11.33

Abgeordnete Dr. Ewa Ernst-Dziedzic (Grüne): Frau Präsidentin! Herr Vizekanzler! Werte Damen und Herren auf der Regierungsbank! Werte Zuseher und Zuseherinnen! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Stellen Sie sich vor, Sie sind 18 und verlieben sich das erste Mal so richtig. Sie haben gerade die Matura gemacht, sind kurz davor oder haben einen Ferialjob in Aussicht, wollen ins Ausland gehen oder haben die Lehre abgeschlossen. Dann gibt es plötzlich bei Ihnen eine Razzia und jemand – nämlich der Staat Österreich – verhängt über Sie fünf Jahre Kerker dafür, dass Sie sich in die falsche Person verliebt haben.

Das war in Österreich tatsächlich bis 1971 der Fall. Bis dahin galt das Totalverbot für homosexuelle Handlungen in Österreich. Viele Menschen in Österreich haben Familie, Freunde, den Job, das soziale Ansehen, schlicht alles, auch viel Geld und die Jahre danach verloren, nur weil sie sich in die vermeintlich falsche Person verliebt haben.

Nach 1971 war es nicht vorbei, nein, im Gegenteil: Dieser Nationalrat, das österreichische Parlament hat Sonderparagrafen beschlossen: § 209, § 210, § 220 und § 221. Einige von ihnen galten bis ins Jahr 2002. Auch das kann man sich schwer vorstellen.

Es sind in Österreich 11 000 Menschen, die von dieser Unrechtsordnung betroffen sind. Viele von ihnen sind mittlerweile tot. Gerade deshalb ist es aber so wichtig, dass sich die Justiz endlich bei all diesen Menschen für dieses Unrecht nicht nur entschuldigt hat, sondern dass all diese Unrechtsparagrafen aufgehoben wurden und die Menschen jetzt endlich entschädigt werden. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der SPÖ.)

Das ist etwas Großartiges, das ist etwas Demokratisches, das ist etwas, womit wir uns in Österreich im Jahr 2023 tatsächlich rühmen dürfen und müssen. (Beifall des Abg. Stögmüller.)

Wieso? – In über zehn Staaten der Welt steht auf Homosexualität noch immer die Todesstrafe. Im Irak wird diskutiert, ob Homosexuelle nicht wieder gehängt werden sollen wie im Iran. In Russland kommt man für das Hissen einer Regenbogenfahne in den Häfn. Daran merkt man den Unterschied zwischen den demokratischen Schritten in der Gleichbehandlung aller Menschen in Österreich und der reaktionären Politik in den Autokratien, in denen Menschen einfach dafür getötet, bekämpft, kriminalisiert und verfolgt werden, dass sie sich vermeintlich in die falsche Person verlieben.

Das ist ein großer Schritt. Vielen Dank an die Justiz, an Justizministerin Alma Zadić, vielen Dank an die Beharrlichkeit der Community, vielen Dank an die Zivilgesellschaft, vielen Dank an Sie alle, die es möglich gemacht haben, dass wir dieses Unrecht durch die Entschuldigung und jetzt durch die Entschädigung und die Aufhebung all dieser Urteile endlich zumindest ein Stück weit besser machen und Verantwortung übernehmen. – Vielen, vielen Dank. (Beifall bei den Grünen, bei Abgeordneten der SPÖ sowie des Abg. Scherak.)

11.37

Präsidentin Doris Bures: Nächster Redner: Herr Abgeordneter Maximilian Linder. – Bitte.