Abgeordnete Mag. Selma Yildirim (SPÖ): Frau Ministerin, Verfassungsministerin Karoline Edtstadler beziehungsweise die ÖVP fordert ja immer wieder ein Zitierverbot. Wir wissen ja, dass das Zitieren ein Beschuldigtenrecht ist, und von der österreichischen Gesetzgebung ist ja bereits im Mediengesetz geregelt, dass beim Zitieren aus Gerichtsakten die Pflicht zu einer strengen Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse der Gesellschaft und den Persönlichkeitsrechten der einzelnen Betroffenen besteht.

Wie stehen Sie dazu, wenn die Verfassungsministerin beziehungsweise die ÖVP das jetzt ändern will und sich damit über verfassungsgerichtliche Judikatur – eigentlich etwas, das höchstgerichtlich bestätigt wurde – hinwegsetzen, also Beschuldigtenrechte einschränken will? Wie ist Ihr Zugang dazu? (Abg. Fürlinger: Das ist eine Fragestunde! – Weiterer Ruf bei der ÖVP: Das gibt’s ja nicht!)

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Die schriftlich eingebrachte Anfrage, 308/M, hat folgenden Wortlaut:

„Wie stehen Sie als zuständige Bundesministerin gegenüber dem von der ÖVP geforderten Zitierverbot, welches die Arbeit von Journalistinnen und Journalisten deutlich erschweren würde?“

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Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Bitte, Frau Bundesministerin.

Bundesministerin für Justiz Dr. Alma Zadić, LL.M.: Die Diskussion um einen Straftatbestand wie in Deutschland kommt immer wieder auf, aber aus gutem Grund wird die Diskussion immer wieder verworfen.

Warum ist das der Fall? – Es gibt in Deutschland zwar diese Norm, sie erfüllt aber nicht den Schutzzweck – darüber habe ich mich mit sehr vielen Expertinnen und Experten, auch mit dem Justizminister dort ausgetauscht.

Der Schutzzweck der Norm in Deutschland wird nicht erreicht, weil nur wortgetreue Wiedergabe vom Tatbestand erfasst ist. Das heißt, sinngemäße Wiedergabe ist erlaubt, und wenn man nach Deutschland blickt, findet man auch dort öffentliche Erörterung von Sachverhalten aus Ermittlungsverfahren oder laufenden Verfahren.

Das heißt, dieses Verbot würde nur eines zum Ziel haben, nämlich die Pressefreiheit und die Verteidigungsrechte einzuschränken. Letzten Endes sind das Grundprinzipien unserer Demokratie, auch die Verteidigungsrechte. Es ist ein Beschuldigtenrecht, dass man Akteneinsicht hat und dass man aus diesen Akten auch zitieren darf, um sich öffentlich gegen den Staat zur Wehr zu setzen.

Der ehemalige Präsident des Österreichischen Rechtsanwaltskammertages hat deswegen ja auch gesagt, die Einführung dieses Verbotes würde uns ins letzte Jahrhundert katapultieren.

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zusatzfrage? – Bitte.

Abgeordnete Mag. Selma Yildirim (SPÖ): Wir haben ja hier 75 Jahre Europäische Menschenrechtskonvention feiern dürfen, und wir haben die EMRK in Österreich auch in Verfassungsrang gehoben.

Jetzt noch einmal nachgehakt: Die ÖVP zielt ja darauf ab, den Investigativjournalismus irgendwie einzuschränken. Werden Sie als Justizministerin dem entgegentreten, damit die Medienfreiheit auf keinen Fall eine Einschränkung erfährt?

Sie haben Deutschland erwähnt. Deutschland wird auch kritisiert, weil es gegen die EMRK verstößt, das ist ja eine sehr umstrittene Bestimmung.

Können wir uns darauf verlassen, dass Sie mit der ÖVP diesen Weg nicht beschreiten werden? (Beifall bei der SPÖ. – Ruf bei der ÖVP: Das ist eine Fragestunde, das gibt’s ja nicht!)

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Bitte, Frau Bundesministerin.

Bundesministerin für Justiz Dr. Alma Zadić, LL.M.: Ich habe immer wieder betont, dass mir die Pressefreiheit in diesem Zusammenhang wichtig ist und dass ich ein solches Verbot in meiner Amtsperiode ausschließe.

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zusatzfrage: Frau Abgeordnete Jachs. – Bitte.

Abgeordnete Mag. Johanna Jachs (ÖVP): Schönen guten Morgen! Kollegin Yildirim von der SPÖ hat in der Fragestunde gerade wieder eindrucksvoll bewiesen, worum es der SPÖ wirklich geht, nämlich um schnelle Überschriften und Schlagzeilen, und sie vergisst dabei immer auf die Menschen – denn auch in Verfahren stehen Menschen dahinter. Auch bei clamorosen Fällen stehen Menschen hinter den Beschuldigten. Sie haben von der Stärkung der Beschuldigtenrechte gesprochen, und genau das ist das zentrale Anliegen. (Beifall bei Abgeordneten der ÖVP.)

Wir erleben nämlich leider immer wieder, dass Aktenbestandteile bereits im Ermittlungsverfahren in den Medien landen, und das ist natürlich ein Eingriff in die Beschuldigtenrechte. Die Beschuldigten haben auch ein Recht auf Datenschutz und haben auch ein Recht darauf, dass die Unschuldsvermutung wirklich hochgehalten wird.

Frau Ministerin, wir können viel über mediale Vorverurteilung diskutieren, aber ich würde Sie bitten, uns kurz darzulegen, was Sie abseits eines Zitierverbots vielleicht unternehmen, um dieser medialen Vorverurteilung entgegenzuwirken. (Beifall der Abgeordneten Eßl und Salzmann.)

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Bitte, Frau Bundesministerin.

Bundesministerin für Justiz Dr. Alma Zadić, LL.M.: Vielen Dank auch für diese wichtige Frage, denn die mediale Vorverurteilung ist tatsächlich problematisch.

Es hat vor Jahren einmal eine Änderung im Strafprozessrecht gegeben, nämlich dass man die Anfangsverdachtsprüfung von der Ermittlungstätigkeit trennt, damit genau das nicht stattfindet. Und was findet heute statt? – Bei Anfangsverdachtsprüfung wird schon vorverurteilt; wenn Ermittlungen aufgenommen wurden, gibt es weitere Vorverurteilungen, dann schreiben die Medien, man ist ja schon verurteilt, nur weil Ermittlungshandlungen stattfinden; und wenn es dann zur Anklage kommt, ist es sowieso medial schon vorbei.

Insofern finde ich es schon wichtig, dass man die Unschuldsvermutung sehr ernst nimmt, auch medial ernst nimmt, und natürlich kann man sich überlegen, ob diese Trennung von Anfangsverdachtsprüfung und Ermittlungsverfahren auch wirklich Sinn macht, weil es, wie wir in den letzten Jahren beobachten, ja immer wieder einen Peak in der Berichterstattung gibt. Meines Erachtens ist dieser Zusatz, es gelte die Unschuldsvermutung, in diesem Zusammenhang einfach nicht ausreichend.

Was die Staatsanwaltschaften und was die Aktenteile der Staatsanwaltschaften betrifft, so kann ich sagen: Wir haben es letztes Jahr geschafft, dass alle Staatsanwaltschaften voll digitalisiert sind, das heißt, der voll digitale Akt ist auf alle Staatsanwaltschaften ausgerollt, und wenn etwas aus den Akten rausgehen sollte, ist es innerhalb der Justiz nachvollziehbar, wo.

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Eine Zusatzfrage stellt Abgeordneter Schrangl. – Bitte.

Abgeordneter Mag. Philipp Schrangl (FPÖ): Guten Morgen, Frau Bundesministerin! Auch ich interessiere mich für die Beschuldigtenrechte, die für die Freiheitliche Partei sehr wichtig sind. Sie haben jetzt öfters erwähnt, wie wichtig die Beschuldigtenrechte sind, und Sie verhandeln ja betreffend Beschuldigtenrechte auch schon länger mit der ÖVP, insbesondere mit der Europa- und Verfassungsministerin, Stichwort auch: Chats, die etwas veröffentlichen, was nichts mit der inkriminierten Handlung zu tun hat.

Daher interessiert mich jetzt schon: Woran scheitern die Verhandlungen über den Schutz der Beschuldigten, die schon vor einer Verhandlung von Medien und Journalisten vorverurteilt werden und dadurch oft sozial und gesellschaftlich geächtet werden, was nicht selten, in letzter Zeit viel zu oft auch zu einem wirtschaftlichen und finanziellen Ruin führt?

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Bitte, Frau Bundesministerin.

Bundesministerin für Justiz Dr. Alma Zadić, LL.M.: Die Verhandlungen scheitern gar nicht, ganz im Gegenteil, wir kommen eigentlich sehr zügig voran. Denken Sie an den Verteidigerkostenersatz! Es war ein Wunsch der letzten zehn, 20 Jahre, dass wir im Verteidigerkostenersatz wirklich etwas tun, nämlich drastisch etwas tun, und ich freue mich wirklich, dass es uns in dieser Legislaturperiode gelungen ist, 70 Millionen Euro für den Verteidigerkostenersatz zur Verfügung zu stellen.

Das bedeutet, dass wir nicht nur Freisprüche beachten werden, dass nicht nur Freigesprochene einen Ersatz bekommen, sondern wir werden auch vorsehen, dass es bei Einstellungen von Ermittlungsverfahren einen Beitrag zu den Verteidigerkosten gibt.

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Die nächste Frage stellt Abgeordneter Stefan. – Bitte.