10.32

Abgeordneter Mag. Jörg Leichtfried (SPÖ): Herr Präsident! Geschätzte Damen und Herren! Geschätzte Zuseherinnen und Zuseher! Ich möchte jetzt am Anfang – ich habe das eigentlich nicht vorgehabt – schon auf etwas, was Klubobmann Wöginger gesagt hat, entgegnen: Jede Fraktion in diesem Haus hat das Recht, eine Aktuelle Stunde so zu benennen, wie sie es für richtig hält, da braucht es keine Zensur in diesem Par­lament, geschätzte Damen und Herren! (Beifall bei der SPÖ sowie bei Abgeordneten von ÖVP, Grünen und NEOS.)

Wenn wir uns die Situation jetzt vergegenwärtigen, so müssen wir feststellen, es gibt drei große Ängste in diesem Land, in Österreich: die Angst der Menschen um ihre Gesundheit, die Angst der Menschen um ihre Existenz, die Angst vor dem Verarmen und die Angst um die persönliche Freiheit, um die Demokratie und um die Rechts­staatlichkeit.

Wir sind in einer Situation, wie es sie seit Jahrzehnten, ja wahrscheinlich seit 1945 in diesem Land so nicht gegeben hat. Es wird in dieser Zeit so viel von HeldInnen ge­sprochen. – Ich sage Ihnen, wer die HeldInnen sind: Die HeldInnen sind die Men­schen in Österreich, die ihre Freiheit aufgegeben haben, ihren Lebensstil aufgegeben haben, die Einsamkeit ertragen haben, um diese Situation beherrschen zu können. – Ein herzliches Dankeschön Ihnen allen, dass Sie diese Krise bis jetzt so gut bewältigt haben, geschätzte Damen und Herren! (Beifall bei der SPÖ.)

Die Grundlage für dieses vorbildliche Verhalten der Menschen ist das Vertrauen, dass das, was geschieht, evidenzbasiert ist, wissenschaftlich abgeklärt und von der tiefen Sorge getragen ist, dass es den Menschen besser gehen soll. Das war auch der Grund für uns als Sozialdemokraten, bis jetzt hier mitzuhelfen, weil wir eigentlich auch diesen Eindruck gehabt haben, dass es darum geht. Ich sage Ihnen aber ganz offen, Herr Bundeskanzler, schön langsam zweifeln die Menschen daran (Ruf bei der ÖVP: An euch!), und nicht nur die Menschen draußen zweifeln daran, sondern auch jene, die Sie bis jetzt in dieser Phase politisch begleitet haben, zweifeln daran, ob wirklich alles evidenzbasiert, wissenschaftlich abgeklärt geschieht. (Zwischenrufe der Abgeordneten Pfurtscheller und Steinacker.)

Geschätzte Damen und Herren! Wie kann man es verstehen, dass der Herr Bun­deskanzler am 30.3. sagt: „Bald wird jeder von uns jemanden kennen, der an Corona gestorben ist“, und nicht einmal drei Wochen später, am 20. April, liest man in der „Bauernzeitung“, dass Frau Köstinger sinngemäß gesagt hat: Jetzt wird es Zeit, dass wir unsere Grenzen für 80 Millionen unserer Nachbarn aufmachen!? – Was hat zu diesem Sinneswandel geführt, geschätzte Damen und Herren? Ich habe das Gefühl, dass das nicht mehr evidenzbasiert, nicht mehr wissenschaftlich begleitet passiert, ich habe den Eindruck, dass jene, die gut darin sind, Berggipfel wegzusprengen, damit die Seilbahnen fahren können, jetzt langsam wieder den Kurs der Regierung vorgeben – und das ist nicht unser Kurs, geschätzte Damen und Herren! (Beifall bei der SPÖ.)

Die Menschen haben Angst, zu verarmen: 600 000 Menschen sind arbeitslos, 900 000 Men­schen sind in Kurzarbeit, insgesamt haben 1,5 Millionen Menschen weniger Einkom­men zur Verfügung, aber die gleichen Zahlungen zu leisten. Ich sage Ihnen eines: Sie zögern und zaudern in dieser Frage (Abg. Pfurtscheller: Wo denn?!), aber wir werden nicht ruhen, bis es Ausgleich für diese Menschen gibt, finanziellen Ausgleich, und bis endlich das Arbeitslosengeld für diese Menschen erhöht wird, geschätzte Damen und Herren! (Beifall bei der SPÖ.)

Und wenn es darum geht, wer in Zukunft für die Folgen dieser Krise zahlen wird, werden wir dafür kämpfen, dass es nicht diese Heldinnen und Helden in unserem Land sind, sondern dass es die sind, die sich noch immer Dividenden, Boni zuschanzen und nicht bereit sind, ihre Steuern in diesem Land zu zahlen, geschätzte Damen und Herren! Das ist auch das, was für die Zukunft zu tun ist. (Beifall bei der SPÖ.)

Ja, und es gibt die Angst um die Demokratie, die Freiheit, die Rechtsstaatlichkeit. Wir leben in einer Zeit, in der die Regierung sehr viel Verantwortung übertragen bekommen hat – 38 Milliarden Euro können de facto fast frei vergeben werden! –, und in einer solchen Zeit braucht es ein selbstbewusstes, starkes Parlament, das dieser Regierung auf die Finger schaut – und das werden wir tun! Sie werden sich noch eine Zeit lang sträuben, einen Ausschuss einzurichten, der das macht, aber am Ende wird es diesen Ausschuss für Österreich, für die Menschen in Österreich geben, geschätzte Damen und Herren! – Danke schön. (Beifall bei der SPÖ. – Zwischenrufe der Abgeordneten Haubner, Pfurtscheller, Gabriela Schwarz und Steinacker.)

10.37

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Frau Abgeordnete Belakowitsch ist zu Wort ge­meldet. – Bitte.