14.29

Abgeordnete Mag. Selma Yildirim (SPÖ): Herr Präsident! Hohes Haus! Werte Mit­glieder der Bundesregierung! Sehr geehrte Zuseherinnen und Zuseher! „Und täglich grüßt das Murmeltier“ – viele von uns kennen diesen Film: Wenn der Hauptdarsteller am Morgen erwacht, erlebt er immer wieder den gleichen Tag. Nun könnte man fast glauben, dieser Film ist in Österreich Wirklichkeit geworden.

Täglich müssen wir erleben, dass Corona uns weiterhin fest im Griff hält, dass uns von einem Licht am Ende des Tunnels erzählt wird, dass die Regierung ihre Leistungen lobt und immer die anderen schuld sind. Die Regierenden versuchen mit allen Mitteln und aller Macht, sich als die Retter in der Not darzustellen. Die Bewältigung der Coronakrise würde aber neben diesen Inszenierungen eigentlich vollsten Einsatz, transparentes Handeln und den Wettbewerb der besten Ideen erfordern. Parteipolitische, ideologische Zwänge und persönliche Interessen oder Verpflichtungen, zum Beispiel gegenüber unterwürfigen Unterstützern, dürfen dabei wirklich keine Rolle spielen. Es geht um nichts weniger als um Österreich. (Oh-Rufe bei der ÖVP.)

Wir erleben, dass täglich neue Details über die beinahe schon generalstabsmäßig geplante Machtübernahme in Österreich durch einige wenige ans Tageslicht kommen. Dabei wird um Spenden gekeilt, wird Druck auf die Justiz ausgeübt, ja sogar Druck auf die Kirche ausgeübt, dabei werden an allen möglichen Stellen Posten mit steuerbaren, man könnte auch sagen willfährigen Personen besetzt. Da wird ein dichtes Netz gewebt, das den eigenen Machterhalt sichert. All das ergibt sich mittlerweile sehr deutlich aus den bekannt gewordenen Chatprotokollen, deren Sprache, wenn es in der Angelegen­heit nicht so ernst wäre, ja praktisch eher pubertierenden Teenagern zugeschrieben wer­den würde als den höchsten Repräsentanten Österreichs.

Mitten in diesem Karussell, sehr geehrte Damen und Herren, gibt es die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft, die ihre Aufgabe ernst nimmt und bei Verdacht ohne Ansehen der Person und ohne sich einem politischen Druck zu beugen ermittelt. Wie reagiert die Regierung? Sie versucht mit aller Macht, ob jetzt durch öffentliche Auftritte, Einschüchterungsversuche in Pressekonferenzen oder versteckte Botschaften, der Wirt­schafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft die Erfüllung ihrer Aufgaben zu verunmög­lichen.

Wenn in Österreich den Ermittlern und Ermittlerinnen jedoch wie jüngst durch den Plan, Ermittlungsmöglichkeiten gesetzlich einzuschränken, bildlich gesprochen Hände und Füße zusammengebunden werden, können bestimmte Vorgehensweisen praktisch nicht mehr aufgedeckt werden. Das, sehr geehrte Damen und Herren, dürfen wir nicht zulas­sen. (Beifall bei der SPÖ.)

Ich bringe daher einen Entschließungsantrag ein:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Mag. Selma Yildirim, Kolleginnen und Kollegen betreffend „die Ab­lehnung des vom Innenministerium vorgeschlagenen neuen § 112a StPO und die Forderung nach Vorlage eines Antikorruptionspaketes“

Der Nationalrat wolle beschließen:

„1. Die Bundesregierung und insbesondere die Bundesministerin für Justiz werden ersucht, die vom Bundesministerium für Inneres geplante Neufassung des § 112a StPO ersatzlos zurückzuziehen und somit dieselbe nicht dem Nationalrat zur Beschluss­fas­sung vorzulegen.

2. Die Bundesministerin für Justiz wird ersucht, dem Nationalrat umgehend ein Antikor­ruptionspaket vorzulegen, dessen wesentliche Inhalte von ihr bereits im Mai 2020 vor­gestellt worden sind.“

*****

Ich bedanke mich in diesem Sinne und hoffe, dass die Vernunft in diesem Hohen Haus einkehrt. (Beifall bei der SPÖ.)

14.33

Der Antrag hat folgenden Gesamtwortlaut:

Entschließungsantrag

gemäß § 55 GOG-NR

der Abgeordneten Mag. Selma Yildirim,

Genossinnen und Genossen

betreffend die Ablehnung des vom Innenministerium vorgeschlagenen neuen § 112a StPO und die Forderung nach Vorlage eines Antikorruptionspaketes

eingebracht in der 95. Sitzung des Nationalrates (XXVII. GP) am 9.4.2021 im Zuge der Debatte zur Dringlichen Anfrage des Abgeordneten Hafenecker und weiterer Abgeord­neter betreffend Freunderlwirtschaft, Postenschacher und Korruption-Ein Leitfaden am Beispiel ÖBAG wie Sebastian Kurz die Republik zur Kurz AG umbaut

1.Vorgeschlagener neuer § 112a StPO: „Gezielter Kopfschuss gegen den Rechtsstaat“ (Copyright Heinz Mayer)

Das Innenministerium (!) schickte im Rahmen eines umfangreichen Gesetzespaketes -bewusst ein wenig versteckt (?) - eine kleine Novelle der Strafprozessordnung in die Begutachtung, welche sich als schweren Angriff gegen den Rechtsstaat entpuppt.

Der neue § 112a StPO  sieht im Wesentlichen vor, dass „die Sicherstellung von schrift­lichen Aufzeichnungen und Datenträgern in Behörden und öffentlichen Dienststellen des Bundes, der Länder und der Gemeinden sowie anderen durch das Gesetz eingerichteten Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts nur…zulässig ist, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass ein Ersuchen um Amtshilfe (§ 76 Abs. 1) im Einzelfall den Zweck der Ermittlungen gefährden würde, weil sich das Ermittlungs­ver­fahren gegen den zur Amtshilfe verpflichteten Organwalter richtet.“

Richtet sich das Ermittlungsverfahren hingegen gegen Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter der betreffenden Behörden, ist ein Ersuchen um Amtshilfe an den Behördenleiter zu stellen. Behördliche Sicherstellungen durch die Staatsanwaltschaft oder die Kriminal­polizei sind in diesen Fällen nicht mehr zulässig.

Die Staatsanwaltschaften hätten in diesen Fällen den Leiter der betreffenden Dienststelle-also z.B. den zuständigen Bundesminister- um Amtshilfe zu ersuchen.

Sollte dennoch eine Sicherstellung geplant sein, ist der Rechtsschutzbeauftragte (alter­nativ der Datenschutzbeauftragte) beizuziehen.

Der Entwurf verkennt völlig - ob absichtlich oder nicht - dass es soziale Beziehungen innerhalb der Behörden gibt.

Moritz Moser1 schreibt in seinem Blog dazu:

„Die Einschränkung, dass sich ein Ermittlungsverfahren unmittelbar gegen den Organ­walter richten muss, um eine Hausdurchsuchung zu rechtfertigen, erweist sich in diesem Zusammenhang als potenzieller Todesstoß für Ermittlungsverfahren, die sich gegen komplexe kriminelle Vorgänge innerhalb von Behörden richten. Organwalter und Rechts- und Datenschutzbeauftragte, die selbst keine Erfahrung mit Ermittlungen haben, kön­nen, auch wenn sie gutgläubig Amtshilfe leisten, Fehler begehen, die den Zweck des Ermittlungsverfahrens hintertreiben. Es wird außerdem schwer sein, die manchmal erforderliche Gleichzeitigkeit von Maßnahmen zu gewährleisten, wenn die StA zuerst einmal mit einem Amtshilfeersuchen vorstellig werden muss. Da läuft möglicherweise schon die Hausdurchsuchung im privaten Wohnbereich des Beschuldigten, während sein Vorgesetzter die Amtshilfe erst noch einen Tag lang von der Rechtsabteilung prüfen lässt.“

Heinz Mayer stellt in seinem Artikel in der Tageszeitung „Der Standard“ vom 2. April2 2021  ironisch aber treffend fest:

„Für den betreffenden Mitarbeiter tun sich ungeahnte Möglichkeiten auf: Wie wir wissen, kann man vergessen, ob man überhaupt ein Tablet oder einen Laptop hat (und wenn ja: wo sich dieses oder dieser gerade befindet), da Laptops gelegentlich auch äußerln geführt werden, könnte ja sein, dass ein solcher unterwegs verloren geht. Und ein Handy kann ohne weiters in die Donau fallen.“

Zur Vereitelung eines Ermittlungsverfahrens oder einer geplanten Hausdurchsuchung ist die vorgesehene Gesetzesbestimmung jedenfalls sehr gut geeignet.

Falsch ist auch die Behauptung der Klubobfrau der Grünen Sigrid Maurer, wonach die geplante Gesetzesbestimmung lediglich eine Entschließung des Nationalrates umsetze. In der Entschließung wird die Bundesregierung lediglich dazu aufgefordert, durch eine entsprechende Gesetzesinitiative dafür zu sorgen, „dass sensible nachrichtendienstliche Aufzeichnungen oder Datenträger“ im Fall einer Beschlagnahme gegen unbefugte Einsichtnahme oder Veränderung gesichert werden .3

Keinesfalls war vom Nationalrat intendiert, das eine Sicherstellung bei Behörden und Ämtern verhindert werden soll.

Justizministerin Zadić wird dringend aufgefordert, dafür zu sorgen, dass es nicht zu der im Innenministerium ausgeheckten Neufassung des §112a StPO kommt - im dringenden Interesse des Rechtsstaates.

2. Anti-Korruptionspaket

Ein Jahr nach Erscheinen des Ibiza-Videos hat Justizministerin Zadić im Mai 2020 ein Anti-Korruptionspaket vorgestellt, mit folgenden wesentlichen Inhalten:

-           Eine Person soll schon dann in der Verantwortung stehen, wenn sie sich um ein politisches Mandat bemüht (und nicht erst, wenn man z.B. schon Bundesminister ist)

-           Weiters war im Paket noch ein Passus gegen Mandatskauf. Künftig soll Mandatskauf sowohl für die Auftraggeber, die angehenden Mandatare und auch für die Vorteile annehmende Partei strafrechtlich untersagt werden.

-           Der dritte Teil dieses Paketes betrifft einen Korruptionsbericht, der im Sicherheits­bericht mit eigener Statistik inkludiert werden soll. Eine bessere Datenlage soll zu noch besseren Entscheidungen zur Korruptionsbekämpfung führen.

Seit der Vorlage dieses Paketes ist fast ein Jahr vergangen und es hat sich diesbezüglich wenig getan. Es soll endlich eine konkrete Vorlage her!

Es wäre auch zu prüfen, ob nicht Erfahrungen des letzten Jahres – insbesondere im Untersuchungsausschuss - dazu führen sollten, das Anti-Korruptionspaket entsprechend zu erweitern.

Die unterzeichnenden Abgeordneten stellen daher nachstehenden

Entschließungsantrag

Der Nationalrat wolle beschließen:

1.         Die Bundesregierung und insbesondere die Bundesministerin für Justiz werden ersucht, die vom Bundesministerium für Inneres geplante Neufassung des § 112a StPO ersatzlos zurückzuziehen und somit dieselbe nicht dem Nationalrat zur Beschluss­fassung vorzulegen.

2.         Die Bundesministerin für Justiz wird ersucht, dem Nationalrat umgehend ein Antikorruptionspaket vorzulegen, dessen wesentliche Inhalte von ihr bereits im Mai 2020 vorgestellt worden sind.

1 Moritz Moser, „Keine Hausdurchsuchung bei Behörden? Eine problematische Regierungsvorlage“, https://dertiefestaat.substack.com/p/keine-hausdurchsuchung-bei-behorden [veröffentlicht am 31. März 2021]

2 Heinz Mayer, „Geplante StPO-Reform: Es droht ein ‚Rechtsstaat neu‘“, https://www.derstandard.at/story/2000125543013/geplante-stpo-reform-es-droht-ein-rechtsstaat-neu [veröffentlicht am 02. April 2021]

3 Ebenda

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Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Der Antrag ist ordnungsgemäß eingebracht, ausreichend unterstützt, er steht somit in Verhandlung.

Zu Wort gemeldet ist Frau Abgeordnete Götze. – Bitte.