12.36

Abgeordnete Sigrid Maurer, BA (Grüne): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Mitglieder der Bundesregierung! Liebe Zuseherinnen und Zuseher vor den Bildschirmen! Liebe ZuseherInnen auf der Galerie! (Zwischenruf des Abg. Lausch.) Ich bin sehr froh, dass wir jetzt aufgrund der Konstruktion mit den Plexiglasvorrichtungen hier im Plenum auch endlich wieder BesucherInnen empfangen können (Abg. Hafenecker: Jetzt habt ihr gerade gegen Plastik geredet!), und auch darüber, dass die Fotografinnen und Foto­grafen wieder mehr Möglichkeiten haben, das Geschehen hier zu beobachten und zu begleiten. (Abg. Martin Graf: Das ist aber fein!)

Leider ist das Geschehen, das hier zu beobachten und zu begleiten ist, ein bisschen ein Trauerspiel. Ich habe jetzt versucht, mich während der Rede des Herrn Kickl in eine emotionale Stimmung zu bringen, um dem, was hier vorgebracht wird, gerecht zu wer­den. Ich muss ehrlich sagen, ich tue mir schwer. Wir haben seit Beginn dieser Krise, die die größte Krise ist, mit der dieses Land seit dem Zweiten Weltkrieg als Ausnahmesitua­tion konfrontiert ist (Abg. Martin Graf: Von euch gemacht!), die auch dieses Parlament in ganz vielen Facetten massiv gefordert hat, als gewählte Vertreterinnen und Vertreter eine Verantwortung gegenüber der Bevölkerung, für die Gesundheit, das Wirtschaftssys­tem (Abg. Kickl: Wenn es recht furchtbar ist, waren es eh immer die Leute!), für die ArbeitnehmerInnen des Landes dafür zu sorgen, dass wir über diese Krise so gut wie möglich in all ihren Facetten drüberkommen. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordne­ten der ÖVP.)

Wir hatten im März eine Situation, in der dieses Haus gemeinsam Gesetze beschlossen hat – auch die FPÖ hat mitgestimmt –, die im Kern dem entsprechen, was wir heute wieder beschließen. (Zwischenruf des Abg. Scherak.) Herr Kickl, Sie haben im März, ein paar Tage bevor die eigentlichen Ausgangsbeschränkungen gekommen sind, selber gefordert, dass es der radikale Lockdown sein muss. (Zwischenruf der Abg. Belako­witsch.) Es war Ihnen zu wenig. Sie wollten viel radikalere Maßnahmen als die, die wir eingeführt haben, die letztlich dafür da waren, eine ausgewogene Mischung zwischen Schutz für die Bevölkerung und ausreichend Freiheit, ausreichend Bewegung, ausrei­chend Einhaltung der Grundrechte zu gewährleisten. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der ÖVP. – Abg. Kassegger: Aber nicht für acht Monate! – Abg. Belako­witsch: Was haben Sie die letzten sechs Monate gemacht?)

Das haben wir hier alle gemeinsam mit allen Fraktionen inklusive der FPÖ beschlossen, aber Sie fahren seither einen Zickzackkurs, der atemberaubender nicht sein könnte. (Abg. Amesbauer: Geh bitte!) Sie wissen ja selber nicht, was Sie eigentlich wollen. Ich muss Ihnen auch ganz ehrlich sagen, ich weiß oft nicht: Glauben Sie und Ihre Mitglieder jetzt an die Existenz des Virus? Ja oder nein? (Beifall bei den Grünen und bei Abgeord­neten der ÖVP. – Abg. Kickl: Ist das eine Glaubensfrage?) – So wie Sie sich hier regel­mäßig aufführen, auch in der Präsidiale, zum Beispiel mit der Missachtung sämtlicher Schutzvorkehrungen, ist das auch eine Frechheit gegenüber allen anderen Abgeordne­ten hier im Parlament. Das möchte ich auch sagen! (Beifall bei den Grünen sowie bei Abgeordneten von ÖVP und SPÖ. – Zwischenruf der Abg. Belakowitsch.)

Sie verhalten sich uns gegenüber absolut verantwortungslos (Abg. Amesbauer: Sie mit Ihren Gesetzen!) und auch verantwortungslos gegenüber den Österreicherinnen und Österreichern und allen Menschen, die hier leben. (Beifall bei den Grünen und bei Ab­geordneten der ÖVP. – Zwischenrufe bei der FPÖ.) Sie tragen dazu bei, dass es in einer Zeit, in der genau das Gegenteil notwendig ist, eine massive Verunsicherung gibt. (An­haltende Zwischenrufe bei der FPÖ.)

Ich glaube, ich kann schon verstehen, dass Sie traurig darüber sind, dass Sie nicht mehr Teil dieser Regierung sind – aus guten Gründen. Ich finde es übrigens ganz lustig, dass ausgerechnet Sie in Richtung SPÖ von Komplizinnen und Komplizen sprechen, während gerade Ihre Partei am meisten Verfahren anhängig hat, in denen es tatsächlich um die Frage von Komplizenschaft im kriminaltechnischen Sinn geht. (Beifall bei Grünen und ÖVP. – Zwischenrufe bei der FPÖ. – Die Abgeordneten Kainz, Lausch und Schmied­lechner halten auf der Galerie ein Transparent mit der Aufschrift: „Stoppt den türkis-grünen www.Coronawahnsinn.at“ in die Höhe.)

Wir sind hier im Parlament. Wir haben hier die Aufgabe, die rechtlichen Grundlagen dafür zu schaffen, dass diese Krise gut bewältigt werden kann. (Zwischenrufe bei der FPÖ.) Ja, es ist eine extrem herausfordernde Situation gewesen und es ist auch nicht alles rund gelaufen. Und ja: Es wurde vom Verfassungsgerichtshof ein Teil des Gesetzes auf­gehoben. Wir holen heute nach, nach über 16 000 Stellungnahmen, die eingebracht wor­den sind, nach zwei Phasen ...

Präsidentin Doris Bures: Frau Klubvorsitzende, entschuldigen Sie vielmals, ich muss Sie kurz unterbrechen.

Ich glaube, es haben jetzt alle das Transparent gesehen. Es hat auf der Galerie natürlich nichts verloren. (Zwischenruf des Abg. Hörl. – Abg. Hafenecker: Wir schmeißen näm­lich keine Zettel runter, wie Sie früher! – Ruf bei der FPÖ: Ihr habt Zettel runtergeschmis­sen, wir haben nur ein Transparent ...! – Ruf: ... Hausverbot!) Ich ersuche daher, es wie­der einzurollen. Dürfte ich die Beschäftigten der Parlamentsdirektion darum ersuchen, dafür zu sorgen, dass die Aktionen auf der Galerie beendet werden? – So.

Entschuldigen Sie bitte, Sie sind am Wort.

Abgeordnete Sigrid Maurer, BA (fortsetzend): Wir schaffen heute nach über 16 000 Stel­lungnahmen – das Interesse war sehr groß, wir haben viel darüber diskutiert – eine neue gesetzliche Regelung. (Zwischenrufe der Abgeordneten Belakowitsch und Deimek.) Es ist keine einfache Materie, aber Rudi Anschober hat im Zusammenhang mit der Bear­beitung dieser Krise – eine solche Krise war noch nie da, ist noch niemals zu bewältigen gewesen – von Beginn an Fehlerkultur bewiesen. Er hat von Beginn an Verfassungsju­ristinnen und -juristen eingebunden und hat auch von Beginn an den offenen Dialog ge­sucht.

Ich bin sehr froh, dass der Großteil der Fraktionen hier im Hohen Haus zur kooperativen Zusammenarbeit bereit ist. Das gilt für alle Fraktionen außer für die FPÖ. Dabei stellt die FPÖ – und das möchte ich noch einmal sagen – den Vorsitzenden des Gesundheitsaus­schusses. (Abg. Wurm: Schwache Rede, sehr schwache Rede!) Die FPÖ ist diejenige Fraktion, die die Einberufung eines solchen Ausschusses letzte Woche verhindert hat, obwohl wir eigentlich vereinbart hatten, eine Ausschussbegutachtung vorzunehmen. (Beifall bei Grünen und ÖVP. – Zwischenrufe bei der FPÖ.)

Den Parlamentarismus einzufordern ist gut (Abg. Kickl: Ich glaube, Sie kennen sich im Parlamentarismus nicht aus!), aber Ausschüsse zu blockieren ist aus meiner Sicht ab­solut nicht kompatibel damit. (Zwischenruf des Abg. Deimek.)

Wir beschließen heute ein Gesetz, das auf viele, viele Bedenken, die geäußert wurden, umfänglich eingeht und das jetzt in einer solchen Form verfasst ist, dass die sozialdemo­kratische Fraktion hier heute mitgehen wird, und dafür bin ich sehr dankbar. (Abg. Wurm: Sehr schwache Rede!) Es ist notwendig. Wir brauchen eine breite Basis für diese Gesetze und wir brauchen auch die Sicherheit für die Bevölkerung. (Abg. Kickl: Zu­sätzliche ...!)

Zum Gesetz möchte ich ein paar Punkte aufzählen: Wir schaffen zusätzliche Klarheit. (Ruf bei der FPÖ: Das ist ja lächerlich!) Wir binden in Zukunft bei gravierenden Maß­nahmen den Hauptausschuss, das Parlament ein (Zwischenrufe bei der FPÖ), nämlich zum Beispiel, falls es notwendig werden sollte, neuerlich Ausgangsbeschränkungen zu verhängen. (Zwischenruf des Abg. Scherak.) – Niki Scherak kritisiert hier den österrei­chischen Föderalismus und die verfassungsmäßig vorgesehene mittelbare Bundesver­waltung. (Weitere Zwischenrufe bei NEOS und FPÖ.) – Das ist originell. (Beifall bei den Grünen. – Abg. Belakowitsch: Das ist wirklich originell! – Weitere Zwischenrufe bei der FPÖ.)

Wir schaffen mit diesem Gesetz die Balance zwischen den notwendigen Maßnahmen zur Eindämmung des Virus und größtmöglicher persönlicher Freiheit. (Abg. Belako­witsch: Frau Kollegin, Sie reden sich ...! – Weitere Zwischenrufe bei der FPÖ.) Wir stel­len klar: Der Privatbereich ist privat. Wir schaffen die Basis für die Coronaampel und wir schaffen die Möglichkeit für eine Regionalisierung der Maßnahmen, die dringend not­wendig ist, mit präziseren Zuständigkeiten. (Beifall bei den Grünen. – Abg. Hauser: Sperr­stunde! – Weitere Zwischenrufe bei der FPÖ.)

Zur Verharmlosung, die hier von Ihnen, Herr Kickl, vorgenommen wird, möchte ich nur sagen: Mit heutigem Tag sind es 971 000 Tote weltweit. Von gestern auf heute gab es weitere Tote in den USA, insgesamt sind es dort 200 000 Tote. (Abg. Kickl: Das geht munter weiter! Es geht munter weiter!) Und Sie stellen sich hierher und sagen: Das ist alles egal, es ist nicht weiter tragisch!, und wollen dieser Regierung das Misstrauen aus­sprechen.

Der Gesundheitsminister ist derzeit der beliebteste Politiker Österreichs (Zwischenruf der Abg. Belakowitsch), und Sie stehen alleine auf weiter Flur mit Ihrer Einschätzung, dass er in dieser Krise keine gute Arbeit machen würde. Das Gegenteil ist der Fall. (Bei­fall bei den Grünen und bei Abgeordneten der ÖVP. – Abg. Wurm: Das ist eine ... Dro­hung!)

So schwierig die Ausgangsvoraussetzungen auch sind, diese Regierung hat es bis hierher geschafft und wird es auch weiterhin schaffen, das Vertrauen der Bevölkerung zu gewinnen. Ich bin auch überzeugt davon, dass sich die Menschen in Österreich wie­der an die Maßnahmen halten werden – den Abstand einhalten, Hände waschen et ce­tera. Die Eigenverantwortung ist ein ganz wichtiges Thema (Abg. Wurm: Sehr schwache Rede, Frau Kollegin!), aber natürlich brauchen wir auch die rechtlichen Rahmenbedin­gungen, um Maßnahmen setzen zu können, um die Epidemie weiter im Griff zu halten.

Auch was die anderen Dinge betrifft: Wir schaffen eine Arbeitsstiftung mit einem Volu­men von 700 Millionen Euro. So etwas war noch nie da, auch nicht nach der Wirtschafts­krise 2008. (Zwischenrufe bei der FPÖ.) In ganz vielen Bereichen setzen wir die Maß­nahmen, die notwendig sind, damit die zwangsläufigen Begleiterscheinungen einer Pan­demie bestmöglich bekämpft werden können. (Abg. Stefan: Noch nie ... Betriebe zu­gesperrt! – Ruf bei der FPÖ: ... Betrieben verboten, zu arbeiten! – Zwischenruf des Abg. Graf.)

Ich glaube, das Vertrauen der Bevölkerung liegt auf der Seite der Regierung und zum Glück nicht auf Ihrer Seite. (Zwischenrufe bei der FPÖ.) Das werden Sie auch in den nächsten Wochen und Monaten erleben, denke ich. Ich finde es hoch unverantwortlich, wie Sie mit dieser Situation umgehen. Ich bin, auch wenn es die FPÖ ist, immer noch enttäuscht darüber, wie tief man auch hier im Parlament sinkt. – Vielen Dank. (Beifall bei Grünen und ÖVP.)

12.46

Präsidentin Doris Bures: Nächster Redner: Herr Abgeordneter Gerald Loacker. – Bitte.