12.32

Abgeordnete Mag. Selma Yildirim (SPÖ): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Bun­desregierung! Hohes Haus! Sehr geehrte Zuseherinnen und Zuseher! Der Terroran­schlag am Montagabend in Wien hat mich – wie uns alle – tief getroffen. Zuallererst möchte auch ich mein Mitgefühl den Angehörigen der Opfer aussprechen und den Verletzten baldige Genesung wünschen.

Vielerorts taucht fast reflexartig eine Frage auf: Was läuft falsch, dass wir in Österreich – aber auch andere Länder – vor so feigen und abscheulichen Gewalttaten nicht verschont bleiben? Aber Achtung: Nicht die Art und Weise unseres Lebens ist zu hinterfragen, wir dürfen Fehler nicht bei unserer Art zu leben suchen! Wir können – ganz im Gegenteil – stolz darauf sein, dass wir in einer Gesellschaft leben, in der Toleranz und Freiheit im Zentrum eines gewaltfreien Miteinanders stehen; diese Errungenschaften zeichnen Menschen aus. Wir können stolz darauf sein, dass unsere Arbeit beziehungsweise unsere Art zu leben dazu geführt haben, dass es uns allen gut geht, dass wir Menschen in wirtschaftlichen, gesundheitlichen oder emotionalen Krisensituationen nicht alleine lassen und sich jeder in der Not auf andere Menschen verlassen kann.

Alle Einsatzkräfte haben großartige Arbeit geleistet. Ein herzliches Danke an die Polizei­kräfte, die ÄrztInnen, die PflegerInnen, die Psychosozialen Dienste, die Öffi-Fahrer, die die Menschen sicher nach Hause gebracht haben. Sie alle haben nicht an sich und ihr eigenes Wohlergehen, sondern zuerst an diejenigen gedacht, die Hilfe brauchen, und diese Hilfe wurde geleistet. (Beifall bei der SPÖ.)

Mich haben auch noch andere Bilder und Berichte von diesem schrecklichen Abend tief berührt, Bilder von jenen jungen Männern beispielsweise, die an diesem Abend ihre Menschlichkeit mutig unter Beweis gestellt haben; sie haben unter Einsatz ihres eigenen Lebens, ohne lange nachzudenken, einem verletzten Polizisten und einer Frau erste Hilfe geleistet. Das sind Bilder einer Zivilgesellschaft, die in größter Not zusammen­gehalten hat und füreinander da gewesen ist, selbstlos geholfen hat, und zwar egal welcher Religion, Nationalität oder Herkunft. Das ist das Österreich, das ich kenne und liebe. (Beifall bei der SPÖ sowie der Abgeordneten Bürstmayr und Prammer.)

Das ist das Österreich, das auch mir, die ich als kleines Kind von meinen Eltern aus der Türkei nach Österreich gebracht wurde, die Chance gegeben hat, meinen Weg zu gehen. Dafür danke ich vielen Wegbegleiterinnen und Wegbegleitern, die mich darin unter­stützt und bestärkt haben.

Es ist, wie Sie oft gesagt haben, nicht die Zeit von Schuldzuweisungen. Umso mehr aber überrascht mich, dass es trotz aller salbungsvollen Worte meiner VorrednerInnen, speziell aus den Reihen der ÖVP, ein Hickhack gibt, dass es doch Schuldzuweisungen gibt, dass immer offensichtlicher wird, dass knapp einen Tag nach diesem schrecklichen Abend in Wien Schuldzuweisungen passieren, wer welche Arbeiten zu wenig gut voran­getrieben hat. Die Justizministerin war mehr oder weniger gefordert, und es war wirklich ein trauriges Schauspiel, zu sehen, wie der Innenminister dann Schritt für Schritt zurück­rudern musste. Mir kam es vor, als ob das eine Abrechnung der Zeit der Koalition zwischen ÖVP und FPÖ, der letzten eineinhalb, zwei Jahre war.

Was wir jetzt aber brauchen, sind keine Schuldzuweisungen. Wir brauchen volle Aufklä­rung, eine Fehleranalyse und dann entschlossenes Handeln, damit so etwas nicht wieder passiert und die Bevölkerung bestmöglich geschützt ist. Wie konnte es passieren, dass ein vorbestrafter Täter in die Slowakei reist, dort Munition kaufen will, von den dortigen Behörden daran gehindert wird, aber bei uns im Innenministerium offenbar nicht alle Alarmglocken schrillen? Wie kann es sein, dass dieser Terrorist betreut wurde und dennoch niemand die bevorstehende Tat geahnt hat? Wie sieht es mit den Ressourcen aus? Welche Netzwerke hat der IS in Österreich und wie können wir diese zerschlagen? Wie können wir die Radikalisierung verhindern? All diese Fragen müssen wir klären und daraus die richtigen Schlüsse ziehen.

Ich finde es nicht richtig, dass wir in dieser Trauerphase nach noch schärferen Gesetzen rufen, nach noch mehr Maßnahmen; statten wir doch die bereits gut funktionierenden Verwaltungsapparate und Ministerien mit ausreichend Ressourcen aus, damit Gesetze, die wir von einem aufs andere verschärfen, überhaupt vollzogen werden, damit sie überhaupt Leben entfalten können. Schreien wir doch nicht gleich nach noch mehr Verschärfungen. Wir wissen aus vielen, vielen Expertisen, dass noch härtere Strafen es leider nicht verhindern, dass solche schrecklichen Taten passieren. Und ganz wichtig: Es darf keinen Millimeter Toleranz für jene geben, die unsere Demokratie, unsere Gesellschaft und damit uns alle angreifen. Dagegen ist mit allen Mitteln, die unser Rechtsstaat hergibt, vorzugehen.

Lassen wir uns von Terroristen unsere Gesellschaft nicht spalten, lassen wir nicht zu, dass dieser feige Anschlag, dieser Angriff auf unsere liberale Demokratie, dieser Angriff auf unsere freie Gesellschaft, dieser Angriff auf unsere Werte unser Zusammenleben negativ beeinflusst, zeigen wir, dass wir Menschen sind! Wien hält zusammen, Österreich hält zusammen: Gemeinsam sind wir stärker als blinder Hass und irre Gewalt! (Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten der Grünen.)

12.39

Präsidentin Doris Bures: Herr Abgeordneter Reinhard Eugen Bösch ist der nächste Redner. – Bitte.