9.16

Bundeskanzler Sebastian Kurz: Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Geschätzte Österreicherinnen und Österreicher! Sehr geehrte Zuseherinnen und Zuseher dieser Parlamentssitzung! Der brutale Terroranschlag, der am Montag in Wien stattgefunden hat, wirft nach wie vor einen dunklen Schatten auf unsere Republik. Unser Mitgefühl  und da spreche ich nicht allein, sondern, wie ich denke, für uns alle – gilt den Opfern und ihren Angehörigen, den vier wehrlosen Zivilis­ten, die aus nächster Nähe kaltblütig erschossen worden sind, aber auch den vielen Verletzten, die teilweise schwer verletzt sind und von denen einige nach wie vor um ihr Leben ringen.

Unser Dank gilt den Einsatzkräften, die in dieser furchtbaren Nacht ihren Dienst tun mussten – oft unter Einsatz ihres eigenen Lebens –, um für unsere Sicherheit zu sorgen. Allen voran möchte ich dem jungen Polizisten danken, der sich mutig dem Attentäter in den Weg gestellt hat und dabei auch selbst schwer verletzt wurde. Ich durfte ihn gestern gemeinsam mit dem Innenminister im AKH besuchen, und es war beeindruckend, zu sehen, dass er trotz der schweren Verletzung die Liebe zu seinem Dienst als Polizist nicht verloren hat und uns gesagt hat, er könne es kaum erwarten, in den Einsatz zurückzukehren.

Ich möchte mich aber auch ganz besonders bei den Einsatzkräften der Spezialeinheiten insbesondere auch der Wega bedanken, die es geschafft hat, den Attentäter nach 9 Minuten auszuschalten und so Schlimmeres verhindern konnte.

Darüber hinaus möchte ich mich auch bei allen Österreicherinnen und Österreichern und allen Menschen, die in unserem Land leben, bedanken, die in dieser schwierigen Situ­ation über ihre Grenzen hinausgewachsen sind und Mitmenschen unterstützt haben, Verletzte versorgt haben oder auch mit Handyvideos die Polizei bei ihren Ermittlungen unterstützt haben. Ihnen allen gebührt unser großer Dank in dieser für die Republik sehr schwierigen Stunde.

Ein solch barbarischer, islamistischer Terroranschlag macht uns alle zu Recht betroffen, denn wir alle gemeinsam werden nie verstehen können, dass es Menschen gibt, die unsere Gesellschaft, die Sicherheit, die Freiheit, die Demokratie, all das so sehr hassen, dass sie bereit sind, unschuldige Menschen zu töten. Deshalb müssen wir nun auch umso rascher und konsequenter handeln, um den Extremismus und auch die dahin­ter­stehende Ideologie mit aller Kraft zu bekämpfen.

Wir werden sicherlich nicht den Fehler machen, uns als Gesellschaft spalten zu lassen. Wir werden keine Konflikte zwischen Christen und Muslimen, zwischen Österreichern und Migranten heraufbeschwören, denn das sind nicht die Trennlinien. Alle Menschen, die guten Willens sind, egal welcher Herkunft oder Religion, sind die Feinde dieser Barbaren, die sich Krieg und Gewalt wünschen.

Wir alle gemeinsam, sehr geehrte Damen und Herren, müssen daher auch mit voller Entschlossenheit und ohne Kompromisse gegen diese Feinde unserer freien Gesell­schaft kämpfen. Das ist unsere Aufgabe. (Beifall bei ÖVP und Grünen.)

Was es nun zuallererst braucht, sind volle Aufklärung und die Verfolgung der Schuldigen. Der Innenminister und die Sicherheitskräfte der Republik arbeiten mit allen verfügbaren Mitteln an der vollständigen Aufklärung der Tat; dazu gehört auch die Überführung mög­licher Hintermänner und Gleichgesinnter.

Ich bin dankbar dafür, dass rasch Hausdurchsuchungen stattgefunden haben und erste Festnahmen erfolgt sind. Wir haben im Nationalen Sicherheitsrat gestern über die Fort­schritte informiert. Wir müssen herausfinden, wer den Täter radikalisiert hat, ob er Helfer und Unterstützer hatte und auch, welche Netzwerke diese Tat positiv sehen und Ge­sin­nungstäter im Geiste sind.

Alle, die solche Taten verüben, aber auch diejenigen, die diese Taten unterstützen, genauso wie all jene, die solche Taten begrüßen, sind die Feinde unserer Demokratie, sind die Feinde unserer freien Gesellschaft.

Zum Zweiten braucht es natürlich auch Prävention. Wir können und werden nicht zulas­sen, dass es auf österreichischem Boden Strukturen und Parallelgesellschaften gibt, die unsere Republik hassen und aktiv gegen unsere Verfassung arbeiten. Dafür brauchen wir in Österreich vor allem eine bessere Handhabe im Umgang mit bekannten Gefähr­dern.

Der Fall des Attentäters vom vergangenen Montag zeigt es sehr deutlich: Die öster­reichischen Behörden, von der Justiz über die Polizei bis zum Verfassungsschutz, haben nicht immer die rechtlichen Mittel, um islamistische Extremisten und andere Gefährder zu überwachen und, wenn nötig, zu verwahren beziehungsweise zu sanktionieren. Es ist für die wenigsten Menschen verständlich, dass jemand, der sich dem IS in Syrien anschließen wollte, vorzeitig aus der Haft entlassen wird und weitgehend unbehelligt unter uns leben kann, nur weil er fälschlicherweise vorgibt, sich vom Terror abgewandt zu haben. (Abg. Belakowitsch: Das stimmt ja nicht! – Abg. Kickl: Die falsche Infor­mation geht weiter!)

Solche Situationen dürfen sich nicht wiederholen. Ich bin den zuständigen Ministern, dem Innenminister, aber auch der Justizministerin, dankbar dafür, dass sie diesbezüglich entsprechende Gespräche aufgenommen haben, wie wir unser System gemeinsam zusätzlich verbessern können. Dazu gehört, sehr geehrte Damen und Herren, vor allem natürlich auch eine Reform des BVT. Das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung hat in den vergangenen Jahren aus unterschiedlichen Gründen massiven Schaden erlitten. Diesen Schaden gilt es nun zu reparieren. Ich bin dem Innenminister dankbar dafür, dass er mit der gebotenen Umsicht, aber gleichzeitig entschlossen daran arbeitet, das BVT wieder zu stärken, international zu rehabilitieren und mögliche Versäumnisse lückenlos aufzuklären. (Beifall bei der ÖVP und bei Abge­ord­neten der Grünen.)

Neben dem BVT muss auch die Dokumentationsstelle Politischer Islam eine entschei­dende Rolle dabei spielen, extremistische Vereine aufzuspüren und sie in Zusam­men­arbeit mit den Sicherheitskräften aufzulösen. Ich danke hier Integrationsministerin Susanne Raab für ihre Arbeit, denn dieses Projekt wird bereits international in vielen Ländern als Vorbild gesehen.

Zuletzt, sehr geehrte Damen und Herren, braucht es neben der Aufklärung und der Prävention vor allem natürlich auch internationale Zusammenarbeit. Der islamistische Terrorismus ist international vernetzt und überall gleich gefährlich. Gerade in Europa stehen wir vor einer großen Herausforderung, die wir nur gemeinsam bewältigen können. Uns alle beschäftigen dieselben Fragen, nämlich: Wie können wir es verhindern, dass Terroristen illegal einreisen und dann, wie zuletzt in Nizza, Morde begehen? Wie gehen wir mit Extremisten um, die Europa verlassen haben oder verlassen wollten, um in Syrien oder im Irak zu morden, und für den IS gekämpft haben oder kämpfen wollten? Wie gehen wir mit denen um, die zurückgekehrt sind, jetzt in Haft sind, aber vielleicht schon in absehbarer Zeit aus ihrer Haft entlassen werden? – Sie alle sind tickende Zeitbomben für unsere Gesellschaft, nicht nur in Österreich, sondern in ganz Europa.

Wir müssen in der Europäischen Union geschlossen und geeint vorgehen, um die Feinde unseres Lebensmodells überall gleichzeitig zu bekämpfen. Ich möchte mich bei all den Regierungschefs bedanken, die uns in den letzten Tagen ihre Solidarität ausgesprochen haben und diesen Kampf auch mit uns gemeinsam führen wollen.

Ich bin froh, dass wir mit Emmanuel Macron, aber auch mit der Spitze der EU-Kom­mission vereinbaren konnten, dass wir schon in der nächsten Woche Gespräche führen werden, um ein gemeinsames Vorgehen in diesem Bereich abzustimmen. Aus diesen Gesprächen muss eine breite europäische Allianz entstehen, damit der Terror in Europa entschlossen bekämpft werden kann.

Sehr geehrte Damen und Herren, wir sind uns alle einig, dass die Zeit, die wir gerade erleben, in vielen Bereichen eine herausfordernde ist. Ich verstehe jeden, in dem Angst, Trauer, aber vielleicht auch Zorn aufkommen. Gleichzeitig sollten wir aber dankbar dafür sein, dass wir in einer starken Republik Österreich leben dürfen, in einer Gesellschaft, in der die Menschen füreinander da sind, in einer Gesellschaft, die sich auch in schweren Zeiten nicht spalten lässt, und in einer Gesellschaft, die die Kraft haben wird, mit all diesen Herausforderungen fertigzuwerden und gegen Bedrohungen gemeinsam anzu­kämpfen.

Wir versprechen Ihnen, dass wir als Bundesregierung weiterhin unermüdlich daran arbeiten werden, diese Krisen gemeinsam bestmöglich zu bewältigen, sowohl den Kampf gegen den Terrorismus als auch den Kampf gegen das Coronavirus. Das Jahr 2020 ist definitiv kein einfaches Jahr, aber ich bin mir sicher, dass wir auch dieses Jahr, auch diese Herausforderungen als Republik Österreich gut überstehen werden und als Gesellschaft sogar gestärkt aus dieser Zeit hervorgehen werden. – Vielen Dank. (Anhaltender Beifall bei der ÖVP und Beifall bei den Grünen.)

9.28

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Ich danke dem Bundeskanzler für seine Ausfüh­rungen und darf dem Herrn Vizekanzler das Wort erteilen. – Bitte.