10.32

Abgeordneter Mag. Thomas Drozda (SPÖ): Herr Präsident! Werte Mitstreiterinnen und Mitstreiter, zu denen ich explizit auch die Frau Staatssekretärin zählen möchte! Ges­chätzte Antagonistinnen und Antagonisten! Liebe Freundinnen und liebe Freunde! Es ist Zeit für mich – Zeit, die politische Bühne zu verlassen. Ich habe lang nachgedacht: Was kann ich Ihnen, was kann ich euch, was darf ich euch in meiner letzten Rede zumuten?

Abschiedsreden werden ja gerne für eine Aufzählung der eigenen Erfolge genützt. Das wird dann relativ rasch zu einer selbst gestrickten Laudatio. Ich möchte versuchen, das relativ kurz zu halten. Ganz komme ich aber nicht aus. Ich möchte kurz über meine Arbeit als Minister berichten: von der Erhöhung der Budgets für die freie Szene und die Kunst­stipendien, von der Stärkung der zeitgenössischen Kunst, von gelungenen Personalent­scheidungen – Martin Kušej im Burgtheater, Bogdan Roščić in der Staatsoper, Stella Rollig im Belvedere. Kommissärin Thun-Hohenstein hat es zum ersten Mal geschafft, eine einzelne weibliche Kunstposition bei der Biennale in Venedig zu zeigen.

Von meiner Tätigkeit als Abgeordneter zu erzählen heißt letztlich, über viele Anfragen zu berichten, über viele Anträge zu Museen, zu Medien und Machenschaften. Natürlich muss man auch von den Niederlagen erzählen, und auch die waren zahlreich. Ich muss dann wohl oder übel vom Scheitern beim Informationsfreiheitsgesetz berichten und auch darüber, dass ich keine moderne Medienförderung zustande gebracht habe.

Natürlich ist so eine Abschiedsrede auch immer eine Gelegenheit, die große Perspektive aufzumachen, das Weltganze zu betrachten: Soll man über den Klimawandel reden, den Zustand der Demokratie in Zeiten der Pandemie, große Themen wie die Pressefreiheit ansprechen und dies mit aktuellen Vorgängen wie dem derzeit stattfindenden Meucheln der „Wiener Zeitung“ in den Hinterzimmern verbinden? Oder soll man den Verfall des politischen Handwerks beklagen, die Dominanz der PR-Shows, die Dominanz von Ab­lenkungen anprangern, die wie die sprichwörtliche Sau durchs mediale Dorf getrieben werden, das Erstarken des Rechtspopulismus und Rechtsextremismus geißeln oder am Schluss – was zugegebenermaßen auch immer Freude macht – noch einmal austeilen und den politischen Gegnerinnen und Gegnern, den Mitbewerberinnen und Mitbewer­bern, wie sie euphemistisch genannt werden, noch verbal eines drüberziehen?

Nein, ich mache nichts von all dem. Ich glaube fest an den Sinn guter Debatten und guter Gesprächskultur. Der Widerspruch schärft die eigenen Argumente. Die liberale Demo­kratie braucht den respektvollen Meinungsstreit statt der moralisierenden Dauergereizt­heit. Ich will mich selbst danach richten, und ich beginne an dieser Stelle mit einer Ent­schuldigung bei den politischen Kontrahentinnen und Kontrahenten, bei Journalistinnen und Journalisten, bei Weggefährtinnen und Weggefährten, die ich vielleicht im Eifer des – insbesondere Social-Media- – Gefechts beleidigt habe. Das passiert leider, das ist nicht in Ordnung.

Dies gesagt habend geht es aus meiner Sicht eigentlich nur mehr um zwei Dinge, die ich hier sagen möchte: erstens Danke – es ist für mich Pflicht und Kür, Danke zu sagen. Es war für mich ein Privileg, für Franz Vranitzky zu arbeiten. Es war ein Privileg, als Minister und Abgeordneter zu dienen. Ich bedanke mich bei meiner Frau Isabella, die mich in diesen fünf Jahren ertragen hat, bei meinen engen persönlichen Freundinnen und Freunden. Ich danke den parlamentarischen Mitarbeitern und den Mitarbeiterinnen in der SPÖ, der Presse. Ich bedanke mich bei den Mitstreitern im Kabinett, und ich be­danke mich vor allem bei der Sozialdemokratie, die mir einen nicht selbstverständlichen Weg ermöglicht hat. Ich danke darüber hinaus den Beamtinnen und Beamten des Bun­deskanzleramts, insbesondere des Verfassungsdiensts und der Kunstsektion, mit der ich sehr intensiv zusammengearbeitet habe.

Apropos Kunst: Ich habe mich immer als Fürsprecher der Kunst verstanden und komme damit zu meinem Herzensthema. Bitte schauen Sie wirklich auf die Künstlerinnen und Künstler in unserem Land! Sie vollbringen Großartiges und durchleben gerade schwere Zeiten. Kultur ist nicht bloß ein Lippenbekenntnis oder eine Touristenattraktion. Kultur ist, um mit Antonio Gramsci zu sprechen – ich zitiere –, Besitzergreifen von „der eigenen Persönlichkeit“. Sie dient dem – Zitat – „Gewinn eines höheren Bewusstseins, durch das man den eigenen historischen Wert, die eigene Funktion im Leben, die eigenen Rechte und Pflichten zu begreifen vermag“.

Ohne Künstlerinnen und Künstler leben wir in einer Welt, die uns stumm, äußerlich und fremd begegnet. Kunst und Kultur sind mächtige Resonanzachsen. Viele von euch ken­nen mein Lieblingszitat, ich kann es euch auch heute nicht ersparen. Es ist vom So­ziologen und Philosophen Hartmut Rosa. Er hat ein Buch zu Resonanzen geschrieben, und er definiert die Resonanz als die Sehnsucht „nach einer Welt, die einem antwortet“. Diese Resonanz ist ein Begriff, der natürlich viel mit der Kunst und mit der Musik zu tun hat, und insofern ist ein Leben ohne Literatur, Theater, Musik – kurzum ohne Kunst – Barbarei.

Ich erinnere Sie daran, Kolleginnen und Kollegen Abgeordnete: Die Kinos sind dunkel. In den Theatern proben einsame Schauspielerinnen und Schauspieler, auf den Tanzflä­chen liegt der Staub. Bitte denken wir, denken Sie noch einmal darüber nach, ob jene, die als Erste zusperren mussten, auch diejenigen sein müssen, die als Letzte wieder aufsperren! Ich will nicht die Bereiche gegeneinander aufrechnen, aber was man den Gläubigen in den Kirchen und den Konsumentinnen und Konsumenten im Handel er­laubt, sollte man auch den Menschen, die den Tanz, das Theater, die Musik, die Konzer­te lieben, zubilligen. (Beifall bei SPÖ und NEOS, bei Abgeordneten von FPÖ und Grünen sowie der Abgeordneten Engelberg und Niss.)

Auch als Politiker wollte ich – was die Kunst will – die Bühne nicht verlassen, ohne dem Stück zumindest eine kleine Wendung zum Besseren zu geben: wenn schon nicht den epochalen Wurf, so doch einen guten Dreh, einen brauchbaren, gelungenen Beitrag.

Meine politische Arbeit hat nichts Revolutionäres: abwägen, Interessen ausgleichen, Kompromisse finden – all das im Bewusstsein, dass man sich im Leben immer zweimal begegnet; all das im Bewusstsein des Wertes der liberalen Demokratie; all das mit einer Ungerührtheit in Bezug auf Lebensstilfragen, die gerade anhand meiner Person so inten­siv und leidenschaftlich diskutiert wurden; all das immer im Lichte der Verantwortung für unser Land, genau so, wie ich es damals als 27-Jähriger von Franz Vranitzky gelernt habe; all das im Geiste der sozialdemokratischen Werte Freiheit, Gleichheit, Gerechtig­keit und Solidarität.

An eine Revolution allerdings glaube ich, und das ist die Revolution nach Joseph Beuys – derzeit gibt es im Übrigen eine sehr sehenswerte Ausstellung im Belvedere. Ich zitiere: „Die einzig revolutionäre Kraft ist die menschliche Kreativität. Die einzig revolu­tionäre Kraft ist die Kunst.“

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freundinnen und Freunde, alles Gute für eure, für Ihre politische Arbeit! Danke für die Zusammenarbeit, für den Streit, für die Höhen und die Tiefen. Ich erlaube mir, mit einer Wiederholung als Fürsprecher für die Kunst zu enden: Bitte passen Sie gut auf die Künstlerinnen und Künstler auf! (Allgemeiner Beifall sowie lang anhaltender, stehend dargebrachter Beifall bei der SPÖ sowie des Abg. Engelberg.)

10.41

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Sehr geehrter Abgeordneter Drozda! Wir haben Ihren Einsatz sowohl als Minister als auch als Abgeordneter für die Kunst und die Kultur nicht nur respektiert, sondern auch sehr geschätzt. Wir wissen, dass Sie auch in der Folge Ihrer weiteren beruflichen Situation natürlich die Positionen, wie Ihnen das Gesam­te ein Anliegen ist, nicht aus dem Auge verlieren werden.

Wir wünschen Ihnen auf Ihrem weiteren beruflichen Weg alles erdenklich Gute, dass Sie mit dieser Streitkultur, mit der positiven Streitkultur, auch auf Ihrem weiteren beruflichen Weg viele Erfolge erzielen mögen. – Alles Gute! (Allgemeiner Beifall.)

Zu Wort gemeldet ist Frau Abgeordnete Blimlinger. – Ich darf Sie bitten.