15.28

Abgeordneter Philip Kucher (SPÖ): Herr Präsident! Hohes Haus! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wissen Sie, was der Unterschied zwischen den Tausenden Menschen in Österreich, die tagtäglich in der Pflege tätig und für uns da sind, und dem Herrn Bundeskanzler ist? – Nicht nur, dass er das Zehnfache verdient, sondern der Bundeskanzler kann sich auch hinstellen und sagen: Heute habe ich keine Lust, da schicken wir die Jugendstaatssekretärin hin! Die Leute, die tagtäglich für uns da sind, am Krankenbett für uns arbeiten, können nicht sagen: Heute habe ich keine Lust auf einen Nachtdienst, schicken wir die Jugendstaatssekretärin hin! (Beifall bei der SPÖ.)

Da geht es um eine Frage des Respekts: Da steht ein leerer Sessel des Bundeskanzlers, dem die Pflege in seinen Sonntagsreden so wichtig ist. Das ist das Einzige, was wir von den Regierungsfraktionen sehen. Die Grünen (auf leere Sitzplätze bei den Grünen weisend) haben sich aus der ersten Reihe verabschiedet. Da vorne, wo eine leere Dose Red Bull steht, sitzt normalerweise Herbert Kickl. (Abg. Wurm – von einem Sitzplatz neben jenem des Abg. Kickl aus rufend –: Ich bin nicht da, Philip!) – Das ist die Wertschätzung gegenüber den Pflegekräften in Österreich vor dem Hintergrund einer dramatischen Situation!

Der Bundeskanzler hat sich ja vor Weihnachten wochenlang zurückgezogen. Er hat gesagt, vor der Weihnachtszeit braucht er ein bisschen Zeit. Er ist seit November zu Hause gesessen und hat gesagt, jetzt werde er in sich gehen, jetzt werde er eine Rede über die großen Fragen für die Zukunft der Republik schreiben, darüber, was Karl Nehammer machen würde, wenn er im Jahr 2030 Bundeskanzler wäre. Das ist ein bisschen merkwürdig. Als gut bezahlter Bundeskanzler, der jetzt sozusagen tätig sein sollte, könnte er jetzt zu arbeiten beginnen. Er hat aber gesagt, er werde überlegen, was er 2030 macht.

Auf zentrale Themenfelder hat er vergessen. Der Bereich der Teuerung ist mit keinem einzigen Wort in seiner Rede vorgekommen. Ich habe ein gewisses Verständnis dafür.

Wenn man auf dieser Parteiveranstaltung von der ÖVP in die ersten sechs Reihen geschaut hat, hat man dort vor Ort niemanden in den ersten sechs Reihen gesehen, der unter einem Zehner im Monat verdient. (Ruf bei der ÖVP: Das ist bei euch anders? Das ist ja wirklich tief!) Das ist aber dann sozusagen die Sichtweise der ÖVP – da tut dann die Teuerung nicht weh, deswegen muss man nichts tun. (Abg. Zarits: Das ist das Tiefste, was es gibt da! Frechheit!)

Die Frau Staatssekretärin hat soeben groß angesprochen, wie wichtig dem Bundeskanzler nicht die Pflege wäre. Was hat er denn zur Pflege gesagt? – Fünf Zeilen! Fünf Zeilen war ihm die Pflege wert – mehr ist ihm nicht eingefallen (Ruf bei der ÖVP: Wie viele Zeilen?) –, mit der Forderung: Dann holen wir halt mehr Leute aus dem Ausland. – Ja, eh. Die Frage ist: Wie funktioniert das strukturiert? Da wartet längst niemand mehr in den Bundesländern, bis die Bundesregierung endlich munter wird. (Abg. Zarits: Die Gewerkschaften, die roten, sitzen die erst drei Wochen ...!) Passiert ist gar nichts. (Weiterer Zwischenruf bei der ÖVP.)

Wovon reden wir ganz konkret? – Die Hälfe der Menschen, die in der Pflege tätig sind, überlegt sich inzwischen tagtäglich, ob sie mit diesem Job überhaupt weitermachen kann, weil ihnen die Kraft ausgeht. Die Jugendstaatssekretärin druckt da Gschichtln und erzählt, wie super alles ist. – Frau Jungendstaatssekretärin, stellen Sie sich ins Pflegeheim, gehen Sie zu einer Stationsbesprechung ins Krankenhaus und erzählen Sie dort den Kolleginnen und Kollegen, wie super nicht alles ist! Sie sind so weit weg von der Lebensrealität und von den Schicksalen der Menschen! (Beifall bei der SPÖ. – Zwischenrufe bei der ÖVP.)

Es gibt in Österreich inzwischen fast 3 000 gesperrte Betten (Abg. Belakowitsch: 2 775, haben’s geschrieben!), und das heißt ganz konkret, dass Leute nach Hause geschickt werden, weil die Betten einfach nicht da sind. Operationen müssen verschoben werden, weil das Pflegepersonal fehlt. Das sind menschliche Schicksale. Ein junger Notarzt hat mir erzählt, dass er mit einem reanimierten Patienten eine halbe Stunde auf ein freies Intensivbett warten musste. Das sind die konkreten Schicksale, das kann jeden Einzelnen und jede Einzelne von uns treffen. Wir reden von einer Million Menschen in Österreich, die pflegende Angehörige sind, die oft nicht wissen, wie es weitergeht, und die dann von der Bundesregierung mit der Begründung abgespeist werden: Ihr kriegt ohnehin das Geld, was in Summe so viel ist wie eine Wurstsemmel am Tag. Das soll dann reichen, und dafür soll man vielleicht auch noch den Job an den Nagel hängen. Das ist die reale Situation der Menschen – und die Frau Jugendstaatssekretärin sagt, was die Regierung nicht alles getan hätte!

Die Frage ist wirklich, ob wir jetzt endlich munter werden und etwas tun, ob es konkrete Maßnahmen gibt, damit wir mehr Menschen für die Pflege gewinnen können und im Bereich der Arbeitswelt endlich eine Entlastung schaffen. Frau Staatssekretärin, Sie reden von Arbeitszeitverkürzung. – Wissen Sie, wie viele Menschen in der Pflege heute schon Teilzeit arbeiten, und das nicht, wie Sie es indirekt gesagt haben, weil sie faul sind (Zwischenbemerkung von Staatssekretärin Plakolm), sondern, ganz real (Abg. Prinz: Das ist eine Unterstellung! Ein bissl mehr Redlichkeit wäre für einen Klubobmann schon notwendig!), weil sie oft die Belastung nicht mehr schaffen und das Arbeitsumfeld das gar nicht hergibt? Das ist nämlich der Zugang von Ihnen, dass schon zwei Drittel der Menschen in der Pflege in Teilzeit arbeiten müssen. (Beifall bei der SPÖ.)

Wo ist die Ausbildungsoffensive? Wo geben wir den jungen Menschen die Chance, dass sie in der Pflege arbeiten können? Wo passiert denn da ganz konkret etwas? Wer kann denn bitte auf die Idee kommen, dass uns dasselbe, was Polizistinnen und Polizisten in Österreich kriegen – 2 300 Euro während der Ausbildung –, die Pflege nicht wert ist? (Abg. Gödl: Pflegelehre!) Warum stehen wir weiterhin vor der absurden Situation, dass wir dringend Menschen für die Pflege brauchen und die jungen Leute dann 800 Euro Studiengebühren pro Jahr zahlen müssen? Wie unsinnig ist das? Warum wird das nicht endlich abgeschafft? (Abg. Belakowitsch: Wer hat das eingeführt?) Das sind ganz reale Forderungen, die wir sofort umsetzen können.

Wo sind denn die Fragen nach der Finanzierung der Pflege? (Zwischenruf des Abg. Schallmeiner.) Wir sagen als Sozialdemokratie ganz klar: Wenn jemand einen persönlichen, menschlichen Schicksalsschlag hat, wenn jemand als pflegender Angehöriger für die Oma, für den Opa oder für die Eltern da sein muss, so kann niemand den kranken Menschen ihr Schicksal nehmen, aber es ist unsere Aufgabe, für die Menschen da zu sein und sie zumindest mit einem Pflegegarantiefonds zu unterstützen. Das können wir in gemeinsamer Abstimmung finanzieren, aber Schönreden wird nichts helfen. (Beifall bei der SPÖ.)

Wer glaubt, in Bezug auf dieses Weit-weg-Sein von den Menschen wäre der abwesende Bundeskanzler, dem die Pflege und die Schicksale egal sind, nicht zu toppen, der muss leider nur einen Blick in Richtung FPÖ werfen. Die Freiheitlichen sind so weit weg von der Lebensrealität, dass sie den Menschen in der Pflege einfach ausrichten: Wenn es zu wenig Pflegekräfte gibt, dann müsst ihr halt mehr hackeln, dann macht halt Überstunden! Das ist die einzige Antwort, die die FPÖ Menschen, die tagtäglich für uns da sind, die fertig sind und oft nicht mehr können, gegeben hat, um den Pflegebereich in Zukunft zu stabilisieren: Dann hackelt halt mehr! Das ist die einzige Botschaft, die die Freiheitlichen den Pflegekräften in Österreich ausrichten. (Zwischenrufe der Abgeordneten Hafenecker und Belakowitsch.) Der Bundesparteivorsitzende, der immer vom kleinen Mann redet, ist nicht einmal da. (Zwischenruf bei den Grünen.)

Die Frage ist also wirklich, ob wir heute miteinander den Pflegenotstand, den es in Österreich gibt, die dramatische Situation für die pflegenden Angehörigen und für die Menschen, die tagtäglich für uns da sind, endlich erkennen und konkrete Maßnahmen setzen. Schönreden, wie es die Staatssekretärin gemacht hat, bringt nichts, von der Behauptung, es ist alles happy-peppy, sind wir noch meilenweit entfernt. (Zwischenruf bei der ÖVP.) Bitte geht in ein Krankenhaus, bitte geht in ein Pflegeheim, bitte schaut euch die Bettensperren an! (Zwischenrufe der Abgeordneten Schallmeiner und Koza.) Da sind Menschen in Österreich, die für uns alle da sind.

Der Bundeskanzler ist abwesend, der möchte nicht einmal zuhören. Wer mir nicht glaubt, soll bitte nachlesen: Im Österreichplan von Nehammer stehen fünf Zeilen – mehr fällt ihm zur Pflege nicht ein. Die Jugendstaatssekretärin erzählt heute, es ist eh alles happy-peppy, es ist alles schon passiert. Bitte nehmen wir die Menschen ernst! Und wenn wir von Respekt gegenüber der Pflege reden, dann machen wir auch konkret Verbesserungen! – Dafür werden wir doch alle miteinander bezahlt. (Beifall bei der SPÖ.)

15.35

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Abgeordneter Klubobmann Wöginger. – Bitte sehr, Herr Klubobmann. (Zwischenruf bei der ÖVP.)