzverfahren vertritt. Außerdem sollten die gerichtlichen Zuständigkeitsregeln überdacht werden, da gewisse Großinsol­ven­zen auch auf Seite der beteiligten Richter:innen besonderes Know how und Kapazitäten erfordern. Bei der Beauftragung von Anwaltskanzleien sollen außerdem Vergabevorschriften zur Anwendung kommen.

5.         Ausweitung der Haftung bei Unternehmensspaltungen

Bereits jetzt haften die Geschäftsführer:innen und Vorstände von Unternehmen gemäß § 3 Abs. 5 SpaltG für den Schaden, der bei Spaltungen eintritt. Das Modell der Teilung von profitablem und defizitären Geschäftsbereichen mit Blick auf eine mögliche Insolvenz wird dadurch aber nicht unterbunden.

Um dies zu ändern, soll die Haftung insofern erweitert werden, als dass auch die abgespaltenen Unternehmen für den durch die Spaltung entstandenen Schaden gegenseitig haften. Das Benko-Modell wird dadurch unattraktiv: Die Trennung von operativem Geschäft und Immobiliengeschäft würde für einen bestimmten Zeitraum der Haftung oder bei Vorliegen gewisser Gründe (wie Missbrauch der Bestimmungen) unattraktiver, da ein Weiterverkauf des Immobiliengeschäfts erschwert wird.“

*****

Präsidentin Doris Bures: Die Frau Abgeordnete hat einen Antrag eingebracht, den sie im Zuge ihrer Rede in den Grundzügen erläutert hat. Dieser wird verteilt und steht daher mit in Verhandlung.

Nun gelangt Frau Abgeordnete Agnes Sirkka Prammer zu Wort. – Bitte.