Abgeordneter Dipl.-Ing. Georg Strasser (ÖVP): Herr Präsident! Geschätzter Herr Bun­desminister! Vergangene Woche haben Sie in Bezug auf den Westbalkan fest­ge­stellt: Es darf kein weiteres verlorenes Jahr sein.

Die Europäische Kommission und einige Länder haben sich da wirklich auf den Weg der Reformen begeben, es laufen Projekte, und es besteht aktuell schon der Eindruck, dass sich eine gewisse Frustration aufbaut und dass diese Frustration und dieser Reformstau dann letztendlich auch von Russland, China oder der Türkei in Form von Einflussnahme ausgenützt werden könnten.

Welche Maßnahmen empfehlen Sie diesbezüglich der EU, welche Maßnahmen können da gesetzt werden?

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Die schriftlich eingebrachte Anfrage, 55/M, hat folgenden Wortlaut:

„Wie können Österreich bzw. die EU verhindern, dass 2021 ein weiteres verlorenes Jahr für den Westbalkan wird?“

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Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Herr Minister, bitte.

Bundesminister für europäische und internationale Angelegenheiten Mag. Alexander Schallenberg, LL.M.: Vielen Dank für die Frage, denn der Westbalkan ist für uns eine ganz zentrale Region, mit der wir wirtschaftlich, politisch und menschlich engstens verbunden sind. Ja, ich war sehr enttäuscht, dass wir letztes Jahr die Eröffnung der Beitrittsverhandlungen mit Nordmazedonien und Albanien nicht erreicht haben. Wir müssen darauf schauen, dass 2021 nicht wieder ein verlorenes Jahr wird. Solange diese Region, die ja von EU-Mitgliedstaaten umringt und ganz klar europäisch ist, die Teil unserer Geschichte ist, nicht auch Mitglied in der Europäischen Union ist, bleibt Europa einfach Stückwerk.

Wir dürfen aber auch das, was wir gemacht haben, nicht kleinreden. Zum einen hat die Europäische Union schon letztes Jahr ein massives Hilfspaket von 3,3 Milliarden Euro im Zusammenhang mit der Pandemie zur Verfügung gestellt. Heuer hat die Kommission noch einmal 70 Millionen Euro für die Impfstoffbeschaffung draufgelegt. Ich werde selber gemeinsam mit den Partnern der Central Five, also unseren Nachbarstaaten, die Region bereisen, das wird ein sehr deutliches Signal sein, wenn vier bis fünf Minister gleichzeitig ankommen. Es ist unser Ansinnen, dass es auf der politischen Agenda bleibt.

Ich habe auch gemeinsam mit einer Reihe von anderen Staaten eine Initiative gestartet und bin sehr froh, dass wir im März eine strategische Debatte zum Westbalkan auf Außenministerebene haben werden, denn ich möchte nicht, dass wir den Westbalkan immer auf die Erweiterung reduzieren. Wir haben sehr viel mehr mit dieser Region gemeinsam, wir haben als Europa sehr viel mehr mit ihr zu tun, und es immer nur auf die Eröffnung oder Schließung von Kapiteln und Sonstiges zu reduzieren, wird weder unseren strategischen Interessen noch dieser Region gerecht.

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zusatzfrage, Herr Abgeordneter? – Bitte.

Abgeordneter Dipl.-Ing. Georg Strasser (ÖVP): Was konkret die Einflussnahme sei­tens Chinas, Russlands, der Türkei betrifft: Gibt es da Projekte, mit denen man politisch ansetzen kann?

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Herr Minister, bitte.

Bundesminister für europäische und internationale Angelegenheiten Mag. Alexander Schallenberg, LL.M.: Ja, es geht natürlich auch um das Narrativ, das sehen wir zum Beispiel auch bei den Covid-19-Impfungen. In der Politik gibt es kein Vakuum. Wenn also das Gefühl entsteht – da haben Sie ganz recht, dagegen müssen wir ankämpfen –, dass Europa sich da abwendet, mit anderem beschäftigt ist, sich in einer Nabelschau ergeht und den Westbalkan vergisst, dann werden natürlich andere Staaten – China, Russland, die Türkei – stärker auftreten.

Ich sage aber ganz offen: Wir müssen die Kirche auch im Dorf lassen. Was die Zahlen von Direktinvestitionen, die Handelszahlen und so weiter betrifft, liegen wir noch immer Lichtjahre vor diesen Staaten. Man darf das trotzdem nicht kleinreden, denn es gibt ja schon – ich habe das letzten März in Belgrad gesehen – Plakate auf den Straßen, auf denen steht: Unser bester Freund ist Xi Jinping – der chinesische Präsident –, weil er uns hilft.

Da muss Europa, glaube ich, sehr vorsichtig und wachsam sein, weil es eine euro­pä­ische Region ist und wir da immer am Steuer sitzen müssen.

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Die nächste Zusatzfrage stellt Herr Abgeordneter Brandstätter. – Bitte.

Abgeordneter Dr. Helmut Brandstätter (NEOS): Herr Bundesminister, was Xi Jinping betrifft, stimme ich voll mit Ihnen überein: Den Transport von Hilfsmitteln hat die Euro­päische Union bezahlt, und der serbische Präsident hat erzählt, die Chinesen würden helfen.

Meine Frage ist: Was tun wir, um in dieser Region, aber auch hier viel deutlicher zu machen, dass Europa dort ja schon viel tut? Das kommt überhaupt nicht an. Wie kann die Kommunikationspolitik der EU dahin gehend besser werden, dass die Leute dort auch verstehen, wie wichtig wir sind?

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Herr Bundesminister, bitte.

Bundesminister für europäische und internationale Angelegenheiten Mag. Alexander Schallenberg, LL.M.: Herr Abgeordneter, da rennen Sie bei mir sozusagen offene Scheunentore ein. Wir müssen bei der – um es so zu sagen – Selbstvermarktung viel besser werden. (Abg. Brandstätter: Genau! Genau!) Allein wenn ich an die Direkt­investitionen denke: 70 Prozent aller Direktinvestitionen kommen aus der Europäischen Union, von den Chinesen kommen 20 Prozent. Bei ihnen sind es oft Kredite, die die Staaten teilweise in eine massive Schuldenfalle tappen lassen, bei uns sind es Zu­schüsse.

Österreich ist da sicher vorbildlich, weil wir dort immer im EU-Verband auftreten und klar ist, dass wir immer den Link, die Verbindung zwischen Brüssel und den Partnern vor Ort machen. Andere, glaube ich, treten eher als Nationalstaaten auf, das ist vielleicht ein Grundproblem. Ich glaube, dass für uns die Zusammenarbeit vor Ort, zwischen den Botschaften und der EU-Delegation, wesentlich ist, auch dass man da immer wieder präsent ist.

Ein zweiter Punkt, bei dem ich stark ansetze, betrifft natürlich auch die Hauptstädte in den EU-Mitgliedstaaten. In Österreich muss man niemanden von der Bedeutung, der Wichtigkeit dieser Region überzeugen, aber in Paris, in Den Haag und anderswo haben wir noch Überzeugungsarbeit zu leisten. Das ist bei dem Thema Darstellung dessen, was die EU dort alles macht, sicher ein Bremsblock.

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Abgeordnete Voglauer stellt die nächste Zusatz­frage. – Bitte.

Abgeordnete Dipl.-Ing. Olga Voglauer (Grüne): Herr Minister, der Westbalkan ist auch dafür bekannt, dass es den Roma und Romnja dort nicht gut geht. Auch die Entwick­lun­gen in den letzten Jahren lassen zu wünschen übrig: Fördergelder kommen nicht an, die Struktur bleibt gleich, wir stagnieren also. Die Romastrategie hat nicht gegriffen.

Welche konkreten Maßnahmen setzt und betreibt Österreich am Westbalkan für Men­schenrechte, für die Rechtsstaatlichkeit gerade im Bereich des Antiziganismus?

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Herr Bundesminister, bitte.

Bundesminister für europäische und internationale Angelegenheiten Mag. Alexander Schallenberg, LL.M.: Ich würde da auf zwei Ebenen ansetzen. Zum einen drängen wir auch innerhalb der Europäischen Union darauf – das ist der wesentliche Hebel, der wesentliche Motivationsfaktor –, dass das immer zum Thema gemacht wird. Ich bin sehr glücklich, dass wir in der neuen Erweiterungsmethodik den Bereich Justiz und Grund­rechte zum wichtigsten Thema erhoben haben. Das sind auch so ein bisschen die Lessons learned aus den vergangenen Erweiterungen, dass wir jetzt gewusst haben: Mit dem Beitritt ist es nicht getan, sondern es ist ein jahrelanger Prozess. Jetzt ist es so, dass das Thema Justiz und Grundrechte am Beginn steht, den gesamten Verhandlungs­prozess begleitet und das letzte Kapitel wäre, das man erst am Schluss abschließt. Es gibt aber auch eine Reihe von wesentlichen Twinningprojekten, bei denen wir als Österreich gemeinsam mit Partnerorganisationen präsent sind.

Das Sichtbarste, würde ich sagen, ist mit Sicherheit das Vetting, also die Überprüfung der Richter in Albanien. Das war ein Prozess, der sehr viel debattiert wurde, zu dem wir natürlich auch unsere Erfahrungswerte erlangt haben. Das ist ein Projekt, das von Österreich betrieben wird. Unser Ansatz und unser Interesse als wesentlicher Wirt­schaftspartner ist natürlich auch – das sage ich ganz offen –, dass es vor Ort eine Struktur gibt, in der Rechtsstaatlichkeit, Unabhängigkeit der Justiz und Korruptions­frei­heit bestehen, denn das ist auch zum Schutz unserer Wirtschaftsinteressen in dieser Region wichtig. Letzten Endes wollen wir diese Staaten in der EU haben, und das ist der beste Weg dorthin.

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Die nächste Anfrage stellt Abgeordnete Bayr. – Bitte.