15.33

Abgeordnete Mag. Martina Künsberg Sarre (NEOS): Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Minister! Werte Mitglieder der Bundesregierung! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! Ich muss Ihnen heute leider etwas sehr Trauriges sagen: Österreich hat keinen Bildungsminister. (Beifall bei den NEOS sowie des Abg. Lindner.) Sie haben das gerade sehr, sehr eindrucksvoll bestätigt bekommen. Ich bin gerade sehr fassungslos, wie man so begeisterungslos über ein so wichtiges Thema wie Bildung sprechen kann. (Beifall bei den NEOS und bei Abgeordneten der SPÖ.)

Ich habe mir eigentlich gedacht, dass Ihnen, Herr Minister, dieser „erfreulich“-Sager passiert ist – aber offensichtlich ist er das nicht, sondern das war ja sehr bewusst gesagt, dass die mittelmäßigen Pisa-Ergebnisse erfreulich sind und dass Sie damit eigentlich recht zufrieden sind. (Ruf: Schon wieder passiert!)

Die Ergebnisse sind ja nicht überraschend. Österreich liegt – wie schon immer in den letzten 20 Jahren – im Mittelfeld. Die Bildungsschere ist weiter auseinandergegangen. Es gibt noch mehr abgehängte Jugendliche als vorher, und Sie sagen: Das ist eigentlich gar nicht so schlecht (Abg. Meinl-Reisinger: Stabilisiert, hat er gesagt!), das Bildungssystem ist ganz gut! – Diese Ergebnisse sollten Sie eigentlich wachrütteln.

Ich weiß nicht, Herr Minister, haben Sie eigentlich wirklich so wenig Anspruch, dass die mittelmäßigen Ergebnisse von Pisa Sie gar nicht auf irgendeine Idee bringen? Das Problem ist, dass hinter diesen anonymen Pisa-Zahlen Kinder stehen – ganz, ganz viele Kinder. Es geht in Ihrem Ressort um Kinder, wie Sie vielleicht wissen. Es geht um jedes einzelne Kind, mit seinen Stärken und Schwächen, mit seinen Begabungen und mit den Interessen, die jedes Kind hat. Wir NEOS sind total davon überzeugt, dass jedes Kind etwas kann. Jedes Kind kann etwas! – Sie dürfen gerne klatschen, Frau Kollegin Niss! Ja, stimmt. (Beifall bei den NEOS sowie der Abg. Niss.)

Jedes Kind interessiert sich auch für etwas. Jedes Kind hat irgendein Interesse, man muss es nur suchen und finden und wollen, dass es rauskommt. (Abg. Salzmann: Das braucht aber nicht der Bildungsminister suchen!) Herr Minister, haben Sie wirklich so wenig Anspruch, dass Sie keinen einzigen Vorschlag bringen, was man dieser Entwicklung entgegensetzen könnte?

Sie haben gesagt: Ich bin Bildungspolitiker und warte jetzt einmal auf die Vorschläge der Bildungsexperten! – Erstens liegen die Vorschläge der Bildungsexperten seit vielen Jahren auf dem Tisch (Zwischenrufe bei den NEOS), die gibt es schon alle, die muss man gar nicht mehr entwickeln. (Abg. Salzmann: Habt’s die in Wien schon ... umgesetzt? – Abg. Meinl-Reisinger: Vieles können wir nicht, wegen Ihnen!) Zweitens haben Sie so gar keine Vision. Ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, wie man Bildungspolitiker sein kann, ohne irgendeine Vision oder irgendeine Idee zu haben. Das verstehe ich überhaupt nicht. (Beifall bei den NEOS.)

Wissen Sie, wir sind davon überzeugt, jedes Kind hat einen Bildungsminister verdient, der ein ganz großes Anliegen hat. Wir brauchen keinen Verwalter und Schönredner, sondern Kinder brauchen einen mutigen Gestalter im Bildungsministerium. (Beifall bei den NEOS.) Kinder brauchen einen Bildungsminister (Abg. Meinl-Reisinger: Der Kinder mag!), den es schmerzt, wenn auch nur ein Kind nicht lesen oder schreiben kann, der in der Früh aufsteht und sagt: Ich arbeite für Kinder und Jugendliche und das taugt mir auch noch! (Ruf bei der ÖVP: Tut er ja! – Zwischenrufe bei den NEOS.) Kinder brauchen einen Bildungsminister, der sich den Herausforderungen stellt und sich nicht wegduckt.

Sie tragen nicht die Schuld an den mittelmäßigen Ergebnissen von Pisa – überhaupt nicht, das haben Ihre Vorgänger zu verantworten –, aber Sie tragen jetzt die Verantwortung, die Ergebnisse ernst zu nehmen und Neuerungen im Bildungsbereich anzugehen. Und was machen Sie? – Sie reihen – das hat man gerade eindrucksvoll gehört – eine kleine Sache an die nächste. Natürlich gibt es viele gute Punkte im Bildungssystem, weil es ganz, ganz viele engagierte Direktoren, Lehrerinnen und Lehrer gibt. Natürlich! Wir sind aber im Mittelmaß, und das kann ja wohl nicht der Anspruch sein. Wir wollen ganz nach oben, wir wollen ein tolles Bildungssystem für jedes einzelne Kind haben. (Beifall bei den NEOS.)

Wenn man Ihnen zuhört, dann glaubt man: Da gibt es eigentlich gar nichts zu verändern, es ist super, lassen wir es doch so! Es gibt halt Kinder, die bekommen nicht alle Chancen, die sie vielleicht bräuchten, aber ist doch egal. (Abg. Meinl-Reisinger: Sind eh die Eltern schuld!) – Wir brauchen jedoch im Bildungsbereich einen Reset, wir brauchen keinen Stillstand und wir brauchen auch nicht noch mehr verschiedene Projekte und Versuche on top – das ist genau das, was Sie uns eben vorgetragen haben: was Sie nicht alles machen, um die Löcher zu stopfen. Das hat aber in den letzten 20 Jahren auch nicht zum erwünschten Ergebnis geführt. Wir stehen heute dort, wo wir vor 20 Jahren waren, beziehungsweise sind noch schlechter dran. Das müssen Sie doch verstehen, Sie sind eigentlich Wissenschafter!

Wir brauchen einen mutigen Reset. Wir müssen die Chancen vieler Kinder stärken und nicht vertun (Zwischenruf der Abg. Steger): Chancen in der Integration und am Arbeitsmarkt, Chancen für jedes Kind auf ein selbstbestimmtes, erfülltes und glückliches Leben.

Wir werden das nur gemeinsam schaffen. Niemand von uns wird es allein lösen können. Wir alle sind gefordert – und da gibt es vor allem zwei Parteien, ÖVP und SPÖ –, diese jahrzehntelangen ideologischen Barrieren zu überwinden (Abg. Heinisch-Hosek: Na, ihr müsst’s die überwinden!) und uns zusammenzusetzen. (Beifall bei den NEOS.) Bildung muss fraktionsübergreifend behandelt werden. (Abg. Holzleitner: Das ist wirklich unfair ...!)

Unser gemeinsames Ziel muss unabhängig von der Parteifarbe sein, dass jedes Kind in Österreich die besten Chancen und die notwendige Förderung erhält, aber auch gefordert wird, wenn es besondere Talente hat. (Zwischenruf des Abg. Taschner.) Das muss unser gemeinsames Ziel sein – und dass jedes Kind seinen Platz in der Gesellschaft findet, einen guten und erfüllten Job bekommt, sein eigenes Leben positiv gestalten kann und das seiner Mitmenschen bereichert. Das muss doch das Ziel sein und das muss auch der Anspruch sein, den die Schule und der Kindergarten vorgeben!

Wir müssen raus aus dem Mittelmaß! Sie geben sich damit zufrieden, wir NEOS nicht. Wir brauchen Ziele. Sie haben kein einziges Ziel genannt, wohin Sie das Bildungssystem entwickeln wollen. Sie haben nur gesagt, welche Projekte Sie aufsetzen, aber wozu diese Projekte eigentlich dienen, wissen Sie offensichtlich nicht.

Bildung muss Chefsache werden! Und da Sie das jetzt gesagt haben: Ich glaube nicht, dass mit Chefsache Sie gemeint sind, oder ich weiß, dass Sie nicht gemeint sind, sondern das muss die gesamte Bundesregierung machen. Deswegen haben wir diesen Dringlichen Antrag auf ein nationales Reformprojekt im Bildungswesen eingebracht.

Wir wollen den Kindergarten qualitativ hochwertiger machen – das ist die erste Bildungseinrichtung –, die Chancenbonusfinanzierung für Schulen mit besonderen Herausforderungen umsetzen. Das funktioniert in vielen Ländern. Natürlich gibt es schon jetzt tolle Lehrerinnen und Lehrer, und es geht überhaupt nicht darum, das Personal schlechtzureden. Der Lehrberuf braucht aber attraktive Angebote für Umstieg, Einstieg, Quereinstieg und auch Entwicklungsmöglichkeiten. (Abg. Taschner: Wien, geh du voran!) Werbekampagnen und Maturantenbriefe – Studieren Sie doch Lehramt, wenn Sie noch nicht wissen, was Sie studieren sollen! – werden nicht ausreichen. (Abg. Meinl-Reisinger: Machen wir ja!)

Wir brauchen ein mittleres Management in den Schulen. Es ist absurd, dass manche Direktoren 60, 70 Lehrer direkt unter sich haben. Das ist absurd und kann auch nicht funktionieren. (Abg. Salzmann: Warum nicht? Das ist ja eine ganz normale Abteilung!)

Weiters: psychosoziales Supportpersonal und – ganz wichtig – Bürokratieabbau. Sie wissen, dass viel zu viel von oben vorgegeben wird. Machen Sie da etwas! Machen Sie einfach irgendetwas, bei dem man den Nutzen im Großen erkennen kann und nicht nur im Kleinen.

Zur Digitalisierungsoffensive, die Sie auch immer wieder bringen – Corona muss jetzt offensichtlich auch noch die nächsten Jahre für alles herhalten, was nicht so gut gegangen ist –: Es geht um eine Digitalisierungsoffensive, die ihren Namen auch verdient. Selbstverständlich sollen alle Lehrer ein Endgerät bekommen und sich Endgeräte nicht teilen müssen. Nein, die Mittelschulen tun es nicht.

Aus- und Fortbildung: Nach wie vor ist da Luft nach oben. Es gibt in anderen Ländern eigenes Personal an den Schulen, das Lehrerinnen und Lehrer im Digitaldidaktischen unterstützt. Da gibt es ganz viel, und das kann man doch auf den Weg bringen.

Wir werden es nur gemeinsam schaffen, das habe ich schon gesagt. Es ist höchste Zeit, dass die Regierung diesen Mut für Reformen aufbringt, die von Vertrauen statt Kontrolle, von Autonomie statt Bürokratie geprägt sind, und für Reformen, die die besten Chancen für jedes Kind eröffnen. (Beifall bei den NEOS.)

15.42

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Abgeordneter Taschner. – Bitte.