14.54

Abgeordnete Gabriele Heinisch-Hosek (SPÖ): Frau Präsidentin! Herr Bundeskanzler! Mitglieder der Bundesregierung! Ich glaube, menschlich notwendig wäre, dass wir über die betroffenen Menschen reden. Das ist mir heute ein bisschen unpersönlich rübergekommen, Herr Bundeskanzler. Ihr allererster Gedanke galt der Wirtschaft. Ihr zweiter Gedanke galt den anderen Ländern, die vielleicht Fehler gemacht oder Dinge anders gemacht haben als wir.

Sie haben heute nicht gesagt, dass wir in zehn Monaten den dritten ganz schwierigen und harten Lockdown vor uns haben. Sie haben nicht erklärt, wie es in der Überschrift steht, wie die Coronamaßnahmen zu handhaben sind. Ich erinnere mich, dass von Regierungsseite ein 50-Euro-Bonus für Menschen vorgeschlagen wurde, die sich freitesten lassen. Das hat man in sämtlichen Zeitungen gelesen. Da man ja weiß, dass Sie die Zeitungen eher informieren als uns, habe ich das für einigermaßen nachvoll­ziehbar gehalten. Jetzt ist daraus geworden: Wenn du dich nicht freitestest, musst du eine Woche länger daheimbleiben.

Das ist hart. Es ist längst an der Zeit, dass wir über Betroffene sprechen, über Kinder, über Frauen, über arbeitslose Männer und Frauen, über kranke Menschen in diesem Land, die jetzt nicht wissen, wie sie damit umgehen sollen. Sie haben gesagt: Lesen Sie die Verordnungen!

Ja, es kommt ein harter Lockdown, ja, es ist aus einer Sicht, die Sie hier darstellen, einfach eine verklärte Sache der Bürgerlichkeit, des Biedermeiers. Sie sagen aus diesem Elfenbeinturm heraus einfach, dass die Menschen sich zusammenreißen sollen, dass in den Familien ohnehin alles geklärt wäre. In vielen Familien ist keineswegs alles geklärt. In vielen Familien ist es gerade jetzt vor Weihnachten eng, explosiv und psychisch belastend geworden. Sie haben kein Wort über die konkrete Lebenssituation verloren. (Beifall bei der SPÖ.)

Jetzt sind Sie wieder am Handy, Herr Bundeskanzler. Schenken Sie mir vielleicht ein paar Minuten Aufmerksamkeit, ich rede nämlich für die Leute, die sich nicht selber helfen können, ich rede für die vielen und nicht für die wenigen, Herr Bundeskanzler, für die Sie immer Politik machen – für die Wirtschaft! Wen meinen Sie damit, Herr Bundes­kanzler? – Sie meinen die Bosse, deren Freund Sie sind. Sie machen Schwarz-Weiß-Politik, Sie taumeln quasi von einer Covid-Verordnung in die nächste. Exekutieren muss es der Herr Gesundheitsminister. Das Vertrauen der Bevölkerung, dass Sie sich so gut auskennen, ist mittlerweile erschüttert.

Herr Bundeskanzler, ich habe vorhin über die Kinder gesprochen. Im Regierungspro­gramm steht drei Mal, dass wir nicht nur für die Kinder hier in Österreich – das steht viel öfter drinnen – sorgen sollen, sondern geleitet vom Außenamt auch humanitäre Hilfe für Kinder in den restlichen Teilen Europas und der Welt leisten müssen. Da muss man unbedingt auch dazusagen, dass hier in Österreich Kinder armutsgefährdet sind, dass Kinder Bildungsnachteile, die sie erfahren, ein Leben lang nicht mehr aufholen können, dass wir uns aber auch nicht davor verschließen können, wie es den Kindern in einem Flüchtlingslager geht, Herr Bundeskanzler! Kinder sind Kinder sind Kinder! (Beifall bei der SPÖ.)

Ich sage Ihnen, dieser humanitären Katastrophe mit einem Tagesbetreuungsangebot begegnen zu wollen, wobei man die Zelte dafür nicht einmal noch aus Athen hat dorthin schaffen können, ist zynisch. Herr Bundeskanzler, ich fordere Sie auf, sich zur Situation der Kinder, der Frauen und der Familien in diesen Flüchtlingslagern, etwa Kara Tepe auf Lesbos, zu artikulieren. Bitte sagen Sie, dass Sie diesen Menschen humanitäre Hilfe zukommen lassen wollen. Bürgermeisterinnen und Bürgermeister wären nämlich groß­teils wirklich bereit, einige Familien aufzunehmen. Es sind auch viele Trägerorga­nisa­tionen bereit, die Betreuung zu übernehmen. Diese Kinder dürfen dort nicht im Schlamm versinken, im Wasser stecken, sie dürfen auch nicht von Ratten angeknabbert werden, und blutende Kinder, die sexuell missbraucht wurden, dürfen dort nicht an der Tages­ordnung sein. (Beifall bei der SPÖ.)

Ich bringe daher folgenden Entschließungsantrag ein, und Sie alle können heute Ihr Ge­wissen dazu befragen, dass wir nicht nur im Inland humanitär sein müssen, sondern auch Kindern in Flüchtlingslagern und deren Familien helfen müssen:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Gabriele Heinisch-Hosek, Kolleginnen und Kollegen betreffend „huma­nitärer Katastrophe mitten in Europa – Kindern aus Moria endlich Schutz und Hoffnung geben“

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung wird ersucht, gemeinsam mit Griechenland und den anderen Mitgliedstaaten der EU die erforderlichen Schritte zu setzen, die eine menschenwürdige Unterbringung der AsylwerberInnen aus Moria und rasche humanitäre Hilfe sicher­stellen.

Die Bundesregierung wird aufgefordert, die Aufnahme von Kindern und unbegleiteten Minderjährigen aus den griechischen Flüchtlingslagern Moria bzw. Kara Tepe als humanitäre Notmaßnahme endlich zu ermöglichen.

Die Bundesregierung kann sich dabei auf die Aufnahmebereitschaft und Initiativen zahlreicher Bundesländer, Gemeinden und der Zivilgesellschaft stützen.“

*****

Wir müssen die Kinder dort rausholen und deren Familien helfen, damit sie ein men­schenwürdiges Dasein haben, Herr Bundeskanzler!

Eines kann ich Ihnen versichern: Die Frauen in diesem Land – denn Frauen sind mein Thema – werden sich à la longue diese Behandlung der Regierung nicht gefallen lassen. Sie haben kein einziges Wort zur Situation der Frauen in diesem Land gesagt – wie sie alles unter einen Hut bringen, den Haushalt, die Kinderbetreuung, das Distancelearning, das Homeoffice und vieles mehr. Die Frauen sind am Ende, nicht alle – in Ihrem Wol­kenkuckucksheim gibt es wahrscheinlich einige, denen es nicht schlecht geht –, aber die meisten Frauen packen das nicht mehr, Herr Bundeskanzler, und ich sage Ihnen: Die Wut und der Zorn dieser Frauen wird Sie auch noch erreichen. (Beifall bei der SPÖ sowie des Abg. Scherak.)

15.01

Der Antrag hat folgenden Gesamtwortlaut:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Gabriele Heinisch-Hosek, Katharina Kucharowits,

Genossinnen und Genossen

betreffend humanitärer Katastrophe mitten in Europa – Kindern aus Moria endlich Schutz und Hoffnung geben

eingebracht im Zuge der Debatte in der 75. Sitzung des Nationalrats zu TOP 1 Erklärun­gen des Bundeskanzlers und des Vizekanzlers zu den aktuellen Corona-Maßnahmen

Die Bundesregierung gibt heute in der Sitzung des Nationalrates eine Erklärung zu den aktuellen Corona Maßnahmen ab. Kinder und Jugendliche gehören zu jener Bevölke­rungs­gruppe, die am meisten unter der Corona Pandemie leiden.

Kinder und Jugendliche sind es auch, die derzeit auf Lesbos, mitten in Europa in dem Flüchtlingslager Kara Tepe besonders unter den menschenunwürdigen Bedingungen leiden.

In der Nacht zum 09.09.2020 brach an mehreren Stellen im Flüchtlingscamp von Moria auf Lesbos ein Feuer aus. Das Lager musste evakuiert werden. Von den 12.600 Men­schen, die in Moria lebten, sind nun fast 8.000 Menschen in dem neu errichteten Lager Kara Tepe untergebracht, das ebenfalls als Zelt-Lager konstruiert ist. Dieses Lager kann aber weder den eiskalten Temperaturen im Winter noch dem Dauerregen standhalten. Die Zelte, die einzige Behausung der geflüchteten Menschen, versinken im Wasser, ihr letztes Hab und Gut – aber auch die Menschen selbst – im Schlamm. Berichten zu Folge erleiden Kinder Rattenbisse, ein Mädchen wurde sexuell missbraucht, Kinder haben Suizid-Gedanken, Krankheiten können sich unter diesen Umständen schnell ausbreiten – dabei ist von erforderlichen Corona-Maßnahmen keine Rede mehr, zumal diese kaum noch so in dieser Form eingehalten werden können. Ebenso gibt es keinen Strom, keine Heizung, kein Licht, kein Warmwasser, keine Sanitäranlagen. Organisationen wie Ärzte ohne Grenzen, Reporter ohne Grenzen oder UNHCR meldete sich zu Wort und übten harsche Kritik an den Zuständen in diesem Lager. Kritisiert wurde auch die explizite Anweisung der griechischen Behörden an JournalistInnen, nicht mehr darüber zu berichten.

Bereits im März haben sich in Österreich etliche BürgermeisterInnen, Gemeinden und Städte bereit erklärt, Kinder aus dem Camp in Moria und von der griechischen Insel Lesbos aufzunehmen. Mittlerweile haben sich auch einige Initiativen und Kampagnen gegründet, wie „Courage 144“, „Uns reicht‘s“, „Wir haben Platz“ oder „Sicherer Hafen“, die ebenfalls fordern aktiv helfen zu dürfen. Österreich hat sich aufgrund der Genfer Flüchtlingskonvention, sowie aufgrund des Bekenntnis zu den Menschenrechten ver­pflichtet, zu helfen und Österreich will auch helfen. Die Bundesregierung soll das breite Angebot der Hilfe und Rettung endlich zulassen.

Vor diesem Hintergrund stellen die unterzeichneten Abgeordneten nachfolgenden

Entschließungsantrag

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung wird ersucht, gemeinsam mit Griechenland und den anderen Mitgliedstaaten der EU die erforderlichen Schritte zu setzen, die eine menschenwürdige Unterbringung der AsylwerberInnen aus Moria und rasche humanitäre Hilfe sicher­stel­len.

Die Bundesregierung wird aufgefordert, die Aufnahme von Kindern und unbegleiteten Minderjährigen aus den griechischen Flüchtlingslagern Moria bzw. Kara Tepe als huma­nitäre Notmaßnahme endlich zu ermöglichen.

Die Bundesregierung kann sich dabei auf die Aufnahmebereitschaft und Initiativen zahlreicher Bundesländer, Gemeinden und der Zivilgesellschaft stützen.“

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Präsidentin Doris Bures: Der Entschließungsantrag ist ordnungsgemäß eingebracht und steht daher auch mit in Verhandlung.

Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Ralph Schallmeiner. – Bitte.