17.32

Abgeordneter Mag. Dr. Rudolf Taschner (ÖVP): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Hohes Haus! Sehr geehrte Frau Kollegin Künsberg Sarre! Ich möchte mich in zweifacher Weise bedanken. Sie haben die Initiative zu diesem Antrag ergriffen. Das ist von Ihnen ausgegangen, und es hat wirklich breite Zustimmung gegeben. Es hat auch eine prinzipielle Zustimmung vonseiten der Freiheitlichen Partei gegeben – also ich bin allen Gruppen dankbar. Dass es da noch gewisse Differenzen gibt, müssen wir halt zur Kenntnis nehmen.

Die Probleme, die Herr Kollege Brückl aufgezeigt hat, sind ja auch ernst zu nehmen. Insofern ist auch sein Antrag sicherlich zu erwägen, wenn man auch – wie soll ich sagen? – darüber nachdenken muss. Man muss halt immer nachdenken. (Zwischenruf des Abg. Brückl.)

Ich danke Ihnen auch aus persönlichen Gründen, nämlich weil ich damit die Gelegenheit habe, über dieses Thema zu sprechen, das mir als außerordentlich wichtig erscheint, weil es von grundsätzlicher Natur ist. Hegel hat ja das eigenartige Wort gesagt: „Die Eule der Minerva beginnt erst mit der einbrechenden Dämmerung ihren Flug.“ Man weiß ja nicht ganz genau, was das bedeuten soll: „Die Eule der Minerva beginnt erst mit der einbrechenden Dämmerung ihren Flug.“

Ja, das ist das Grau in Grau. Da beginnt erst das Denken, sagt Hegel, denn vorher hat man Schwarz und Weiß, und wenn man Schwarz und Weiß hat, dann hat man zwei Seiten. Man weiß genau, auf welcher Seite man ist, ohne dass man darüber nachgedacht hat. Das ist etwas Gefährliches. In der Schule sollte eigentlich gelehrt werden, dass man da nicht stehen bleiben darf.

Es gibt natürlich Schwarz und Weiß. Ich habe mich bei der gestrigen Diskussion anlässlich des Dringlichen Antrages so gefreut, dass Herr Kollege Oxonitsch gesagt hat: Also, ich bin überhaupt nicht einverstanden; ich bin mit keinem Satz einverstanden, den Herr Taschner gesagt hat, aber es hat mir in gewisser Weise gefallen, wie er seine Argumente vorgebracht hat. – Insofern kann ich ihm das auch wieder zurückgeben. (Zwischenruf des Abg. Shetty.)

Wir werden sachlich nicht zusammenkommen, aber wir verstehen, dass wir nicht zueinanderkommen. Wir können auch darüber sprechen, dass wir nicht zueinanderkommen und welche Motive uns bewegen. Da gehen wir plötzlich von dem Schwarz und Weiß, das wir natürlich in Leidenschaft schon vertreten, dann hinauf in das Grau dieses Denkens, wo die Eule der Minerva ihren Flug beginnt. Wir schätzen einander und können das sozusagen in einem sinnvollen Dialog miteinander aushandeln.

Genau das soll in der Schule gelehrt werden, genau dieser Punkt. Wenn das nicht gelehrt wird, wenn einfach nur Schwarz und Weiß gelehrt würde, dann wäre das nicht Schule, wie man sie sich vorstellt. Diese Schule sollen wir haben. (Beifall bei der ÖVP.) Um diese Schule zu haben, brauchen wir eigentlich keinen neuen Gegenstand – bei Gott nicht –, sondern in jedem Gegenstand soll diese Art des Denkens erwogen werden. (Beifall bei der ÖVP sowie der Abgeordneten Shetty und Hoyos-Trauttmansdorff.)

Es ist ja Russell gewesen, der gesagt hat: Das Schrecklichste in dieser Welt ist, dass die Strotzdummen immer von ihrer Sache überzeugt sind und die Klugen immer voller Zweifel. – Wir müssen den Zweifel in uns tragen, um selbst, wenn wir von etwas überzeugt sind, immer zu wissen: Manche sind nicht überzeugt. Ich weiß, dass der andere nicht davon überzeugt ist, sogar vom Gegenteil überzeugt ist, und ich akzeptiere das.

Der Extremismus ist es, der das nicht macht. Jeglicher Extremismus akzeptiert nicht, dass jemand anders anders denkt. Genau das muss verhindert werden, egal welcher Art dieser Extremismus ist. (Beifall bei der ÖVP.)

Um das zu erreichen, muss das in jedem Schulfach von jeder Lehrerpersönlichkeit gemacht werden: diese Abkehr von Schwarz und Weiß hin zur Eule der Minerva.

Das sollte ja auch in der Politik der Fall sein. Nicht umsonst steht Minerva in Form der Pallas Athene – Athene und Minerva sind dieselbe Göttin, einmal griechisch, einmal römisch – ja hier beim Parlament. Sie zeigt uns zwar ihren Rücken – ich weiß nicht, warum –, aber sie steht jedenfalls auf den Eulen. Das sind die Eulen der Minerva. Wir hoffen, dass auch hier der Flug beginnt, denn wir müssen ja dann auch für die Schule in gewisser Hinsicht ein Vorbild sein, indem wir zeigen, dass wir so denken können, obwohl wir voll von Leidenschaft sind.

Auch im Journalismus müsste das der Fall sein. Es kommt mir manchmal komisch vor, wenn eine Zeitung behauptet, sie sei: „Der Haltung gewidmet.“ Ich muss gestehen: Eine Zeitung, die der Haltung gewidmet ist, interessiert mich nicht. (Abg. Holzleitner: Schade für Sie!) Mich interessiert nur eine Zeitung, die mich informiert. Der Haltung gewidmet? – Haltung habe ich selbst, dafür brauche ich die Zeitung nicht. (Abg. Holzleitner: Aber informiert hätte die blaue Seite, die man ja einschränkt!) Das ist lächerlich. Eine Zeitung, die der Haltung gewidmet ist, ist verfehlt.

Friedrichs, dieser große Journalist Deutschlands, hat gesagt: Guter Journalismus besteht darin, dass man sich keiner Sache zu eigen macht, nicht einmal einer guten, sondern dass man immer zurückgesetzt bleiben kann und immer auch das andere mit ins Kalkül zieht. – Wir müssen das in der Politik auch machen können, obwohl es uns sehr schwerfällt, und mit Recht sehr schwerfällt, weil wir ja von etwas überzeugt sind – also Leidenschaft, aber nicht extrem.

Das Allerschrecklichste ist, wenn diese extreme Leidenschaft noch mit Moral gespickt wird. Moral ist sehr gefährlich in dieser Hinsicht, denn wenn man das moralische Argument – das kein Argument ist – ins Spiel bringt, ist der andere nicht mehr diskussionsfähig, weil er ja dann unmoralisch ist. Davor müssen wir uns schützen.

Moral, das Gute, ist etwas, das ich mir selbst in meinem Privaten behalten muss, das ich aber nicht jemand anderem aufdrängen will. Wir haben zu viel Moralismus, viel zu viel. Das vergiftet die sinnvolle, objektive Diskussion. Das vergiftet die Möglichkeit des Flugs der Eule der Minerva, der erst in der einbrechenden Dämmerung beginnt. (Beifall bei ÖVP und Grünen sowie der Abg. Meinl-Reisinger.)

17.38

Präsidentin Doris Bures: Nächster Redner: Herr Abgeordneter Christian Oxonitsch. – Bitte.