19.29

Bundesministerin für Justiz Dr. Alma Zadić, LL.M.: Herr Präsident! Geschätzte Ab­geordnete! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Zuseherinnen und Zuseher! Ich möchte die Gelegenheit nutzen, mit einigen Worten die Maßnahmen, die heute in die­sem Justizpaket beschlossen werden sollen, zu erläutern.

Wie Sie wissen, wurden mit dem ersten und dem zweiten Covid-19-Paket einige Maß­nahmen gesetzt, mit denen wir den Gerichtsbetrieb sehr stark eingeschränkt haben. Sie haben es vorhin gehört: Insgesamt wurden im letzten Monat 41 000 Gerichtsver­handlungen abberaumt, 30 000 davon allein aufgrund der Covid-Krise. Wir wollen die­sen Rückstau natürlich Schritt für Schritt abbauen, und deswegen wollen wir so bald wie möglich auch ins Tun kommen. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

Mit diesem Gesetz soll es nun möglich sein, Gerichtsverhandlungen nicht nur bei wirk­lich dringenden Fällen durchzuführen, sondern auch wieder bei allen anderen Angele­genheiten. Selbstverständlich werden wir nicht von heute auf morgen in einen ganz normalen Gerichtsbetrieb übergehen können. Selbstverständlich müssen wir darauf schauen, dass die Gesundheit aller Beteiligten gewahrt bleibt, und deswegen wird es gewisse Einschränkungen geben. Wir werden nicht jeden Gerichtssaal nutzen können, weil schlicht und ergreifend die Größe mancher Säle für die Umsetzung der Maßnah­men nicht ausreicht.

Mit diesem Gesetzespaket schaffen wir auch Möglichkeiten, die uns eine gewisse Fle­xibilität geben. Wir haben die Möglichkeit geschaffen, dass Verhandlungen, aber auch Zeugeneinvernahmen per Video erfolgen können. Es ist uns wichtig, dass nicht über die Köpfe der Parteien hinweg entschieden wird, sondern dass auch alle Verfahrensbe­teiligten, die Verfahrensparteien diesen Videoverhandlungen zustimmen. Da hat es auch eine gewisse Kritik gegeben, ob denn dann die Parteien diese Verhandlungen nicht verzögern könnten, und deswegen haben wir vorgesehen, dass eine Partei das Verfahren eben nicht hinauszögern kann. Wenn die Partei sich innerhalb einer gewissen Frist nicht äußert, dann gilt die Zustimmung als erteilt. Selbstverständlich hat die Partei aber die Möglichkeit, sich dagegen auszusprechen. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

Mir ist durchaus bewusst, dass das für alle Beteiligten eine sehr ungewöhnliche Situa­tion ist, sowohl für die Entscheidungsorgane als auch für die Parteien, aber auch für alle Zeugen. Damit wir aber die Verhandlungsführung trotz des ungewohnten Formats ohne Probleme, vor allem aber auch ohne Qualitätsverlust ermöglichen können, bedarf es natürlich der Zusammenarbeit aller Beteiligten.

Ich möchte Ihnen sagen, ich bin davon überzeugt, dass uns das gemeinsam gelingen wird. Ich kann Ihnen versichern, die Situation wird ständig evaluiert. Wir werden stän­dig darauf schauen: Wie funktionieren die Videoverhandlungen? Wie werden sie an­genommen? Wo tauchen Probleme auf?, denn eines ist mir sehr, sehr wichtig: Der Zu­gang zur Justiz muss für alle da sein und für alle gleich sein, auch unter Berück­sichtigung der Gesundheit aller Beteiligten. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeord­neten der ÖVP.)

Ich möchte auf einige Kritikpunkte eingehen, die nicht mit diesem konkreten Gesetz in Verbindung stehen, die aber das Strafverfahren betreffen. Wir haben eine Verordnung zum Strafverfahren erlassen, mit der wir die Möglichkeit schaffen, Videoverhandlungen auch mit Angeklagten, die in Untersuchungshaft sitzen, durchzuführen.

Wie Sie wissen, ist mir der Austausch mit dem Parlament und auch mit den Menschen in der Praxis besonders wichtig, und ich nehme alle Kritikpunkte und alle Hinweise sehr ernst. Es gibt die Sorge, dass durch diese Maßnahmen im Strafrecht der Unmittelbar­keitsgrundsatz verletzt sein könnte. – Ich kann Ihnen versichern, wir haben eine ganz schwierige, aber auch wichtige Verhältnismäßigkeitsprüfung vorgenommen. Zum einen besteht das Recht auf ein rasches Verfahren, jeder Angeklagte muss rasch wissen: Muss er in Haft bleiben oder kann er endlich hinaus? – Zum anderen gibt es selbstver­ständlich auch den Unmittelbarkeitsgrundsatz, und deswegen finden im Strafverfahren die Hauptverhandlungen im Gegensatz zu den Zivilverfahren in Anwesenheit aller statt. Nur wenn der Angeklagte bereits in einer Haftanstalt ist, wenn er also bereits in Un­tersuchungshaft ist, ist die Zuschaltung per Video möglich.

Das ist ausdrücklich eine Kannbestimmung. Das heißt, wir ermuntern den Richter, wir geben dem Richter die Möglichkeit, nochmals eine Verhältnismäßigkeitsprüfung vorzu­nehmen und alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, nämlich auch, ob es Dolmetscher gibt, ob es sich um ein Schöffenverfahren oder um ein Geschworenenver­fahren handelt.

Wichtig war mir natürlich auch, der Kritik des Rechtsanwaltskammertages und der Richtervereinigung zu entsprechen und im Erlassweg diese Interpretation noch einmal festzuhalten, denn gerade, wenn es sich um Verhandlungen handelt, an denen Laien­richter beteiligt sind, wie eben Schöffenverfahren oder Geschworenenverfahren, darf diese Bestimmung nur sehr, sehr restriktiv angewendet werden.

Wir haben noch weiterer Kritik entsprochen. Es wurde auch der Hinweis getätigt, dass der Angeklagte, wenn er per Video zugeschaltet ist, auch mit seinem Verteidiger reden können muss, und deswegen haben wir jetzt sichergestellt, dass die Angeklagten ein Mobiltelefon zur Verfügung gestellt bekommen, um ungestört mit dem Verteidiger vor der Verhandlung, während der Verhandlung und auch nach der Verhandlung reden zu können. Außerdem ist eine Videozuschaltung nur dann möglich, wenn ein Videokonfe­renzsystem installiert wird, bei dem es für den Angeklagten möglich ist, alle Anwesen­den in der Hauptverhandlung zu sehen.

Mir ist bewusst, dass das eine schwierige Verhältnismäßigkeitsabwägung ist, und ich möchte Sie auch noch daran erinnern, dass wir diese Maßnahmen mit Ende Mai be­fristet haben. Ich kann Ihnen versprechen, wir werden uns das ganz genau anschauen und Ende Mai nochmals evaluieren, ob es notwendig ist oder nicht.

Sehr geehrte Damen und Herren! Ich darf mich auch nochmals bei den Beamtinnen und Beamten meines Hauses bedanken, die in den letzten Wochen ohne Unterlass ge­arbeitet haben, um bestmögliche Lösungen für die Probleme zu finden. (Beifall bei Grü­nen und ÖVP.) Ich darf mich auch bei allen MitarbeiterInnen in der Justiz bedanken, die den Rechtsstaat auch während dieser schwierigen Zeit aufrechterhalten haben.

Abschließend darf ich mich bei Ihnen allen dafür bedanken, dass Sie es uns ermögli­chen, diese notwendigen Maßnahmen zu beschließen. – Herzlichen Dank. (Beifall bei Grünen und ÖVP sowie bei Abgeordneten der SPÖ.)

19.38

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Abgeordneter Troch. – Bitte.