16.26

Abgeordnete Fiona Fiedler, BEd (NEOS): Herr Präsident! Hohes Haus! Werte Damen und Herren auf der Regierungsbank! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuse­herinnen und Zuseher! Bezugnehmend auf den Sozialbericht 2019 möchte ich festhal­ten, dass sich die sozialen und wirtschaftlichen Gegebenheiten in Österreich und in ganz Europa seit seinem Erscheinen massiv verändert haben. Die Zahlen aus dem Bericht sind heute nicht mehr aktuell. Wo beispielsweise vor der Krise noch von Rekordbe­schäftigung und einem Rückgang der Arbeitslosenrate die Rede war, sprechen wir heute von der höchsten Arbeitslosenrate der Zweiten Republik.

Auch im Bereich der Pensionen ist in der Zwischenzeit viel passiert, vor der Nationalrats­wahl 2019 wurden nämlich Pensionsgeschenke beschlossen. Das teuerste davon war die abschlagsfreie Frühpension, die nicht nur das Pensionsloch längerfristig um weitere 3 Milliarden Euro vergrößern wird, sondern auch den Genderpensiongap.

Der Bericht spricht dieses Problem zwar an, aber durch den Beschluss der abschlags­freien Frühpension hat sich der Unterschied von 51 Prozent deutlich auf 67 Prozent er­höht. Der Grund dafür ist relativ leicht zu finden, denn laut unserer aktuellsten Anfrage­beantwortung aus dem Sozialministerium profitieren davon praktisch nur Männer mit oh­nehin schon hohen Pensionen. Ja, richtig gehört: Unter den 8 033 Begünstigten waren im ersten Halbjahr 2020 sage und schreibe nur drei Frauen (Zwischenruf des Abg. Wurm), und die durchschnittliche Auszahlung beträgt satte 2 900 Euro, 14 Mal im Jahr.

Wie es zu dieser abschlagsfreien Männer-Frühpension kommen konnte, frage ich mich heute noch. Diese Frage sollten sich allerdings auch die Kolleginnen von SPÖ, FPÖ und ÖVP stellen, die dafür verantwortlich sind. Darum ist es notwendig, dass sich die Regie­rung endlich an die Arbeit macht und ein nachhaltiges Pensionssystem schafft, das auch die Frauen und die Zukunftschancen der folgenden Generationen stärker berücksichtigt. (Beifall bei NEOS.)

Aber auch heute spreche ich wieder einmal für Menschen mit Behinderung und ihre Si­tuation am Arbeitsmarkt, denn ehrlicherweise habe ich das Gefühl, dass das hier sonst nur sehr wenige tun. Die Arbeitslosigkeit von Menschen mit Behinderung ist in den letz­ten zehn Jahren um 120 Prozent gestiegen. Wie die Zahlen in einem Jahr aussehen werden, möchte ich mir offen gesagt gar nicht vorstellen.

Heute liegt mir Folgendes vor: 371 893 Personen waren im August dieses Jahres ar­beitslos gemeldet, davon sind 88 233 arbeitslos gemeldete Personen Menschen mit Be­hinderung und mit gesundheitlichen Einschränkungen, das sind 23,7 Prozent, ein Viertel der Arbeitslosen in Österreich. Ja, das sind nur Zahlen, aber hinter jeder Zahl steckt ein Einzelfall.

Wir alle wissen, dass die Situation nicht nur für Menschen mit Behinderung eine schreck­liche ist, aber genau diese Gruppe hat es in der Krise besonders schwer. Das sind Men­schen, die schon in der Zeit ohne Krise geringe Chancen am Ersten Arbeitsmarkt haben, und in dieser Covid-Krise wird es für diese Menschen noch schlimmer und noch schwie­riger werden.

Auf viele Fragen kann momentan keiner eine Antwort geben: Wie wirkt sich die bevorste­hende Kündigungswelle auf Beschäftigte mit Behinderung aus? Werden die 50-plus-Angestellten mit Behinderung die Ersten sein, die gehen werden? Wie wird es mit den Betrieben weitergehen, die mit diversen Werkstätten zusammenarbeiten? Werden Fir­men noch verhaltener sein, Menschen mit Behinderung einzustellen? – Und wieder gibt es keinen Fahrplan.

Daher fordere ich Sie heute auf, dass wir diese Gruppe der Gesellschaft, die schon lange eine Randgruppe ist, nicht noch weiter an den Rand drängen. Wenn wir jetzt Arbeitsplät­ze schaffen, müssen das inklusive Arbeitsplätze sein. Wir haben eine menschliche Ver­pflichtung, nicht erst dann an Inklusion zu denken, wenn alles andere glatt läuft.

Ich habe versprochen, es immer wieder zu sagen: Inklusion ist nicht karitativ, Inklusion ist demokratisch.

Ich habe mich im vergangenen Jahr in diesem Hohen Haus permanent für Menschen mit Behinderung und insbesondere für Kinder mit Behinderung eingesetzt. Deshalb kön­nen Sie sich vorstellen, dass mir die Situation der Kinder in Moria sehr nahegeht. Aus diesem Grund und weil ich mir geschworen habe, dass ich mich im Laufe meiner politi­schen Karriere jeden Tag für Inklusion, Integration und vor allem für Menschlichkeit ein­setzen möchte, bringe ich auch noch folgenden Entschließungsantrag ein:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Fiona Fiedler, BEd, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Aufnahme von 100 besonders notleidenden Kindern aus Moria“

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung wird aufgefordert, sich am Programm der Europäischen Kommis­sion zu beteiligen und 100 besonders notleidende Kinder aus Lagern auf den griechi­schen Inseln aufzunehmen.“

*****

Danke. (Beifall bei den NEOS.)

16.31

Der Antrag hat folgenden Gesamtwortlaut:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Fiona Fiedler, Kolleginnen und Kollegen

betreffend Aufnahme von 100 besonders notleidenden Kindern aus Moria

eingebracht im Zuge der Debatte in der 51. Sitzung des Nationalrats über Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales über den Sozialbericht 2019 der Bundesministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz (III-77/260 d.B.) – TOP 4

Der Sozialbericht 2019 steht im Zeichen der Nachhaltigen Entwicklungsziele der Verein­ten Nationen (Sustainable Development Goals - SDGs). Österreich hat sich als Teil der internationalen Staatengemeinschaft im Rahmen der „Agenda 2030 für nachhaltige Ent­wicklung der Vereinten Nationen“ zu 17 globalen Entwicklungszielen mit 169 Unterzielen zur weltweiten Bekämpfung von Armut und Förderung der globalen nachhaltigen Ent­wicklung bekannt. Die globalen Ziele umfassen beispielsweise: Keine Armut (SDG 1), Kein Hunger (SDG 2), Gesundheit und Wohlergehen (SDG 3), Sauberes Wasser und Sanitäreinrichtungen (SDG 6), Weniger Ungleichheit (SDG 10), Frieden, Gerechtigkeit und starke Institutionen (SDG 16). Laut dem unter TOP 4 behandeltem Bericht war zu­dem bei einem Treffen der Sozialminister_innen der Mitgliedstaaten der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD18) im Mai 2018 in Montreal (Kanada) u.a. die Sicherstellung gleicher Chancen für Kinder und Jugendliche für ein erfolgreiches Leben Thema.

Auch in Bezug auf die humanitäre Katastrophe in Folge des Großbrandes des Lagers Moria auf Lesbos, Griechenland, braucht es dringend internationale Anstrengungen, um die Not der tausenden betroffenen Menschen - viele davon sind Kinder - zu lindern und eine menschenwürdige Versorgung sicherzustellen. Österreich ist in der Verantwortung hier einen Beitrag zu leisten.

In der Nacht auf den 9. September ist das restlos überfüllte Lager Moria auf der griechi­schen Insel Lesbos völlig abgebrannt. Rund 12.600 Menschen, darunter tausende Kin­der, sind nun obdachlos und müssen unter freiem Himmel oder in provisorischen Zelten auf steinigem Untergrund schlafen. Es gibt zu wenig Wasser, zu wenig Toiletten, zu we­nig Zelte. Die humanitäre Katastrophe auf EU-Boden war angekündigt, die Zustände in den Elendslagern auf den griechischen Inseln waren schon lange unerträglich und haben sich durch den Großbrand noch weiter verschärft. Dazu kommt die grassierende Coro­navirus-Pandemie - im Hinblick auf die katastrophale hygienische Situation eine zusätzli­che, massive Bedrohung. Nun muss schnellstmöglich die menschenwürdige Versorgung der Betroffenen sichergestellt werden und das geht vor Ort für so viele Menschen nicht. Es gilt die Menschen aus dieser Notlage rauszuholen.

In Moria drohen nach einem Lager auch die europäischen Werte zu verbrennen, die wir so gerne beschwören und von anderen einfordern. Die Tragödie lässt sich darauf zurück­führen, dass eine gemeinsame Asylpolitik innerhalb der EU an den Hauptstädten Euro­pas scheitert. Die bisherigen - z.T. bescheidenen - Anstrengungen mancher Mitglied­staaten im Rahmen des Umsiedlungsprogramms der EU-Kommission haben nicht aus­gereicht. Österreich darf angesichts brennender Elendslager nicht länger tatenlos zuse­hen, jetzt gilt es zu handeln und schnellstmöglich Kinder aus Moria aufzunehmen. So wie andere EU-Mitgliedsstaaten das bereits angekündigt haben.

Die Ausrede des Außenministers, dass damit ein Pull-Effekt beginnen würde, ist zynisch und empirisch nicht belegbar. Die bisherigen Umsiedlungen von Betroffenen innerhalb der EU haben auch keine stärkere Fluchtbewegung nach Europa ausgelöst. Zudem be­steht in Österreich in einigen Ländern, Städten und Gemeinden die Bereitschaft sowie die Kapazität zur Unterbringung und Versorgung von besonders Schutzbedürftigen aus Moria. So hat sich etwa der Landtag in Wien in einem von NEOS, SPÖ und Grünen unterstützen Antrag bereit erklärt, hundert Kinder von den griechischen Inseln aufzuneh­men und die Bundesregierung aufgefordert zu handeln. Auch zahlreiche Bürgermeis­ter_innen und Mitglieder von Landesregierungen haben in den vergangenen Tagen er­klärt, Flüchtlingskinder aufnehmen zu wollen. Darüber hinaus wollen auch viele enga­gierte Einzelpersonen, NGOs und Kirchengemeinschaften helfen. Zeigen wir endlich Menschlichkeit und leisten einen Beitrag, der Betroffenen hilft, Griechenland unterstützt und Europa durch gelebte Solidarität stärkt.

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgenden

Entschließungsantrag

Der Nationalrat wolle beschließen:

"Die Bundesregierung wird aufgefordert, sich am Programm der Europäischen Kommis­sion zu beteiligen und 100 besonders notleidende Kinder aus Lagern auf den griechi­schen Inseln aufzunehmen."

*****

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Der Antrag ist ordnungsgemäß eingebracht, aus­reichend unterstützt und steht mit in Verhandlung.

Zu Wort gemeldet ist Abgeordnete Yılmaz. – Bitte.