17.58

Abgeordnete Mag. Faika El-Nagashi (Grüne): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich versuche, die Zwischentöne der vorangegangenen Rede auszublenden und mich auf das Positive zu konzentrieren, das schon angesprochen worden ist.

Mein aufrichtiger Dank geht an alle Fraktionen, nämlich dafür, dass wir hier in der Sache zusammengekommen sind, dass wir es geschafft haben, uns wirklich sachlich zu fokus­sieren, inhaltlich zu fokussieren, hier an die Betroffenen zu denken und uns auf einen gemeinsamen Antrag zu einigen. Ich sage das in Anerkennung des bestehenden En­gagements über Parteigrenzen hinweg und in Anerkennung der bestehenden Expertise, egal auf welcher Ebene, ob sie bei der Stadt Wien liegt, ob sie bei Männern liegt, ob sie bei Multiplikatoren und Multiplikatorinnen aus Communitys liegt – und das finde ich sehr wertvoll an diesem Zugang, den wir hier an den Tag gelegt haben. (Beifall bei Grünen und ÖVP sowie bei Abgeordneten von SPÖ und NEOS.)

Die große ägyptische Schriftstellerin, Feministin, Kämpferin für Menschenrechte Nawal El Saadawi, die vor einigen Tagen verstorben ist, hat gegen FGM geschrieben, gegen FGM gekämpft, weil sie selbst davon betroffen war und weil so viele Mädchen und Frau­en davon betroffen sind. Sie hat den Grund für diese Praxis benannt: Patriarchy, it’s „the essence of patriarchy“, die Lust, die sexuelle Lust von Frauen zu kontrollieren, die se­xuellen Rechte von Frauen einzuschränken, die sexuelle Selbstbestimmung von Frauen zu reglementieren.

Sie hat auch eine Antwort darauf gehabt, wie wir diese Welt verändern, eine Welt, die patriarchal ist – aber nicht nur – und die gewaltvoll ist. Ihre Antwort darauf war: Organize them! „Organize and [...] re-educate people“, „unteach people“, sodass alle wissen – alle wissen! –, dass sie Rechte haben, dass ihnen Rechte zustehen. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

Das hat sie creativity genannt, „dissident creativity“. Das ist etwas, das Frauen, das Aktivistinnen über die letzten Jahre und Jahrzehnte gemacht haben, um Frauenrechte zu sichern und abzusichern. Das ist das, was Aktivistinnen gemacht haben, und jetzt, da die Sitzung der Commission on the Status of Women gerade in ganz vielen Debatten präsent ist, möchte ich mich auf die UN-Ebene und auf die UN-Prozesse beziehen. (Prä­sident Hofer übernimmt den Vorsitz.)

Es ist die Arbeit von Feministinnen in all den Weltfrauenkonferenzen, die in den letzten Jahrzehnten bis hin zur Weltfrauenkonferenz in Peking, der letzten Weltfrauenkonferenz im Jahr 1995, stattgefunden haben. Jetzt läuft eine Diskussion dazu, in der Aktivistinnen aus NGOs, die damals vor über 25 Jahren dort dabei waren, reflektieren, wie es ihnen damals gelungen ist, to put sexuality on the agenda: „Put sexuality on the agenda“ in Peking. Das war etwas!

Wir haben uns heute in der Früh am Anfang des Plenartages mit Kollegin Bayr über diese Ära der UN-Weltfrauenkonferenzen unterhalten und darüber, warum sie nicht mehr stattfinden. Wir waren gleichermaßen betroffen davon, es auszusprechen, dass die Angst vor einem antifeministischen Backlash so groß ist, dass es zu diesen Veranstal­tungen gar nicht mehr kommt. Dass aber diese Gefahr, diese Bedrohung eine reale ist, sehen wir. Das sehen wir darin, wie hier, innerhalb der EU, und außerhalb der EU, in­nerhalb Europas und außerhalb Europas, Länder vorpreschen und Frauenrechte, die schon verankert waren, wieder gefährden und in Abrede stellen. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

Nichts Geringeres passiert mit dem Austritt der Türkei aus der Istanbulkonvention. Das ist eine reale Gefahr und eine Bedrohung, und ich bedanke mich bei allen, die in den letzten Tagen klare Worte dazu gefunden haben und in einer Allianz gemeinsam dage­genstehen. Ich bedanke mich ganz besonders bei Kollegin Bayr und der SPÖ dafür, dass sie diesen Antrag eingebracht haben. Du hast es schon gesagt: Wir werden diesem Antrag nicht zustimmen können, weil es uns nicht gelungen ist, mit der ÖVP in der Zeit, die wir hatten, eine Vereinbarung zu finden, um zustimmen zu können, aber was wir geschafft haben und machen werden, ist, dazu einen eigenen Antrag einzubringen, der in dieselbe Richtung geht. Ich freue mich darüber, dass wir hier so viele Gemeinsam­keiten haben.

Ich bringe folgenden Antrag zu TOP 27 ein:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Dipl.-Kffr. (FH) Elisabeth Pfurtscheller, Mag. Meri Disoski, Kollegin­nen und Kollegen betreffend „Austritt der Türkei aus der Istanbul Konvention“

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung, insbesondere die Bundesministerin für EU und Verfassung, so­wie die Bundesministerin für Frauen, Familie, Jugend und Integration und der Bundesmi­nister für europäische und internationale Angelegenheiten, werden ersucht, im Verbund mit gleichgesinnten Partnern auf eine Rücknahme der Entscheidung der türkischen Re­gierung über den Austritt aus Istanbul Konvention einzuwirken.

Weiters werden die betreffenden Bundesministerinnen und der Bundesminister ersucht, gemeinsam mit Partnern die Wichtigkeit der Istanbul-Konvention für den effektiven Schutz vor geschlechterspezifischer und häuslicher Gewalt auf bi- und multilateraler Ebene, u.a. innerhalb der Europäischen Union, zu unterstreichen, um weitere Austritte zu verhindern, weitere Ratifizierungen der Konvention sowie deren Umsetzung aktiv vo­ranzutreiben und Angriffen auf die Istanbul-Konvention konsequent entgegenzuwirken sowie im Rahmen der regelmäßigen Analysen der Menschenrechtslage in der Türkei prioritär die in der Istanbul-Konvention enthaltenen Themen zu prüfen.“

*****

Danke schön. (Beifall bei Grünen und ÖVP.)

18.04

Der Antrag hat folgenden Gesamtwortlaut:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Elisabeth Pfurtscheller, Meri Disoski

Kolleginnen und Kollegen

betreffend: Austritt der Türkei aus der Istanbul Konvention

eingebracht im Zuge der Debatte zu TOP 27: Bericht des Ausschusses für Menschen­rechte über den Antrag 1260/A(E) der Abgeordneten Mag. Faika El-Nagashi, Dr. Gudrun Kugler, Petra Bayr, MA MLS, Dr. Susanne Fürst, Henrike Brandstötter, Kolleginnen und Kollegen betreffend weibliche Genital-verstümmelung – Stärkung von Frauengesundheit und Frauenrechten (694 d.B.)

Per Dekret teilte der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan in der Nacht vom 20.3.2021 auf 21.3.2021 mit, dass die Türkei aus der Istanbul-Konvention austritt.

Auf europäischer Ebene ist das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Be­kämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt („Istanbul Konvention“) das erste rechtlich verbindliche Instrument zum Schutz von Frauen und Mädchen gegen jede Form der Gewalt. Die Istanbul-Konvention präzisiert das Menschenrecht auf ein gewalt­freies Leben, u.a. über die Verpflichtungen des Staates, geschlechterspezifische und häusliche Gewalt wirksam zu verhüten und zu bekämpfen sowie den Opfern adäquaten Schutz und Unterstützung zu bieten. Strukturelle Gewalt wird als Hauptursache von gen­derspezifischen Gewalt anerkannt.

Österreich gehörte zu den Erstunterzeichnern und ratifizierte die Konvention am 14. No­vember 2013. Das rasche Inkrafttreten der Istanbul-Konvention war eine der Prioritäten des österreichischen Vorsitzes im Europarat (November 2013 – Mai 2014) – die Konven­tion trat daraufhin am 1. August 2014 in Kraft. Österreich wurde – gemeinsam mit Mo­naco – als erstes Land einer sogenannten Basisevaluierung unterzogen. Diese erste Staatenprüfung erstreckte sich von März 2016 bis Jänner 2018 und endete mit Emp­fehlungen des Vertragsstaatenkomitees an Österreich, aber auch mit großem Lob für die bisherige Umsetzung.

Auf internationaler Ebene hat aus österreichischer Sicht die Ratifizierung durch eine möglichst große Anzahl von Staaten bzw. durch die EU selbst Priorität. Österreich steht dazu in regelmäßigem Austausch mit Mitgliedsstaaten, die die Konvention noch nicht ratifiziert haben oder drohen, wieder auszutreten. Dieses Anliegen wird in sämtlichen internationalen Foren wie dem Europarat, der EU, den Vereinten Nationen und der OSZE sowie in bilateralen Gesprächen regemäßig thematisiert.

Auch hat sich Österreich im Rahmen seines EU-Ratsvorsitzes im 2. Halbjahr 2018 in­tensiv für eine EU-Ratifizierung der Istanbul-Konvention eingesetzt und alle technischen Dokumente ausverhandelt – die Ratifizierung scheiterte bisher jedoch am politischen Widerstand einiger weniger Mitgliedsstaaten. Am 11.März 2021 hat ein Gutachten des EuGH Generalanwaltes Hogan ergeben, dass der EU-Ratifizierung nichts mehr im Weg steht. Auch wenn die Konvention nicht in allen EU-Mitgliedsstaaten ratifiziert wurde, sei ein nicht einstimmig beschlossener Beitritt der EU rechtlich möglich.

Die Türkei unterzeichnete als erstes Land 2011 diese Konvention und 2012 wurde be­reits der Vertrag im Parlament ratifiziert. Mit dem Austritt, der ohne Teilhabe des türki­schen Parlaments erfolgte, wird Millionen von Frauen und Mädchen das Grundrecht auf Sicherheit, Gleichberechtigung und das Recht auf ein gewaltfreies Leben entzogen. Auch kommt der effektiven Bekämpfung von häuslicher Gewalt gerade in Zeiten einer globalen Pandemie eine besondere Wichtigkeit zu.

Von österreichischer Seite erfolgte sowohl von Seiten des Bundesministers für europäi­sche und internationale Angelegenheiten als auch von Seiten der Bundesministerin für Frauen, Familie, Jugend und Integration eine unmittelbare Reaktion, in denen klar die Besorgnis über diesen Schritt zum Ausdruck gebracht wird. Bundesminister Schallen­berg bezeichnete diesen weiter als „beschämend“ und „einen Schlag ins Gesicht aller Menschen, die sich für Frauenrechte einsetzen.“ Dies sei der Versuch, „die Uhren in die Vergangenheit, ins 19. Jahrhundert, zurückzudrehen.“ Die Bundesministerin für Frauen, Familie, Jugend und Integration war „zutiefst schockiert“ und bezeichnete die Entschei­dung der Türkei als „beispiellosen Angriff auf die Sicherheit aller Frauen in der Türkei“ und „Affront gegenüber allen Frauen“. Darüber hinaus hat die Bundesministerin für EU und Verfassung im Rat für Allgemeine Angelegenheiten am 23.3.21 gemeinsam mit 8 anderen EU Mitgliedstaaten (Frankreich, Zypern, Dänemark, Griechenland, Spanien, Luxemburg die Niederlande und Schweden) die Ankündigung der Türkei zum Austritt aus der Istanbul Konvention vehement verurteilt.

Die unterfertigenden Abgeordneten stellen folgenden

Entschließungsantrag

Der Nationalrat wolle beschließen:

Die Bundesregierung, insbesondere die Bundesministerin für EU und Verfassung, sowie die Bundesministerin für Frauen, Familie, Jugend und Integration und der Bundesminis­ter für europäische und internationale Angelegenheiten, werden ersucht, im Verbund mit gleichgesinnten Partnern auf eine Rücknahme der Entscheidung der türkischen Regie­rung über den Austritt aus Istanbul Konvention einzuwirken.

Weiters werden die betreffenden Bundesministerinnen und der Bundesminister ersucht, gemeinsam mit Partnern die Wichtigkeit der Istanbul-Konvention für den effektiven Schutz vor geschlechterspezifischer und häuslicher Gewalt auf bi- und multilateraler Ebene, u.a. innerhalb der Europäischen Union, zu unterstreichen, um weitere Austritte zu verhindern, weitere Ratifizierungen der Konvention sowie deren Umsetzung aktiv vo­ranzutreiben und Angriffen auf die Istanbul-Konvention konsequent entgegenzuwirken sowie im Rahmen der regelmäßigen Analysen der Menschenrechtslage in der Türkei prioritär die in der Istanbul-Konvention enthaltenen Themen zu prüfen.

*****

Präsident Ing. Norbert Hofer: Der Entschließungsantrag ist ausreichend unterstützt, er ist ordnungsgemäß eingebracht und steht somit auch in Verhandlung.

Zu Wort gelangt nun Henrike Brandstötter. – Bitte schön, Frau Abgeordnete.