9.50

Abgeordnete Dr. Pamela Rendi-Wagner, MSc (SPÖ): Herr Präsident! Herr Bundes­kanzler! Sehr geehrte Bundesregierung! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich sage es ganz offen: Eigentlich wollte ich in diesen schweren Tagen unseres Landes diese Rede anders beginnen, anders einleiten, aber allein die Vorgänge der letzten 48 Stunden bringen mich dazu, gleich zu Beginn eine Frage an die Bundesregierung zu richten. Ich frage Sie: Warum betonen Sie in der Öffentlichkeit immer wieder die Notwen­digkeit des Gemeinsamen und der Eigenverantwortung so stark, wenn Sie genau jetzt, genau jetzt in dieser schwierigen Phase unseres Landes offenbar genau das Gegenteil tun? (Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten der FPÖ.)

Bereits am ersten Tag nach dem abscheulichen Terrorangriff im Herzen Wiens war zu hören, dass der Innenminister die Justizministerin mitverantwortlich macht, und vorhin in Ihrer Rede, in dieser Rede anlässlich dieser abscheulichen Terrorereignisse in Wien, Herr Bundeskanzler, haben Sie das wieder versucht. (Zwischenruf des Abg. Wöginger.)

Einen Tag später gesteht der Innenminister Fehler ein. Er gesteht Fehler seiner eigenen Behörde, des BVT, ein. Er schiebt die Verantwortung für diese Fehler seiner eigenen Behörde aber auch einer anderen Person zu, nämlich offenbar seinem Vorgänger, wie­der jemand anderem – Fehler, die am Ende dazu geführt haben, dass am Montag vier Menschen plus der Attentäter ihr Leben verloren haben und es zahlreiche Verletzte in Wien gab. (Zwischenruf bei der FPÖ.)

Herr Bundeskanzler, Herr Innenminister, wann verstehen Sie, dass es eigentlich nie und schon gar nicht jetzt um das Abschieben von Verantwortung geht (anhaltender Beifall bei SPÖ, FPÖ und NEOS), dass es gerade jetzt in dieser schweren Zeit nicht um gegenseitige Schuldzuweisungen innerhalb der Regierung geht? Wann verstehen Sie, dass es um eine ehrliche, um eine offene, eine ernsthafte Aufklärung und Fehlerkultur geht?

Die Fragen, die sich viele in Österreich stellen, wie: Wie konnte es so weit kommen?, sollten beantwortet werden. Jetzt geht es vor allem um eines: Es geht um Verantwortung, um Verantwortung gegenüber der Bevölkerung in Österreich, diesen Fall lückenlos, ernst und ehrlich aufzuklären, aufzuarbeiten, damit die richtigen politischen Schlüsse so rasch wie möglich daraus gezogen werden, mit dem Ziel, dass das Risiko eines weiteren Angriffs auf die österreichischen Bevölkerung so gering wie möglich gehalten werden kann, zum Schutz der Menschen in unserem Land.

Es geht definitiv nicht um Vernebelung. Es geht definitiv nicht um Ablenkung, um das Abschieben von Verantwortung. Es geht nicht um Überschriften und Plattitüden. Es geht um die Übernahme von Eigenverantwortung der Bundesregierung. (Beifall bei der SPÖ sowie bei Abgeordneten von FPÖ und NEOS.) Es geht um die Übernahme von Ver­antwortung mit allen Konsequenzen, Herr Innenminister, und diese Verantwortung kön­nen Sie hier und heute vor dem Nationalrat auch übernehmen, denn am Montag wurden vier Menschen im Herzen unserer Hauptstadt ermordet. Vier Menschen sind tot, obwohl die Behörde klare Hinweise hatte, dass von dem Terroristen Gefahr ausgeht.

Da geht es um Ehrlichkeit, da geht es um Anstand, und diese Ehrlichkeit haben sich die Opfer und die Angehörigen verdient – und auch ich möchte ihnen an dieser Stelle mein tiefstes Mitgefühl aussprechen.

Diese Ehrlichkeit ist aber auch den Einsatzkräften, den Polizistinnen und Polizisten, dem Bundesheer, den Rettungskräften und auch den Zivilisten gegenüber wichtig, die in dieser Mordnacht ihre eigene Sicherheit hinter die Sicherheit der Bevölkerung gestellt haben, die Großartiges geleistet haben, die außergewöhnlichen Mut bewiesen haben. Ihnen möchte ich im Namen der Sozialdemokratie meinen großen Dank aussprechen. (Beifall bei der SPÖ.)

Diesen Dank möchte ich auch den Ärztinnen und Ärzten, dem Pflegepersonal gegenüber aussprechen, die in dieser Nacht, aber auch bis heute Großartiges in der Versorgung der Opfer leisten. Wir sind stolz auf euch! Ja, wir sind sehr, sehr dankbar, uns auf euch verlassen zu können. (Beifall bei der SPÖ, bei Abgeordneten der FPÖ sowie der Abgeordneten Ernst-Dziedzic und Maurer.)

Dieser abscheuliche Terroranschlag hat in der Tatnacht allen im Einsatz Mut abverlangt; Mut, ein kurzes Wort mit großer Bedeutung. – Zeigen auch Sie als Bundesregierung Mut – Mut, der notwendig ist, um ehrlich und lückenlos aufzuarbeiten, Mut, der notwen­dig ist, um Fehler einzugestehen!

Viele Fragen sind gestern im Nationalen Sicherheitsrat unbeantwortet geblieben, auch in den Sitzungen davor: Wie konnte es passieren, dass der Täter derartig radikalisiert war? Wie konnte er sich von den Behörden unbemerkt ein automatisches Gewehr – ein Kriegsgewehr! – anschaffen, besorgen? Was ist mit den Informationen aus der Slowakei passiert? Warum wurde diese Person von den Geheimdiensten aufgrund dieser Infor­mation nicht observiert, engmaschigst observiert und beobachtet? Stimmt es, dass am nächsten Tag eine Razzia in der islamistischen Szene geplant war, diese aufgeflogen ist, was vielleicht unmittelbar zu dieser Tat geführt hat? All das und noch viel, viel mehr muss ehrlich, ernsthaft und lückenlos aufgearbeitet werden, sehr geehrte Damen und Herren! (Beifall bei SPÖ und FPÖ.)

Ja, viele Fragen sind offen, aber vieles steht auch schon fest: Fest steht nämlich schon heute, dass große Fehler passiert sind, dass die Behörde des Innenministers klare Hinweise hinsichtlich der Gefährlichkeit des Terroristen hatte und dass sie denen nicht nachgegangen ist. Fest steht, dass am Montag vier Menschen unschuldig hingerichtet wurden. Fest steht, Herr Innenminister, dass sich die Bevölkerung erwartet, dass die Regierung und Sie als Minister Verantwortung für all das übernehmen. Sie haben hier und heute die Möglichkeit dazu.

Sehr geehrte Damen und Herren, der Terror greift nicht nur unschuldige Menschen an – er verletzt, er tötet, er greift uns an, er greift uns alle an, unsere Gesellschaft, unseren Staat, unsere Werte und unsere Demokratie. Und das Ziel der Terroristen ist ganz klar: Das Ziel ist, Angst zu machen, unsere Gesellschaft ins Wanken zu bringen. Unsere Reaktion darauf muss klar und eindeutig sein: Das dürfen wir nicht zulassen, und das werden wir nicht zulassen! Wir verteidigen unsere Werte konsequent und entschlossen! (Beifall bei der SPÖ.)

Diese Botschaft ist deshalb so wichtig, weil sie in diesen schweren Stunden Kraft und Hoffnung gibt. Es ist nicht einfach, in dieser großen Trauer und in diesem tiefen Schmerz, den wir jetzt alle fühlen, Hoffnung zu säen, aber genau das macht uns stark, genau das macht meine Heimatstadt Wien stark, und genau das macht Österreich stark.

Stehen wir als Gesellschaft zusammen, so wie es die Einsatzkräfte in der Tatnacht gemacht haben! Sie sind zusammengestanden, das hat sie im Kampf gegen diesen Terroristen stark gemacht. Verteidigen wir unsere Freiheit, verteidigen wir unsere Demo­kratie! Vielen Dank. (Anhaltender Beifall bei der SPÖ sowie Beifall bei Abgeordneten von FPÖ und NEOS sowie der Abgeordneten Maurer und Jakob Schwarz.)

9.59

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Abgeordneter Klubobmann Kickl. – Bitte.