Dringlicher Antrag

der Abgeordneten Josef Muchitsch, Kolleginnen und Kollegen betreffend Pflegenotstand beenden, Ausbildungsoffensive starten, Arbeitsbedingungen verbessern: Handeln Sie endlich, Herr Bundeskanzler! (3874/A)(E)

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka (den Vorsitz übernehmend): Es ist mittlerweile 15 Uhr. Ich darf die Verhandlungen über die Punkte 8 bis 12 der Tagesordnung unterbrechen, damit wir den Dringlichen Antrag gemäß der Geschäftsordnung um 15 Uhr beraten können.

Ich komme zur Behandlung des Selbständigen Antrags 3874A/(E).

Da er inzwischen allen Abgeordneten zugegangen ist, erübrigt sich eine Verlesung durch den Schriftführer.

Der Dringliche Antrag hat folgenden Wortlaut:

Die Situation in Österreichs Gesundheits- und Pflegesystem wird schlechter. Deutlich schlechter. Für Patientinnen und Patienten und Pflegebedürftige ebenso, wie für das gesamte Gesundheits- und insbesondere Pflegepersonal. Geschlossene Stationen1, unbelegte Betten2 und Dienstpläne, die kaum noch erstellt werden können, sobald nur eine einzige Person einmal erkrankt, weil der Personalengpass zu groß ist, sind in Österreich längst bittere Realität.

Die letzten erhobenen Zahlen verdeutlichen diese dramatische Entwicklung: österreichweit sind 2775 Spitalsbetten gesperrt – das sind um über 1.000 Betten mehr als im gesamten AKH Wien mit 1732 zur Verfügung stehen3.

Aber auch in der Langzeitpflege ist die Situation kein bisschen besser: Die letzten Zahlen, die zum Beispiel aus Oberösterreich zur Verfügung stehen, belegen, dass exakt 1319 von 12.798 Pflegeheimbetten 2022 wegen Pflegepersonalmangels gesperrt waren4.

Täglich denken 45% aller Beschäftigten in der Pflege ans Aufhören. Der Grund: Druck, Stress, fehlende Planbarkeit. Allesamt Ausflüsse aus dem vorhandenen Personalengpass. Dabei ist klar: Unser Gesundheits- und Pflegesystem kann ohne Pflegekräfte nicht existieren. Operationen können nicht durchgeführt werden, wenn es kein Personal im Operationssaal oder der Intensivpflege gibt. Krankenhaus- oder Pflegeheimbetten können nicht belegt werden, wenn es kein Pflegepersonal gibt. Die Politik muss endlich offen aussprechen, was alle Menschen in Österreich längst spüren: In unserem früher so viel gelobten österreichischen Gesundheitssystem, kracht es mittlerweile an immer mehr Ecken und Enden. Eine nüchterne Analyse des Zustands ist notwendig, um einen Blick für die nötigen Ableitungen zu entwickeln.

Zwischen Krankjammern und Schönreden: die Zahlen liegen auf dem Tisch und lügen bekanntlich nicht. Derzeit beziehen rund 470.000 Menschen in Österreich Pflegegeld und rund 950.000 erwachsene Menschen in Österreich sind in der Familie von Pflege und Betreuung betroffen. Somit kümmern sich derzeit schon rund 10% der Gesamtbevölkerung Österreichs entweder zu Hause oder in stationären Einrichtungen um einen pflegebedürftigen Menschen!

Diese Zahlen werden auf Grund der demographischen Entwicklung noch weiter steigen. Bis zum Jahr 2050 ist in Österreich mit einem Anstieg auf 750.000 pflegebedürftige Menschen zu rechnen, der Anteil an über 80-Jährigen in Österreich wird dann schon bei 11,5% der Gesamtbevölkerung liegen.

Für den Personalbedarf in der Pflege bzw. Betreuung bedeutet das (auch aufgrund von Pensionierungen), dass bis 2050 knapp 200.000 zusätzliche Pflegerinnen und Pfleger benötigt werden. Zu diesem Ergebnis kommt die neue Pflegepersonalbedarfsprognose der Gesundheit Österreich. Stellt man die derzeitige Zahl der abgeschlossenen Ausbildungen im engeren Pflegebereich und den Bedarf bis 2050 gegenüber, ergibt sich eine "Lücke" von rund 2.000 bis 3.000 Personen pro Jahr.

Auch der Rechnungshof hat aufgrund dieser Lücke unlängst in seinem Bericht zur Pflege gewarnt, dass mittelfristig ein krasser Personalengpass droht.

Gesundheits- und Krankenpflege ist ein wirklich sinnvoller, interessanter und spannender Beruf. Befragungen zeigen, dass die Berufsangehörigen ihre Arbeit gerne machen. Woran es mangelt, sind gute Arbeitsbedingungen. Diese müssen massiv verbessert werden. Gute Arbeitsbedingungen sind die beste Werbung für Pflegeberufe. Attraktive Arbeitsplätze sorgen dafür, dass sich interessierte Menschen für die Pflegeberufe entscheiden und dafür, dass die Berufsangehörigen ihren Beruf über viele Jahre zufrieden und bei guter Gesundheit ausüben können und wollen. Davon profitieren auch die Menschen, die Pflege benötigen.

Aber gerade in diesem Bereich ist die schwarz/grüne Regierung viel schuldig geblieben. Die wenigen gesetzten Maßnahmen wurden schlecht umgesetzt: Boni, die nie im versprochenen Ausmaß am Konto landeten, eine sogenannte „Entlastungswoche“, die für den Großteil der Beschäftigten nicht zur Anwendung kommt, Entgeltzuschüsse, die befristet sind – alles schlecht ausgeführt und teils gar wirkungslos. Die Wirkungslosigkeit zeigt sich darin, dass der höchste Zuwachs bei arbeitslosen Personen und AMS-Schulungsteilnehmer:innen nach Branchen im Jänner 2024 im Gesundheits- und Sozialwesen mit 16,2 Prozent stattfand. Das Gegenteil von dem also, was wir im Angesicht eines derartigen Mangels an Pflegepersonal brauchen würden.

Mit Applaus ins Burnout? Leermeldung bei der ÖVP, Realitätsverweigerung bei der FPÖ.

Die vielgepriesenen und laut beklatschten Heldinnen und Helden der Krise brauchen mehr als nur schöne Worte. Die Corona-Krise hat noch unverkennbarer veranschaulicht, was eigentlich immer klar war, nämlich wie unverzichtbar die Arbeit der Pflegerinnen und Pfleger für die Gesellschaft ist.

Von elf als „systemrelevant“ eingestuften Berufsgruppen haben ausgerechnet jene fünf Gruppen, in denen der Frauenanteil am höchsten ist, Einkommen unter dem österreichischen Durchschnitt. Es zeigt sich also: Menschen, denen wir das Wichtigste anvertrauen – unsere Kinder im Kindergarten unsere Großeltern in Pflegeheimen, unsere Angehörigen und uns selbst in Krankenhäusern – ihnen allen zahlen wir zu wenig. Heute, vier Jahre nach Ausbruch der Corona-Pandemie ist die Diskussion von Seiten der Bundesregierung verstummt. Weit und breit keine Spur von besseren Arbeitsbedingungen, keine Rede von einer so dringend notwendigen Personaloffensive, keine zusätzlichen Anreize - nichts.

Im Gegenteil: in der monatelang vorbereiteten Rede des Bundeskanzlers, die die ÖVP noch dazu mit dem Namen „Plan“ taufte, wurde das große Problem der Pflege beinahe völlig vergessen. Ein einziger Absatz, knapp fünf Zeilen wurden der Pflege und dem Pflegepersonal gewidmet. Die einzige Antwort der ÖVP: mehr Menschen aus dem Ausland holen. Keine einzige Maßnahme zur Verbesserung der Berufsbedingungen. Kein einziges Wort der Wertschätzung.

Die Leermeldung der ÖVP wird einzig von der FPÖ unterschritten. Während die Arbeitsrealität in den Pflegeberufen durch permanente Mehrarbeit bzw. Überstunden gekennzeichnet ist, was vielfach zu einer großen Anzahl von Teilzeitvereinbarungen, Burn-out, Langzeitkrankenständen und vorzeitigem Berufsausstieg führt, hat die FPÖ eine Idee: „Macht doch mehr Überstunden.“ An Stelle einer guten Bezahlung sollen Überstunden steuerlich begünstigt werden. An Stelle von Überlegungen, wie man mehr Personen wieder für den Pflegeberuf begeistern kann, soll aus den erschöpften Leuten einfach noch mehr rausgepresst werden.

Schluss mit dem Zuschauen und schönen Worten, es müssen endlich Taten gesetzt und die Arbeitsbedingungen verbessert werden.

Die zentrale und wichtigste Arbeitsbedingung ist ausreichend Personal. Es braucht eine bedarfsgerechte Personalausstattung in allen Einrichtungen. Ausreichend Personal bedeutet ausreichend Zeit für jeden begleiteten Menschen. Das ist Voraussetzung für gute Pflegequalität, reduziert den Arbeitsdruck während des Dienstes und vermindert regelmäßige Mehrarbeit bzw. Überstunden. Eine gute Personalausstattung erhöht die Dienstplansicherheit und vermindert das belastende Einspringen aus der Freizeit. Planbare Arbeits- und Freizeit ist einer der häufigsten Wünsche, der von Berufsangehörigen geäußert wird.

Die hohen Belastungen sollen perspektivisch auch durch schrittweise Arbeitszeitreduktion bei vollem Lohnausgleich gemildert werden. Arbeitszeitreduktion vermindert die Arbeitszeitverluste, trägt damit zur Sicherung des Leistungsniveaus bei und vorzeitige Berufsausstiege und Teilzeitarbeit können dadurch reduziert werden. Die durchgängige Einführung einer zusätzlichen Urlaubswoche ist eine weitere Maßnahme zur Arbeitszeitreduktion und Verbesserung der Arbeitszufriedenheit.

In der Pflege arbeiten über 80% Frauen. Das Pensionsantrittsalter der Frauen steigt ab 2024 schrittweise bis 2033 auf 65 Jahre an. Die physischen und psychischen Belastungen nehmen ständig zu. Für Basismitarbeiter:innen sind die beruflichen Belastungen mit zunehmenden Alter immer schwerer zu schaffen. Ein verbesserter Zugang zur Schwerarbeitspension ist daher dringend umzusetzen.

Damit künftig ausreichend Personal zur Verfügung steht, müssen Menschen für diesen Beruf gewonnen werden. Gute Arbeitsbedingungen, aber auch ausreichend Ausbildungsplätze und eine attraktive Ausbildung sind dafür die Voraussetzungen.

In diesem Zusammenhang ist die Vernachlässigung des Pflegebereichs durch die schwarz/grüne Regierung besonders auffällig, wenn man ihn mit der öffentlichen Sicherheit vergleicht. Polizeischüler:innen befinden sich während ihrer zweijährigen Ausbildung in einem öffentlich-rechtlichen Beschäftigungsverhältnis. Sie werden derzeit mit 2.300 Euro brutto pro Monat (14x im Jahr) entlohnt und sind voll sozialversichert - zurecht. Seit kurzem bekommen sie auch das Klimaticket (Gegenwert monatlich ca. 100 Euro) gratis dazu. Im Pflegebereich wird seitens des Bundes seit zwei Jahren ein sogenannter „Ausbildungsbonus“ von 600 Euro (12 x im Jahr, ohne jegliche Sozialversicherung) bezahlt und die Fachhochschulbeiträge in der Höhe von rund 400 Euro pro Semester müssen von den Studierenden auch noch zusätzlich bezahlt werden.

Wenn es in der Vergangenheit einen Mangel an Nachwuchs im Polizeibereich gab, haben Regierungen immer beim Ausbildungsgehalt nachgebessert, um einen Mangel an Polizist:innen zu verhindern. Seit 2016 wurde das Ausbildungsgehalt für die Polizei von damals 1.240 Euro auf heute 2.300 Euro fast verdoppelt, um ausreichend junge Polizist:innen für den Beruf zu begeistern. Personen in der Pflegeerstausbildung werden mit 600 Euro abgespeist!

Auf Grund des Pflegepersonalnotstandes muss sofort gehandelt werden. Ausbildungsplätze müssen in ausreichender Zahl zur Verfügung gestellt und die Ausbildung muss kostenfrei gestellt werden! Es kann doch nicht sein, dass wir einerseits händeringend Personal suchen, und gleichzeitig Fachhochschulbeiträge für die Ausbildung von diplomiertem Pflegepersonal verlangen. Außerdem sollen alle, die eine Pflegeausbildung machen, nach dem Vorbild der Ausbildung von Polizeischüler:innen, während dieser Ausbildung bezahlt werden, sozialversichert sein und das Klimaticket gratis erhalten. Um möglichst viele Menschen dazu zu bewegen, eine Pflegeausbildung zu ergreifen, sollte allen ein fixer Arbeitsplatz nach der Ausbildung garantiert werden.

Nur durch eine echte Personaloffensive wird es möglich sein, für alle Pflegebedürftigen die notwendigen Pflege- und Betreuungsleistungen im ausreichenden Ausmaß auch zur Verfügung stellen zu können. Die Untätigkeit und das grob-fahrlässige „In-Kauf-Nehmen“ der Verschlechterungen in der Versorgung der Pflegebedürftigen muss endlich ein Ende haben.

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher nachfolgenden

Entschließungsantrag

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung wird aufgefordert, sofort eine umfassende Pflegepersonaloffensive zu starten und insbesondere folgende Maßnahmen zu setzen:

•          Ausbildungsplätze um zusätzlich mindestens 3.000 Plätze erhöhen und die Finanzierung dafür bereitstellen

•          Fachhochschulstudienbeiträge für diesen Studienzweig werden vom Bund übernommen

•          Bezahlung eines Ausbildungsgehalts (inklusive Sozialversicherung) und Klimaticket für alle Auszubildenden – nach dem Vorbild der Polizeischüler:innen

•          Arbeitsplatzgarantie nach absolvierter Ausbildung sicherstellen

•          Arbeitsbedingungen verbessern, insbesondere durch Personalbedarfsplanung, Dienstplansicherheit, schrittweise Arbeitszeitreduktion, durchgängige zusätzliche Urlaubswoche

•          Zugang zur Schwerarbeitspension eröffnen.“

Die unterfertigten Abgeordneten verlangen unter einem die dringliche Behandlung des gegenständlichen Antrages gem. § 74a Abs.1 iVm § 93 Abs.1.“

1 https://vorarlberg.orf.at/stories/3190019/

2 https://www.sn.at/salzburg/politik/pflegepersonal-fehlt-leere-betten-in-salzburger-krankenhaeusern-110513752

3 Landesweit 2.775 Spitalsbetten gesperrt - oesterreich.ORF.at

4 Bettensperren - Wie prekär ist die Lage in unseren Pflegeheimen? | krone.at

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Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Ich darf Herrn Abgeordneten Muchitsch recht herzlich um seine einleitende Stellungnahme ersuchen.