8.35

Abgeordnete Dr. Pamela Rendi-Wagner, MSc (SPÖ): Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Minister! Frau Ministerin! Sehr geehrte Damen und Herren! Seit zwei Monaten beherrscht Corona unser Leben – und ich sage ganz bewusst „beherrscht Corona unser Leben“. Die gute Nachricht dabei ist, die Entwicklung der Neuinfektionen, der Erkrankungen ist in den letzten Tagen und Wochen eine sehr, sehr positive. Wir sind derzeit bei einem Stand von etwa 20 Neuerkrankungen pro Tag, das ist ein absolutes Minimum verglichen zu März, als es doch mehr als 900 neue Fälle pro Tag waren.

Wem haben wir das zu verdanken? – Wir haben diese positive Entwicklung an aller­erster Stelle der wirklich exzellenten Mithilfe der Bevölkerung und an zweiter Stelle einem super funktionierenden, gut finanzierten öffentlichen Gesundheitssystem zu ver­danken. Dank dieser zwei Punkte haben wir Corona, zumindest was die Virusaus­brei­tung be­trifft, im Griff.

Doch während die Infektionszahlen in den letzten Wochen sukzessive nach unten gingen, gingen andere Zahlen sehr schnell nach oben. Es sind aktuell 1,8 Millionen Menschen in Österreich, die entweder ohne Arbeit sind oder in Kurzarbeit gemeldet sind. 1,8 Millionen, diese Zahl hat es seit Jahrzehnten in Österreich in dieser Form nicht gegeben – eine dramatische Zahl, eine Zahl, die einen schlecht schlafen lässt, wenn Sie so wollen.

Wie konnte es so weit kommen? Das ist die große Frage. – Zu wenig, zu spät und zu bürokratisch: So lässt sich die sogenannte Hilfe der Bundesregierung für unsere heimi­schen Betriebe, für unsere Wirtschaft in dieser heiklen Krisenzeit zusammenfassen. Der größte Fehler dabei in den letzten Wochen passierte gleich zu Beginn, gleich am Anfang und eigentlich einen Tag vor dem Shutdown. Es war genau einen Tag vor dem Shutdown im März, als die Entschädigungsansprüche für österreichische Betriebe von Ihnen, sehr geehrte Mitglieder der Regierungsfraktionen, aus dem Epidemiegesetz gestrichen wurden – ein über 100 Jahre bestehender Rettungsschirm für die heimische Wirtschaft. Und ich habe hier das Reichsgesetzblatt aus dem Jahre 1913 – 1913! (Einen Ausdruck des genannten Reichsgesetzblattes in die Höhe haltend.) Schon damals stand unter § 32 des Reichsgesetzblattes genau das drinnen, nämlich Ent­schädigungszahlungen in Form von Geld, die an betroffene Betriebe und Personen zu leisten sind. Das haben Sie genau einen Tag vor dem Shutdown aus dem Epide­mie­gesetz gestrichen.

Wir, die gesamte Opposition, haben Sie gewarnt. Wir haben gewarnt, und wir haben einen Antrag eingebracht – einen Antrag dahin gehend, dass diese notwendigen wirtschaftlichen Entschädigungszahlungen für heimische Unternehmen und Betriebe sehr wohl gewährleistet sein sollen. Sie haben damals, einen Tag vor dem Shutdown, nicht nur gegen die Menschlichkeit entschieden, sondern Sie haben gegen unseren Antrag entschieden, Sie haben gegen den Hausverstand entschieden, ja, und Sie haben gegen die österreichischen Unternehmerinnen und Unternehmer sowie gegen die österreichischen Beschäftigten, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ent­schieden. (Beifall bei der SPÖ.)

200 000 zusätzliche Coronaarbeitslose waren die Folge. Hunderttausende kleine Betriebe, Künstler sind Zeugen davon gewesen und sind es noch immer, dass Ihre Ansage von damals: „Koste es, was es wolle“, offenbar nicht für alle in unserem Land gilt. Künstlerinnen und Künstler, die Unternehmer, die Angestellten, alle wurden Zeugen. Sie hat die Krise unverschuldet und von einem Tag zum anderen mangels Ihrer Hilfe schwer getroffen.

Ihre Ankündigungen, die Ankündigungen der Regierung halten dem Realitätscheck nicht Stand. (Zwischenrufe bei der ÖVP.) Die Wirklichkeit, weit weg von Ihren glanz­vollen Pressekonferenzen, schaut nämlich ganz, ganz anders aus. Das Geschäft, der Betrieb ist seit zwei Monaten meistens zu, der Umsatz auf null, die Kosten aber, die Fixkosten für Miete, Gehälter, möglicherweise Kredite, die aufgenommen wurden, laufen weiter, und seit März ist kaum beziehungsweise zu wenig Geld vonseiten der Regierung geflossen. Ja, die großen, inszenierten Ankündigungen sind nicht mehr als bestenfalls türkis-grüne Luftballons, sehr geehrte Damen und Herren. (Beifall bei der SPÖ.)

Das ist eine gute Krisenshow, keine Frage, aber Showpolitik alleine bringt den Betrie­ben keine Liquidität, kein Kapital zum Überleben. Showpolitik alleine bringt den Arbeits­losen keinen Job, Showpolitik bringt den Menschen in Kurzarbeit keine Sicherheit, dass sie in ein, zwei Monaten wieder einen Job haben, und Showpolitik bringt auch den Künstlern und Künstlerinnen unseres Landes keine Perspektive. (Zwischenrufe bei der ÖVP.)

Dass es anders geht – und das ist eine wichtige Information –, dass es besser geht, zeigt unser Nachbarland Deutschland: Deutschland hat nicht nur schneller reagiert, sondern auch mehr Geld in die Hand genommen. Die Auszahlungen an Betriebe dauern in Deutschland komischerweise nur 48 Stunden, laufen über das dortige Finanzamt mit der Angabe einer Steuernummer – unbürokratisch, einfach, schnell. So muss es sein! In einer Krise zählt die Zeit, sehr geehrte Damen und Herren. (Beifall bei der SPÖ.)

Das ist das Stichwort. Das Stichwort heißt Vertrauen, und dieses Vertrauen haben die Betriebe und die Unternehmer und die Wirtschaft und die Angestellten und die Arbeit­nehmerinnen und Arbeitnehmer genau am Anfang, in der sensibelsten Phase der Krise, von Ihnen nicht bekommen. Dieses Vertrauen hat gefehlt und hat Verunsiche­rung geschaffen, und diese Verunsicherung hat 200 000 Arbeitslose zur Folge gehabt, sehr geehrte Damen und Herren. (Beifall bei der SPÖ. – Zwischenruf der Abg. Steinacker.)

In Deutschland: halb so viele Arbeitslose, doppelt so viel Hilfe für die dortige Wirtschaft. Das sollte Ihnen zu denken geben. Wir erleben einen kritischen Moment einer Nega­tivspirale von Arbeitslosigkeit und Wirtschaftsabschwung nach unten. Das ist gefähr­lich, und sie dreht sich immer schneller, je weiter man nach unten kommt. Jetzt gilt es, das größte Konjunkturpaket der Zweiten Republik zu schnüren, sehr geehrte Damen und Herren der Bundesregierung, um die Wirtschaft zu stützen, um Arbeitsplätze zu schaffen, um Arbeitsplätze zu sichern und auch um Betriebe zu schützen. (Beifall bei der SPÖ.)

Die Menschen brauchen Geld. Die Menschen brauchen jetzt Geld in der Hand, um zu überleben, deswegen: Erhöhung des Arbeitslosengeldes von 55 auf 70 Prozent des Nettolohns. Sie brauchen Geld in Form von Steuersenkungen für kleine und mittlere Einkommen – und das rasch und nicht erst in ein, zwei Jahren, wenn Sie vielleicht Ihre Steuerprogramme fertig haben. Es braucht kluge, nachhaltige Investitionen in die österreichische Wirtschaft, in grüne Technologie, Forschung und Entwicklung, in öffent­lichen Verkehr und in Wohnbau.

Sehr geehrte Damen und Herren, ja, wir können erleichtert sein: Wir alle, nicht die Bundesregierung, wir alle haben es geschafft, die Akutphase gut und erfolgreich hinter uns zu bringen. Jetzt, und das haben wir uns gut erarbeitet, sind wir in einer neuen Phase, und es ist höchste Zeit – höchste Zeit! –, zu einer demokratischen Normalität zurückzukommen – zu einer demokratischen Normalität! –, denn die Krise nimmt Menschen, Wirtschaft und der Demokratie die Luft zum Atmen, und das darf nicht weiter passieren. (Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten der NEOS. – Zwischenruf bei der ÖVP.)

Demokratie braucht Widerspruch, sehr geehrte Damen und Herren, Demokratie lebt von Transparenz. Es ist eine fragile Balance zwischen Freiheit und Sicherheit, es ist eine fragile Balance zwischen Freiheit und Gesundheit, aber es braucht auch Freiheit, um gesund zu sein, sehr geehrte Damen und Herren. (Beifall bei der SPÖ.)

Die Bevölkerung liest in Zeitungen vom Streit im Parlament, von „Schikane“, wie von Ihnen, Frau Sigi Maurer, betitelt – „Schikane“ der Opposition, eine Bezeichnung, die der grünen Partei wirklich nicht würdig ist, würde ich sagen (Zwischenrufe der Abge­ordneten Steinacker und Maurer) –, von einem „Sabotageakt“ der Opposition; das ist zu lesen. Ich sage Ihnen ganz klar und in aller Deutlichkeit: Unsere Arbeit hier im Parlament ist keine Schikane, sehr geehrte Damen und Herren! (Beifall bei der SPÖ sowie bei Abgeordneten von FPÖ und NEOS.) Unsere Arbeit hier im Parlament ist unsere demokratische Pflicht und unsere Verantwortung unserer Demokratie gegen­über. – Vielen Dank. (Beifall bei der SPÖ.)

8.45

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Klubobmann Wöginger. – Bitte. (Oje-Rufe bei der FPÖ.)