9.21

Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz Rudolf Anschober: Geschätzter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Hohes Haus! Liebe BesucherInnen und Menschen, die sich diese spannende Debatte ansehen! Ja, das ist eine lebhafte Debatte – Morgenstund kann man nur sehr be­grüßen! Das Einzige, worum ich in dieser Situation ersuche, ist, dass wir uns hin­sichtlich der Art und Weise, wie wir den Diskurs führen, gemeinsam schon noch gut überlegen, ob das, was offensichtlich manche voraussetzen, Realität ist, nämlich dass diese Gesundheitskrise tatsächlich vorbei ist.

Meine Sorge ist, dass da wirklich ein falsches Signal gesetzt wird: Diese Gesund­heits­krise ist leider weder weltweit noch in Österreich schon vorbei. Deswegen appelliere ich daran, diese Situation sehr, sehr ernst zu nehmen – weiterhin sehr, sehr ernst zu nehmen.

Ich rate Ihnen und uns allen nur, einen Blick in die Länder zu werfen, in denen diese Entwicklung schon deutlich früher stattgefunden hat und die sehr erfolgreich waren, in asiatische Staaten wie Singapur zum Beispiel: In Singapur war die Situation die, dass die Pandemie tatsächlich gestoppt war, dass das Virus unter Kontrolle war. Die waren noch erfolgreicher als wir, haben aber mittlerweile zwischen 500 und 1 000 Neuerkrankte pro Tag, weil es eine umfassende zweite Welle gibt.

Mein Appell in dieser Situation ist: Dass wir uns der Verantwortung für diese Gesund­heitsentwicklung gemeinsam wieder bewusst werden und dass wir gemeinsam alles tun, um das Risiko und diese Gefahr einer zweiten Welle zu verhindern, das ist aus meiner Sicht unsere erste Priorität! (Beifall bei Grünen und ÖVP.)

Ich verstehe nicht ganz, wie man in einer Situation, in der weltweit 4,3 Millionen Fälle und mittlerweile 292 000 Todesfälle vorliegen, darauf kommen kann, dass die Krise vorbei ist. Wir sind nach wie vor mittendrin, die Pandemie grassiert nach wie vor weltweit. Der einzige Unterschied ist, dass es einige europäische und auch einige asiatische Staaten gibt, die in der Bekämpfung der Pandemie in dieser ersten Phase bisher sehr erfolgreich sind, und ich bin wirklich froh darüber, dass Österreich dazuzählt. Das ist das Verdienst von uns allen. Es ist das Verdienst von Maßnahmen, die zum richtigen Zeitpunkt gesetzt wurden, vor allem aber ist es das Verdienst einer Bevölkerung, die bis zum heutigen Tag großartig mitmacht. Als Gesundheitsminister dieser Republik sage ich da: Danke! (Beifall bei Grünen und ÖVP sowie der Abg. Oberrauner.)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wie sehen die aktuellen Zahlen, die Zahlen vom heutigen Tag, bei uns in Österreich aus? – Die Gesamtzahlen nehmen natürlich nach wie vor schrittweise zu: Wir haben mittlerweile 15 921 Erkrankungsfälle, das sind aber nicht mehr akute Erkrankungsfälle. Wir haben jeden Tag mittlerweile deutlich mehr Genesungsfälle als Neuerkrankungsfälle. Das Ziel ist, dass wir damit schrittweise herunterkommen und immer weniger Menschen eine Hospitalisierung benötigen, wegen einer Neuerkrankung in Sachen Corona ins Krankenhaus eingeliefert werden müssen und dort eine intensivmedizinischen Betreuung brauchen.

Da hat das österreichische Gesundheitssystem in den letzten Wochen in jeder Hinsicht eine großartige Leistung vollbracht. Den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen sage ich auch in dieser Stunde und von hier – ich denke, im Namen aller in diesem Haus – ein herzliches Danke! Wir werden diese Mitarbeiter und dieses starke Gesundheitssystem noch sehr brauchen und wir wollen darauf schauen, dass dieses Gesundheitssystem wirklich stark bleibt! (Beifall bei Grünen und ÖVP sowie der Abg. Oberrauner.)

Manche diskutieren so, als wäre die Gesundheitskrise vorbei. Ich warne davor, denn es könnte ein schlimmes Erwachen geben, wenn wir es zu locker nehmen, wenn wir Signale aussenden, auch von diesem Haus aus, die dafür sorgen, dass manche unbe­sorgt werden und die Regeln, die wir gelernt haben, nicht mehr praktizieren – die Hygienemaßnahmen, die Abstandsregelungen, die Maßnahmen, die im Bereich der einzelnen Öffnungsschritte erforderlich sind. Jeder von uns muss auch weiterhin ein Teil der Lösung sein. Nur so können wir diesen guten Weg, diesen erfolgreichen Weg weiterhin gemeinsam beschreiten.

Der Gesundheitsschutz – und das sage ich schon in aller Deutlichkeit – ist kein Ort für Experimente. Der Gesundheitsschutz ist ein Ort, bei dem es um Sicherheit geht, bei dem es nicht zuerst um die parteipolitische Profilierung gehen kann, sondern bei dem es um gemeinsames Tun und um den Schutz der österreichischen Bevölkerung gehen muss.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Gesundheitskrise ist der eine Teil, und es war gut und vernünftig, wie wir, etwa im Verfassungsausschuss, gemeinsam dis­kutiert haben, sodass wir, wie ich glaube, zu einem guten Verständnis voneinander und für die Sache, für Ziele, für Lösungsschritte et cetera gekommen sind, und diesen Weg müssen wir sehr, sehr konsequent weiter fortsetzen. Was uns aber bewusst sein muss – und ich glaube, das ist es uns auch –, ist, dass wir gemeinsam verhindern müssen, dass aus dieser schweren Gesundheitskrise ein dramatische soziale Krise wird. Das ist unsere Verantwortung. Dafür müssen wir auch parteiübergreifend arbei­ten! (Beifall bei Grünen und ÖVP sowie der Abg. Oberrauner.)

Dazu brauchen wir in Österreich ein umfassendes Konjunkturprogramm, das mit dem Schaffen von Jobs, von Arbeitsplätzen hier und heute in den nächsten Tagen und Wochen das verbindet, was unsere Vision ist, nämlich den Klimaschutz und damit den Schutz der nächsten Generationen. Diese Großinvestitionen müssen wir vorziehen, damit wir beides schaffen können! (Beifall bei Grünen und ÖVP.)

Eine Pandemie ist tatsächlich ein Wettlauf mit der Zeit, und ich habe Folgendes bei den Rednern und Rednerinnen manchmal recht interessant gefunden: Dem einen ist es zu schnell gegangen, dem anderen, Kollegen Loacker, zu wenig tief und ins Detail gehend. – Ja, das sind die zwei Wirklichkeiten. Wir müssen tagtäglich über den richtigen Weg entscheiden, und ich bin für einen derartigen Diskurs dankbar, weil wir da gemeinsam lernen, das Richtige zu tun, und weil wir das da auch voneinander lernen.

Ja, wobei ich Ihnen Recht gebe – ich sehe das sehr kritisch und es war jeden Tag eine Abwägung –: Wir müssen in Zukunft wieder lernen, uns mehr Zeit für den Diskurs, für die Debatte zu geben. Wir haben im Verfassungsausschuss gemeinsam festgestellt, dass das notwendig ist, und das ist auch mein persönliches Ziel. Es ist eine Bring- und eine Holschuld, und das sehen alle so, denke ich, dass wir diesen schrittweisen Weg in Richtung Alltag selbstverständlich auch in unserer gemeinsamen Kultur entwickeln müssen. Dafür stehe ich und das ist auch mein Ziel. (Beifall der Abg. Oberrauner.)

Zum Schluss sage ich Ihnen aber schon – und eigentlich haben wir einen bestimmten Auslöser und eine inhaltliche Grundlage für diese Debatte –: Inhaltlich habe ich überhaupt nicht verstanden, was wir da im Verfassungsausschuss an Begründungen und an Kritik gehört haben. Erstens nämlich gibt es zu diesem § 15, glaube ich, keinen Verfassungsexperten, keine Juristin und keinen Juristen, der nicht sagen würde: Ja, dieser neue § 15 ist eine massive Verbesserung zum Status quo. – Warum, bitte sehr, soll man da eine Ablauffrist vorsehen? Wir wollen doch das Epidemiegesetz, das ein uraltes Gesetz ist, optimieren, verbessern und ihm auch demokratiepolitisch bessere Möglichkeiten geben! Mit diesem neuen § 15 können wir mehr Veranstaltungen ermöglichen! Darum geht es, meine sehr verehrten Damen und Herren! (Beifall bei Grünen und ÖVP.)

Das Zweite sind die Screeningprogramme. Auch darüber haben wir im Verfassungs­ausschuss den Diskurs geführt. Kollege Loacker hat gesagt, sie seien zu wenig tiefgehend, andere haben gesagt, sie seien ein Risiko, eine Gefahr wegen der Daten­situation et cetera, et cetera.

Wir brauchen eine klare Rechtsgrundlage für unser Handeln, für unser Tun, denn was heißt Screening? – Es heißt, dass wir uns bestimmte Gruppen in Richtung Corona­situ­ation besser ansehen können, zum Beispiel gefährdete Gruppen wie alte Men­schen, die in Senioren- und Pflegeheimen leben. Ich glaube, niemand hat etwas dagegen, wenn wir das tun, weil es ja aus Experten- und Expertinnensicht völlig unbestritten ist, das zu tun. Worum es geht, ist ein rechtlicher Rahmen, eine Grundvoraussetzung dafür, dass wir so handeln können und dass wir das tun können.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Freiwilligenregelung zu kritisieren, ist schon kurios. Wir nehmen 600 000 Euro in die Hand, damit die, die in diesem Land freiwillig großartige Arbeit leisten (Zwischenruf des Abg. Kollross), die dafür sorgen, dass es noch besser geht, dass wir miteinander in einem Zusammengehörigkeitsgefühl durch diese Krise gehen – und das ist nicht nur das Rote Kreuz, das ich im Übrigen sehr schätze, genauso schätze wie alle anderen Einsatzorganisationen, wie den Arbeiter-Samariter-Bund, wie alle anderen, die großartige Arbeit leisten –, damit die entschädigt werden – das geht ja ohnedies nur im Ansatz –, damit ihnen die Mehr­kosten, die durch die Coronakrise entstehen, abgegolten werden, damit sie weiter wirt­schaftlich überleben können – und das zu kritisieren, ist kurios.

Ich hätte nicht geglaubt, dass in dieser Situation irgendjemand dagegen sein kann. Es gibt ganz klare Regelungen bei dieser Freiwilligenfinanzierung, Regelungen, bei denen es auch einen Beirat gibt, in dem zum Beispiel Sie alle drinsitzen, in dem ein Parteienvertreter, eine Parteienvertreterin jeweils mit dabei ist, in dem der Städtebund mit dabei ist, der Gemeindebund mit dabei ist.

Reden wir doch nicht alles schlecht! Wir machen Fehler. Kritisieren Sie uns für diese Fehler – das haben wir dann verdient; Fehler machen wir; das ist in einer Situation, in der man unter Druck steht, so –, aber versuchen wir nicht, das, was Fortschritte sind, als schwere Fehler zu brandmarken! Das tut uns, denke ich, in dieser schwierigen Situation nicht gut. – Danke. (Beifall bei Grünen und ÖVP.)

9.32

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Frau Abgeordnete Schwarz ist  zu Wort gemel­det. – Bitte.