10.12

Abgeordnete Dr. Ewa Ernst-Dziedzic (Grüne): Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Minister! Werte Kollegen und Kolleginnen! Stellen Sie sich folgendes Bild vor: Zuerst brennt die Europafahne, dann wird symbolträchtig die Regenbogenfahne verbrannt, und dazu skandiert eine aufgebrachte Menge: Weißes Land ohne Juden, ohne Islam! – Das ist keine Erinnerung an die Vergangenheit, und das ist auch kein Schreckgespenst der Zukunft, sondern das ist genau vor zwei Tagen in einem europäischen Land, nämlich in Polen, am Tag der Unabhängigkeit passiert.

An diesem Marsch haben Zehntausende Menschen, und zwar nicht nur Rechts­ex­treme, sondern auch ganz gewöhnliche Familien, teilgenommen. Sie glauben nicht an dieses Europa, von dem wir heute sprechen. Sie glauben nicht an die Vielfalt. Sie glauben nicht an die kulturellen Errungenschaften dieses Kontinents, und sie wollen, wie sie sagen, auch keinen Frieden.

Man könnte jetzt sagen: Das sind ein paar Verrückte. – Das stimmt jedoch nicht ganz! Wir haben heute vom Mauerfall vor 30 Jahren gehört. 30 Jahre nachher, nachdem auch in den Köpfen die Grenzen gefallen sind und innereuropäisch die Grenzen geöff­net wurden, werden allerdings jetzt wieder, und zwar zunehmend, nationale Scheu­klappen aufgesetzt: Front National, PiS, Fidesz, Lega, AfD, aber auch die FPÖ in Österreich haben das primäre Ziel, dieses Europa, über das wir heute sprechen, zu zersplittern und die realen Aufgaben nicht einzulösen, sondern sogar von diesen abzulenken. Die Etablierung von autoritären Staatsstrukturen, rassistische Argumen­tatio­nen, aber auch dieser blinde Nationalismus, von dem diese erwähnten Parteien getrieben sind, sind die Leitideologien, die sich in diesem Europa immer breiter machen. (Abg. Kickl: Aber der DDR weinen die Linken nach!)

Aus der Geschichte – passend zu Ihnen, Herr Kickl! – wissen wir, in welchen Kon­sequenzen die Projektion von Feindbildern und die starke Differenzierung zwischen ethnischen Gruppen und dem vermeintlich ausgewählten Volk münden. (Abg. Kickl: Wenden Sie das Feindbildmodell auf Ihre Rede an!)

Genau aus diesem Grund gehören die Demokratie, die Menschenrechte, die Presse- und Meinungsfreiheit und deren Verteidigung nicht nur zu den wichtigsten Werten der Grünen, sondern auch dieses Europas! (Beifall bei den Grünen sowie der Abg. Krisper.)

Ich finde und wir finden, dass wir in Österreich genau wieder dort hinmüssen. Es stimmt: Die Grundfesten in Europa geraten ins Wanken, die internationale Ordnung bröckelt und die europäische Einigung steht tatsächlich infrage. Mit Großbritannien will erstmals ein Land die Europäische Union verlassen.

Wir wissen auch, dass gerade in solchen unübersichtlichen Situationen viele Men­schen besonders nach Halt suchen, und ihre Unsicherheit wird von den erwähnten Parteien nicht nur ausgenutzt, sondern sie wird bewusst angekurbelt, sie wird bewusst forciert. – Genau diese Angst ist der Treibstoff Ihrer Politik und genau das macht Ihre Politik so gefährlich! (Abg. Kickl: Wie ist denn das beim Klima?)

Ich nenne zunächst drei Punkte. Erstens: Wir müssen auch von Österreich aus einen stärkeren Fokus auf die gemeinsame Sozialpolitik in dieser Europäischen Union legen. Die Kompensation ökonomischer Defizite innerhalb der EU, die Verbesserung der Arbeitsverhältnisse, der Ausbau und die Verteidigung der Sozialleistungen sind Schritte, die genau dieses Zerfallen, mit dem wir gerade konfrontiert sind, verhindern können.

Zweitens: Die Migrationsthematik darf sich nicht auf den Außengrenzfetischismus beschränken, sondern es muss auch auf eine geordnete integrative Migration innerhalb Europas gesetzt werden. Auch Sie wissen: Ohne Zuwanderung nach Österreich, aber auch nach Europa, wären 12-Stunden-Tage keine Ausnahme. (Abg. Kickl: Jessas na!) Das Arbeitskräftepotenzial wäre gesunken und die Wirtschaft würde nicht davon profitieren.

Drittes – auch das hatten wir heute schon kurz –: Tatsächlich kann es nur gemeinsam in Europa gelingen, die Klimakrise abzuwenden. (Abg. Kickl: Machen Sie nur keine Angst!) So kann beispielsweise der Ausstieg aus fossilen Energien nur auf europä­ischer Ebene gelöst werden, und wir wissen, dass das Europa, das wir wollen, ein ökologisches, demokratisches und soziales sein muss. (Beifall bei den Grünen.)

Dafür setzen sich die Grünen weiterhin ein, und wir hoffen auch, dass es in Österreich bald zu einer Diskursverschiebung kommt, denn diese Isolation tut weder Europa noch Österreich gut. – Danke. (Beifall bei den Grünen.)

10.18

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Herr Abgeordneter Scherak ist zu Wort ge­meldet. – Bitte.