10.33

Bundesministerin für EU und Verfassung im Bundeskanzleramt Mag. Karoline Edtstadler: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete! Geschätzte Zuseherinnen und Zuseher! Hohes Haus! Ich halte es für außerordentlich wichtig, heute auch über die Sicherheit Österreichs und den dafür auch notwendigen Blick nach Europa zu sprechen.

Der hohe Stellenwert von Österreichs Sicherheit spiegelt sich auch im Österreichplan von Bundeskanzler Karl Nehammer ganz klar wider. Die Sicherheitslage und die geopolitischen Rahmenbedingungen haben sich auch für Österreich vollkommen und fundamental verändert: erstens durch den völkerrechtswidrigen Angriff Russlands auf die Ukraine – der Krieg ist nach Europa zurückgekehrt –; zweitens durch den brutalen Terrorangriff der Hamas auf die israelische Zivilbevölkerung im Oktober letzten Jahres. Dieser Konflikt und diese Eskalation der Gewalt strahlt in die Region aus, und das birgt auch die Gefahr eines Flächenbrandes. Denken Sie an Aserbaidschan, das Bergkarabach übernommen hat, denken Sie aber auch an Sahel, wo im Juli in Niger eine der letzten demokratisch gewählten Regierungen der Region durch ein Militärregime ersetzt worden ist.

Die Bedrohungen sind aber auch vielfältiger geworden: durch Terrorismus, durch illegale Migration, durch Cyberkriminalität, durch Deepfake- und Desinformationskampagnen, aber auch durch die Inflation, die uns nach wie vor massiv beschäftigt und uns zu schaffen macht.

Ja, meine sehr geehrten Damen und Herren, die Welt ist im Umbruch. Das globale sicherheitspolitische Gefüge ist aus den Fugen geraten und in seinen Grundfesten erschüttert. Der Krieg tobt vor unserer Haustür. Wir müssen daher das sicherheitspolitische Szenario mitdenken. Hinzu kommt aber auch, dass der geopolitische Wettbewerb massiv verschärft worden ist. Die Brics-Staaten werden immer größer, sie wollen das globale System verändern, ein Gegenmodell erzeugen und lehnen unsere Werte und Prinzipien großteils ab. Die UNO ist gelähmt und bietet keine Lösungen.

Multiple Krisen zu bewältigen, das war es auch, was wir in den letzten Jahren tun mussten und nach wie vor tun müssen. Denken Sie an die Covid-Pandemie! Sie hat unser Leben über Jahre massiv beeinträchtigt, sie hat die Schwächen unserer Lieferketten zutage gefördert und Engpässe im kritischen Bereich der Versorgung aufgezeigt und spürbar gemacht. Aber auch die Auswirkungen des Klimawandels sind immer spürbarer und wirken sich auch auf die Versorgungssicherheit aus. Die illegale Migration – ich habe es schon angesprochen – bietet weiterhin ein großes Krisenpotenzial und wird instrumentalisiert.

All dies führt in der Bevölkerung zu Unsicherheit. Noch dramatischer als das: Manche zweifeln an der Widerstandskraft unseres demokratischen und offenen Lebensmodells, dieses demokratischen Lebensmodells, das uns in den letzten Jahrzehnten Freiheit, Frieden und Wohlstand beschert hat, und daher gilt es, dieses demokratische Lebensmodell mit aller Kraft zu verteidigen. (Beifall bei der ÖVP sowie der Abgeordneten Disoski und Stögmüller.)

Vor diesem Hintergrund muss die Bedrohungslage auch in Österreich neu bewertet werden. Sie ist vollkommen anders als etwa noch vor zehn Jahren. Die Verteidigungsministerin hat gestern den Bericht „Risikobild 2024 – Welt aus den Fugen“ (den genannten Bericht in die Höhe haltend) vorgestellt. Selbst wenn Sie noch nicht die Zeit hatten, all diese 300 Seiten durchzulesen: Denken Sie nur an den Terroranschlag im November 2020 im Herzen Wiens! Denken Sie an den Cyberangriff auf das österreichische Außenministerium und an die täglichen Cyberangriffe auf österreichische Betriebe! Denken Sie an die fehlgeleitete Drohne, die nicht in der Ukraine, sondern in Kroatien heruntergekommen ist oder aber auch an den dramatischen Anstieg antisemitischer Vorfälle insbesondere seit dem 7. Oktober letzten Jahres! (Abg. Kickl: Ja, da rächt sich Ihr Import!) Wir sehen hier Angriffe auf Menschen, auf Häuser, auf Institutionen, auf Synagogen. Einen traurigen Tiefpunkt hat diese Entwicklung wohl im Brandanschlag auf den jüdischen Teil des Wiener Zentralfriedhofes gefunden.

Ich sage all das nicht, weil ich Ihnen Angst machen möchte. (Rufe bei der FPÖ: Ah! ... selber Angst!) Österreich ist nach wie vor eines der sichersten Länder der Welt, und darauf können wir stolz sein, aber, meine sehr geehrten Damen und Herren, wir dürfen uns nicht darauf ausruhen. Die Neutralität ist Ausgangspunkt all unseres Handelns. Das Bundesverfassungsgesetz über die Neutralität definiert den Rahmen und setzt auch die Grenzen unseres Handelns.

Was steht nun in diesem Bundesverfassungsgesetz drinnen? – Wir dürfen uns nicht an Militärbündnissen beteiligen, wir dürfen keine ausländischen militärischen Stützpunkte in Österreich zulassen, und daraus resultiert, dass wir uns auch nicht an Kriegen beteiligen dürfen. Neutralität ist und bleibt Teil unserer Identität, und an dieser Identität und damit Neutralität halten wir natürlich fest und behalten das weiterhin als Grundlage unseres Handelns.

Diese Neutralität ist aber gleichzeitig Auftrag und Chance – Auftrag, weil wir eine umfassende Landesverteidigung sicherstellen müssen. Das Bundesheer zu stärken war längst überfällig. Gelungen ist das unserer Verteidigungsministerin Klaudia Tanner in dieser Regierung mit einer massiven Erhöhung des Verteidigungsbudgets um 21 Prozent (Beifall bei der ÖVP sowie der Abgeordneten Disoski und Stögmüller) – Abgeordneter Lopatka hat es schon ausgeführt: das sind 4 Milliarden Euro – und mit Anschaffungen für das Bundesheer – alleine im letzten Jahr wurden 449 Fahrzeuge angeschafft, und bis 2028 sollen 36 Hubschrauber angeschafft werden.

Ja, und Österreichs sicherheitspolitische Stellung ist auch in der Europäischen Union und in den Verträgen mit berücksichtigt, aber Österreichs Sicherheit ist auch untrennbar mit der Sicherheit Europas verbunden. Führen Sie sich nur unsere geopolitische Lage, unsere geografische Lage vor Augen: Wir sind umgeben von Freunden und von Partnern, wir sind einige Hundert Kilometer von der EU-Außengrenze entfernt. Und jetzt nehmen wir die Chancen dieser Lage auch innerhalb der Europäischen Union wahr, nutzen wir die Zusammenarbeit zum Beispiel im Rahmen des strategischen Kompasses.

Nur wenige Monate nach dem Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine haben die Verteidigungsministerinnen und -minister sich darauf geeinigt, zusammenzuarbeiten, und ein Ausfluss daraus ist der European Sky Shield, eine notwendige Verteidigung des Luftraumes (Abg. Reifenberger: Der Nato!) – das sollte allen spätestens seit Februar 2022 klar sein. Denken Sie an ballistische Raketen, denken Sie an fehlgeleitete Drohnen! Nicht so weit von uns entfernt, in Kroatien, ist das bereits passiert. Aber noch einmal: Es geht nicht darum, Ängste zu schüren, sondern es ist die Aufgabe der Politik, vorauszudenken, Bedrohungsszenarien zu antizipieren (Abg. Kickl: Das haben Sie bei der Zuwanderung hervorragend gemacht!) und eine leistungsfähige Luftverteidigung auch tatsächlich sicherzustellen – im Verbund. (Beifall bei der ÖVP sowie der Abgeordneten Disoski und Stögmüller.)

Diese leistungsfähige Luftabwehr können wir im Verbund mit europäischen Partnern breiter aufstellen, wir können schneller reagieren, und wir können unser eigenes Staatsgebiet besser schützen. Zudem spart uns die gemeinsame Anschaffung auch Kosten.

Entgegen wiederholten Unkenrufen auch aus diesem Hohen Haus sage ich Ihnen heute und hier als Verfassungsministerin: Selbstverständlich ist der European Sky Shield mit der österreichischen Neutralität vereinbar. Die von Österreich unterschriebene Absichtserklärung stellt kein Militärbündnis dar, sie stellt auch nicht das Zulassen militärischer Stützpunkte anderer Staaten hier in Österreich dar, und das Kommando bleibt selbstverständlich immer in Österreich. (Abg. Kickl: Genau: Jeder schießt, wie er glaubt!)

Militärisch neutral zu sein bedeutet aber nicht, politisch neutral zu sein oder gar gleichgültig zu sein. Wir werden nie neutral gegenüber Völkerrechtsbruch oder gegenüber einem Angriff auf souveräne Staaten sein. Die territoriale Integrität und die Unabhängigkeit sind für uns unumstößlich. Das Völkerrecht und die internationale Ordnung haben uns im letzten Jahrzehnt Sicherheit und Ordnung auch im Umgang miteinander garantiert. Gerade jetzt, wo die Welt im Umbruch ist, gilt es, diese Prinzipien hochzuhalten und auf deren Einhaltung zu pochen. Russlands Angriff auf die Ukraine war ein klarer Völkerrechtsbruch – und wenn wir zulassen, dass Völkerrecht mit Füßen getreten wird, dann, meine sehr geehrten Damen und Herren, steht auch die Souveränität Österreichs auf dem Spiel.

Österreich wird niemals neutral gegenüber Völkerrechtsbruch und Terror sein, wir werden diese immer klar benennen. Wir werden auch weiterhin unsere unverbrüchliche Unterstützung und Solidarität für die Ukraine bekunden und für das Selbstverteidigungsrecht Israels eintreten. Wer sich nicht für das Völkerrecht einsetzt, der ist nicht neutral, sondern ganz im Gegenteil, er ergreift Partei.

Die gemeinsame Verantwortung für Sicherheit und Frieden bedeutet auch die Beteiligung an internationalen Missionen. Österreich hat eine lange Geschichte derartiger Beteiligungen: in der UNO, in der Nato-Partnership for Peace oder in der Europäischen Union. Seit 1960 waren über 100 000 österreichische Soldaten im Einsatz, derzeit sind es 771.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir müssen der Realität ins Auge sehen. Die Sicherheitslage Österreichs wird sich auf absehbare Zeit wahrscheinlich nicht verbessern, sondern ist, ganz im Gegenteil, einer Vielzahl von Risiken ausgesetzt (Abg. Kickl: Polizeiinspektionen sperren zu in der Nacht! Das ist unglaublich! Und Sie reden von Raketen!), wie auch die Sicherheitslage in anderen Staaten. Österreichs nationale Sicherheit und Souveränität ist mit der Europäischen Union untrennbar verbunden, und die Sicherheitsherausforderungen sind nur im europäischen Verbund zu meistern.

Politik erfordert Mut, Ehrlichkeit und Stärke – Eigenschaften, die nicht jedem in diesem Hohen Haus zugesprochen werden können. (Heiterkeit der Abgeordneten Disoski und Stögmüller.) Hören Sie nicht auf jene, die Sie in Sicherheit wiegen wollen und dabei selbst den Kopf in den Sand stecken! Im Angesicht der Gefahr gibt es nur eines: ihr direkt ins Auge zu blicken und zu handeln. – Wir tun das. (Beifall bei der ÖVP sowie der Abgeordneten Disoski und Stögmüller.)

10.44

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Die nun folgenden Redner haben eine Redezeit von 5 Minuten, und ich darf Sie darauf aufmerksam machen; die Lampe wird leuchten.

Zu Wort gemeldet ist der Erste Vizepräsident des Europäischen Parlaments Othmar Karas. – Bitte. (Abg. Kickl: Einer mit Rückgrat und Charakter – oder auch nicht!)