15.00

Abgeordneter Mag. Gerald Loacker (NEOS): Herr Präsident! Hohes Haus! Die geschätzten Damen und Herren haben es vielleicht heute im „Standard“ gelesen: Wieder einmal ist die Bildungskarenz im Gespräch. Sie ist eine der vielen, vielen Geldquellen des österreichischen Sozialsystems, die nicht immer sehr treffsicher sind.

Finanziert wird die Bildungskarenz – also wenn sich jemand von seinem Arbeitgeber karenzieren lässt, um eine Weiterbildung zu machen – aus den Geldern der Arbeitslosenversicherung. Die Überlegung damals, als man das eingeführt hat, war: Es gibt Menschen, die auf dem Arbeitsmarkt benachteiligt sind, die noch keine höhere Ausbildung abgeschlossen haben, und diesen Menschen wollen wir die Brücke zu einer besseren Ausbildung legen.

Jetzt stellt sich heraus, dass die Menschen, die diese Bildungskarenz nützen, zu ganz wesentlichen Teilen ganz andere sind, nämlich vor allem junge Leute, vor allem gut qualifizierte Leute, die oft schon akademische Abschlüsse haben. Die gehen in Bildungskarenz, denen zahlt die Arbeitslosenversicherung mit dem Geld der Gemeinschaft der Versicherten noch einmal die Freizeit für eine weitere Ausbildung. Damit bekommen es natürlich die Falschen, wenn viele Akademiker darunter sind.

Dann gibt es noch einen Trend, der sich in den letzten Jahren verstärkt hat. Ich habe das gegenüber den jeweils zuständigen Ministern seit 2018 zur Sprache gebracht: Immer mehr Personen verwenden die Bildungskarenz als Verlängerung der Elternkarenz. Da kann man einfach noch ein Jahr länger zu Hause bleiben. Das haben Unternehmen als Marktlücke entdeckt und auch genauso beworben: Verlängere deine Babykarenz um ein Jahr! Bleib ein drittes Jahr zu Hause! (Abg. Belakowitsch: Ein drittes?) Dann vereinbaren diese Leute mit dem Arbeitgeber statt des Wiedereintritts nach der Karenz eine Bildungskarenz und lassen sich ein drittes Jahr zu Hause zahlen. – Dafür war das Instrument nicht gedacht.

Es sind insgesamt mehr als die Hälfte der Fälle von Bildungskarenz, die der Verlängerung der Elternkarenz dienen – mehr als die Hälfte! Und wenn man sich die Frauen anschaut: 69 Prozent der Frauen, die in Bildungskarenz gehen, verlängern damit ihre Elternkarenz. Das ist eine echte Themenverfehlung – eine echte Verfehlung dieser Investition aus der Arbeitslosenversicherung.

Warum ist das überhaupt relevant? – Weil wir in Österreich eine sehr teure Arbeitslosenversicherung haben. Mit 5,9 Prozent Beitrag ist sie mehr als doppelt so teuer wie in Deutschland, dreimal so teuer wie in der Schweiz. Das ist Geld, das den Erwerbstätigen fehlt, die sich mehr Netto vom Brutto wünschen, und wir finanzieren damit Leuten eine Bildungskarenz.

Dann gibt es natürlich Menschen, die optimieren. Schuld sind bitte nicht die Menschen, die das in Anspruch nehmen; schuld sind immer jene, die schlechte Gesetze schnitzen. (Beifall bei den NEOS.)

Die Menschen optimieren, weil sie schlau sind und weil der Homo ein Homo oeconomicus und nicht ein Homo Sozi ist. (Heiterkeit bei Abgeordneten der NEOS. – Abg. Belakowitsch: Was? – Abg. Hörl: Ja, Gott sei Dank!) Sie denken: Wie kann ich mein Leben optimieren? – Dann verstehen sie: Aha! Ich nehme das einkommensabhängige Kinderbetreuungsgeld für ein Jahr, nehme im zweiten Jahr Bildungskarenz und bin zwei Jahre zu Hause; und da bekomme ich viel mehr Geld, als wenn ich von vornherein das zweijährige Kinderbetreuungsgeld nähme. (Abg. Belakowitsch: Ja!) Die Menschen optimieren, aber sie optimieren auf Kosten der anderen, und das war nicht der Plan bei der Einführung der Bildungskarenz.

Ich kann verstehen, dass Menschen eine Pause machen, dass sie sagen: Ich nehme mir eine Auszeit! Dann sollen aber bitte diese gut verdienenden Akademiker, um die es da oft geht, mit ihrem Arbeitgeber von mir aus ein Sabbatical vereinbaren. Das kann man. Es ist aber nicht fair, zu sagen: Ich nehme eine Bildungskarenz und lasse die kleinen Arbeiterinnen und Arbeiter mit ihren Arbeitslosenversicherungsbeiträgen meine Freizeit zahlen. – Das ist nicht richtig. (Beifall bei den NEOS sowie des Abg. Stark.)

Wenn die Menschen optimieren, optimieren sie ja noch viel weiter. Man kann sich nämlich die Zeit der Elternkarenz als Arbeitszeit, die man nachweisen muss, damit man in Bildungskarenz gehen kann, anrechnen lassen. Wenn man also in Karenz ist, wertet das AMS das als Arbeitszeit für die Berechnung, ob genug Arbeitszeit gesammelt wurde, um Bildungskarenz in Anspruch zu nehmen.

Man kann aber noch weiter optimieren. Wenn man nämlich danach an die Uni geht, ein Unistudium macht, dann hat man zum Beispiel drei Jahre gearbeitet, geht ein Jahr in Bildungskarenz und hat dann vier Jahre – die Bildungskarenz zählt nämlich auch als Arbeitszeit für das Selbsterhalterstipendium auf der Uni. Dann hat die Person drei Jahre gearbeitet, war ein Jahr in Bildungskarenz, hat damit die ersten zwei Semester absolviert, und die nächsten vier Jahre bis zum Master zahlen wir dann mit dem Selbsterhalterstipendium. Drei Jahre hackeln, fünf Jahre auf öffentliche Kosten: Ist das nicht toll? – Die Grünen verteidigen das. Ja, es gibt in der ÖVP ein paar, die es kritisieren, aber die Grünen machen denen, die die öffentlichen Kassen ausräumen, die Mauer. (Beifall bei den NEOS.)

Es geht aber natürlich in Österreich nicht ohne Föderalismus. Die Länder müssen auf jeden Unfug, den der Bundesgesetzgeber macht, noch etwas draufpappen. So zahlen dann einzelne Bundesländer noch einmal Förderbeiträge an Unternehmen, die solche Elternkarenzverlängerungsbildungskarenzprogramme anbieten, oder fördern die Teilnahme an solchen Elternkarenzverlängerungsbildungskarenzprogrammen mit Geld aus den Länderbudgets. Auch toll, nicht? – Die kriegen dann die Freizeit und die Ausbildungsmaßnahme auch noch bezahlt, und der Bildungsanbieter kriegt auch noch eine Förderung.

Das ist so viel öffentliches Geld, das wir in dieses System hineinschießen – Geld, das mit Schulden finanziert wird. Wir haben nämlich nichts übrig. Mit Arbeitnehmerbeiträgen, Arbeitgeberbeiträgen und mit Schulden wird das finanziert. Bei den Ländern ist es wurscht. Wenn die Länder pleite sind, dann klopfen sie beim Finanzminister an und nehmen den aus – haben wir gestern gesehen: Wohnbaupaket.

Es ist ja nicht so, dass die Verantwortlichen das nicht sähen. Die von der roten Seite besetzte Vorständin des AMS, Frau Draxl, beispielsweise sagt, „Bildungskarenz sollte nicht verlängerte Elternkarenz sein“. (Abg. Belakowitsch: Eh nicht!) Es hat sich aber bis in die SPÖ-Fraktion noch nicht durchgesprochen, dass das aus arbeitsmarktpolitischer Sicht eigentlich keine gescheite Maßnahme ist. Wir kaufen damit ja in Zeiten des Arbeitskräftemangels hoch qualifizierte, junge Akademiker aus dem Arbeitsmarkt heraus, damit die ein Jahr zu Hause bleiben; und die fehlen auf dem Arbeitsmarkt und haben eine längere Pause in der Erwerbsbiographie, was das Lebenseinkommen senkt.

Dann kommt noch dazu, dass sich das AMS manchmal nicht ans Gesetz hält. Im Gesetz steht nämlich, dass die Länge der Bildungskarenz der Dauer der Weiterbildungsmaßnahme entsprechen muss. Tatsächlich kann man aber auch ein Unistudium beginnen und einfach die ersten zwei Semester in Bildungskarenz sein. Wenn man aber einen Bachelor irgendwo auf der Uni macht, dauert der drei Jahre, und das AMS darf dann eigentlich gar nicht die ersten zwei Semester in Bildungskarenz ermöglichen – macht es aber, gesetzwidrig. Das ist jedem wurscht. Jeder Minister, dem ich das in einer Anfrage geschrieben habe: Gesetzesbruch ist doch in Österreich egal, wenn die Verantwortlichen im AMS die richtige Farbe haben, dann dürfen sie alles machen. (Beifall bei den NEOS.)

Es gibt auch keine Qualitätssicherung für die Bildungsmaßnahme, die man absolviert. Man muss kein Zertifikat erwerben, man muss kein Zeugnis bringen und man muss keine Prüfung machen. Man muss nur teilgenommen haben.

Es gibt aber noch etwas viel Tolleres – das wissen noch nicht so viele –: Man braucht gar keine Bildungskarenz. Man muss überhaupt keine Bildung absolvieren, man muss mit seinem Arbeitgeber nur eine sogenannte Freistellung gegen Entfall der Bezüge vereinbaren, die länger als sechs Monate dauert. Dann bekommt man auch Weiterbildungsgeld vom AMS – zwar nicht für eine Bildungskarenz, sondern nur für die Freistellung gegen Entfall der Bezüge. Dann kann man eine Weiterbildung machen, muss aber gar nicht. Man kann bezahlt mit dem Cash aus der Arbeitslosenversicherung in Mexiko am Strand sitzen und sich das zahlen lassen. Ist das geil? – Das geht in Österreich, mit Ihrem Geld, geschätzte Zuschauerinnen und Zuschauer, mit Ihrem Geld, das Sie in die Arbeitslosenversicherung einbezahlt haben!

Schauen wir uns das an: Bildungskarenz. Man pausiert irgendwo, man arbeitet bis zu einem Zeitpunkt, dann ist man in Bildungskarenz, dann kommt man wieder zurück. – Weit weniger als die Hälfte kommt aber überhaupt ins Unternehmen zurück – weniger als die Hälfte! Was ist denn der Grund? – Ja, Arbeitgeber optimieren auch und sehen: Ah, das kann man auch als Golden Handshake verwenden!

Wenn man sich von einem Mitarbeiter trennen will, dann kündigt man ihn nicht, sondern schickt ihn in Bildungskarenz und macht gleich aus, dass er nicht mehr zurückkommt. Ist auch super, nicht?

Warum ist das so? – Weil der Gesetzgeber in seiner grenzenlosen Weisheit beschlossen hat, man muss jetzt Golden Handshakes voll versteuern. Er hat keinen 6-prozentigen Satz mehr auf freiwillige Abfertigungen, also muss man sich etwas anderes einfallen lassen, und da ist ja ein Golden Handshake super, der geht nämlich auf Kosten Dritter. Das Unternehmen und der Mitarbeiter vereinbaren eine Bildungskarenz, die ein anderer zahlt. So funktioniert das bei uns in Österreich: immer die anderen zahlen lassen.

Das ist nicht der Sinn der Arbeitslosenversicherung, das ist nicht der Sinn der Beiträge, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zahlen, und daher gehört da ein Riegel vorgeschoben und die Bildungskarenz auf jene beschränkt, die es auf dem Arbeitsmarkt dringend brauchen. (Beifall bei den NEOS und bei Abgeordneten der ÖVP.)

15.10

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Frau Abgeordnete Graf. – Bitte sehr.